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Am nächsten Tag machte sich der Hohenhauser auf den Heimweg, nachdem er dem Landrichter seine Anliegen vorgebracht hatte. So um die vierte Stunde des Nachmittags kam er im Talinnern von Schmirn an. Der Weg führte beim Wolfbrechter-Hof in Kasern vorbei. Es war der letzte Hof des Tales vor dem Aufstieg zum Tuxer Joch.

Der mächtige Holzbau des Hofes beherrschte den Blick. Wie eine gewaltige Mauer schloss der Kaserer Spitz mit dem Schmirner Ferner das Tal ab. Unter dem Schmirner Ferner lag die verschneite und verwunschene Alm.

Der Hohenhauser verstand sich gut mit dem Wolfbrechter Bauern. Beide waren ausgezeichnete Viehzüchter. Sie kannten sich schon lange und der Wolfbrechter war ein guter Freund des früh verstorbenen Hohenhausers gewesen.

»Seid ihr gut zurück vom St. Valentin?«, fragten die Wolfbrechter den Hohenhauser, als er in die Rauchkuchel eintrat.

»Ja, es ist alles gut gegangen«, antwortete der Wallfahrer in seiner rauen, kurzangebundenen Art.

Gleich wurde er eingeladen, sich zum Herdfeuer zu setzen. Rahmige Milch und schwarzes Brot wurde dem Gast vorgestellt. Die jüngste Tochter Maria bewirtete ihn.

»Dass wir uns so selten sehen«, meinte sie. »Es ist nur ein Joch zwischen Ladins und Hintertux!«

Der Wolfbrechter bekräftigte: »Ja, wir sind wirklich Nachbarn! Und am Joch grenzen unsere Almen aneinander!«

Der Hohenhauser meinte lachend, das Tuxer Vieh wisse das auch, weil es nicht selten übers Joch ginge und auf der Alm von Tettens weide. Das hätte bei anderen Talschaften schwere Streitigkeiten gegeben, aber die Bauern von Ladins seien halt so gutmütig. »Ja, darum geht das Tuxer Vieh alleweil wieder über das Joch nach Tettens!«

Der Wolfbrechter Bauer schmunzelte und meinte: »Das macht nichts! Deswegen fangen wir keinen Krieg an!«

Aus dem Nachmittag war Abend geworden. Der Hohenhauser hatte sich gar wohl unterhalten.

Dann wurden die Kühe von der Weide hereingetrieben, um gemolken zu werden. Der Wolfbrechter forderte seinen Gast auf, mit in den Stall zu kommen, um sich die stattliche Herde näher anzusehen. Nur zu gern folgte der Hohenhauser der Aufforderung.

Die Maria saß auf einem Schemel und melkte. Der Hohenhauser tat, als spräche er mit dem Wolfbrechter, aber er musste dabei immer auf die Maria schauen, die sich ganz ihrer Arbeit hingab. Die Milch schäumte. Diese junge Frau machte auf ihn einen seltsamen Eindruck. Schon als er in der Küche bewirtet wurde, hatte er auf sie geschaut. Sie war so ruhig und in sich gekehrt und hatte ihn eigentlich nur auf die Nachbarschaft hin angesprochen. Wenn sie gefragt worden war, hatte sie nur kaum merklich genickt.

Nachdem der Hohenhauser sich im Stall genügend umgesehen und das Vieh gelobt hatte, geleitete der Wolfbrechter seinen Gast wieder in die Stube. Er stellte einen kleinen Pitterich auf den Tisch, der mit Tuxer Branntwein gefüllt war.

»Jetzt sollte ich aber wieder übers Joch gehen«, meinte der Hohenhauser, aber der Wolfbrechter sagte, noch sei Zeit genug, und die Nacht sei zum Gehen grad gut.

Er hob sein Glas und trank dem Hohenhauser zu.

»Ich seh dich«, sagte er dabei.

Der Hohenhauser antwortete: »Ich hör dich!« Mit diesem alten Brauch brachten sie zum Ausdruck, dass sie beide guter Dinge waren.

Eben kam die Maria herein.

»Vater, der Hohenhauser wird wohl unser Gast sein? Die Mutter hat gute Krapfen gemacht!«

Und so ging auch der Abend in die Nacht über. Dann wurde die Stimmung immer freundlicher. Auch zwei Nachbarn waren dahergekommen, darunter der Pirklahner, der als ein besonders lustiger Erzähler bekannt war.

»Die Hintertuxer sind gar nicht so wild, wie der Name sagt«, lachte er und erzählte dann: »Die Hintertuxer haben mal Vasnacht (Fastnacht) gefeiert, und es ist tiefer Winter gewesen und kein Mensch hat außer Tal können. Dann haben sie gemeint, nun müsst die Vasnacht doch bald zu Ende sein. Zwei Hintertuxer sind nach Zell hinaus, um nachzuschauen. Da war es schon der Palmsonntag, und sie sahen die große Prozession. Sofort sind sie umgekehrt und haben laut verkündet: noch lang ist Vasnacht! In Zell laufen sie grad mit Besen um!«

Dass die Hintertuxer einmal die Palmwedel für Besen und die Prozession für einen Vasnachtumtrieb gehalten hatten, ließ alle laut lachen.

Auch der Hohenhauser lachte mit, aber er hatte gleich eine gebührende Antwort zur Hand und begann zu erzählen:

»Da haben die Schmirner eine Mühle gebaut. Und weil ihnen das Joch am besten gefallen hat, haben sie geglaubt, da tät die Mühle gut hinpassen. Richtig – sie haben die Balken auf das Joch hinaufgetragen und waren sehr guter Dinge. ›So einen schönen Platz finden wir nirgends für unsere Mühle‹, haben sie gesagt. Zum Schluss haben sie auch mit Aufbietung aller Kräfte den Mühlstein hinaufgezogen.

Dann ist die Mühle gebaut gewesen – da erst besannen sich die braven Schmirner, dass es kein Wasser gab, das den Mühlstein drehte. So haben sie die Mühle wieder abgebrochen und die Baumstämme hinuntergetragen. Da geschah es bei den letzten Baumstämmen, dass die Träger ungeschickt waren. Die Balken fielen zu Boden und kollerten in das Tal. Da erkannten die braven Schmirner, dass sie eine Dummheit begangen hatten. Daher hat der Dorfmeister befohlen, sie sollten alle Balken und Stämme wieder auf das Joch tragen und dann richtig ablassen. So ist es auch geschehen. Zum Schluss blieb nur noch der Mühlstein übrig. Da haben sie lange nachgedacht, wie sie den schweren Mühlstein hinunterbringen sollten in das Tal.

Endlich hat einer den richtigen Rat gegeben. Hans hat er geheißen. Er hat gesagt: ›Das machen wir genau wie mit den Stämmen. Wenn die Stämme von selber hinunterfallen, dann wird’s der runde Mühlstein wohl auch können‹. Und er steckte seinen Kopf durch das Loch des Mühlsteines, um den Stein lenken zu können. Dann setzten die anderen den Stein in Schwung. Aber der Mühlstein kollerte mit dem Hans mittendrin etwas zur Seite auf einen Felsen zu. Entsetzt schrien die anderen Mühlenbauer ihm nach: ›Hansoi, lenk! Hansoi, lenk!‹ Aber der arme Hans hat das Lenken vergessen, und er ist mit dem Stein über die Felswand gefallen! Ja«, so schloss der Hohenhauser, »solche Mühlen haben wir in Hintertux nicht gebaut!«

Das gab ein frohes Lachen! Wie oft hatten sie schon diese Geschichte gehört, aber aus dem Mund eines Hintertuxers klang es anders und ganz neu, als hätten sie es noch nie vernommen.

Auch die Maria, die dem Hohenhauser gegenübersaß, lachte hellauf. Verwundert schaute er sie an. Wie ganz anders das sonst immer so ernste Gesicht jetzt wirkte in dem trauten Licht der Kerzen und der Öllampe!

»Aber Maria«, sagte er und tat recht vorwurfsvoll, »du wirst doch nicht gar über dein eigenes Tal lachen!«

Nur noch heller prustete sie los, und ihr Vater, der Wolfbrechter, meinte: »Nun hör aber auf, Hohenhauser! Wir könnten dir schon noch ganz andere Geschichten über die wilden Hintertuxer erzählen!«

Da trat eben die Mutter mit der anderen Tochter, der Brigitta, herein. Sie hielt die mächtige Holzschüssel mit Krapfen in den Händen, und die Brigitta brachte eine Holzschüssel mit süßer rahmiger Milch.

»Unser Gast soll nicht hungern«, sagte die Mutter.

Alle standen auf und sprachen ein Segensgebet.

»Gott segn’s«, sagte der Wolfbrechter zum Schluss.

Die Krapfen schmeckten gut. Auch der Hohenhauser war ordentlich hungrig geworden. Es reute ihn nicht die Zeit, die er hier verbrachte. Der Wolfbrechter hatte wahrscheinlich recht: Die Nacht war zum Gehen grad richtig.

Niedriger und niedriger war der Krapfenberg geworden. Die Milch wurde, wie es Sitte war, mit dem Löffel gegessen und nicht getrunken. Jeder Tischgenosse fuhr mit dem Löffel in die Milchschüssel hinein und nahm so Schluck um Schluck. Und als nur mehr ihr Boden bedeckt war, traf es sich, dass der Löffel des Hohenhauser und der der Maria zusammenstießen. Kein anderer Löffel wurde, wie es der Zufall wollte, in die Schüssel getan. In diesem Augenblick fasste der Bauernknecht mit beiden Händen zu und hielt die zwei Löffel fest.

Ein übermütiges Gelächter war die Folge. Der Knecht ließ die Löffel nicht los. Das hallende Gelächter hielt an und verstärkte sich.

Alle schrien durcheinander: »Zwei Löffel! Zwei Löffel zusammen!«

Der Wolfbrechter klopfte dem Gast auf die Schulter: »Ich mein, Hohenhauser, du bist nicht umsonst wallfahren gegangen!«

Der Hohenhauser machte gute Miene zum Spiel. Die Maria aber war über und über rot geworden. Sie kannte den Brauch, der viel Anlass zu Scherz und Kurzweil gab: Wenn zwei junge Leute mit dem Löffel zufällig zusammenstoßen und sonst kein Löffel in die Schüssel getan wird, dann bedeutet das etwas!

Mittlerweile hatte der Knecht die Löffel wieder freigegeben, wobei er sagte:

»Der Hohenhauser weiß schon, was das bei uns in Ladins bedeutet!«

Ja, der Hohenhauser wusste es und meinte: »Ihr habt mit Absicht gewartet, dass unsere zwei Löffel allein in der Schüssel waren!«

Der Knecht widersprach: »Na, na – wir haben nicht gewartet! Es war reiner Zufall! Zwei Löffel und zwei Menschen! So heißt der alte Spruch, Hohenhauser! Merk dir das! Zwei Löffel und zwei Menschen! Das ist Brauch bei uns in Ladins!«

So war aus dem kurzen Besuch ein langer Nachmittag und ein langer Abend geworden. Kerzen und Kandelaber erfüllten die alte Stube mit einem warmen, heimeligen Licht. Der Tuxer Branntwein mundete gut.

Gegen Mitternacht nahm der Hohenhauser Abschied vom gastlichen Hof.

»Und wann kommst du wieder vorbei?«, fragte der Wolfbrechter.

Dem Hohenhauser klangen diese Worte wie eine freundliche Einladung. Gleich antwortete er: »Ich muss schon bald wieder zum Landgericht gehen, und dann werd ich vorbeischauen. Und zum Matthäusmarkt in Steinach an der Brennerstraße werde ich gewiss auch kommen. Da gehen alle Hintertuxer zum Markt!«

Der Wolfbrechter reichte ihm die Hand: »Dann musst du wieder einkehren, Hohenhauser!«

Und der Knecht donnerte mit seiner lauten Stimme: »Vergiss nicht die zwei Löffel, Hohenhauser! Vergiss nicht die zwei Löffel!«

Der Hohenhauser tat, als hörte er das nicht. Er gab der Maria die Hand: »Behüt dich Gott, Maria! Schön ist es gewesen!«

Der Tuxer Schäfer

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