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Inhaltsverzeichnis

So fuhr sie allmählich in eine immer mehr zunehmende Enge.

Sie saß oft in einem rein körperlichen Wogen da, ganz hingerissen und erschöpft von diesem wollüstigen Zustande. Auch im Gehen überfiel sie das. Wenn sie dann die Straßen hinschritt, bekamen die grauen, langweiligen Häuserfronten einen schönen Glanz. Ihre Scheiben schillerten. Wie tanzend schritten die Leute ein und aus. Und sie horchte gespannt auf alle Worte, die sie redeten, denn alle Menschen trugen den Zug der Güte und Freundlichkeit.

Ein Dienstmädchen, mit einem roten, lachenden Gesicht, wie sie, einen Korb am Arm tragend, hüpfte über die Straße und summte ein Lied zwischen den Zähnen.

Leonore empfand zu dem fremden Mädchen eine so heftige Zuneigung, daß sie, ihre Schritte beschleunigend, ihr zurief.

Das Mädchen blieb stehen, nickte freundlich und frug:

„Na, gudn Morjn, Frau Griebel?!“

„Ach Sie sind’s, de Pauline von Heinzeln?“

„Jå, jå, kenn’ Sie mich au?“

„Ach nu freilich, ich bin Ihn’ zu gut.“

Das Mädchen errötete und verstummte. Dann sagte sie sehr befangen:

„Jetz muß ich aber machen, daß ich fortkomme, sonst schempft meine Frau. Adje, Frau Griebel.“

„Adje, Pauline, aber singen Se weiter, singen Se!“ rief Leonore hinter ihr her und schaute ihr voll Glücksgefühl nach, durch dessen Licht, wie verwehende Nebelfäden, Wehmut zog. Nee so ein junges, lustiges Mädl, ach je nee, nee, das is wohl was scheenes, dachte sie bei sich.

Ein anderes Mal kam sie vom Ringe und schritt die breite Kirchstraße herunter. Ein beißender Nordwind stürzte sich in die Straßen. Darum hielt sie sich auf dem linken Bürgersteig. Als sie beim Böttcher Meergans angekommen war, wo die schmale, dunkle Wassergasse einmündete, lenkte sie ihre Blicke dahin. Die Gasse sah eben wie ein dämmriger Schlund aus, weil der Wind, in dessen Richtung sie gekrümmt lag, mit unruhigen, stoßend einsetzenden Wirbeln den Schnee darin zu Wolken zerblies. Ein eisiger Staub drang ihr in die Augen, daß sie sie schließen mußte. Als sie nach Momenten die Lider wieder heben konnte, weil der Windstoß vorüber war, sah sie ein liebliches Bild. Ein etwa fünfjähriger Knabe, in allerhand Tücher eingepackt, daß er wie ein Bündel aussah, führte ein kleineres Mädchen an der Hand. Er trug irgend etwas in ein rotes Taschentuch eingeknüpft und sah besorgt auf seine Gefährtin, die er hin- und herleitete, damit ihre Füßchen nicht in zu tiefen Schnee treten sollten. Sobald ein neuer Windstoß mit hohem Heulton aus den Dachrinnen sich anmeldete, legte das Knäblein sein Pack auf die Erde und umschlang das kleine Mädchen mit beiden Armen, um sie vor dem Umfallen zu schützen. Das war ein Jubel für die beiden. Sie schrien ein glückliches Lachen in den Lärm, und wenn die Gefahr vorüber war, fielen sie sich um den Hals und küßten sich lange. Leonore schlug das Herz vor freudiger Überraschung, daß sie sich nicht bewegen konnte.

Der Böttcher trat aus dem Hause.

„Gu‘n Morj‘n, Frau Griebeel! Gelt die sein reen wie a påår Liebesleite. Dar Kleene macht’s rechich schinner. wie månchmål a Ales. s is Gåssmånn Schneidersch Junge und Schmieds Lenla.“ Die Angeredte lächelte zerstreut und ging dann mit behutsamen Schritten davon. Sie hielt sich dicht an den Häusern und ihre Rechte griff haltend nach den Mauern, denn sie war taumlig und murmelte fortwährend verzückt vor sich hin:

„Sie küssen sich . . . wie sie sich küssen . . . sie küssen sich gar zu scheen . . . gar zu scheen küssen se sich . . .“ Dann las sie alle Firmenschilder. Sie schienen einen wundervollen Sinn zu haben. „Johann Laufer, Seiler. Karl Nieder, Gutes Sauerkraut, Landbrot, Vollheringe“, und sie glaubte diese alltäglichen Worte nicht und konnte doch auch das Frohe und Große nicht herausfinden, das hinter all diesem leuchtete.

In der Nähe der Straßenecken hatte sie die Empfindung, daß jemand von der anderen Seite kommen, sie umarmen und das Liebste nennen werde, was auf Erden sei. Darum verlangsamte sie ihre Schritte, um nicht mit ihm zusammenzustoßen. Aber die meisten Leute gingen gleichgültig vorüber. Manche grüßten wohl freundlich und Bekannte drückten ihr herzlich die Hand. Aber das war doch alles nicht das Schöne und Beglückende, das hinter der Ecke auf sie gewartet hatte. So erblindeten nach und nach alle Augen in Leonore; nur eines blieb offen.

An einem Nachmittage gegen vier Uhr riß sie die Küchenthür auf, lief bis in die Mitte des Raumes und sah forschend umher. Ihre Augen waren von heißer Erwartung weit geöffnet, und die Wangen glühten.

„Wås sucha S‘ ‘n?“ frug Anna, die eben Geschirr in den Schrank stellte und sah ihre Herrin über die Achsel an.

„Nu, ich hab’s doch genau gehört.“

„Wås denn?“

„Er muß hier reingegangen sein.“

„Ach de Uhre is ganga, sonst nischte.“

„Ich hab’s gehört. Es machte ‘s Tor auf, kam iber die Treppe rauf, hielt oben ein wing, als obs iberlegte, und dann kams mit langen leichten Schritten . . .“

„Nu, — langen, leichten — säta Se nie a so, langen leich . . . haha! — De Anna is vrhin barfissig im Flure afier ganga.“

„Nein, s war ein Mann!“

„Na Frau, etz sein Se åber bale stelle. Nu verstieh ich Se. Ein Mann?! — Ich hå keen‘n Schatz nie. Oan wenn ich een’n hätt, dåweßt ichs doch, dåß sichs nie scheckt, wenn er åm Taje zum mr kemmt. — Oder wessa Sie ‘s etwan besser, dås ich een’n Schåtz hå?“

„Aber, Anna, so was. Wer wird denn von einem Schatz sprechen, so was? Schäm dich!“

Und während Leonore diese Worte stotternd sprach, war es ihr, als müsse sie umfallen, so brauste ihr Blut. Sie konnte vor Scham Anna nicht ansehen und floh aus der Küche.

„Wer soll sich schama?“ schrie dadurch ermutigt, die streitsüchtige Magd, „ich etwan? Hähähä, ich hå keen‘n Mån nie gehärt, ich n i e . . . .“

„Gieh åch,“ setzte Anna fort, als sich hinter ihrer Herrin die Thür geschlossen hatte und überließ sich ganz ihrer Wut. D, s wår de hechste Zeit, ich hätt dr sonst Beene gemacht . . .“

Plötzlich brach sie ab und ließ die rechte Faust sinken, die sie gegen die geschlossene Thür geschüttelt hatte. Dann starrte sie vor sich hin mit einem Gesichtsausdruck, der aus Schreck sich langsam zum Hohne verwandelte.

„Ha, dås?“ murmelte sie dabei. „Ach nu, warum kennde dås nie sein! Er is a aller plumpscher Drehdichlangsam und sie is flink un just wie a Gevatterla. Då is doch ålls meglich — — nu, uffpåssa wer ich.“

Sie hörte die gegenüberliegende Wohnstubenthür gehen und begab sich schleunigst wieder an den Schrank, weil sie vermutete, Leonore würde kommen, um sie wegen der letzten, vielsagenden Worte zur Rede zu stellen.

Allein die Thür schloß sich bald wieder, und alles blieb still.

Leonore hatte sich aus der Küche geflüchtet und war in das Wohnzimmer gestürzt, mit dem Gesicht gegen den Sofasitz. Ihr Leib blähte sich unter wuchtendem Atem auf und fiel ein. Er füllte und leerte sich bebend wie ein vielgegliederter, willenloser Schlauch, durch den das Stoßen eines wilden Gebläses ging.

Und aus ihren geschlossenen Augen fühlte sie Ströme von Feuer gehen, daß die Augäpfel wie glühende Kohlen brannten.

Dabei murmelte sie in heißer Verwirrung:

„Wer kann sagen, ich hab einen Schatz — ich? — ich hab einen Schatz — einen Schatz? — Schatz? – Schatz?“

Der zurückströmende Atem schlug sengend in ihr Gesicht. Es war, als wohne ein süßer Duft darin, und sie murmelte das wunderbare Wort weiter, immer leiser, süßer, inniger und trank den Duft, mit dem es ihren Atem füllte. Ihr zitternder Busen trank ihn, ihre lechzende Seele, ihr ganzer fiebernd-blühender Leib.

Endlich erhob sie sich und sank in Aufgelöstheit auf einen Stuhl. Mit geschlossenen Augen, das Haupt nach hinten hängend, saß sie, und ihre bebende Rechte strich mit leisen Fingern die Stirn nach der linken Schläfe hin.

Ihre Seele war wie ein sommerliches Feld, über dessen lodernder Blütenpracht das Licht einer senkrechten Sonne in flimmernder Glut brennt, bis hinaus an den verschwindenden Horizont. Ihr Blick wurde von innen her versengt, und als sie die Augen öffnete, sah sie alle Gegenstände durch einen grauen Schleier hindurch, mit fließenden Umrissen, hin und her schwebend, von blassem Schimmer umgeben. Plötzlich kam es wie die Wollust der Empfängnis über sie: Bewegungen aus ihr und um sie flossen zusammen; ein Leib löste sich von ihrem Leib; ihr Gesicht ward Antlitz vor ihr; ein Strahl wandelte aus ihrem Auge und ward sich fremd und ein Wesen entstand.

Noch sah sie es nicht, fühlte aber seinen guten, umfangenden Blick auf sich gerichtet. Dort von der Ecke neben dem Schrank her. Mit ihrem Leibe ihn trinkend, saß sie und wagte nicht aufzuschauen in demütigem Glück.

Ein weiches Gleiten ließ sie endlich den Kopf wenden. Doch sie konnte nichts deutlich unterscheiden. Nur wenn das pochend arbeitende Herz einen neuen Blutstrom ausstieß, glommen die Umrisse eines männlichen Wesens schärfer auf aus dem dämmrigen Winkel neben dem Kleiderschrank, wo der Kleiderständer sich befand, an dem ein Herrenüberzieher und darüber ein Hut hingen. Auch tiefe Atemzüge hoben auf Momente seinen Leib aus dem Nichts. Als sie sich aber zu einem durchdringenden Blick aufraffte, um sich Gewißheit zu verschaffen, fühlte sie es in ihrem Innern wie den jähen Zusammenbruch einer schönen Welt. Das blühende Großfeld ihrer Seele verschwindet hinter der engen Schranke ihres Bewußtseins und die Gegenstände ihrer Umgebung welken zu den gewöhnlichen Umrissen ein.

„Nu Schatz, wo bist du denn?“ frug Leonore mit bitterem Spott und konnte es doch nicht hindern, daß die Wehmut der Leere in den Worten wohnte. Sie erhob sich und schritt, um sich zu sammeln, durchs Zimmer. Jedes Gerät, an dem sie vorüberkam, berührte sie mit der Hand. Dabei sagte sie tonlos:

„Da ein Stuhl — der Tisch — der Nähtisch — der Wäscheschrank — noch ein Stuhl — — — immer so, dasselbe heite . . . morgen . . . in einem Monat . . . ibers Jahr — bis ich sterbe —“

Plötzlich brach sie am Tisch, auf den sie sich bei den letzten Worten gestützt hatte, zusammen, warf die handverschlungenen Arme steif darüber hin und ließ ihr Haupt unter die Platte sinken.

So verharrte sie wie leblos.

Der leere Winterabend ließ seinen Nebelschutt immer dichter an den Fenstern niederrieseln.

Als sie den Schritt ihres Mannes hörte, sprang sie erschrocken auf.

„Wås muß er denken, dåß ich noch kein Licht hå?“ fuhr es ihr durch den Kopf mit der Schärfe eines unruhigen Gewissens. Und während sie in der finsteren Stube immer ängstlicher nach Streichhölzern suchte, hörte sie ihren Mann die Küchenthür öffnen und hineinfragen:

„De Frau nie då?“

„O ja“, antwortete Anna.

„Nu, s‘is jå fenster ei dr Wohnstube!?“

„Ne, de is doch nie fortgeganga. Vrhin amål, ‘s wår Nåchmettig, kam se ei de Kiche und fragte nach em Månne.“

Leonore wurde starr vor Schreck, als sie diese Worte des Dienstmädchens hörte. Sie mußte sich an das Fensterbrett anhalten. Dabei griff sie die Streichholzschachtel.

Im Nu war Licht.

Da trat auch ihr Mann schon ein.

„Gu’n Amd!“ grüßte er verstimmt und hing seinen Hut an den Ständer. „Na, wo host‘n a Mån?“

„Ich? Was een‘n Mån?“

„Nu, de Anna säte doch, du hättst een‘n Mån gesucht?“

„Die Anna, d i e ! will die etwa noch Unfriede ins Haus bringen? Is noch nie genung, dåß se grob is wie Schrotmehl! die muß nu aus dem Hause. Soll ich etwa folgen, bin ich Herrin oder Dienstmädel?“

„Etze fang du mir noch å und mach mr a Kop vul. Iberal Ärger, ei der Werkstelle un derheeme!“

„Kånn ich drfier, wenn du aso anfängst und schimpfst, eh du ‚Gu‘n Amd’ gesagt hast?“

„Jesses Lorla, is‘ dås eene Trosel wert oder a Salende? Ma kå doch een‘n Spaß macha!“

Er griff neckend nach ihr; aber sie wich aus und verließ gekränkt die Stube.

Als dann Anna das Abendbrot aufgetragen hatte und das Zimmer verlassen wollte, begann Leonore wieder hartnäckig:

„Bleib mal da, Anna! — Nu sags vorm Herrn hab ich ee’n Mann gesucht?“

„Een Månn? — Sie freta doch, ob er ei dr Kiche is?“

„Nach wem hätt’ ich denn gefragt, wenn dås wahr is?“

„Maria rein och a! Dås weeß i c h nie, wan Sie sucha. Dås missa Sie åm besta wessa. Ich hå keen’n Schåtz,“ erwiederte das Mädchen grob und verließ das Zimmer.

Leonore riß die Hand vors Gesicht, um die Schamröte vor ihrem Manne zu verbergen und brach in Thränen aus.

„Då håsts,“ rief sie schluchzend, „se weeß nischt und sprecht ein Mann, sogar ein Schatz. Hå ich dich a mal belogen, hä?“

„Nu, Lorla, du weßt doch, dåß se sich nie halfa kån. Se meents doch nie aso. Bis och ruh’ch! Låß dås Flerrn sein un sag mrsch lieber.“

Durch gütiges Zureden besänftigte er sie endlich, daß sie ihm den Sachverhalt erzählte. Von dem Zustande ihres Innersten erfuhr er nichts, denn dieser war Leonore selbst ein Geheimnis.

Als sie geendet hatte, schüttelte er seinen Kopf und sprach dabei mit plumpüberlegenem Lächeln:

„Jesses nee, ma verhört sich halt månchmål. Då braucht doch nie a solches Lutterment gemacht wer’n. Meglich wårsch jå, dåß a Mån dågewåst wår. Denn der Reisende aus Frankfurt, dar mich met dam Indigo neigelegt håt, wollte jå komma. — — Åber etze, Schwåmm drieber, well mr sahn, wås dar grobe Teixel, de Anna, viergerecht håt.“

Dann machte er es sich mit umständlicher Behaglichkeit am Tische bequem.

Während er bedachtsam und eifrig zulangte, saß Leonore einsam da und rührte kaum etwas an. Plötzlich legte sie heftig Messer und Gabel hin und sagte ein abschüttelndes „Nein!“

„Na?“ frug Griebel, ohne aufzusehen.

„Kenntst du mich haun, recht aus Wut?“

Griebel ließ die Hand sinken, mit welcher er eben ein Stück Wurst zum Munde führen wollte, und blickte sein Weib erstaunt an. „Die håt heite wieder ihren schlechten Tag,“ dachte er. Dann antwortete er:

„Lorla, kendsche Lise, a so a Fråge!“

„Nein, du sollst sagen: ja oder nein.“

„Nu, wenn das wessa wellst: nee.“

„Ich hå mersch wohl gedacht. — Da iß och weiter!“ Sie sagte das mit einem geringschätzigen, bitteren Lächeln und zerrieb dabei ein Stück Brot zu Krümchen. Dann sah sie nach dem Fenster hin, hinter dem die Wand der schwarzen Nacht stand, lange und mit leidenschaftlichen Augen that sie das.

Griebel „hamsterte“ und plauderte dabei alles durcheinander.

Leonore litt an der großen Lücke ihres Lebens. Ihre Seele lag an fernen Gestaden und rang und schrie und betete und verzweifelte. Davon wurde die Farbe ihres Gesichtes immer blasser, die Haltung ihres Leibes immer starrer.

Die „Ja“ und „Nein“, die sie an oft unpassenden Stellen in das Gerede ihres Mannes streute, trugen die Farbe ihres Innersten: sie klangen zagend, fordernd, zitternd, peinvoll auch wie das Flüstern einer Verlorenen.

Griebel wurde es immer unbehaglicher dabei. Er erzählte mit stets längeren Unterbrechungen und schwieg endlich betroffen.

Da war es totenstill.

Und die Seelen der beiden Menschen litten in stummem Schauer untereinander.

Leonore kam zuerst in ihr Leben zurück, und noch unter dem Bann ihres Schicksals stehend, sagte sie tonlos und eisig-ernst:

„Du sitzst weit von mir — weit!“

Griebel erschrak vor den nachdenklichen Augen seines Weibes, und indem er an einem Fleck seiner Weste herumkratzte, sagte er unsicher:

„Jå, jå, ‘s is månchmål komsch, wås uns de Aja viermacha. Ich kennde auch Steckla drvone erzehla — — åber loon mr dås; ich bin heite mide.“

Dann erhoben sich beide und trafen Vorkehrungen zum Schlafengehen.

Leonore unterbrach sich dabei und frug zaghaft: „Kommt der Reisende auch ans Meer?“

„Dar aus Frankfort?“ lautete Griebels gelangweilte Gegenfrage. Dabei kraute er sich den Kopf.

„Nich der alleene; iberhaupt.“

„Ach nu freilich, ‘s håt ’r woll, die då hinkomma.“

„Das is tief — und — weit . . .“

„Jå, Lorla, nischt wie Himmel und Wåsser. De Schiffe komma und fåhrn fort und niemand weeß månchmål, ob ma de Leite wiedersieht, die droffe sein.“

Darauf blies er die Lampe aus und sie begaben sich auf ihr Lager.

Eine Zeitlang horchte Griebel besorgt auf den Atem seines Weibes, der kurz und schwer ging.

„Wenn se och gut schlofa kennde, då wär ålls wieder gut manne“ sann er. Plötzlich überfiel ihn die qualvolle Gewißheit, seine Frau kniee im Bette und ringe verzweifelt die Hände über ihrem Haupte.

Er dämpfte seine Stimme und frug anscheinend gleichgiltig:

„Liegst’n, Lorla?“

Doch die Antwort blieb aus.

Deswegen rief er stärker:

„Lorla!“

„Ja“, antwortete sie schwimmend-weich.

„Was machst ‘n?“

„Ich dåcht ans Meer. Mancher mag gerne fort fahrn, weil ihn niemand hält. Wie er aber draußen is und blos sein’ Herrgott und‘s Wasser rundum hat, da kommts doch ibern, daß sich niemand kimmert um ihn. Ein eenziges gudes Herze hätt’ ihn gehalten. Nu aber fährt er naus, ins Ungewisse unds graut ‘m dervier, in seiner Seele.“

Griebel vermochte nicht zu antworten. Die große, leere Stille, die sie den ganzen Abend getrennt hatte, wurde stärker zwischen ihnen.

Dahinein floß das eintönige Geräusch des schlafenden Hauses; es klang wie leise Wellengänge eines fernen Wassers.

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

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