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ОглавлениеDer Hohenhauser Bauer war ein verschlossener Mann. Schon in seiner Jugend hatte er sich von seinen Altersgenossen immer etwas abgesondert und war am liebsten für sich allein geblieben. Wie alle Bauern von Hintertux hatte auch er in der Sommer- und Winterzeit schwere Arbeit zu tun, aber er übertraf dabei noch alle anderen an Ausdauer. Er gönnte sich nicht Rast und Ruhe, und es mochte stimmen, wenn man von ihm sagte, dass er fast keinen Schlaf benötigte. Denn er machte manchmal die Nacht fast zum Tag, besonders zur Zeit der Heuernte, wo man ihn schon in aller Herrgottsfrühe auf die Felsen und Schrofen hinaufsteigen sah, um das Bergheu zu mähen.
In seiner Jugend hatte er mehrere Sommer lang die Schafe auf der Tuxer Schafalm gehütet, und alle Bauern waren sich einig, kein Hirt habe jemals so viel Bergheu gemacht und dennoch auf die Schafe so gut achtgegeben wie der Hohenhauser. Kein einziges Tier war ihm abgestürzt oder sonst wie zugrunde gegangen.
Danach hatte er drei Jahre lang das Tuxer Vieh auf der Sommerberger Alm gehütet. In dieser Zeit hatte sich sein herrisches und eigenwilliges Wesen immer stärker entwickelt. Dann hatte er den Hof übernommen und da er sich auf die Viehzucht besonders gut verstand, wurde er schon in jungen Jahren zum Alpmeister von Hintertux gewählt.
Sonst galten seine ganze Kraft und die harte Arbeit dem schönen Hohenhauser-Hof. Das aus schweren Balken gefügte Wohnhaus stand mit dem Stall und dem Kasten eng verschachtelt mit den anderen Höfen, als suchten sie alle gemeinsam an dieser einzigen sicheren Stelle Schutz vor den Lawinen, die zur Winterzeit wie eine ständige Drohung über dem Tal hingen. Aber trotz dieser engen Nachbarschaft blieb der Hohenhauser ein Einzelgänger und kümmerte sich nur wenig um andere.
Jede Geselligkeit mied er. So sah man ihn auch nicht, wenn die langen dunklen Winterabende einfielen, auf irgendeinem der anderen acht Höfe, wo die Hintertuxer sich in den warmen Stuben zusammenfanden, um miteinander zu reden oder alte Geschichten zu erzählen, die man schon so oft gehört hatte, die aber doch immer wieder neu zu sein schienen, wenn sie berichtet wurden.
Es schien, als reue den Hohenhauser die Zeit, als gehöre er nicht dazu. Schon in seinem Äußeren unterschied er sich von den anderen. Er war groß gewachsen und überragte mit seiner Länge die übrigen, die zu ihm aufschauen mussten, wenn sie ihm in die dunklen, durchdringenden Augen schauen wollten. Es war gerade, als sähen sie jedem Menschen auf den Grund. Er war breit und grobknochig, und an seinen kräftigen Händen sah man, dass sie zuzupacken gewohnt waren. Selbst jetzt im Winter war seine Haut gebräunt, ja, in seiner ganzen Erscheinung glich er eher den Leuten von Ladins jenseits des Joches als den Bauern von Hintertux.
Dem Hohenhauser war dieser Unterschied gar nicht bewusst, und die Bauern von Hintertux fügten sich auch ohne Widerspruch dem herrischen Mann, der mit Beharrlichkeit und Härte sein eigenes Recht vertrat und das der Hintertuxer, zu deren Sprecher er bei der Gemeinde von Schmirn und beim Landgericht in Steinach an der Brennerstraße gewählt war.
Zwar lag Hintertux als letzte Bergsiedlung im Zillertal, aber es gehörte zur Gemeinde Schmirn, jenseits des Tuxer Joches, und zum Landgericht Steinach. Der Weg dorthin betrug sieben Gehstunden, und über das Joch hinweg mussten auch die Toten getragen werden zu dem alten Gottesacker bei St. Maria ob der Brennerstraße, um dort ihre letzte Ruhestätte zu finden.
Beim Landgericht und bei der Gemeinde fand der Hohenhauser immer das rechte Wort und ließ sich niemals einschüchtern. Die Hintertuxer waren also mit ihm zufrieden, und jeder Einzelne war nur zu froh, dass nicht er selber den langen Weg nach Steinach gehen musste, das bei der Abgeschiedenheit, in der man in Hintertux lebte, allen wie eine fremde Welt erschien, die ihnen die Sprache verschlagen hätte.
Nein, sie ließen den Hohenhauser gern gewähren und sahen es ihm nach, wenn er sich daheim so absonderte und gern allein sein wollte. Aber wenn sie unter sich waren, kam von Zeit zu Zeit doch die Rede auf das sonderbare Wesen des Hohenhausers.
»Muss einmal etwas mit ihm gewesen sein«, meinte dann der eine oder andere. »Hab ihn seit seiner Jugend nimmer lachen sehen.« Ja, es musste einmal etwas geschehen sein, das den Hohenhauser so verschlossen hatte werden lassen.
Die älteren Leute erinnerten sich: Bis zu seinem 33. Lebensjahr war der Hohenhauser ledig gewesen und in nichts hatte sein Wesen sich von dem der anderen unterschieden. Dann hatte er geheiratet. War seitdem alles anders geworden? Was wussten die Hintertuxer schon! Wussten sie, was damals geschehen war? Der Hohenhauser war ein verschlossener Mann und er wäre der Letzte gewesen, der mit jemandem über das gesprochen hätte, was ihn bedrückte.
Damals stand der Hohenhauser in seinen besten Mannesjahren. Unermüdlich arbeitete er in Haus und Feld und Wald und Alm. Er hielt das schönste schwarzscheckige Tuxer Vieh im Stall. Auch die graugesprenkelten Tuxer Schafe liebte er. Um das Vieh, die Schafe und Geißen den langen Winter über durchfüttern zu können, musste auch die gefährlichste Bergmahd im Sommer ausgemäht werden. Die Gründe im ebenen Talboden wurden meist als Acker für Hafer und Gerste verwendet, daher gab es für drei Knechte und zwei Mägde Arbeit genug auf dem Hof.
Neben diesen Dienstboten lebten auch noch die alte Mutter und eine unverheiratete Schwester auf dem Hof. Da brauchte es eine große Muspfanne und einen großen Tisch in der Stube.
Auf dem Hohenhauser-Hof gab es gute und schmalzige Kost. War die Arbeit auch hart und lang, Knechte und Dirnen blieben doch gerne, ja es galt sogar als Ehre, auf dem Hohenhauser-Hof Dienst zu leisten. Der Bauer nahm nur die besten Knechte auf. Und Bauernknecht beim Hohenhauser zu sein bedeutete schon etwas im weiten Umkreis. Es gab nicht viel Wechsel mit den Dienstboten.
Auch im Winter lagen weder Bauer noch Knechte auf der warmen Ofenbank. Da hallten die Axtschläge durch den Winterwald. Es begann das Holztreiben und Holzführen. Dann sang die Säge ihr helles Lied viele Wochen lang.
Und wenn der Schnee im Frühjahr hart geworden war, wurde der Mist auf Acker und Feld getragen und als letzte Frühjahrsarbeit Erde auf die beschneiten Äcker gestreut, damit der Schnee schneller schmolz. Auch für die Frauen ging im Winter die Arbeit nie aus. Wochenlang dauerte das Spinnen der Wolle, bis in die späten Nachtstunden hinein.
Und doch hatte der Hohenhauser die Hintertuxer damals überrascht, denn sie glaubten, er bliebe noch länger ledig. Man hatte ihn nie mit einer Dirn am Sonntag sprechen und lachen sehen. Um die Frauen schien er sich überhaupt nicht zu kümmern, als wären sie gar nicht da. Er redete mit ihnen nur über die Arbeit.
Auch wenn andere Bauern Hochzeit hielten, nahm er höchstens an der Feier in der Kirche teil. Sonst fand er immer einen Anlass oder eine Ausrede, um bald zu verschwinden. Auch an den Dreikönigstagen ließ er sich nie in froher Gesellschaft sehen, um mit dem jungen Volk den Zelten, ein herrliches Früchtebrot, anzuschneiden.
Und doch täuschten sich die Leute von Hintertux. Wenn er auch nach außen hin eine vollkommene Gleichgültigkeit, ja fast Ablehnung zeigte, so entsprach dies seiner verschlossenen Art. Innerlich aber dachte er anders, ja er dachte viel nach über die Frauen und beobachtete sie mit seinen durchdringenden Augen. Keine Frau war imstande, seinen Blick auszuhalten. Alles war geheimnisvoll: War es ablehnend oder auffordernd?
Und diesen geheimnisvollen Blick spürte seine Magd, die Emma, mit Angst und Schauer und doch wieder mit großer innerer Freude.
Die Emma diente schon sieben Jahre lang treu und redlich auf dem Hohenhauser-Hof. Sie half im Frühjahr auf Feld und Acker mit; sie breitete bei der Mäharbeit das frisch gefallene Gras fein säuberlich aus, sodass es schön trocknen konnte; sie rechte das Heu zusammen, unermüdlich fleißig und sorgsam. Nicht das kleinste Hälmchen wollte sie liegen lassen; sechs Wochen arbeitete sie dann droben auf den hohen und gefährlichen Bergmähdern, schlief dort mit den anderen in den kleinen Hütten und kochte für die Mäher das Milchmus und die Brennsuppe. Dann konnte es geschehen, dass der Hohenhauser, wenn er zufällig in ihre Nähe kam, den Blick auf sie richtete. Sie spürte seinen Blick und rechte flink das Gras zusammen, um unauffällig weiter von ihm wegzukommen. Der Bauer stand da, lehnte seine Arme auf den Sensenrücken und kannte plötzlich keine Eile mehr …
In ihrem siebten Jahr war die Hohenhauser Familie auf Wallfahrt gegangen. Im Winter war in allen Ställen von Hintertux der Viehtisel ausgebrochen, eine Tierseuche. Zufällig hatte der Hohenhauser sein Vieh noch auf der hohen Aste. Das war sein Glück, denn das Hohenhauser Vieh wurde vom Tisel verschont. Zum Dank hatte die Mutter eine Wallfahrt versprochen, und der Hohenhauser hatte zugestimmt.
So stiegen dann alle vom Hohenhauser-Hof, der Bauer, seine Schwester, die drei Knechte und die beiden Dirnen, an einem Sonntag bald nach Mitternacht, als der Hahn noch nicht gekräht hatte, auf das Tuxer Joch hinauf. Während des zweistündigen Aufstieges wurden Rosenkränze gebetet, und alle dankten Gott, dass ihr Vieh von der Seuche verschont geblieben war. In den anderen Ställen von Hintertux sah es furchtbar aus.
Vom Tuxer Joch stiegen sie über Tettens hinunter zu den Höfen von Ladins. Dann wanderten sie, laut betend, durch das Schmirntal auswärts zur Brennerstraße. Sie hatten versprochen, den weiten Weg nüchtern zu machen, denn es sollte ja eine Wallfahrt zum heiligen Valentin, dem mächtigen Viehpatron, werden! So folgten sie, wieder laut betend, der Straße brenneraufwärts.
Um die siebte Morgenstunde waren sie beim Valentinskirchlein auf dem Brennerpass angekommen. Ohne zu rasten, gingen sie gleich in das Heiligtum hinein. Gerade konnte die junge Emma der anderen Magd zuflüstern: »15 Rosenkränze haben wir gebetet!«