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3. Kapitel

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Auch im Büro des Sheriffs Bud Stevenson hing ein Ventilator an der Decke, der ununterbrochen surrte. Es war ein sonniger, heißer Tag und eigentlich viel zu schade, um ihn in einem muffigen Büro zu verbringen. Brammes Neugierde und die Leidenschaft für seine Arbeit verdrängten aber solche Nachteile. In dieser Hinsicht war er stets sehr großzügig.

Ein Berg von Zetteln stapelte sich auf dem Schreibtisch des Sheriffs. Cola-Flaschen und bis zum Rand gefüllte Aschenbecher rundeten das Bild ab. Um den Schreibtisch herum saßen sechs Personen in abgewetzten Stühlen. Vor jedem lag ein Foto des Ermordeten, und über der Szenerie lag eine interessante Mischung aus Geschäftigkeit und Spannung.

Der Sheriff tupfte sich noch einmal den Schweiß von der Stirn, dann stand er auf und stellte sich als Bud Stevenson vor.

„Darf ich die Herren miteinander bekannt machen? Mister Simon aus Washington ist Chef der Amerikanischen Drogenabwehr, Mister Bramme aus Germany ist ein sehr erfolgreicher Drogenfahnder, ihnen gegenüber sitzen Mister Sokrates vom CIA und Mister Hall vom FBI. Meinen Hilfssheriff und mich kennen Sie ja bereits.“

Hall und Sokrates sahen aus, als ob sie direkt von der Universität kämen: Jung, gepflegt, bebrillt, smart, Durchschnittsgesichter. Bramme musterte sie, und er erinnerte sich mit einem Lächeln daran, welchen Ehrgeiz, welche Ambitionen und welche Träume er selbst in diesem Alter hatte.

„Wir haben es also mit dem FBI und der CIA zu tun?“, stellte Simon stirnrunzelnd fest.

„Ja“, antwortete Stevenson knapp und rückte einen Stoß Papiere vor sich zurecht. „Wir haben nämlich in der Zwischenzeit herausgefunden, wer der Tote ist.“

„Wer ist es denn?“, platzte es aus Bramme heraus, bevor Simon fragen konnte.

„Der Mann heißt Robert Bakov und war viele Jahre lang hier im Lyndon-B.-Johnson-Space-Center beschäftigt.“

„Na und?“, fragte Simon.

„Der Mann war dort in leitender Position tätig“, ergänzte Sokrates. „Man hat ihm den Spitznamen Einstein verpasst, weil er angeblich jedes noch so knifflige Problem lösen konnte.“

„Glauben Sie, dass sein Tod etwas mit Spionage zu tun hat?“ Simon versuchte, einen Anhaltspunkt zu finden.

„Ich halte nichts von Spekulationen. Aber nach all dem, was wir bisher wissen, handelt es sich um einen sehr ungewöhnlichen Fall.“

Simon nickte und es hatte den Anschein, als wolle er die nächste Frage überdenken, doch Bramme kam ihm zuvor.

„Was wissen Sie denn alles?“

Hall klärte ihn umfassend auf.

„Mister Bakov stammt aus Bulgarien, ist aber amerikanischer Staatsbürger. Vor einigen Jahren hat er sich an der Börse verspekuliert. Er hat Kredite aufgenommen, um ins Aktiengeschäft einzusteigen. So wie es aussieht, hat er auf das falsche Pferd gesetzt. Über Nacht war er hoch verschuldet und musste sein Haus verkaufen. Als ihm dann auch noch die Frau weglief, fing er zu saufen an.“

Hall hielt inne und räusperte sich, als sei dies ein zu privates Thema für einen runden Tisch, doch Sokrates nahm ihm das Wort ab und fuhr ungerührt fort:

„Natürlich hat sich das auch auf seinen Beruf ausgewirkt und nach zwei Verwarnungen hat man ihn rausgeschmissen. Der Mann hat zuletzt von der Fürsorge gelebt.“

Simon ließ sich mit einem Seufzer in seinem Stuhl zurückfallen und sah kopfschüttelnd in die Runde. Dabei fing er Brammes betretenen Blick auf.

„Das ist ja geradezu tragisch“, würgte der Deutsche hervor.

„Wir fragen uns nun, wie ein solcher Mann zu den zwei Smaragden kommt, von denen jeder einzelne ein Vermögen wert ist“, warf Hall ein und erntete dafür ein zustimmendes Murmeln.

„Haben Sie eine Vermutung?“, wollte Bramme wissen und lehnte sich ein wenig vor.

„Von Vermutungen halte ich überhaupt nichts!“, war die barsche Antwort.

Es kostete Bramme einige Überwindung, nicht zu explodieren, stattdessen griff er rasch nach dem vor ihm stehenden Wasserglas und hielt so seine Zunge im Zaum.

„Weiß man denn schon, wer hinter den Telefonnummern steckt, die sich Mister Bakov auf seine Fußsohlen gekritzelt hat?“, auch Simons Ton nahm an Schärfe zu.

„Ja“, sagte Sokrates unbeeindruckt und rückte seine Brille zurecht, „eine gehört einem Mister Wilford auf den Cayman Islands, die andere einem Mister Socha auf Trinidad.“

„Und wie soll es nun Ihrer Meinung nach weitergehen?“ Simon wollte Nägel mit Köpfen machen.

„Spionage scheidet unserer Meinung nach aus. Wir haben deshalb kein Interesse an diesem Fall“, stellte Sokrates fest.

„Ich auch nicht!“, bestätigte Stevenson und fuhr mit dem Taschentuch über sein Gesicht.

„Und unsere Ermittlungen beschränken sich ausschließlich auf die Vereinigten Staaten von Amerika“, fügte Hall hinzu.

„So geht das nicht, meine Herren!“ Simon platzte der Kragen und er sprach aus, was auch Bramme dachte. Doch außer einem betretenen Schweigen folgte nichts.

„Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?“, war von Bramme schließlich zu hören. „Mister Simon und ich unterhalten uns mal mit den Herren Socha und Wilford. Sollte sich herausstellen, dass die Drogenmafia mit dem Mord nichts zu tun hat, geben wir den Fall wieder ab.“

Stevenson grunzte zufrieden, was Bramme als Zustimmung deutete.

„Einverstanden!“, kam es von Hall. „Ich schaue mich in der Zwischenzeit mal etwas in Houston um.“

„Danke, Mister Bramme, danke meine Herren!“, sagte Sokrates erleichtert, stand auf und verabschiedete sich eilig. Er hatte wohl Angst, irgendjemand könnte es sich noch einmal anders überlegen. Auch Hall erhob sich. Er und Simon tauschten noch Visitenkarten aus.

„Wir bleiben in Verbindung!“, versicherte Simon halbherzig.

„Aber ja!“

„Meine Herren, ich begleite Sie hinaus“, sagte der Hilfssheriff und verließ mit Hall und Sokrates das Büro.

Simon und Bramme setzten sich wieder. Beide steckten gerade das Foto des toten Bakov ein, als ein junger Mann ziemlich ungestüm zur Tür hereinkam.

„Oh, Mister Hoofnagel!“, rief ihm der Sheriff entgegen, „Sie habe ich ja total vergessen!“

Gary Hoofnagel war schätzungsweise Ende Zwanzig, hatte einen blonden Bürstenhaarschnitt, Sommersprossen und abstehende Ohren. Er trug eine Aktentasche unter dem Arm und schnappte nach Luft.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, fauchte Hoofnagel.

Stevenson beugte sich vertrauensvoll zu Simon hinüber und klärte ihn auf: „Mister Hoofnagel ist Versicherungsvertreter...“

Doch der junge Mann protestierte sofort lautstark.

„...aber Sheriff! Ich bin doch kein Versicherungsvertreter! Das sollten Sie so langsam wissen. Ich bin vereidigter Sachverständiger der OPEN SEA INSURANCE COMPANY, kurz OSI genannt.“

Stevenson rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum, wischte mal wieder sein Gesicht ab und setzte eine reuige Miene auf.

„Entschuldigung! Sie sehen ja selbst, dass bei mir heute mal wieder der Teufel los ist.“

Und an seine beiden Besucher gewandt sagte er: „Mister Hoofnagel ist im Moment mit der Kollision zweier Schiffe der HOWIE-SHIPPING-COMPANY befasst, die in der letzten Woche in der Galvestone-Bay aneinandergeraten sind.“

Hoofnagel nickte.

„Das Unglück hat fünf Todesopfer und acht zum Teil Schwerverletzte gefordert. Auch der Sachschaden ist beträchtlich: Eine Schaluppe gesunken, ein Frachtschiff erheblich beschädigt. Eine vorsichtige Schätzung dieser Havarie beläuft sich auf sechzig Millionen Dollar!“

Simon pfiff beeindruckt durch die Zähne.

„Bei solchen Beträgen schrillen bei jeder Versicherung automatisch die Alarmglocken.“

„Ja“, meinte Stevenson, „da muss man natürlich mit allen Tricks arbeiten, um die berechtigten Ansprüche der Kunden abzuwehren. Ein Heer von Spezialisten und Anwälten verdient damit sein täglich Brot. Ich wundere mich nur, dass man Sie alleine auf diesen Fall angesetzt hat.“

Hoofnagel richtete sich angriffslustig auf und reckte das Kinn.

„Ich habe immerhin Schiffbau studiert und mein Examen mit Auszeichnung bestanden. Man sagt mir übrigens nach, dass ich ein Wadenbeißer sei, und dass ich mich in jeden Fall mit all meiner Kraft hineinknie.“

„Und was wollten Sie heute von mir?“

„Wie, das wissen Sie nicht mehr? Ich brauche unbedingt einen Beamten, der mir den Zugang zu der Reparaturwerft verschafft. Ich muss den Havaristen mit dem hochtrabenden Namen CARIBBEAN DREAMS begutachten. Die Leute der Howie-Shipping-Company verwehren mir seit Tagen den Zutritt.“

„Hat das nicht Zeit bis morgen? Sie sehen doch, dass ich Besuch habe. Mister Bramme kommt extra aus Deutschland um hier einen Fall aufzuklären“, flunkerte Stevenson.

Schlagartig änderte sich Hoofnagels Gebaren. Er strahlte Bramme richtiggehend an und schien seine Aufgabe plötzlich total vergessen zu haben.

„Oh wie schön! Aus Deutschland! Meine Vorfahren kommen auch aus Deutschland. Wie lange sind Sie denn in Houston, meine Herren? Ich würde mich gerne etwas mit Ihnen unterhalten.“

„Wir fliegen morgen früh wieder “, entgegnete Simon.

„Also haben Sie nur heute Abend Zeit? Darf ich Ihnen unsere Stadt zeigen und Sie zum Essen einladen?“

„Es genügt schon, wenn Sie uns ein gutes Lokal empfehlen.“

Hoofnagel schien darüber nachzudenken.

„Wo wohnen Sie denn?“

„Im Four Seasons.“

„Gut! Ich hole Sie dort um sieben Uhr ab, einverstanden?“

Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich an den Sheriff: „Ich komme morgen wieder vorbei, Sheriff!“

So ungestüm wie er gekommen war, verließ Gary Hoofnagel das Büro.

„Diese Versicherungsleute sind wie Zecken,“ klagte Stevenson als die Luft rein war.

„Er hat doch selbst zugegeben, dass er ein Wadenbeißer ist“, sagte Bramme lapidar und wiederholte damit nur Hoofnagels Worte.

Caribbean Dreams

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