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4. Kapitel
ОглавлениеAm Abend warteten Simon und Bramme in der Lobby auf Gary Hoofnagel. Bramme war von der schmucken Halle tief beeindruckt und ließ es sich nicht nehmen, ein paar Fotos zu schießen. Als er diese Simon unter die Nase halten wollte, zeigte der jedoch kein Interesse und brummte nur. Es war Bramme schon vorher aufgefallen, dass seinem Freund etwas über die Leber gelaufen sein musste.
„Bist du sauer, weil wir jetzt auch noch auf die Cayman Islands und nach Trinidad müssen?“, fragte er vorsichtig und steckte die Kamera weg.
„Keineswegs. Ich wollte da schon immer mal hin.“
„Was hast du dann?“
Bramme kannte seinen Freund als lebensfrohen Menschen. Dieses bockige Verhalten passte gar nicht zu Simon.
„Ich musste unseren Besuch in Kolumbien verschieben und die Flugpläne umkrempeln. Dabei habe ich mir so meine Gedanken gemacht: Man steht morgens in dem festen Glauben auf, einen geordneten Tagesablauf vor sich zu haben, und dann wird alles in einer Sekunde über den Haufen geworfen.“
„Du kennst doch das Sprichwort: Je sorgfältiger der Mensch plant, desto härter trifft ihn der Schlag!“
„Ich bin ja flexibel genug, um das einzusehen, aber ich frage mich, ob es sich in diesem Fall nicht um ein böses Omen handelt. Vielleicht steht unsere Reise unter keinem guten Stern?!“
„Jetzt hör´ aber auf! Ich kenne diese Seite gar nicht an dir. Du bist doch kein Hasenfuß!“
Simon schluckte und Bramme versuchte, ihn in die Realität zurückzuholen.
„Gab es denn bei der Änderung der Reisepläne Probleme?“, fragte er deshalb.
„Nein. Der Commandante in Bogota ist zwar nicht begeistert, weil seine Truppe abmarschbereit in den Startlöchern steht, aber er muss es nehmen wie es kommt. Und unser Flugzeug fliegt, wann wir wollen.“
Bramme wollte etwas erwidern, aber zum Glück erblickte er Gary Hoofnagel, der unter der Tür stand und gekommen war, um sie abzuholen.
Bramme gefiel das Lokal, in das er und Simon geführt wurden, auf Anhieb. Es war gut besucht, duftete nach deftigem, scharfem Essen, nach Holz und Rotwein und war schummrig beleuchtet. Sie setzten sich an einen runden Tisch in einer Ecke, und noch bevor ihnen die Speisekarte gereicht wurde, stellte der Ober eine Karaffe Wasser und Gläser vor sie hin. Mit knurrendem Magen widmeten Bramme und seine Begleiter fortan ihre ganze Aufmerksamkeit der Menükarte.
„Hier gibt es die besten Enchiladas in ganz Texas“, beteuerte Hoofnagel und schnalzte genießerisch mit der Zunge.
„Dann nichts wie her damit! Ich habe einen Riesenhunger!“, sagte Simon und legte die Karte beiseite.
„Mein Freund lebt nach der Devise: Essen macht Spaß, viel Essen macht viel Spaß“, erklärte Bramme und schlug Simon freundschaftlich auf die Schulter, woraufhin beide lachten.
Hoofnagel jedoch lächelte nur milde.
„Bei uns sagt man: Wie man isst, so wiegt man.“
Bevor noch einer darauf antworten konnte, winkte Hoofnagel den Ober herbei und bestellte für jeden eine Spezialitäten-Platte, dazu eine Flasche Sauvignon Blanc. Dann lockerte er die Krawatte und fuhr unbekümmert fort.
„Meine Schwester Amelie wird sich nachher noch zu uns gesellen. Sie besucht einen Abendkurs.“
„Ist sie auch in der Versicherungsbranche tätig?“
„Nein, sie ist Kindergärtnerin.“
Simon räusperte sich und schlug beim Weitersprechen einen geschäftsmäßigen Ton an.
„Es tut mit Leid, dass wir Sie heute von Ihrer Arbeit abgehalten haben.“
Hoofnagel winkte ab.
„Das ist halb so schlimm. Die Howie-Shipping-Company und das havarierte Schiff laufen mir schließlich nicht davon.“
„Da muss es ja ordentlich gekracht haben“, meinte Bramme, „Sie sagten heute Nachmittag, man wolle Sie nicht zu dem beschädigten Schiff lassen?“
„Ja, ich habe schon mehrmals versucht, den Schaden aufzunehmen, aber jedes Mal werde ich abgewimmelt.“ Hoofnagels Gesicht verfinsterte sich angesichts dieser Tatsache. Niederlagen konnte er überhaupt nicht leiden.
„Warum regen Sie sich da auf? Lehnen Sie doch einfach die Regulierung des Schadens ab“, riet ihm Bramme.
„Das ist nicht so einfach. Die Firma ist einer unserer besten Kunden. Ich kann nicht riskieren, dass sie sämtliche Versicherungspolicen bei uns kündigt. Gerade jetzt nicht!“
„Was wollen Sie damit sagen?“, fragte Bramme argwöhnisch.
„Die Gesellschaft hat erst vor kurzem den Besitzer gewechselt. Und neue Besen kehren bekanntlich gut.“
„Kennen Sie die neuen Eigentümer?“
„Nein, noch nicht. Ich weiß nur, dass sie in der Karibik zu Hause sind.“
Hoofnagel seufzte tief und war froh, dass ihn der Ober ablenkte, indem dieser ihm ein Glas Wein zum Probieren hinhielt. Dankbar nahm er das Glas entgegen, hielt es fachmännisch gegen das Licht, roch daran und trank schließlich gerade so viel, dass jede Ecke seines Gaumens mit dem feuchten Nass bedeckt war. Er ließ den Ober noch ein paar Sekunden zappeln, bevor er mit dem Kopf nickte und so sein Okay gab.
Als alle einen Schluck getrunken hatten, nahm Simon den Faden wieder auf.
„Reiche Leute gibt es heutzutage überall, in der Karibik aber besonders viele.“
Hoofnagel ging nicht darauf ein.
„Die Übernahme der Howie-Shipping-Company war ein richtiges Schnäppchen“, sagte er lachend.
„So??“ fragten Bramme und Simon gleichzeitig.
„Die Firma war kerngesund und plötzlich fiel der Aktienkurs ins Bodenlose. Es wird gemunkelt, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen sein soll.“
„Sie vermuten, dass Gerüchte bewusst in die Welt gesetzt worden sind?“, bohrte Simon.
„Der Verdacht liegt doch nahe. Oder sehen Sie das anders?“
Simon und Bramme schüttelten die Köpfe.
„Was befördern denn diese Frachtschiffe?“
„In der Hauptsache Aluminium und Edelhölzer aus Venezuela.“
Hoofnagel brach seine Antwort ab, als das Essen aufgetragen wurde. Es duftete herrlich und sogar Bramme vergaß bei diesem kulinarischen Highlight seine Neugier.
„So, jetzt wollen wir aber vom Ernst des Lebens zu den angenehmeren Dingen kommen und diese Köstlichkeiten genießen: Guten Appetit, meine Herren!“
Die Unterhaltung verstummte. Jeder war mit Essen und Trinken so beschäftigt, dass sie die bildhübsche, junge Frau mit ihren schulterlangen braunen Haaren und dem spitzbübischen Gesichtsausdruck gar nicht bemerkten, die sich in dem Lokal suchend umsah. Als sie ihren Bruder entdeckte, erhellte ein Lächeln ihr Gesicht und sie kam herüber.
„Guten Appetit, meine Herren! – Störe ich?“, fragte sie kess.
George Simon, der gerade einen Schluck Wein zu sich nahm, blickte auf, verschluckte sich und begann laut zu husten.
„Überhaupt nicht! Bitte setzen Sie sich zu uns“, beeilte sich Bramme zu sagen und zog den freien Stuhl neben sich ein Stück zurück.
Simon saß noch immer wie erstarrt da. Mit aufdringlichem Blick starrte er die junge Frau an. Er war von ihr fasziniert und hingerissen und stellte sich dabei so unbeholfen an wie ein Pennäler. Es sprach für ihren Charme und ihre Bescheidenheit, dass sie sich nichts anmerken ließ, obwohl Simons Benehmen alles andere als gesellschaftsfähig war.
„Darf ich vorstellen? Das ist Amelie, meine Schwester“, stellte Gary Hoofnagel sie vor und reihum wurden Hände geschüttelt.
„Das sieht ja wirklich lecker aus“, stellte Amelie mit einem Blick auf die halbleeren Teller fest, „schmeckt es Ihnen?“
„Oh ja!“ Bramme nickte begeistert. „Die Enchiladas mit Salsa Picante schmecken wirklich sensationell. Auch der Wein ist ganz hervorragend.“
Simon brachte nach wie vor keinen Ton heraus. Er war von Amelie so beeindruckt, dass er sein Essen gedankenlos in sich hineinstopfte. Auch das Weinglas leerte er geistesabwesend in einem Zug.
Erst nach dem Essen fasste sich Simon ein Herz – Bramme konnte die Rädchen in seinem Kopf förmlich rattern hören – und sein Freund unternahm den zaghaften Versuch, Amelie Hoofnagel Komplimente zu machen.
„Ich habe ja schon viel über die hübschen Texanerinnen gehört, aber das sie so schön sind wie Sie, haut mich vom Stuhl!“
„Man lernt eben nie aus!“, kicherte Amelie, ohne dabei albern zu wirken. Offensichtlich war sie sich ihrer Ausstrahlung und ihrer Reize bewusst.
„Es ist jammerschade, dass ich morgen Houston schon wieder verlassen muss“, klagte Simon, „ich würde Sie gerne näher kennen lernen.“
Amelie lachte erneut.
„Solche Geschäftsessen wie heute Abend sind Gift für meine Figur. Wenn wir uns je wiedertreffen, sollten wir eher etwas Sportliches unternehmen. Das würde uns beiden gut tun.“ Sie lachte unschuldig dabei, ließ ihre Blicke über Simons Leibesfülle wandern, um ihm dann ein strafendes Augenzwinkern zuzuwerfen.
Obwohl es bestimmt nicht böse gemeint war, fühlte sich Simon tief getroffen. Er sagte zwar nichts darauf, doch Bramme konnte an der Art, wie er nun dem Wein zusprach, erkennen, dass sein Freund gekränkt war.
„Darf ich Sie noch zu einem Drink einladen?“, fragte Gary Hoofnagel nach dem Essen in die Runde.
„Nein, danke!“, erwiderte Bramme schnell, „wir müssen aufbrechen. Unsere Maschine geht morgen früh schon kurz nach sieben Uhr.“
„Schade! Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
„Sie können uns noch Ihre Visitenkarte geben. Wer weiß, vielleicht führt uns unser Weg doch noch mal nach Houston.“
Hoofnagel fühlte sich geschmeichelt. Lächelnd reichte er Simon und Bramme je eine Karte.
„Gerne! Sie sind mir jederzeit willkommen, meine Herren!“
Wenig später nahmen Bramme und Simon auf zwei Barhockern in der Hotelbar Platz. Ein Barkeeper kam zu ihnen, und Bramme übernahm die Bestellung, da Simon immer noch vor sich hin stierte.
„Zwei Cuba libre, bitte!“
„Danke, ich möchte keinen“, protestierte Simon, „ich mache eine Diät!“
„Wie bitte?“ Bramme sah seinen Freund überrascht und mit hochgezogenen Brauen an, „was denn für eine Diät?“
„Die einfachste Diät der Welt: Kein Fett, keinen Zucker, keinen Alkohol.“
„Paragraph eins einer guten Diät lautet: Alles Gute ist schlecht“, witzelte Bramme, „aber im Ernst: Miss Hoofnagel hat das bestimmt nicht so gemeint. Was sich liebt, das neckt sich. Das ist doch eine alte Binsenweisheit.“
Er legte Simon freundschaftlich die Hand auf die Schulter.
„Das meinst du doch nicht wirklich?“, seufzte Simon.
„Natürlich meine ich das wirklich!“
Sie sahen sich an, Bramme ob der Gemütsverfassung seines Freundes mit ernster Miene, Simon mit triefender Skepsis.
„Trotzdem“, entschied Simon, „die Diät mache ich, trink du deinen Cuba libre.“
„Wenn dir diese Amelie so viel bedeutet, dann würde ich ihr noch heute einen Strauß roter Rosen schicken. Oder sonst eine Kleinigkeit. So etwas kommt immer an.“
„Hm, vielleicht hast du recht“, murmelte Simon nachdenklich, und Bramme nutzte die Gelegenheit, um die Stimmung weiter aufzuhellen.
„Und wenn wir in Kolumbien sind, kaufst du ihr dort einen schönen Smaragdring zur Verlobung.“
Und tatsächlich, der Anflug des Lächelns, das über Simons Gesicht huschte, belohnte Brammes Mühen.