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ОглавлениеDie Kirche von St. Valentin war überfüllt mit frommen Betern. Auch von anderen Tälern waren Wallfahrer gekommen. Lange dauerte die heilige Messe, noch länger die Predigt, aber die Tuxer Wallfahrer blieben auch nach der Messe noch in der Kirche, denn sie waren dem heiligen Valentin so dankbar, dass er sie vorm Tisel verschont hatte. Knechte und Dirnen blieben in den Bänken knien. Sie hätten es nicht gewagt, vor dem Bauer aufzustehen.
Endlich richtete sich der Hohenhauser auf. Noch einmal schlug seine knöcherne große Hand das Kreuzzeichen. Dann schaute er zu seiner Mutter und nickte ihr zu. Tief beugte er das Knie und stapfte schweren Schrittes zur Tür. Die anderen folgten ihm, am Schluss erst ging die Emma.
Nun zogen die Tuxer Wallfahrer zur berühmten »Brenner Post«, dem mächtigen Einkehrhaus. Dort nahmen sie in der großen Wirtsstube Platz. Die beiden Dirnen hatten in roten Tüchern, wie es Brauch und Sitte bei Wallfahrern war, ihre Vorräte selbst mitgenommen. Der Bauer bestellte einen Branntwein für sich und für die Knechte. Die Dirnen schichteten das schwarze Brot, Speck und Käse auf. Im anderen Tuch befanden sich Krapfen. Alle waren ordentlich hungrig geworden. Den Frauen brachte die Kellnerin dann eine dampfende Suppe. Den Männern stellte sie auf Wink des Bauern eine Kanne Wein auf den Tisch.
Der Hohenhauser griff ordentlich zu und trank den Wein in durstigen Zügen. Den Frauen schenkte er ein kleines Glas voll ein.
»Ein Glas zusammen werdet ihr schon aushalten«, lachte er – und dabei schaute er wieder so seltsam die Emma an.
Sie wurde über und über rot, denn sie spürte genau, dass er sie beobachtete.
Nach dem Essen sagte der Bauer: »Ich will mir noch den großen Poststall anschauen. Und zum Pfarrer muss ich auch noch gehen und eine Messe zahlen. Der heilige Valentin hat uns ja geholfen! Dann gehen wir wieder heim.«
Er verließ die holzgetäfelte Stube mit der mächtigen Balkendecke. Im Winkel leuchtete ein Öllämpchen vor einem großen Kreuz. Dunkle Ölbilder zierten die Wände.
Nachdem der Hohenhauser beim Pfarrer vorgesprochen und dann den Stall besichtigt hatte, wo etwa fünfzig Pferde standen, ging er noch einmal in die Kirche.
Vor dem Eingang hatte ein Kraxentrager seine Waren aufgeschlagen. An Sonntagen machte er bei Wallfahrtskirchen gute Geschäfte. Seine Sprache war dem Tuxer Bauern schwer verständlich, aber auf seine Anrede hin blieb der Hohenhauser doch stehen und besah sich die vielen Waren. Plötzlich fielen ihm einige Zierstücke auf. Es waren silberne Kettchen mit einem Muttergottes-Taler und andere Schmuckstücke, wie sie Frauen trugen. Bei diesem Anblick überkam ihn ein seltsames Verlangen, das er nicht mehr aus dem Kopf schlagen konnte. Überlegend hielt er das Kettchen mit dem Marientaler in der Hand.
Der Kraxentrager redete ihm begeistert zu: »Kettchen! Wunderschöne Kette! Nur zwei Gulden – du kaufen!«
Und er dachte nach und dachte nach. Sein Gesicht hellte sich auf. Ohne ein Wort zu sprechen, zog er den Geldbeutel, zahlte und steckte das Kettchen in die Tasche.
Als der Hohenhauser wieder zum Einkehrhaus zurückkam, stand gerade die Emma unter dem hohen Torbogen des Gasthofes. Sie schaute verwundert auf das bewegte Leben an der Brennerstraße. Mächtige Fuhrwerke zogen nord- oder südwärts. Dann folgte wieder eine Kutsche, dahinter etwa zehn Reiter – und wieder Fuhrwerke – und Wanderer und Pilger … War das ein Leben! So etwas hatte sie noch nie gesehen! Hier begann wohl die weite Welt! Und sie durfte heute das alles erleben! Wie war sie doch dem Hohenhauser dankbar, dass er sie auf diese Wallfahrt mitgenommen hatte!
Und da stand er auf einmal vor ihr. Seine große Gestalt verdeckte die Sonne. Und plötzlich – sie verstand nicht, was vorging – reichte er ihr die Hand, und ehe sie es gewahr wurde, spürte sie die metallene Kälte eines Kettchens. In ihrer Überraschung fand sie kein Wort, sie fand auch nicht die Kraft, ihm die Kette zurückzugeben oder zu fragen: Was soll ich damit?
Willenlos und hilflos hielt sie das Kettlein in der Hand. Sie blieb stehen und spürte nicht, dass der Hohenhauser schon wieder in die Stube gegangen war, um sie allein zu lassen. Sie zitterte vor Erregung, vor Angst und auch vor Freude. Dann wagte sie, die Augen zu öffnen – und staunend schaute sie das silbern glänzende Kettel mit dem großen Marientaler an.
Das hatte ihr der Hohenhauser bei der Wallfahrt nach St. Valentin geschenkt!
Mit gesenktem Kopf betrat sie wieder die Stube und setzte sich wortlos an den Tisch. Da packte die Schwester des Bauern die übrig gebliebenen Vorräte in die Tücher. Der Hohenhauser stand auf, nachdem er noch den letzten Schluck Wein getrunken hatte.
Ein Fuhrmann schaute verwundert auf die Hintertuxer in ihrem schmucken Gewand, die Männer in kurzen ledernen Hosen, die Beine in seltsam gemusterten Strümpfen, mit den schafwollenen Jankern und den kleinen Hüten auf dem Kopf.
»Ich hab vier schnelle Rösser! Ihr könnt aufsitzen bei mir, denn ich seh, ihr habt einen weiten Weg!«
Der Hohenhauser wehrte ab: »Na, Fuhrmann, wir haben dem Valentin eine Wallfahrt versprochen und gehn zu Fuß übers Joch!«
Um die Mittagszeit nahmen sie Abschied vom heiligen Valentin. Beim Rückweg gab es viel zu sehen und zu fragen. Aber die Emma war beim Heimweg so versunken, dass sie dieses Wunder der Weltstraße gar nicht zu bemerken schien. Mehrmals spürte sie auch den Blick des Hohenhauser Bauern…
In Stafflach an der Brennerstraße verabschiedete sich der Hohenhauser von seinen Leuten.
»Wenn ich schon übers Joch gegangen bin, dann ist der Weg nimmer weit zum Landgericht. Ich werd hier übernachten und morgen beim Richter vorsprechen. Es gibt vieles zu bereden!«
So stiegen die Hintertuxer ohne ihn wieder über das Tal von Schmirn nach Ladins und dann über das Tuxer Joch in ihre abgelegene Bergheimat. Alle waren sie glücklich über diesen schönen Tag, den sie dem heiligen Valentin geweiht hatten. Und als sie in der Dämmerung daheim ankamen, gab es so viel zu erzählen, dass es wieder eine kurze Nacht werden sollte.
In dieser Nacht schlief die Emma trotz ihrer Müdigkeit erst sehr spät ein. Glückselig hielt sie das Kettel in der Hand.
Aber auch der Hohenhauser konnte lange Zeit keinen Schlaf finden. Er starrte vor sich hin und dachte: Ich versteh nicht, wie es passiert ist! Auf einmal hat es mich gezwungen, ihr das Kettlein zu schenken! Und aus dem Dunkel leuchtete wie unwirklich ihr Gesicht …