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1. Kapitel

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Axel Warnow verkörpert den typischen Norddeutschen: Groß, blond, und blauäugig. Mit einer athletischen Figur und einem schalkhaften Lächeln in den Augen ist er beim weiblichen Geschlecht nicht nur gern gesehen, sondern richtig heiß begehrt. Da er Besitzer eines Autohauses und dazu noch Junggeselle ist, steigern sich die Begehrlichkeiten der Damen manchmal bis zur Raserei. Zu allem Unglück hat er sich auch noch zwei Hobbys zugelegt, die ihn in seiner Freizeit ganz in Beschlag nehmen: Jagen und Segeln. Mit seinem Freund Bramme, einem Hauptkommissar, besitzt er eine schmucke Segeljacht, die sie in den letzen Monaten für die neue Saison herausgeputzt haben. In vierzehn Tagen findet die Saisoneröffnungs-Regatta statt und morgen, am 1. Mai, geht die Bockjagd auf. Auf beide Ereignisse freut er sich wie ein kleines Kind. Da macht ihm dann kein Schietwetter was aus und da kann es dann noch so unkommod sein.

Es ist stockdunkel, als Axel am Samstagmorgen kurz nach vier Uhr die Haustür hinter sich schließt. Er steckt den Schlüssel ein, dreht sich um und bleibt für einen kurzen Moment unter dem Vordach stehen. Mit Unbehagen stellt er fest, dass es nieselt. Auch Asta, seiner saufarbenen Teckelhündin scheint das Wetter nicht zu behagen. Mitleiderregend schaut sie ihn mit ihren Knopfaugen an, als wolle sie fragen, ob das wirklich sein Ernst sei. Axel nimmt die Hündin kurzerhand auf den Arm und geht zu seinem Geländewagen.

Zu dieser frühen Stunde und bei diesem Sauwetter herrscht so gut wie kein Verkehr. Er fährt durch das noch schlafende Kiel in nordwestlicher Richtung davon, nimmt kurz danach die Alte Landstraße und biegt von dort auf einen fast zugewachsenen Waldweg ab. Nach hundert Metern hält er an und steigt aus. Asta ist jetzt in ihrem Element. Sie springt putzmunter aus dem Wagen und zieht sich erst mal die frische Waldluft durch die Nase. Axel schultert seine Jagdwaffe und hängt sich ein Fernglas um den Hals. So leise wie möglich macht er die Autotüren zu und leint die Hündin an. Asta führt ihn mit schlafwandlerischer Sicherheit auf einem Pirschweg direkt zu einem Hochsitz. Dort nimmt er die Hündin auf den Arm und steigt die Sprossenleiter hinauf. Oben angekommen muss er den Kopf einziehen, um nicht an die Decke zu stoßen. Er setzt Asta auf einer schlichten Holzbank ab und da lauscht sie nun mit gespitzten Ohren, wie Wichtel Wichtig höchstpersönlich, in den Wald hinein. Dann nimmt er selbst Platz, macht das Gewehr schussbereit, sichert es und stellt es griffbereit gegen die Wand. Mit sich und der Welt zufrieden lehnt er sich zurück und atmet tief ein. Er liebt den Geruch des Waldes, besonders jetzt im Mai, wo sich die Bäume mit frischem Laub schmücken. Der Regen wird stärker. Prasselnd trommeln die Regentropfen auf das Dach des Hochsitzes. Asta zeigt ihre Abneigung gegen das Nass, kringelt sich ein und kuschelt sich an ihr Herrchen, dem das Wetter nichts auszumachen scheint. Es ist fast so, als würden sie sich einige Meter über dem Erdboden, auf einem anderen Planeten befinden. Auf einem Planeten, dem die hektische, stressbehaftete Welt so fremd ist, wie man es sich nur denken kann.

Ein dumpfes Grollen in der Ferne unterbricht die Idylle und kündigt ein Gewitter an. Axel runzelt die Stirn. Sollte ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen? Beim ersten Blitz würde er sich gezwungen sehen, den Hochsitz zu verlassen. Als unverbesserlicher Optimist, beschließt er, es so zu nehmen wie es kommt. Nur der Jäger Unverdrossen hat schon manchen Bock geschossen. Er streicht sich die blonden Haare aus der Stirn, zieht sich den Hut noch tiefer ins Gesicht und will sich gerade entspannt zurücklehnen und die Beine ausstrecken, als ein Lastwagen angefahren kommt und ganz in seiner Nähe mit laufendem Motor anhält. Axel zieht die Augenbrauen hoch und seufzt genervt. Asta spitzt die Ohren. Sie blickt ihr Herrchen fragend an. Nicht genug damit, dass der Lastwagen einen unerträglichen Krach macht, nein, irgendwelche blecherne Gegenstände übertönen scheppernd und bollernd das Geräusch des Motors. Für Axel hört es sich so an, als würden Milchkannen verladen. Da der Lärm kein Ende nehmen will, und Asta ihn immer noch verständnislos anblickt, sieht er sich genötigt, einmal nach dem Rechten zu sehen. Er nimmt Asta auf den Arm und steigt die Leiter hinunter. Nach ein paar Sprossen hört er, dass der Lastwagen weiterfährt. Also steigt er die Leiter wieder hoch, setzt sich mit Asta erneut auf die Bank und versucht, seine alte Gelassenheit zurückzugewinnen. Das ist nicht einfach, weil auch der Donner immer näher kommt. Trotzdem zwingt er sich, aus der Situation das Beste zu machen.

Kaum hat er es sich bequem gemacht, als die nächste Störung an seinen Nerven zerrt. Ein Sportwagen kommt, aus allen Auspuffrohren röhrend, herangebraust. Der Motor des Wagens heult beim Herunterschalten vor einer Kurve laut auf. „So ein Idiot!“, sagt Axel und fährt Asta mit der Hand beruhigend über das noch feuchte Fell. In diesem Moment quietschen die Reifen des Fahrzeugs in einem grässlich unangenehmen Ton und gleich darauf hört er einen derart durchdringenden Knall, als hätte eine Bombe direkt neben ihm eingeschlagen. Im ersten Moment ist ihm, als wäre sein Trommelfell geplatzt. Asta zuckt zusammen und bellt. Axel zögert nicht eine Sekunde. In Windeseile entlädt er das Gewehr, schultert es, klemmt sich Asta unter den Arm und hangelt sich, so schnell er kann, die wackelige Leiter hinunter. Ein greller Blitz und ein kurz darauffolgender Donner machen ihm noch zusätzlich Beine. Wieder festen Boden unter den Füßen lässt er die Hündin einfach auf die Erde plumpsen. In der Zwischenzeit ist es etwas heller geworden, so dass er sich einigermaßen orientieren und den gröbsten Hindernissen ausweichen kann. Dicht gefolgt von Asta rennt er auf die Alte Landstraße zu. Der Regen mutiert zu einem Wolkenbruch. Völlig durchnässt verharrt Axel einen Moment auf der Böschung über der Straße. „Los, komm!“, ruft er Asta zu und springt auf die Straße hinunter. Als er den Fuß auf der Straße aufsetzen will, rutscht er weg und schlägt sofort der Länge nach hin. Zu allem Übel knallt ihm dabei auch noch der Lauf seiner Jagdwaffe mit voller Wucht an den Kopf. Asta geht es nicht viel besser. Auch sie verliert den Halt, liegt auf dem Rücken und rudert mit allen vier Läufen in der Luft herum. Nur mit viel Mühe gelingt es ihr, sich an den Straßenrand zu retten. Von dort aus schaut sie zu, wie ihr Herrchen mit dem letzten Rest an Galgenhumor gegen den glitschigen Straßenbelag ankämpft und es endlich schafft, den Seitenstreifen zu erreichen. Dort hockt sich Axel niedergeschlagen hin, betrachtet sich seine Blessuren sowie die ölverschmierten Hände. Ungläubig stiert er vor sich hin. Eine Beule am Kopf, ein schmerzendes Knie, verdreckte und völlig durchnässte Klamotten registriert er bei einer ersten Bestandsaufnahme. Von seinem Hut tropft ihm das Regenwasser direkt in den Nacken und holt ihn in die Wirklichkeit zurück. Er lässt seinen Blick über das eigene Umfeld hinaus in die nähere Umgebung schweifen und sieht etwa vierzig Meter entfernt eine Dunstwolke. Dahinter kann er ein zertrümmertes Fahrzeug erkennen, das sich um einen Baumstamm gewickelt hat. Nur mit viel Fantasie kann man in dem knallroten Wrack einen ehemals flotten Flitzer vermuten. Ein Blitz illuminiert die gespenstische Szenerie. Es gießt wie aus Kübeln.

Axel legt das Gewehr ins Gras und steht mit einem Ruck auf. „Pass gut auf!“, sagt er zu der Hündin und humpelt mit schmerzverzerrtem Gesicht zu der Unfallstelle.

In ihm krampft sich alles zusammen, als er den Fahrer sieht, der gerade mal Mitte Dreißig sein dürfte, also ungefähr so alt wie er selbst. Der Mann ist hoffnungslos eingequetscht, sein Mund steht weit offen. Vielleicht hat er vor ein paar Minuten noch den letzten Schrei seines Lebens von sich gegeben. Seine Augen sind vor Entsetzen weit aufgerissen.

Für Axel ist sofort klar, dass hier jede Hilfe zu spät kommt. Angewidert wendet er sich ab und quält sich zu seinem Geländewagen. Auf dem Weg dorthin sammelt er Asta und sein Gewehr ein. Von seinem Auto aus ruft Axel die Polizei.

Habibi

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