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6. Kapitel

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Bramme blickte neugierig aus dem Flugzeugfenster, als sie sich im Landeanflug auf George Town, Grand Cayman, befanden. Das Meer da unten schimmerte je nach Wassertiefe sand-, oder türkisfarben und in allen Blautönen von aquamarin über azur bis zu indigoblau. Als die Insel in Sicht kam, war es ihm, als landeten sie geradewegs im Paradies. Stolze Segelboote und protzige Motorjachten kreuzten vor der Küste. Kurz bevor die Maschine aufsetzte, überflogen sie einen bis auf den letzten Anlegeplatz besetzten Jachthafen. Prächtige, schneeweiße Villen, großzügig angelegte und gepflegte Gärten, in allen Regenbogenfarben blühende Stauden und Blumen, Schwimmbecken, von satten Grünflächen und Palmen eingerahmt, ließen ihn aus dem Staunen nicht herauskommen. Als er seine Wahrnehmungen George Simon mitteilte, winkte der angewidert ab.

„Außer der Natur ist hier alles mit Geld an dem Blut klebt, geschaffen worden. Mit Geld, das aus dem Waffen-, Drogen-, und Menschenhandel stammt. Das Meer um die Insel herum müsste eigentlich blutrot gefärbt sein. Und die Villen dürften nicht schneeweiß, sondern sie müssten pechschwarz sein, denn sie wurden mit Schwarzgeld finanziert, das von Steuerhinterziehern, Betrügern und Erbschleichern kommt.“ Simon redete sich den Frust von der Seele, gegen diese Machenschaften nichts unternehmen zu können.

Bramme musste Simons Worte erst einmal verdauen, während Simon selbst derweil in einem Werbeprospekt über die Cayman Islands blätterte.

„Hier steht es doch schwarz auf weiß:“, schimpfte Simon weiter, „die Cayman Islands sind Weltmeister im Off-shore-Banking. Weltmeister im Geldwaschen wäre zutreffender!“

„Ist es denn wirklich so schlimm?“

„Schlimm ist gar kein Ausdruck. Hier werden in einigen hundert Briefkastenfirmen Milliarden gewaschen, und von jeder Summe zweigen diese Gauner zwanzig Prozent Provision für sich ab. Steuerfrei wohlgemerkt!“

„Zwanzig Prozent? Ist das nicht etwas übertrieben?“

„Keineswegs! Ab einer bestimmten Summe ist das der übliche Provisionssatz. Wenn einer nur mit ein paar läppischen Millionen ankommt, zahlt er sogar noch mehr.“

„Einen sogenannten Mindermengenzuschlag also“, stellte Bramme ironisch fest und fügte hinzu: „So leicht möchte ich mein Geld auch mal verdienen.“

„Nichts ist leichter als das. Zur Gründung einer Briefkastenfirma brauchst du nur eintausend Dollar.“

Als sie wenig später in einem Taxi durch die Stadt fuhren, an den protzigen Villen, Parks und Hochhäusern vorbei, platzte es aus Bramme heraus: „Hier stinkt es tatsächlich nach Geld!“

Der Taxifahrer hielt vor einem modernen Bürogebäude. Simon bezahlte und sie stiegen aus. Ihre Blicke schweiften über die weiße Marmorfassade und blieben schließlich an einem blank geputzten Messingschild hängen. WILFORD CONSULTING stand dort auf der hochglanzpolierten Tafel.

Sie hatten die Kanzlei noch kaum betreten, da kam auch schon eine adrette Sekretärin auf sie zu und führte sie in ein kleines Konferenzzimmer. Ledersessel, ein Tisch mit einer fein gemaserten Platte aus Edelholz, ein teurer Teppich und an der Wand ein modernes Gemälde. Bramme wäre nicht überrascht gewesen, wenn man ihm gesagt hätte, dass es von Picasso höchstpersönlich stammte.

„Guten Tag, meine Herren, bitte nehmen Sie Platz“, sagte Wilford zur Begrüßung, „Was kann ich für Sie tun?“

In Wilfords Adern floss eine Mischung aus kreolischem, indischem und europäischem Blut. Unter seinem schwarzen Lockenkopf kam ein feingeschnittenes Gesicht zum Vorschein, das zwar noch den Hauch einer dunklen Hautfarbe, aber doch schon mehr einen europäischen Zuschnitt hatte. Seine Augen blickten neugierig und freundlich zugleich in die Welt, und er strahlte eine große Selbstsicherheit aus.

„Wir kommen wegen Mister Bakov“, begann Simon, nachdem er und Bramme sich gesetzt hatten.

Wilford runzelte die Stirn.

„Tut mit leid, aber einen Mister Bakov kenne ich nicht.“

Bramme legte ihm wortlos ein Foto von Bakov hin, und er beobachtete Wilford, wie dieser einen Blick darauf warf, unmerklich zusammenzuckte und sich sogleich wieder fing.

„Ach, den Herrn meinen Sie? Ja, der war vor einer Woche hier.“

„Was wollte er denn von Ihnen?“

„Mister Bakov erzählte mir, dass er in Kürze einen größeren Geldbetrag erwarte und dafür eine Anlage suche.“ Wilford zuckte mit den Achseln und wollte damit zum Ausdruck bringen, dass so etwas das Selbstverständlichste auf der Welt war und hier zum Tagesgeschäft gehörte. „Was ist mit ihm?“

„Mister Bakov ist ermordet worden. Man hat ihm zwei Kugeln verpasst und ihm den Schädel eingeschlagen.“

„Das ist ja entsetzlich!“, Wilford blickte zwischen Bramme und Simon unruhig hin und her, „Mister Bakov machte auf mich einen sehr sympathischen und gepflegten Eindruck. Und nun das!“

„Hat er Ihnen gesagt, woher das Geld kommt, oder hat er Ihnen einen Betrag genannt?“, fragte Bramme, ohne auf die Äußerungen Wilfords einzugehen.

„Weder noch! Woher wissen Sie eigentlich, dass er bei mir war?“

„Er hat das mal in einem Telefongespräch mit seiner Freundin erwähnt“, flunkerte Simon.

Wilford schien diese Antwort nicht zu befriedigen. Er schaute Simon erwartungsvoll an. Doch Simon reagierte nicht darauf, sondern stand auf und hielt ihm zum Abschied die Hand hin.

„Na ja, das wäre dann alles. Haben Sie vielen Dank, Mister Wilford.“

Als sie die ersten Stufen der Treppe hinunterstiegen und außer Hörweite waren, konnte Bramme nicht mehr an sich halten.

„Ich habe das ungute Gefühl, dass wir diesen Herrn heute nicht zum letzten Mal gesehen haben!“

„Da könntest du recht haben“, seufzte Simon unzufrieden, „der Kerl hat es faustdick hinter den Ohren.“

Sie betraten die Straße und hielten nach einem Taxi Ausschau. Zur gleichen Zeit trat Wilford in seinem Büro ans Fenster und sah den beiden hinterher. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, sein Mund war nur noch ein schmaler Strich. Kaum waren Simon und Bramme außer Sichtweite, griff er zum Telefon und wählte.

„Wilford hier. Ist Senor Socha da?“

Es dauerte einige Sekunden, dann stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht.

„Schön, Ihre Stimme zu hören, Don Felipe. Wir haben ein Problem. Stellen Sie sich vor, da waren eben zwei Typen hier und haben nach Robert Bakov gefragt.“

„Woher wussten die denn, dass Bakov bei Ihnen war?“

„Keine Ahnung. Angeblich hat er das seiner Freundin am Telefon erzählt, aber da der Mann gar keine Freundin hatte, war das gelogen.“

„Was waren denn das für Männer?“

„Der eine nannte sich George Simon, der andere Holger Bramme.“

„Was?“, schrie Felipe Socha in den Hörer und schien aus allen Wolken zu fallen.

„Kennen Sie die Burschen?“

„Nur den Namen nach. Simon ist Chef der DEA, der Amerikanischen Drogenabwehr. und Bramme ist ein mit allen Wassern gewaschener Drogenfahnder aus Deutschland.

„Verfluchter Mist!“

„Die beiden haben den mächtigsten Drogenring in Zentralasien zerschlagen, und dieser Deutsche ist, wenn man der Presse glauben darf, der Schrecken der Drogenszene“, klärte Socha den Anrufer auf.

„Solange sie uns die Konkurrenz vom Leib halten, habe ich nichts gegen sie.“

„Es sieht leider ganz so aus, als hätten sie nun uns im Visier“, befürchtete Socha.

„Sind Sie nervös?“, fragte Wilford gereizt, vernahm aber nur das tiefe Schnaufen seines Gesprächspartners.

„Die haben gar nichts in der Hand, glauben Sie mir!“, tröstete Wilford seinen Gesprächspartner, „deshalb gibt es auch nicht den geringsten Grund, nervös zu sein.“

„Ich bin nicht nervös, aber ich würde mich nicht wundern, wenn die beiden Halunken eines Tages vor meiner Tür stünden. Trotzdem vielen Dank für Ihren Anruf.“

„Sie brauchen mir nicht zu danken. Wir sehen uns ja in Kürze! Bis bald, mein Bester!“

Caribbean Dreams

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