Читать книгу Machtzerfall - Herfried Munkler - Страница 10

Bombenkrieg und Propaganda

Оглавление

Was ging bei Kriegsende in den Köpfen der Menschen vor? Über Jahre hinweg hatte man Siegesmeldung auf Siegesmeldung aus dem Volksempfänger gehört. Dann hatte es örtliche Rückschläge gegeben, sogenannte »Frontbegradigungen« und »planmäßige« Rückzüge. Wann wurde klar, daß der Krieg verloren war? Oder glaubte man bis zuletzt an den Sieg? Wer glaubte was?

Bis Mitte 1944 hatte der Krieg Friedberg weitgehend verschont. In den ersten Kriegsmonaten hatte es verschiedentlich Einquartierungen gegeben, doch nach dem Frankreich-Feldzug war auch das vorbei. Wer wollte, konnte zum Bahnhof gehen und dort die Truppen- und Waffentransporte beobachten, die Friedberg passierten und von denen gelegentlich auch einer hielt. Rotkreuzschwestern, Mitglieder der NS-Frauenschaft und BdM-Angehörige standen dann bereit, die Soldaten zu verpflegen. Dem Bahnhof gegenüber war das »Soldatenheim« eingerichtet worden; rund um die Uhr taten hier Rotkreuzschwestern und Jungmaiden Dienst. Ansonsten aber wurde der Krieg in Friedberg »privat« erfahren. Er betraf nicht die Stadt und ihre Bevölkerung als Ganzes, sondern einzelne: Fast alle hatten Angehörige bei der Wehrmacht, um die sie sich sorgten. Mit dem Angriff auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wuchsen die Sorgen; die Todesanzeigen in der Lokalpresse mehrten sich. Die Versicherung der Hinterbliebenen, man habe »in stolzer Trauer« von dem Gefallenen Abschied genommen, wurde seltener; statt dessen las man von der »tiefen Trauer«, dem »tiefen Schmerz«, dem »unsagbaren Leid«. Nachdem die Siegesbegeisterung, die auch vor den Toten nicht haltgemacht hatte, abgeklungen war, wurde bei vielen die Trauer wieder zu einem privaten Akt. Wer den Tod seiner Angehörigen »in tiefer Trauer« anzeigte, verweigerte sich – zumindest in diesem Augenblick. Die Familie reklamierte ihren Toten für sich; er war gefallen für »Führer, Volk und Vaterland«, aber nachdem er seine Pflicht erfüllt hatte, gehörte er wieder ausschließlich ihr. Natürlich gab es auch Hinterbliebene, die sich nach wie vor »stolz« gaben.

Seit 1943 überflogen immer wieder starke englische und amerikanische Bomberverbände Friedberg in großer Höhe, immer häufiger wurden »öffentliche Luftwarnung« und »Fliegeralarm« ausgelöst. Man gewöhnte sich an das Heulen der Sirenen und an die Stunden im Keller, man las von den schweren Luftangriffen auf die deutschen Großstädte, hörte auch vieles, aber hier auf dem Land, so dachten die meisten, war man sicher. Über ein Jahr lang schaute die Bevölkerung der Stadt dem Bombenkrieg nur zu. Und es gab viel zu sehen für die, die nicht in den Keller gingen: Am 4. Oktober 1943 wurde bei einem Luftkampf über der Stadt ein amerikanischer Bomber abgeschossen. Einen langen Feuerschweif hinter sich herziehend, stürzte er wenige Kilometer entfernt ins Feld und explodierte. Drei Tage später wurde vormittags ein deutscher Jäger abgeschossen; der Pilot rettete sich mit dem Fallschirm. Am Nachmittag wurde wieder ein amerikanischer Bomber getroffen; ein Teil der Besatzung konnte abspringen, die anderen verbrannten in der explodierenden Maschine. Ein Fallschirmjagdkommando nahm die abgesprungenen Flieger gefangen und lieferte sie bei der Standortverwaltung des Infanterieregiments 36 ab. Sie wurden vernommen und dann in ein Kriegsgefangenenlager gebracht. Solange die Stadt von Bomben verschont blieb, wurden die abgesprungenen amerikanischen Flieger, wenn sie zur Kaserne gebracht wurden, von Schaulustigen bestaunt. Haßausbrüche und Tätlichkeiten gab es nicht – noch nicht.

Am 26. November 1943 detonierte gegen 20 Uhr die erste Bombe in der Nähe der Stadt, unmittelbar neben der Bahnlinie Friedberg– Nidda, unweit der großen Bahnüberführung über das Rosental, die die Friedberger nach der Zahl der Rundbögen die Vierundzwanzig Hallen nannten. Unter dem Druck der Detonation zerbarsten in den Häusern der Usagasse und der nördlichen Kaiserstraße die Fensterscheiben. Offensichtlich hatte die Bombe einem auf offener Strecke haltenden Güterzug gegolten. Der Heizer habe das Feuer zu sehr geschürt, so daß der Bomberpilot auf den Zug aufmerksam geworden sei, hieß es am nächsten Morgen. Das beruhigte: Wenn man nur entsprechend vorsichtig war, dann konnte einem eigentlich nichts passieren. Viele machten einen Spaziergang zu dem Bombentrichter. Er war etwa zehn Meter breit und fünf bis sechs Meter tief. Die Polizei stellte Sprengstücke sicher und maß die Wandung der Bombe: 15 mm. Es dürfte eine zehn Zentner schwere Sprengbombe gewesen sein, schätzte Polizeihauptmann Rust.

Ab Januar 1944 gab es fast jeden Tag Fliegeralarm, an manchen Tagen sogar mehrere Male. Friedberg lag auf der Route, auf der die Alliierten ihre Angriffe auf Mitteldeutschland flogen. Im Februar und März 1944 folgten die ersten schweren Angriffe auf Frankfurt. Die Detonationen waren bis nach Friedberg zu hören; im Süden färbte sich der Himmel glutrot, notierte Rust im Luftschutz-Kriegstagebuch der Stadt. Frankfurt brannte nieder. Genaueres war in den nächsten Tagen zu erfahren, als zahlreiche Ausgebombte aus Frankfurt nach Friedberg evakuiert wurden. Die Friedberger selbst wiegten sich noch immer in Sicherheit. »Kein Bombenabwurf auf Friedberg«, konnte Polizeihauptmann Rust fast nach jedem Fliegeralarm notieren. Nur gelegentlich gab es Notabwürfe angeschossener Maschinen, doch die gingen alle im freien Feld nieder.

Dennoch scheinen in der Bevölkerung allmählich Unzufriedenheit und Zweifel am deutschen Sieg aufgekommen zu sein. »Seit Mitte Mai 1943«, notiert Ferdinand Dreher Anfang 1944 in seinem Kriegstagebuch, »spricht die deutsche Propaganda von Vergeltung für den feindlichen Luftterror, der täglich zunimmt. Die Zuversicht der Bevölkerung auf des Führers Gegenschlag gerät allmählich ins Wanken.« Sechsundzwanzigmal, so fügt er verbittert hinzu, habe es während der letzten Woche in Friedberg Luftalarm gegeben. Daß der Gegner den Lebensrhythmus der Bevölkerung immer stärker bestimmte, war ein deutliches Zeichen von Unterlegenheit.

Das Vertrauen auf den Führer scheint auch und gerade in den Kreisen des Bürgertums geschwunden zu sein, die dem nationalsozialistischen System bislang eher positiv gegenübergestanden hatten. In anderen Kreisen verkehrte der pensionierte Gymnasiallehrer Dreher überhaupt nicht. Er selbst, Jahrgang 1878, ein fanatischer Antisemit und ein ebenso überzeugter Nationalsozialist, schwankte zwischen Resignation und Hoffnung: »Der schwere fdl. Luftterror hält an«, notierte er einmal; dann wieder, als sei dies ein Lichtblick: »Beginn unserer Vergeltungs-Luftangriffe auf London.« Wenn die alliierten Luftangriffe schon nicht verhindert werden konnten, dann sollten sie wenigstens vergolten werden.

Am 11. Mai 1944 hielt Rust für den Zeitraum von 11.47 bis 13.48 Uhr und von 14.25 bis 15.29 Uhr im Luftschutz-Kriegstagebuch fest: »Starke feindliche Jagd- und Bomberverbände in Gruppen von 120–150 Maschinen überflogen Friedberg von Westen nach Osten. Gezählt wurden etwa 2500 Feindbomber. Gegen 13 Uhr fanden mehrere Luftgefechte zwischen deutschen Jägern und den amerikanischen Bomberverbänden in einer Höhe von 9000–10 000 m über der Stadt Friedberg statt. Es war schauerlich anzusehen, wie die deutschen Jäger in die Bomberverbände stießen, ein Feuerstoß folgte dem anderen. Mehrere Bomber stürzten im Kreisgebiet brennend ab, die Besatzungen, gezählt wurden 31 Flieger, sprangen am Fallschirm ab und wurden durch Polizei, Wehrmacht und Gendarmerie festgenommen.« Während der Luftkämpfe, so merkt Rust an, sei über Friedberg ein wahrer Regen von Geschoßhülsen niedergegangen. Die verschossene Bordwaffenmunition wurde von Hitlerjungen zusammengetragen und zur Materialsammelstelle gebracht. Seitdem der Rohstoff in Deutschland knapp geworden war, mußte alles wiederverwendet werden.

Was stand für Rust bei der Niederschrift seines Berichts im Vordergrund: die Gesamtzahl der angreifenden Bomber? Die Abschüsse? Oder der Umstand, daß diese Abschüsse bei der Zahl der Angreifer kaum ins Gewicht fielen? Rust scheint die Luftkämpfe mit einer gewissen Faszination beobachtet zu haben: »Es war schauerlich anzusehen …« Das ist eine der wenigen Stellen, an denen er seine Empfindungen sichtbar werden läßt. Aber auch, wenn er die Rolle des nüchternen Chronisten spielt: 2500 Feindbomber! Das hatte er noch nicht gesehen, und wahrscheinlich hätte er es vor dem 11. Mai auch für unmöglich gehalten.

Offensichtlich waren die im Kreisgebiet abgeschossenen Flugzeuge ein beliebtes Ziel für Neugierige. Es scheint einen regelrechten Kriegstourismus zu den Absturzstellen gegeben zu haben. Noch waren die wirklichen Schlachtfelder weit entfernt. Touristen sind aus auf Souvenirs, und dementsprechend wurden die abgeschossenen Flugzeuge ausgeräumt. »Die Absturzstelle«, heißt es in einem Bericht der Gießener Zeitung vom 22./23. Juli 1944, »zieht erfahrungsgemäß zahlreiche Neugierige an, die nicht daran denken, daß die Gefahr der Explosion von Bomben, Treibstoff und Munition auch noch viele Stunden nach dem Absturz weiterbesteht. Diese Schlachtenbummler kehren dann oft mit irgendeinem Beutestück, einem Instrument, einer Waffe oder einem Fallschirm, nach Hause zurück.« Das war gar nicht im Sinne des Reichs, und so wurde in dem Artikel denn auch nachdrücklich darauf hingewiesen, daß die Entwendung von Teilen aus abgeschossenen Flugzeugen sowie von Gegenständen aus dem Besitz toter oder gefangener Besatzungsmitglieder »Plünderung und Sabotage an der Wehrmacht« sei. Flugzeugtrümmer stellten »wertvollen Schrott und Rohmaterial für die eigene Rüstung« dar; »Partei und Erziehungsberechtigte« sollten in diesem Sinne auf die Jugend einwirken. Die abgestürzten Flugzeuge, so berichtet Rust, wurden von Arbeitstrupps freigegraben, zerlegt und dann abtransportiert. Nicht deutsche Reinlichkeit, sondern Rohstoffmangel war der Grund.

Das Reich, so konnten sensiblere Beobachter daraus folgern, war zur Fortsetzung des Krieges dringend auf den Schrott des Gegners angewiesen, dessen gewaltige Bomberflotten man fast täglich am Himmel dahinziehen sah. Und wenn auch die deutschen Jäger den einen oder anderen Bomber abschossen, aufhalten konnten sie die alliierten Geschwader nicht. 2500 Flugzeuge hatte Rust am 11. Mai 1944 über Friedberg gezählt. Was hatte Deutschland dagegen noch aufzubieten? Seitdem man mit den eigenen Waffen ziemlich am Ende war, hofften viele auf ein Wunder. Wunderwaffen! Sie sollten Vergeltung üben für die Zerstörung deutscher Städte, Vergeltung der ersten Stufe, Vergeltung der zweiten Stufe, V 1, V 2 und so weiter …

Die Gerüchte über solche Wunderwaffen erhielten immer neue Nahrung; Goebbels tat das seine, indem er Meldungen lancierte, Hoffnungen weckte. In Drehers Kriegstagebuchliest sich das so: »Rundfunk: Ein-Mann-Torpedos« (18.7.44); »Bevorstehender Einsatz der neuen U-Boote?« (28.7.44); »Rundfunk: Sprengboot« (15.9.44); »Neuartige deutsche Flugzeuge (mit V 2 auf dem Rücken?) über Friedberg!« (17.9.44); »Gerücht: V 2 soll noch vor dem 15.10.44 loslegen« (30.9.44).

Am 20. Juli 1944, an demselben Tag, an dem das Attentat auf Hitler scheiterte, fielen die ersten Bomben auf Friedberg. »12.04 Uhr«, heißt es in Drehers Kriegstagebuch, »Bomben auf Friedberg-Bad Nauheim. 19.28 Uhr Rundfunk: Attentat auf den Führer! 1.00 Uhr nachts: Ansprache des Führers. Attentäter: Oberst Graf von Stauffenberg.« Das Attentat auf Hitler hat für Dreher den ersten Bombenangriff auf Friedberg völlig in den Hintergrund gedrängt. Das ist um so bemerkenswerter, als Dreher ein lokalgeschichtlich engagierter Mann war. Er war Leiter des Stadtarchivs und hatte mehrere Aufsätze und Broschüren über Friedberg geschrieben. Man wird also davon ausgehen dürfen, daß er an der Stadt hing. Nach den ersten Meldungen von dem Bombenanschlag hat er aber anscheinend ununterbrochen am Rundfunk gesessen – bis endlich feststand, daß der Führer lebte.

Viele Friedberger haben die Meldung vom Attentat auf Hitler jedoch nur am Rande mitbekommen. Sie waren mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt: Die einen halfen bei der Suche nach Verschütteten, andere nahmen obdachlos gewordene Bekannte und Verwandte auf – sie alle hatten kaum Gelegenheit, sich um die Staatsaktionen zu kümmern. Was das Wichtigere war, das Bombenattentat auf Hitler oder der erste Bombenangriff auf die eigene Stadt, hing von der Perspektive der Betreffenden ab. Vierzig Jahre später kann sich jedenfalls keiner der Befragten mehr daran erinnern, daß beides auf ein und denselben Tag fiel.

Bei dem Angriff vom 20. Juli 1944 wurden etwa 56 t Sprengstoff zur Explosion gebracht: Aus amerikanischer und aus deutscher Sicht, von oben und von unten, stellte sich diese Gewalt jedoch völlig verschieden dar. Ein »Feindlicher Bomberverband mit Jagdschutz in Stärke von etwa 100 Flugzeugen« habe den Angriff geflogen, notiert Polizeihauptmann Rust im Luftschutz-Kriegstagebuch der Stadt. Das war viel zu hoch gegriffen. In dem am darauffolgenden Tag erstellten Interpretation Report des 8. amerikanischen Bomberkommandos heißt es unter der Überschrift »Attack on Friedberg Marshalling yard«, 24 Bomber hätten, von Jagdflugzeugen begleitet, um 12.03 Uhr den Rangierbahnhof in Friedberg angegriffen und 248 Fünfhundert-Pfund-Sprengbomben abgeworfen. Es seien Zehn-Zentner-Bomben geworfen worden, notierte Rust, im Stadtgebiet habe man 141 Sprengtrichter gezählt, jeder davon sechs bis sieben Meter tief und vierzehn bis fünfzehn Meter breit. Die Auswertung der während des Angriffs von den Amerikanern gemachten Photos kam auf 105 »bursts«.

In den meisten nach dem Angriff gesammelten Daten stimmen die deutschen und die amerikanischen Angaben im wesentlichen überein. Keine der beiden Seiten, so wird man daraus folgern können, hat bewußt falsche Angaben gemacht. Wie also ist zu erklären, daß Rust die Zahl der angreifenden Bomber, die Begleitjäger mitgerechnet, mehr als doppelt so hoch ansetzte, ebenso wie die Sprengkraft der Bomben? Offensichtlich wuchs für den, der am Boden lag und unter dem die Erde vibrierte, die Stärke des Gegners weit über dessen tatsächliche Stärke hinaus. Zählend, sich in Deckung werfend und wieder zählend, hat Rust viel mehr Flugzeuge gesehen, als wirklich da waren. Dies gilt wohl erst recht für diejenigen, die den Angriff im Keller erlebten. Die Wucht der Detonationen, das Beben der Erde, das Wanken der Häuser: So multiplizierte sich die Erfahrung von Ohnmacht und Wehrlosigkeit.

Der Angriff, so berichtet Rust, habe zwei bis drei Minuten gedauert. Es seien getötet worden: fünf Wehrmachtsangehörige und dreizehn Zivilisten, davon sechs in einem einzigen Haus; einige der toten Zivilisten waren evakuierte Frankfurter. Drei Schwerverletzte seien in den darauffolgenden Tagen im Krankenhaus gestorben. Die Gleisanlagen zwischen Personen- und Güterbahnhof seien durch die Bomben schwer beschädigt worden. Aus Rusts Angaben ist ersichtlich, daß mehrere Tote aus eingestürzten Luftschutzkellern geborgen wurden. In der Öffentlichkeit durfte dies jedoch nicht verbreitet werden, denn in der Anweisung 616 hatte Goebbels der Presse mitgeteilt: »Um das Vertrauen zu den Luftschutzkellern nicht zu untergraben, ist Zurückhaltung zu bewahren, wenn in einem Einzelfall Todesopfer im Luftschutzkeller zu beklagen sind.« In einer Kleinstadt wie Friedberg ließ sich natürlich nicht verhindern, daß die zerstörten Luftschutzkeller gerüchteweise publik wurden.

Völlig anders sahen die Amerikaner die Folgen des Angriffs: Neunzehn von 105 festgestellten Bombentreffern lägen im Zielgebiet, heißt es in dem Interpretation Report, fünf auf den Gleisen des Rangierbahnhofs (zwei davon auf einem der beiden Lokomotivschuppen) und vierzehn auf dem Hauptgleisstrang. Weiterhin seien die barackenähnlichen Gebäude neunhundert Meter südwestlich des Rangierbahnhofs getroffen worden, außerdem zwei von sechs Lagerhäusern westlich des Gleiskörpers. Eine Reihe von Explosionen sei in dem Wohngebiet westlich des Rangierbahnhofs und im angrenzenden Feld zu sehen.

Rust spricht zuerst von den Toten, dann von den Schäden. Die Amerikaner erwähnen nur die Schäden: Die toten Zivilisten, deren Zahl sie nicht wissen konnten, waren eine zwar kalkulierte, aber nicht intendierte Nebenfolge des Angriffs. Sie bewerten ausführlich die etwa fünfzehn Prozent Treffer im Zielgebiet und erwähnen nur am Rande die vielen Treffer im Wohngebiet. Sie interessieren sich für ihr militärisches Ziel, alles andere sind Fehlwürfe. Der Angriff habe Reichsbahn- und Wehrmachtobjekten gegolten, notiert auch Rust, berichtet dann aber vor allem über die Ziviltoten, führt Einzelheiten auf und erwähnt erst ganz zuletzt und nur kurz die Schäden an den militärischen Objekten, denen der Angriff galt.

Ist diese Sicht eine Folge der deutschen Propaganda? Der zufolge galten die amerikanischen Angriffe gar nicht militärischen Zielen, sondern waren nackter Terror gegen die Bevölkerung – was gegen Ende des Krieges verschiedentlich sogar zutrifft. Dreher spricht in seinem Kriegstagebuch nur von den »Amerigaunern«. Die Propaganda hat vielleicht eine gewisse Rolle gespielt; andererseits hat Rust aber auch ausdrücklich festgehalten, daß der Angriff militärischen Zielen galt, also kein Terrorangriff war. Während die amerikanische Auswertung jedoch an dem Angriffsziel und den darin feststellbaren Treffern orientiert war, hielt Rust sich an die Gesamtheit aller Treffer in Friedberg, und was für die Amerikaner Fehlwürfe darstellte, war für Rust mitunter das eigentlich Erschütternde. Aus der Sicht der Angegriffenen stellte sich das Bombardement anders dar als aus der Sicht der Angreifer.

Die Erfahrung der Ohnmacht und Wehrlosigkeit während des Bombenangriffs schlug bei einigen in den nächsten Tagen um in Haß. Eine Woche nach dem Angriff übte SA-Standartenführer Riecke auf seine Weise Rache. Rust berichtet: »Am 28.VII.1944 von 8.28–1.36 Uhr Fliegeralarm. Starke Bomber- und Jagdverbände überflogen in 8–10 Wellen (Gruppen von 100 Flugzeugen) Friedberg in Rich-tung Thüringen. Auf dem Rückflug stürzte ein 4motoriger Bomber bei Bauernheim ab und verbrannte, nachdem er vorher über Fried-berg kreiste. Ein Besatzungsmitglied, Peter Handros, Erkennungsnr. 0-718517 HB 90 (Amerikaner), wurde an der Dorheimer Straße in Fauerbach von Standartenführer Riecke erschossen. Er wurde auf dem Friedhof in Friedberg beerdigt.«

Machtzerfall

Подняться наверх