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5. Kapitel

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Die Mietskaserne, in der Bakov gewohnt hatte, machte einen ziemlich abgewirtschafteten Eindruck. Die Außenwände waren mit Graffiti vollgeschmiert und die aufgesprühten Worte ließen es an Deutlichkeit nicht fehlen. Überall lag Unrat herum, und im Eingangsbereich stank es nach Urin.

Als Hall hinter Stevenson die heruntergekommene Wohnung betrat, rümpfte er demonstrativ die Nase. Ihnen folgte Mister Rosewood, ein unrasierter, abgemagerter Mann in den 50ern, der sich ihnen als Hausmeister vorgestellt und die Wohnung aufgeschlossen hatte.

„In diesem Rattenloch hat Mister Bakov gewohnt?“ fragte Hall und konnte sich die abwertende Klassifizierung nicht verkneifen.

Auch Stevenson runzelte angesichts der verschimmelten Wände die Stirn.

„Was sagen Sie da? Rattenloch?“, donnerte Rosewood aufgebracht, „das ist eine der besten Wohnungen in diesem Haus!“

„Schon gut, schon gut!“, beschwichtigte Hall. „Bekam Mister Bakov viel Besuch?“

„Nein. Ich habe da noch nie jemand gesehen. Aber das interessiert mich auch nicht, solange die Leute ihre Miete bezahlen. Apropos Miete. Wer bezahlt mir denn jetzt die Miete?“

„Ich nicht!“, gab Stevenson zurück und beugte sich mit gebührendem Abstand über das durchwühlte Bett.

„Wer dann?“

„Wenden Sie sich an das Nachlassgericht“, sagte Hall, der um eine Ecke in die Küche lugte, „die werden das Gerümpel hier versteigern lassen, um dann aus dem Erlös die Beerdigungskosten und die Miete zu bezahlen.“

„Nichts als Scherereien!“

Rosewood ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen, während Hall und Stevenson sich daran machten, die Wohnung zu durchsuchen. Sie räumten den Kleiderschrank aus, drehten die Matratze um, rissen die Fußleisten von der Wand, klopften Mauern und Fußboden ab, nahmen die Siphons in Küche und Bad auseinander und warfen einen Blick auf die staubige Deckenleuchte. Das Einzige, was Ihnen nach gut einer Stunde blieb, war eine schmale Mappe mit ein paar Bescheinigungen und Zeugnissen.

„Das ist herzlich wenig!“, stellte Hall trocken fest und blickte auf die magere Beute.

„Mich wundert das nicht“, meinte der Hausmeister, „der Mann hat doch alles versoffen.“

„Wissen Sie denn wenigstens, wo er gesoffen hat?“, fragte Stevenson ohne Rosewood anzuschauen.

„Ja! Er hat mal einem Taxifahrer den Wagen vollgekotzt, da habe ich mit einem Eimer Wasser ausgeholfen. Bei der Gelegenheit hat mir der Mann erzählt, dass er Bakov in der Piraten-Bar aufgelesen hat.“

Stevenson wandte sich freundlich lächelnd an den Hausmeister und gab ihm die Hand.

„Sie haben uns sehr geholfen, Mister Rosewood!“

Hall lieferte noch seine Visitenkarte ab.

„Falls Ihnen noch was einfällt“, sagte er und trabte dann hinter Stevenson zum Ausgang.

Zwei Stunden später schlenderten die beiden in Zivil durch das Hafenviertel. Schnellrestaurants, Spielhöllen, Amüsierbetriebe und Bars aller Art, so weit das Auge reichte. Es war schwül und heiß und Stevenson hatte schon das zweite Taschentuch in Betrieb. Das Wasser der benachbarten Hafenbecken roch so brackig, dass Hall schon wieder die Nase verzog. An dem unangenehmen Geruch konnte auch die leichte Brise nichts ändern, die vom Golf von Mexiko über die Galveston Bay bis hier herauf wehte.

„Das sieht hier ja nicht gerade einladend aus“, stellte er angewidert fest und machte einen Bogen um eine undefinierbare Pfütze.

„Hier geht man ja auch erst hin, wenn es dunkel ist“, klärte ihn Stevenson auf und sah sich weiter suchend um. „Im Schein der Neonleuchten sieht das gleich ganz anders aus.“

„Ich glaube eher, dass man gut beraten ist, wenn man um dieses Viertel auch nach Einbruch der Dunkelheit einen großen Bogen macht.“

„Kein Mensch zwingt Sie, hierher zu gehen“, meinte Stevenson.

„Sie hätten recht, wenn mein Beruf nicht wäre.“

Stevenson beendete die Diskussion, indem er stehen blieb und Hall am Ärmel festhielt.

„Hey! Sehen Sie mal da drüben!“

Er deutete auf die andere Straßenseite, wo zwei Totenkopf-Fahnen über dem Eingang einer Bar im Wind flatterten.

„Die Piraten-Bar!“

„Ja, nichts wie hin!“, forderte ihn Stevenson unternehmungslustig auf und setzte sich in Bewegung. Hall folgte ihm notgedrungen.

Als sie die Bar betraten, brauchten sie ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen an das diffuse Licht gewöhnt hatten. Zuerst fielen ihnen zwei riesige Ventilatoren mit meterlangen Flügeln auf, die an der Decke rotierten und für etwas Kühlung sorgten. Schummriges Licht und ein Luftgemisch aus kaltem Rauch, Alkohol und süßlichem Parfüm nahm sie in Empfang.

Vor der Theke warteten drei dunkelhäutige, knapp bekleidete Animierdamen auf Kundschaft. Dahinter versah eine matronenhafte, dunkelhäutige Frau, deren Alter schwer zu schätzen war, ihren Dienst. Ihre grellrot geschminkten Lippen wollten jedenfalls nicht mehr so ganz zu ihrer Altersgruppe passen.

„Was kann ich für die Herren tun?“, fragte sie die Ankömmlinge mit betont herablassender, rauchiger Stimme.

„Danke! Wir wollen uns hier nur mal etwas umschauen.“

„So, so“, quakte sie und musterte Hall und Stevenson mit kritischen Blicken. „Gefallen Ihnen die drei Damen nicht? – Wenn Sie eine größere Auswahl haben möchten, müssen Sie heute Abend wieder kommen.“

Stevenson und Hall blickten sich unwillkürlich fragend an. Dann beugte sich Hall zu seinem Kollegen und flüsterte: „Schauen Sie mal, wie die Mädchen eingeschnürt sind. Man muss ja befürchten, dass ihre Brüste bei der kleinsten Bewegung aus dem Mieder hüpfen.“

„...und dann wie Gummibälle das Weite suchen“, fügte Stevenson belustigt hinzu, und beide hatten Mühe, nicht laut loszulachen.

„Wollen Sie nun etwas trinken, sich mit den Mädchen amüsieren, oder wollen Sie nur quatschen?“

Die Bardame war darauf aus, Umsatz zu machen. Die Schonfrist der neuen Gäste war abgelaufen.

„Was ist denn nun?“, fragte sie aufdringlich, als die Gäste gar keine Anstalten machten, irgendetwas zu bestellen.

Hall zog schließlich ein Foto von Robert Bakov aus der Jacke und hielt es ihr unter die Nase.

„Kennen Sie diesen Mann?“

Die Bardame warf nicht einmal einen Blick auf das Foto, stattdessen blickte sie Hall verächtlich an.

„FBI? Das hätte ich mir denken können! – Nein, den Mann kenne ich nicht.“

Sie wandte sich ab und begann, Gläser zu spülen.

„Schauen Sie sich das Foto doch erst einmal an“, schlug Stevenson genervt vor und konnte die Frau immerhin dazu bewegen, sich das Foto über die Schulter hinweg anzusehen.

„Nein, den Mann habe ich noch nie gesehen“, sagte sie bestimmt und drehte sich wieder um.

„Hören Sie, schöne Frau!“, Hall wurde nun eindeutig ungemütlicher, „der Mann war hier Stammgast. Dafür gibt es Zeugen. Und wenn Sie das nicht augenblicklich zugeben, lasse ich Ihren Laden so auseinander nehmen, dass Sie ihn nicht wiedererkennen.“

Die drei Mädchen am Tresen zogen sich verängstigt zurück. Auch die Bardame schien plötzlich kalte Füße zu bekommen. Einen Moment zierte sie sich noch, dann gab sie sich einen Ruck.

„Doch, der Mann war öfter hier. Angeblich soll er bei der NASA ein großes Tier gewesen sein. Den Mädchen hat er erzählt, dass er es versäumt hätte, seine Erfindungen patentieren zu lassen, und als er in finanzielle Schwierigkeiten gekommen sei, habe man ihn einfach auf die Straße gesetzt. Das Space Center habe ihn ausgepresst wie eine Zitrone, um ihn danach als wertlose Schale wieder auszuspucken. Hier in Texas, so hat er jedenfalls gesagt, zählten ohnehin nur Siegertypen mit einem prall gefüllten Bankkonto.“

„Warum haben Sie sich denn auf den Fahndungsaufruf hin nicht gemeldet?“, wollte Hall wissen.

„Junger Mann!“, die Frau hinter der Bar wirkte, als sei dies die dümmste Frage, die ihr je gestellt worden war, so dumm, dass sie am Verstand des Fragestellers zweifeln musste.

„Wenn ich jeden Furz, der hier abgeht und die Luft verpestet, der Polizei melden würde, dann müssten Sie mir in Ihrem Büro ein Bett aufstellen.“

„Hier geht es um keinen Furz, sondern um Mord!“

„Sie wollen damit doch hoffentlich nicht sagen, dass Einstein ermordet worden ist!“

Der genervte Gesichtsausdruck der Dame mutierte zu echter Betroffenheit.

„Aber das wissen Sie doch bereits. Man hat ihn ja nicht weit von hier tot aus dem Wasser gefischt.“

„Dieser Tote soll Einstein gewesen sein?“

Hall ging nicht weiter darauf ein, sondern überlegte die nächste Frage.

„War Einstein immer alleine hier?“

„Ja. – Nein, warten Sie! Als er das letzte Mal hier war, bekam er Besuch von drei Herren.“

„Wann war das?“, fragte Stevenson neugierig und zog ein Notizbuch aus der Jackentasche.

„Vor etwa zwei Monaten.“

„Wie haben die Herren denn ausgesehen?“

„Wie Mexikaner, untersetzt, Schnurrbärtchen, Pomade in den Haaren, Goldkettchen und so“, antwortete sie und kicherte dabei.

Stevenson ließ den Stift sinken und tauschte Blicke mit Hall. Diese klischeehafte Beschreibung hätte ihm auch ein Blinder geben können.

„Kommen Sie morgen in mein Büro. Wir werden versuchen, von den Herren Phantombilder anzufertigen.“

„Das ist unmöglich!“, protestierte sie. „Höchstens von dem, der das große Wort geführt hat.“

„Wissen Sie, worum es ging?“

„Ich nicht, aber meine Mädchen“, sie nickte in Richtung Hintertür, „sie haben aufgeschnappt, dass die Männer Einstein angeheuert haben.“

„Als was?“

„Kein Ahnung! Ich weiß nur, dass sie ihm ein Flugticket in die Karibik und einen ordentlichen Vorschuss zugesteckt haben.“

„Die Männer müssen Einstein demnach gekannt haben“, überlegte Hall laut, „wohin sollte denn die Reise genau gehen?“

„Wie schon gesagt, in die Karibik. Mehr weiß ich nicht! Der Vorschuss war aber immerhin so hoch, dass Einstein alle seine Schulden bei mir bezahlen konnte. Fast zweitausend Dollar.“

„Holy shit!“, entfuhr es Stevenson, der dafür prompt einen strafenden Blick von seinem Begleiter einfing.

„Sie haben uns sehr geholfen, Madame. Hier haben Sie meine Karte. Ich erwarte Sie morgen früh Punkt zehn Uhr in meinem Büro“, sagte Stevenson und schritt wortlos zum Ausgang. Hall folgte ihm.

Caribbean Dreams

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