Читать книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr - Страница 26
XIII.
ОглавлениеGriebel wohnte thatenlos, ungestört in der Sicherheit seines Vorsatzes, bei gelegener Zeit mit Leonore „abzurechnen“.
Die ganze Angelegenheit begann für ihn im Sande zu verlaufen. Was sollte er auch „unnötig darin rühren“, da nichts auf einen Skandal hinwies.
Er war schon einigemal mit seinem Weibe bei Tisch allein gewesen. Sie sah bleich aus, aber nicht müde. Nein, es war eine Schärfe in ihrem ganzen Wesen. Und wenn er aus dem lauen Kreisen der stockenden Unterhaltung das persönliche Gebiet betreten wollte, mußte er doch immer verstummen.
Ihre ungewöhnlich glänzenden Augen, deren Blau viel tiefer geworden zu sein schien, hinderten ihn daran. Dann zog er den Zeigefinger zurück, der tastend um den Rand des Tellers gefahren war:
„Lassen wirsch noch ein wenig.“
Aber immer, wenn ihr ängstlich flammender Blick seinen trägen Mut so entkräftet hatte, mündete seine Gemächlichkeit in Betretenheit.
Er sah, wie sie darnach erschlaffte, als habe eine letzte, schwache Hoffnung sie betrogen. Sie saß da und starrte auf ihren Schoß, riß sich gewaltsam auf und sah irgendwo hin. Und mitten in ihrer Fassungslosigkeit stieß sie Worte hervor, wie: „Nimm dir noch ein paar Beere!“ Erstickt begann der Ausruf und endete mit einem gepeinigten Lachen, daß den dicken Mann eine unbezwingliche Furcht vor seinem Weibe packte, die darauf jäh aufsprang und ins Schlafzimmer stürzte.
* * *
An einem Abend kehrte Griebel später als sonst aus der Werkstatt zurück.
Der erschlaffte Tag lag in breiten, zerfließenden Schatten neben den ruhigeren Häusern und begann einzuschlafen. Windloser Schnee fiel dicht durch frostdumpfes Tiefdämmern. Der wichtigthuerische Verkehr der Kleinstadt nahm eine Nüance lauter Fröhlichkeit an. Man streckte die Hand aus und ließ den beißenden Schnee auf der warmen Haut zerlaufen. Denn es ist doch ganz hübsch, wenn es im März noch einmal so still schneit. Nur wer gegen den Himmel sah, machte ein mißvergnügtes Gesicht.
„Wås meenst de , Meester Griebel, dås wird ein bieses Wetterle,“ redete ein bekannter Schmied den würdig-langsam schreitenden Tuchmacher an, nachdem die beiden Männer sich die Hand geschüttelt hatten.
„Jå, eemål muß doch der Wenter aufhärn. .“
„Freilich, freilich; åber wenns blos nie zu schlemm wirde.“
„Na, de Welt drehts ebens nich um: a paar Schindeln, a wacklich Haus. Wås lieg då drån, wenns blos Frihjåhr wird.“
„Ja, w en n s wird . . .“
„Ach nu, w e n n s wird, wie de redst, Schmied, wo hätts a Jåhr ohne Frühjåhr.“
„Ja, eim Kalender stehts immer, åber, åber . . . wie wårsch im Jåhre 63?“
Und der Schmied begann im Hinwandeln die Geschichte eines Jahres ohne Frühling zu erzählen: „Ålle Knospen wurden braun. De Blätter, wenn se eemål haußen sein, kenn‘ se nemme zurecke, wurden schwarz. De Vegel fielen aus der Luft. ‘s Getreide bliebe taub. Acht Sack voll håtte mein Vater gesät, un viere drusch mr aus. Då kånnste amål nehmen. Wir wohnten dazumål ei Scharfeneck.“
Sie waren in die Nähe des Griebelschen Hauses gekommen.
Der Tuchmacher sah seine Schwiegermutter davor mit allen Zeichen ängstlicher Ungeduld auf- und abgehen.
„Ja, ja — ‘s kånn schon a so kommen,“ erwiderte Griebel zerstreut.
„Nach, du gehst ja da rum. Gude Nacht!“
Und er steuerte unauffällig auf die alte Marseln zu.
Als sie ihn erkannt hatte, trat sie eilig durch das offene Thor in das Hausinnere.
Der Tuchmacher folgte ihr ebenso stumm mit jenem Zucken in der Magengegend, das ihn immer in kritischen Momenten befiel und von ihm mit Herzklopfen bezeichnet wurde. Er schloß das Thor und stand nach einem Schritt ins Dunkel still.
„Nu?“ frug er rauh nach der Gegend hin, aus welcher unterdrückte Angstlaute ertönten.
„Wås håts ‘n, Mutter?“ wiederholte er auf schwindendem Atem nach einer zögernden Pause, da er keine Antwort erhielt.
„Heilje, gebenedeite Mutter! — åch Gott nee! nimm mrsch nie ibel! Ich kånn nich derfir — ich nich; ich hå ålls gethån, Joseph —“
Und während die Verzweifelte das hauchend stotterte, suchte ihre Hand nach der seinen.
Nun umklammerte ihre zitternde, kalte Rechte seine schlaff herabhängende Hand.
Das Leben ihrer Seelen umschlang sich.
„Wo is‘n ‘nausgespronga?“ frug Griebel tonlos.
„Ach Jesus nee . . .“
Und als ob seine Frage bejaht worden wäre, setzte er ebenso leise in blinder Verlorenheit fort:
„Is‘n ganz tut?“
Unter der Last eines Verhängnisses, an dessen Erfüllung er mit dem störrischen Aberglauben beschränkter Naturen festgehalten hatte, frug er dies.
Das einfache, furchtbare „Ja“ aber stellte sich nicht ein. Vielmehr rang sich lispelnd die Wahrheit von den Lippen der gepeinigten Mutter los:
„Ich trug gråde ‘s Brut ei a Låda, der Geselle håtte sich schlåfen gelegt, um a zwee rum wårsch, du wårscht kaum eene hålbe Stunde ei dr Gåsse hin, då stirzt de Anna ei a Låda: ,Marsel-Mutter, åber schnell, ‘s påssiert wås met dr Frau.’ Mir fällts Brot aus der Hand. Ehb ich frågen kånn, is ‘s Mädel schon wieder draußen. Wie ich hier reingekommen bin, weeß ich nich mehr. Un då stehn de beeden Mädel of m Flur beim Seegerkasten und winden de Hände.
,Zu wås braucht se åber Geld, wenn se sich wås åthun will?’ frägt de Amme mich. ,Ich hå‘ ‘r 20 Mark borgen missen.’
Ich denk, dås Mensch will aus ‘m Unglick blos noch wås rausschlagen un geh ån de Thüre un horch. Zuerst wårs stille wie a tutes Blått. Wie ich gekloppt und geruft hå, nåch eener Weile, fengt se å un begehts, åls wenn se gleich sterben wollde. Ich båt, ich drohte, ich flerrte, wås macht eene Mutter nich aus Angst um ihr Kind!
Åber wie ich hör, dåß se Gustlan mit drinne håt, wer‘ ich wie irre, ich zwäng de Finger ei den Thürritz, dåß se blutten, ich stoß, ich kratz mit a Nägeln åm Holz runder, ich . . .“
Da packt sie Griebel am Arm:
„Mei Jengla auch noch?“
Sie verstummte vor der Qual dieses Ausrufes.
Auf der Straße läuft lachend ein Trupp Kinder vorüber. Plötzlich fängt eine junge Stimme an zu schrein. „Heb a uf, Bertha!“ kommandiert unwillig ein älterer Knabe.
Darauf hörte man wieder nur die verschwommenen Laute des kleinstädtischen Verkehrs.
„. . . . mei ållerliebstes Jengla!“
Mit der Innbrunst seiner Vaterliebe stärkt Griebel die Besinnung seines betäubten Mutes.
Dann: „Komm!“ faßt er die Alte und zieht sie gegen die Treppe hin.
Auf dem ersten Absatz macht sie sich hastig los und bleibt stehen im ungewissen Licht des kleinen Flurlämpchens, dessen Schein kümmerlich in der Nacht zerrinnt.
„Ha, Joseph, warum is dås ålles aso ‘komma?“
„Warum — ja, warum . . . warum . . .“
Er schüttelte sein Haupt gegen die Erde hin:
„Das kann ich selber nich sagen.“
Die Marseln frug nicht weiter, und sie betraten den Flur.
Griebel machte harte Schritte, wie jemand in der Not ein entschiedenes Geräusch hervorbringt, um bei klarer Besinnung zu bleiben.
„Geh zu den Mädel ei de Küche, dåß nich ålls glei‘ ei der Stadt rumprescht, wås ei unsem Hause vorgeht. — Ich wer‘ versuchen, verleicht läßt se mich rein,“ flüsterte er, und, sich innerlich aneifernd, setzte er leise hinzu: „Es muß ein Ende hå‘n.“
Die Alte drückte ihm stumm die Hand und verschwand in der Küche.
Er stand einen Augenblick an der Thür zum Wohnzimmer still; unschlüssig hustete er einige Mal. Endlich ward er stark, rückte sich die Hosen auf die Stiefeln, trat ein paar mal energisch auf und beugte sich dann zur Thürklinke . . . . . . . „Lor — hachm . . . . Lordl! . . . . du! . . .“ ganz milde, daß ihn der zurückgehaltene Atem gegen die Kehle preßte. Er richtete sich auf und ließ ihn vorsichtig naus.
Da war es ihm, als rühre sich was drinnen.
Sie lebt noch! —
In froher Hast klopft er mit dem gekrümmten Zeigefinger und ruft so laut, als es seine Vorsicht zuläßt: „Nu, mach och uf!“
Ein zögerndes Stöhnen antwortet drinnen.
„Mach uf, was müssen de Mädl denken!“
In der Küche hörte er jemand, laut sprechend, gegen die Thür kommen.
„. . . . ja, wenn auch; åber Sie hätten se sehen sollen, wie wilde . . .“
Es war Annas schreiend harte Stimme.
Jeden Augenblick konnte die Neugier eines der Mädchen, trotz der Wachsamkeit der Mutter, heraustreiben, und dann fand man ihn wie einen „Schubiak“ vor der Thür stehen.
„Donner . . . , verf . . . , Himmelschock . . ., Lorla! Ich renn die Thüre nei, wenn de nie glei’ ufmachst!“ keuchte er erregt in den Ritz der Thür und preßte sich gegen sie, daß die Füllung knisterte, an welcher seine Achsel drückte, denn der nämliche Schritt wie vorhin näherte sich der Küchenthür.
Sonst wars ganz still. Nur wie leise siedendes Rauschen ging es durch die Bodenkammer.
Dann verstummte auch das.
Endlich kam ein schleppender Schritt von innen gegen die Thür des Wohnzimmers und hielt vor derselben an.
Die Uhr holte zum Schlage aus.
„Wenn die Uhr schlägt, besinnt se sich und macht nich auf,“ zwingend erfaßte ihn dieser absonderliche Gedanke, daß er lautlos hinzusprang und den Perpendikel aufhielt.
Dann langte er nach dem kleinen Flurlämpchen auf dem Brodschrank.
Jetzt war der Riegel leise zurückgefahren.
„Ob Gustla noch labt“ mit klopfendem Herzen, langsam, daß das offene Flämmchen im Zuge nicht umkomme, trat er ein und schloß sofort die Thür hinter sich wieder.
Er stieß schon bei den ersten Schritten mit dem Knie an einen Stuhl, so daß das Lämpchen ins Schwanken kam und zu erlöschen drohte.
„Ma‘ wird sich noch a Hals brechen,“ sagte er hastig, weil er nichts anderes zu reden wußte.
„Wo bist‘n hä, ma‘ kånn jå nie amål Gudn Abnd sågn!“
Er that noch einen Schritt vorwärts und stieß wieder gegen einen Stuhl, den er nur dadurch vor dem Umfallen rettete, daß er dessen sich neigende Lehne schnell ergriff.
Noch immer sah er sein Weib nicht. Die schwehlende Flamme des Lämpchens, das er emporhielt, nahe an die rechte Seite seines Gesichts, blendete seine suchenden Augen, die über einen blöden Lichtkreis hinaus nichts zu unterscheiden vermochten. Darum stellte er es vorsichtig auf den Tisch. Nun beruhigte sich das Flämmchen und sein rötlicher Flor floß bis an die Wände des Zimmers.
Jetzt unterschied er alles genau. Alles war im Kampfe verwühlt. Die Stühle standen umher, als seien sie in Verzweiflung mit ihren steifen Beinen unbeholfen durcheinander gelaufen. Die Decke des Tisches hing schief, daß ein Zipfel die Diele berührte. Silbermünzen lagen über die Platten hingestreut. Einige waren zur Erde gefallen, als seien sie in Ekel hingeworfen. Am anderen Ende des Tisches stand das kleine Etui, und der Ring mit dem rotlächelnden Steine lag daneben.
Kleidungsstücke hingen über alle Stuhllehnen, vom An- und Aushängen zerwunden. Die Sofadecke in einen wirren Ballen zerknüllt, die Gardinen von krampfenden Fingern zumteil von den Stangen gezerrt.
Leonore lehnte starr an der Wand neben dem Schrank. Als habe sie gewußt, daß Griebel, da er alles überflogen hatte, fragend seinen Blick auf sie lenken würde, fing sie diesen mit regungslosem, weitem Auge auf. Ein unsäglich schmerzliches Lächeln erfüllte dabei ihr Gesicht.
„Jesus Maria, Lorla!“
Plötzlich löste sich der Krampf, der sie an die Wand gelehnt hatte. Eine Schlaffheit verwandelte den stierherben Ausdruck ihres Gesichtes, und Griebel sah, wie sie in sich zusammensank. Mühsam rang sie in die Höh, aber kein Halt mehr.
Schnell schob er ihr einen Stuhl hin, und sie fiel darauf, müde und schwer. Ihr Haupt neigte sich vornüber und stützte die blassen Hände auf die zitternden Kniee.
Eine Weile stand er stumm neben ihr.
„Wo håst‘n Gustlan?“ fragte er dann unnatürlich dumpf.
Erst nickte sie starr gegen den Boden hin, und als sie ihr Gesicht zu ihm emporhob, trug es den starren Zug von vorhin.
„Ich dacht mir’s wohl.“ Leise, aber mit bebender Bitterkeit. „Geh, Vater — mh! — geh, er liegt in meinem Bette!“
Als sie ihn dann in überquellendem Glück den Knaben immer von neuem küssen sah, schlichen die letzten Thränen, die ihr noch geblieben waren, in die bleichen Falten des unsäglich schmerzlichen Lächelns langsam, siedend nieder.
„Lorla! — Lorla!“ rief Griebel mit zuckender Kehle und zeigte ihr wiegend das Kind, als müsse er sie auf einen unvermuteten Fund aufmerksam machen, von dessen Kostbarkeit sie keine Ahnung habe.
„Ich muß den Jungen der Mutter zeigen!“ und er strebte an ihr vorüber, der Thür zu.
„W o willst du hin?“
Kerzengerade, entschlossen, drohend vertrat sie ihm den Weg.
„Der Mutter? Meiner Mutter?“ frug sie noch einmal und sah ihn hart an.
„Nu, warum denn nich?“
„Is an mir nich genug, sol die noch . . .?“
Dann verfiel sie in Sinnen.
„Gut“, fuhr sie entschlossen auf, „geh und sag meiner Mutter, de Lordl läßt sie noch einmal schön grüßen.“
Damit trat sie zur Seite und begann entschlossen, sich anzukleiden.
Indessen ging die Küchenthür, und man hörte die Stimme der alten Marseln.
Leonore zuckte zusammen, riß das halb angezogene Jakett wieder herunter und räumte jagend alles in die Schlafstube.
Griebel begriff.
„Jå, jå, die Mutter darf nischt wissen,“ sagte er und half ihr das Zimmer ordnen.
Als die Marseln darauf vorsichtig eintrat, war nur wenig von dem vorherigen Zustande zu merken. Nur der Ring lag noch auf dem Tische, und einige Silbermünzen waren auf dem Fußboden vergessen worden.
Griebel schob im Heraustreten aus dem Schlafzimmer mit der Rechten die Portière auf die Seite und sah, wie Leonore, eben mit dem Anleuchten der Tischlampe fertig, sich herzlich an die Mutter wandte.
„Es ist scheen, Mutter, daß de doch noch kommst. Gun Abnd!“
Und sie küßte sie mit einer Leidenschaft auf die Stirn, die so heiß aussah, weil ihre Bewegungen nichts von der Härte verloren hatten und sich mühsam aus einem steinernen Zwange losrangen. „Komm, setz dich!“ fuhr sie ungewöhnlich laut fort und nötigte die Mutter auf einen Stuhl, während sie selbst an der anderen Seite des Tisches Platz nahm. Im Niedersetzen schob sie die Lampe von sich weg, so daß das Gesicht der beiden Frauen in dem leichten Schatten des rosa Lampenschirmes war.
Darnach begann sie zu sprechen.
„Ja, es war ein fürchterlicher — fürchterlicher —ach — Koppschmerz. — Ich — e — hab dich wohl gehört kloppen, dich und de Mädel. — Aber — e — ach Gott, was weeß man? . . . richtig! — Geflennt habt ihr auch, als ob ich schon tot wär — tot . . . . . . . tot! – Sieh’ch! . . . . . . . warum? . . . es is jetze noch nich vorbei . . . . es macht einen rein irre. — — —
Warum hab ich bloß das Geld von der Amme geborgt? — Zwanzig Mark . . . . als wenn ich hätt’ gewollt verreisen . . . . gelt ja, Joseph! — Balde hätt’ ich meinem lieben Herrn Gemahl . . . Gemahl!! — nich aufgemacht. De Kleider lagen noch alle iber die Stühle . . . . Da liegt noch Geld . . .“
Das sagte sie zuckend; es sollte unschuldig tändelnd klingen. Sie blickte auf ihre Finger und knackte mit den Nägeln. Von Zeit zu Zeit, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, stahl sich ihr Auge zehrend zu ihrer Mutter hin. Davon ward ihre Rede immer vibrierender.
Eine Pause folgte, während welcher Griebel und die Marseln besorgte Blickte wechselten, Leonore aber auf ihre Hände sah, deren Zeigefinger sie mit den Spitzen starr gegen einander preßte.
Wie unter einem Stich riß sie den Kopf herauf:
„Mei liebes Mütterla!“ und sann traurig dem Ton ihrer Stimme nach, der bittend und weich klang.
„Nich, so hab ich als Kind gesagt — — ja! als — Kind . . . als Kind, gelt da wars auch anders.“
„O ja,“ setzte die Marseln endlich ein, „andersch, besser, besser, ja m . . . m . . .“ aber sie brach ab, weil sie nicht wußte, wie es anzufangen sei.
Nach einem kurzen Besinnen schüttelte sie die schlaue Leisetreterei ab und ging in ihrer alten Derbheit gerade aufs Ziel los.
„Hä, wås sol dås sein, wås missen denn de Leite denken? Bist de dei‘m Månne nie gut?“
So brach ihre Sorge steinhart hervor. Dabei sah sie streitbar auf Leonore.
„Gut?“ frug diese, sprang auf und fiel dem nichts-ahnenden Gatten um den Hals und küßte ihn stürmisch. Sie preßte ihren Leib im Fieber an den seinen und stammelte sinnlose Laute.
„Mutter se beißt mich! — Lorla, ‘s thut jå wieh!“ schrie Griebel um Hilfe.
„Aber Mädl!“ Die Marseln faßte sie hart an der Achsel und riß sie auf. „Wahrhaftig meiner Seele, ma sieht Zähne åm Backe. Då und då“, — und sie befühlte das Gesicht des Schwiegersohnes, der still dasaß und resigniert zu ihr aufsah, als wollte er sagen: na sieh’ch, a so macht se’s immer.
Über Leonore aber war nach diesem krankhaften Zärtlichkeitsausbruch der alte Schrecken schwerer gekommen, und sie stand teilnahmslos daneben, die Hände krampfend gefaltet, als halte sie sich an sich selber, den Blick zu Boden gerichtet.
„Na, kann das jemand, der keene Liebe eim Herze hat?“
Das sprach sie tonlos und sah starr von einem zum andern.
Darauf setzte sie sich fallend: „Mütterla . . . .“ wieder so weich; zitternd, wie ein Kind in Gespensterfurcht nach Hilfe ruft.
Allein die Mutter mißverstand sie.
„Ich gleeb’s ja, Lordl; aber nich zu heeß, nich zu kalt, hibsch verständig. — Sieh‘ch, du best ja ‘etze schon eis dritte Jåhr verheiråt‘t. Best de auch gesond?“
„Gesund? — Ja—a; welcher Mensch kann sagen, ich bin gesund.“
Der Knabe im Schlafzimmer war erwacht und schrie. Auf diesen Laut fuhr Leonore zusammen. Dann sah sie gespannt auf ihren Mann.
Der sprang, zugleich mit der Alten, eilig auf, und ihre Rufe erschollen gleichzeitig:
„Jesses, Gustla!“
„Nu ja, mei Jengla!“
„Ach Gott!“ niemand sah, wie Leonore in bitterer Enttäuschung ihre verschlungenen Hände gegen den Busen preßte.
Dann stand sie zäh auf und that ein paar schleppende Schritte nach dem Schlafzimmer hin, aus welchem die Mutter, mit dem Knaben auf dem Arme, und dahinter der glückstrahlende Tuchmacher kamen. — Nun mußte der kleine Kerl alle Kunststücke machen, die die Amme ihn gelernt hatte: die Mucken zeigen, wo das Herzl sei, der Himmelpapa, welche Größe er habe . . .
Griebel und die Mutter waren ganz ausgelassen, lachten überlaut, klatschten in die Hände und der Dicke hüpfte sogar einmal ungeschickt in die Höh, um Gustav zum Lachen zu bringen.
Aber alles war die überlaute, stechende Lustigkeit des geheimen Kummers.
Leonore verfolgte die Vorgänge mit einem gezwungenen Lächeln.
Mehrere Male riß sie den Knaben ihrem Manne hastig aus den Armen und reichte ihn der Marseln.
„Du bist wohl eifersichtig“, frug Griebel endlich spaßhaft.
„Esel!!“
Wie ein Fluch stürzte das über Leonores Lippen. „Aber Lordl, håt dich deine Mutter so was gelernt?“
„Ach du, warum red’t er so tumm!“
Endlich ertrug sie die Liebkosungen, welche ihr Kind erfuhr, nicht mehr.
Schrill rief sie nach der Amme und erklärte, als deren verdutztes Gesicht in der geöffneten Thür erschien, der Knabe müsse jetzt sein Essen haben; er sei es so gewohnt. Sie, seine Mutter, müsse das wissen. Dann könne man mit ihm ja machen, was man wolle.
Und als dann die drei, noch ebenso betreten wie zu Anfang, wieder ruhig am Tisch saßen, begann Leonore von neuem, als sie sah, wie ihr Mann sich zum Reden anschickte.
Er wollte offenbar etwas Heiteres erzählen, denn er raffte seine vollen Lippen froh-schlürfend zusammen.
Da fiel ihm Leonore hastig ins Wort.
„Wie war die Geschichte von dem Ritter, Mutter, die du mir erzählt hast, wie ich noch ein Kind war?“
„Welche denn?“ frug die Alte unsicher.
„Nu hör ‘och! War’s nich aso: Ein Ritter hatte ein Weib und ein Kind. Er hatte beide gerne und war arm. Es is lange her, und er diente dem Kaiser mit Leib und Seele. Da wurde ein großer Krieg und der Kaiser sagte zum Ritter: ,Komm und hilf mir. Du hast Weib und Kind und wenn du zu mir kommst und mitziehst in den Krieg, dann kannst du umkommen und Weib und Kind gehen zu grunde. Aber, willst du dennoch mit mir ziehn?’
Da kniete der Ritter nieder, küßte dem Kaiser die Hand und sagte bloß: ,Mein Kaiser!’ Darnach stand er auf, ließ Haus, Hof, Weib und Kind und zog mit in den Krieg.“
Sie hatte zaghaft erzählt, mit ausgehender Stimme, wie ein wahrhafter Mensch lügt. Darauf sah sie gespannt ihre Mutter an.
Diese dachte eine Weile nach.
„Ich besinne mich nie,“ erwiderte sie dann ablenkend.
„Nu, denk doch nach!“ drängte Leonore heftig.
„Warum denn, wås liegt dir heite å‘ dr Geschichte?“
„Jå, dås is doch egal wie dås wår,“ bestätigte Griebel.
„Aber, mach mir doch die Freude, Mutter. Ich will bloß mal sehen, ob ich mir die Sache behalten habe!“
„Ach, låß,“ wehrte die Mutter, denn sie witterte irgend eine unangenehme Folge.
Leonore bestand immer leidenschaftlicher auf ihre Bitte und endlich traten ihr die Thränen in die Augen.
„Na wart amål, wenn dir aso viel drå liegt . . . . richtig! — ja, ja, jetze hå ichs!“
„Siehst de Mutter!“ rief das arme Weib überglücklich.
„Na hör amal Joseph, da wirst dus sehn!“
„Jå, bis zur Hälfte wårs wie dus erzählt håst. Aber dann is andersch.“ Darauf gab sich die Alte eine feierliche Haltung und mit singender Geschraubtheit erzählte sie das Folgende: — „Da kam der große, reiche Kaiser zu dem armen Ritter und sagte: ,Die Rosse meiner Feinde trinken aus den Flüssen deines Vaterlandes, meines Reiches. Steh‘ auf und geh fort von dem Hause deines Vaters und von deinem Weibe, die du so liebest.
Opfre dich und dein zweijährig Söhnlein für die heilige Sache deines Kaisers.’
,Und warum noch meinen Sohn?’ frug erstaunt der Ritter.
,Weil ich dich schätze wie meine Rüstung, will ich dich wegen deiner kühnen Frage nicht verstoßen von mir. Eine weise Frau traf mich einst im Walde, wo ich mich bei der Jagd verirrt hatte und wies mich auf den rechten Weg. Als sie erfuhr, wer ich sei, sah sie in meine Hand und sagte: Grimme Tage werden einst in deinem Herzen mit dem blutigen Gebiß des Krieges fressen.
Die Kraft deines Heeres wird dann nicht ausreichen über deinen Feind. Dann begehre den saugenden Knaben eines Ritters, dessen Seele dir ergeben ist, wie der Atem des Frühlings deinem Munde. Töte sein Kind und lasse alle Ritter ihre Schwerter in sein unschuldig Blut tauchen.
So wird ein heißer Hunger über ihre Waffen kommen, daß sie die Feinde mähen, wie unter der Sense des Bauern das zitternde Gras fällt.
Weil du mir theurer bist als alle anderen, begehre ich dein kleines Söhnlein. Es ist die Sache des Himmels. Wenn du einwilligst, so bist du der erste nach mir in meinem Reiche.’
Da sagte der Ritter, indem er auf sein Weib sah, die schmerzgeschüttelt . . . . . . ..“
Die Erzählung wurde unterbrochen.
„Marsel Mutter, Sie selle bale hem komma! ‘s is Zeit zum Einteegen leßt der Werkfihrer sän.“ rief die polternde Stimme Annas zur Thür herein.
„Jesses jå, då vermährt ma‘ sich richtig, ‘s is schon achte, in der neunten Stunde. Gude Nacht! Bleibt hibsch friedlich beisammen, un du, Lordl, wer‘ nich mehr krank.“
Sie küßte ihre Tochter auf die Stirn und drohte ihr ernst mit dem Finger.
Regungslos, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, saß diese da. Die Liebkosungen ihrer Mutter riefen nur ein zerstreutes Lächeln auf ihrem Gesicht wach und sie achtete nicht darauf, daß ihr Mann die Scheidende bis auf den Flur begleitete, wo sie miteinander tuschelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Plötzlich sprang sie auf und riß nach Luft, indem sie den Arm in die Höh warf . . . . . . .
Der Schritt ihres Mannes, der immer lauter im Flur hörbar wurde, drückte sie wieder auf den Stuhl, und ein Widerwille verzerrte ihr Gesicht, wie er Ausgehungerte vor der Mahlzeit befällt. Mit glanzlosem Gesicht sehen sie hin: es ist ja schon zu spät . . . oh, wäre alles Augenblicke früher gekommen, da ihr Hunger noch die Kraft des Verlangens hatte; aber jetzt! —
Ihr Mann trat ein, eine Flasche Wein im Arm, zwei Gläser in der Hand, ein vorkostendes Schmunzeln die ganze Gestalt.
„Håst du nich Hunger, Lorla?“
Ohne ihn anzusehen, schüttelte sie schwer mit dem Haupte.
„Ich auch nich. — Komm, heute wer’n mr eene Dickwampige leer machen. — Is nich wie ein Festtag?“
Sie verharrte in stummer Abgeschiedenheit.
Er schenkte ein, und die Duftperlen des Weines ließen sich singend in den Gläsern nieder.
„Prost!“
Griebel stößt gegen das Glas, das er seiner Frau hingestellt hat.
„Trink! — Horch, wie’s klingt, helle, wie wenn eens lacht.“
Es mußte zur Versöhnung kommen; das stand bei ihm fest. „Reen’n Tisch mach ich voll’ds alleene,“ hatte er auf dem Flur nicht ohne einen Anflug von Prahlerei gesprochen.
„Nu, ‘s is kee Gift!“ nahm er darum wieder das Wort. „Sieh‘ch mich. Auf ee’n Zug. — Wupp, weg wårsch! — Verleicht stöß’st du mit ‘m zweeten ån. — Prost, Lorla! Sei kee Frosch! Wein erfreut des Menschen Herz. Is nich aso? —“
Abermals leerte er hastig sein Glas und schenkte sich wieder ein. Denn nun sollte es „vom Flecke gehn“. „Is nich aso?“ wiederholte er, nach einem Anknüpfungspunkte suchend. Er fand nichts und polterte blind drauf los:
„Jesses nee, ich bin ein . . .? — Wås is denn då? Braucht de Welt zu wissen, wås mr hå‘n? —
Bin ich nich ein guder Kerl, hä?
Herr Gott, doch a! Is ein Wort ein Ballen Tuch? —
Ich nehm å: ich bring eim Rathause wås zur Språche. Es påßt mr wås nich — ich beschwer mich — ich bin Stadtverordneter — ich kånns — ich hengs å de große Glocke . . . . . Gut! — Es sei de Wåsserleitung, aber‘s Trottear auf der kleen‘ Ringseite, de Pflåsterung, irgend wås . . . gut! — ich hå mein guden Grund un såg ålles håårkleen, zum Greifen genau såg ich ålles. — Nach, gehts durch, gut; gehts nich durch . . . . . . . ‘wurmt een‘ wohl, freilich. — aber mir deswegen ei den Keller betten? Nä! —
Is nich ålls aso auf der Welt, wås de de Menschen wollen?“
Mit großer Entschiedenheit und Ueberzeugungskraft redete er das, in Absätzen, die sich wichtig aus langen Pausen arbeiteten.
Aber auf Leonore machte das alles nicht den geringsten Eindruck. Sie hatte den Kopf auf die linke Hand gestützt und starrte zur Decke empor.
Griebel schenkte sich zum drittenmal ein und trank aus.
„Wås håts dort droben, Lorla? Ach, ein Spinnwebennest! — Ihr Weiber hå‘t doch bloß auf ‘m Putzen und Schaben de Gedanken åll sei Leb’s Tage.“
Er mußte sie zum Reden bringen. Das übrige würde sich schon finden. Er würde dann mit seinem „hellen Koppe“ schon alles bearbeiten, daß eine Lust sein sollte.
„Hmmm!“
Endlich stieß Leonore einen erwägenden Laut aus.
Dann wandte sie sich ganz mit steifem Oberkörper leise zu ihm:
„Willst du die Geschichte nicht weiter hören, die die Mutter erzählt hat?“
„Natürlich die Geschichte, freilich. Sieh‘ch, dås meen ich ja ebenste!“
Diese Worte brachten ein schneidendes, selbstquälerisches Lächeln auf ihr Gesicht. Resigniert kehrte sie sich ab, indem sie antwortete:
„. . . . Du? . . . du! . . .“
Aber sie redete das nicht in inbrünstigem Drohen wie früher. Welk, kalt, als stoße sie Erztropfen aus, die, nun Asche, einst glühend ihre Zunge versengten.
Nach langem Schauen ins Wesenlose setzte es doch gegen ihren Willen ein, wie man fröstelnd den Traum seines verlorenen Lebens erzählen mag — — — — — „. . . . der Ritter trank sein Weib mit den Augen. . . . Dann kniete er vor dem Kaiser nieder: ,Nimm mein Schwert, meine Ehre — deine Gunst — mein Söhnlein, alles, — alles!! — nur . . . laß mir . . . mein . . . Weib —’“
Ein langer, geheimnisvoller Laut, als stöhne ihre Seele ohne Inanspruchnahme leiblicher Organe, schloß sich an diese Worte.
Jetzt war der Moment der Entscheidung da, nach dem sie mit der zitternden Wirrheit ihrer friedlosen Ehe gerungen hatte.
Halb im Sturz, halb im Aufsprung hing sie an der Kante des Stuhles.
Griebel dachte, die Geschichte sei noch lange nicht aus und wartete bequem auf den Schluß. Da er ausblieb, wollte er zur Befestigung des erreichten Vorteiles selbst eine Geschichte erzählen:
„Hör ‘och: Mei‘ Våter ging amål . . .“
„Jetze is alle! Jetzt muß ich fort . . . verleicht . . . zu ihm . . . wer weiß . . . jetz muß ich . . . jetz . . . jetz . . .“
Ein tödlicher Streich hatte ihr die Besinnung geraubt. Entsetzt war sie emporgeschnellt. Nun, irr umhergreifend, raste sie durch die Stube.
Griebel begriff nicht, wie sie zu der „Tommheit“ komme:
„Låß doch dås Gegrassel, setz dich her, ich drzehl dr.“
Auf diese Worte kam eine Starrheit über sie. An der Portière zur Schlafstubenthür drehte sie sich um und sah Griebel mit wundem Staunen von der Seite an. — Der saß in Verlegenheit da, brodelte in verhaltenem Atem seine guten Lehren und nippte am Weine. — Nach kurzem Kampf mit sich näherte sich Leonore langsam dem Tisch.
Als sie nun so schwer erschien, fuhr Griebel zurück vor ihrem leichenblassen Gesichte mit den großen, verzweifelten Augen.
„Griebel, Joseph, ich geh, denn ich sterbe sonst“, sagte sie erschöpft.
In seiner Ratlosigkeit klammerte er sich ausschließlich an ihre Worte, wie, um sich taub zu machen gegen allerhand Befürchtungen, die ihn belästigten gleich einem Mückenschwarm.
„Du sterben; aso gesund un stark.“
„Eben deswegen. Gesunde sterben; Kranke machen bloß die Augen zu.“
„Ich geh!“ versicherte sie nach einer Weile, eine zitternde Erregung zur Ruhe bringend, da Griebel schweigend dasaß.
„Und ‘s Kind, Gustla?“ erholte er sich.
„Is nich meine.“
„Wems wärsch denn då?“
„Deine, bloß deine, ganz alleene.“
Ein Lächeln, an dem sie sich wollüstig selbst vergiftete, goß sie mit kalter Lippe leise in ihr Herz.
„Wahrhaftig meiner armen Seele!“ inbrünstig setzte sie ihre Rechte ans Herz. „Denn du bist mir nich gut. Ich hab dich nie, nie gehabt, nie! Deswegen . . . und deswegen bin ich wirklich ein Mensch, weil ich Gustels Mutter bin . . . eine Hure . . . deswegen kann ich auch gehn. Denn von einem Mensche is nichts schlecht.“
„Ich bin dir nich gut, Lorla, ich nie?“
Hastig streckte er seine fleischige Hand aus und sein gutes Gesicht zitterte in Schrecken.
„Warum, oder wodurch willst du das beweisen?“
„Bist du nich mei‘ Weib? — Für dich arb‘t ich. Håst de amål gehungert, nie ålls gehå‘t, wås de willst: Kleeder —, multum viel genung; Stuben, hoch un voll Sache; a Haus wie ne Kirche? Na? — Extr ich? — päck ich? — sauf ich? — bin ich sonst ein Lumps?“
Jeden dieser Ausrufe verschluckte er wie einen stärkenden Bissen.
Dann sprang er auf, leerte hastig das Glas, stieß es hart nieder und sah sie nun überlegen an. „. . . alls wahr. Eher z u sehr, z u sehr . . .“
Nach diesen Worten sah Leonore starr auf den Tisch. Ihre Besinnung begann sich schon wieder in eine schmerzwogende Ohnmacht zu verlieren, sie begann umzusinken.
„Nein!“
Mit hartem Selbsthohn peitschte sie sich auf.
„Was steh ich denn da? Jetze hab ichs ja!“
Wieder brach sie starr ab in einer glühend begonnenen Gebärde der Flucht: „Meine Mutter!! — Aber was nutzt’s? — ich sterb‘ eben, und wem helf ich damit? Mir nich, dir nich, niemanden! — Un warsch da notwendig, daß ich aso unglücklich war, in der Angst, in Freede, in Glück, in . . . Jesus Maria, verzeih mr meine Sünde!“
All das Furchtbare, was in einsamer Folter sie zur Verzweiflung gebracht, stürzte sich auf einmal über sie.
Mit wankenden Knien ging sie auf den Punkt ihrer Rettung los, mit loderndem Atem, wirrem Herzschlag und zerrissenen Gedanken.
„Entzwei! — Weg! — Hier der Trauring . . . die Jacke is auch von dir . . . der Rock auch . . . die Taille und alles . . . alles . . . alles . . . hier, Joseph Griebel, nimm, ich kann, ich bin . . .“
Schauernd entkleidete sie sich aller Sachen, die von ihm gekauft waren. Mit ihren Kleidern legte sie allen süßen Wahn ab, allen Glauben an die Gebote der Menschen. Die zitternden Wogen ihres feinen Busens quollen durch den Spalt des Hemdes, wie schimmernde Wellen beben, die das erste kalte Licht eines neuen Tages trifft.
„Nun liegt deine Liebe da auf’m Tische — ein armseliges Bündel . . . Bloß das is meine.“
Sie löste ihr reiches Haar, daß es über ihre Schultern niederglitt wie goldenes Sonnenlicht. Mit weichen Fingern koste sie es. Aber nun wußte sie nicht mehr, was sie wollte; mit einem verlorenen Lächeln stand sie da.
Griebels Bestürzung über diese erschütternde Wendung mündete in heißes Mitleid, als er dieses zarte, schöne Wesen unter ihrem Elend beben sah. Der Wein auch erweiterte die Pupille seiner Empfindung.
Ein jäh auflodernder, toller Strom riß ihn hin. Er umpfing sie mit starkem, entschiedenem Griff; —ihren halb entblößten Leib mit Küssen bedeckend, stammelte er mit den ungefügen Lippen der Lust: „Lordl, liebes, allerliebstes Lordl! — Sei nich dumm, ich bin dir gut, wie ich dir gut bin! — Bleib bei mir!“
Im Hingleiten in eine andere Welt riß er sie sich noch einmal zurück. Wohl rang sie wild gegen ihn, schon im Banne einer neuen Sittlichkeit stehend; aber rücksichtslos schlang er ihre Arme mit mächtigem Umfangen an ihren Leib.
So, das krankhaft Schweifende zurückgeworfen in ihr hungernd Herz, ward ein loderndes Feuer darin entzündet. Die Unbändigkeit seiner Leidenschaft gab ihr den opfernden Strahl des Erliegens.
Gemach wurde ihre Härte Kosen, ihre Lästerung leiser Jubel:
„Mein Liebster!“
In weicher Sorgfalt bettete er sie auf sein Lager . . . — — — — — — — — — Das stumme Verlangen ihrer vollen Reife wurde erfüllt, der Unfrieden ihrer geistigen Sehnsucht tauchte unter in dem zeugenden Gleichtakt des Blutes. — Denn alle Geistigkeit des Weibes ist leiblich, und ihr Körper ist die restlose Fülle ihrer Seele . . . . . das Prickeln ihres erregten Mutes mündete als kindliche Süße in ihrem Bewußtsein.
Lange lagen sie dann in regungsloser Umarmung unter der sicheren Gewalt eines wegziehenden Sturmes. Sie tranken lange Küsse, weich und behutsam, als pflückten sie kostbare Blumen von schwankenden Stengeln. Mit weiten, glänzenden Augen genoß Leonore jenen verhüllten Bilderrausch, den solch leisere Glückswellen spielend mit sich bringen.
Die Tischlampe brannte noch im Wohnzimmer nebenan. Die rote Portiere hemmte den Eintritt des Lichtes soweit, daß nur ein feines Gewebe erschlaffter Strahlenfäden kraftlos in dem Dunkel der Schlafstube hing. Nur ein spitz verlaufender Lichtstreifen zog sich schräg an der Wand über den Kopfenden ihrer Betten hin, die rechts neben der Thür standen. Im Vergleich zu der weich verschwindenden Dämmerung des übrigen Raumes war dies klare Licht unbarmherzig, kalt.
Leonore konnte es nicht ohne Unbehagen betrachten. Sie hatte es schon einigemal versucht, sich aber immer wieder hastig umgedreht, und leidenschaftlich gefragt: „Ganz, ganz?“
„Jå, ganz“, hatte Griebel geduldig geantwortet, bis seine Stimme eine Nüance der Ungeduld annahm. Allein sie gab sich nicht zufrieden; denn wenn sie, halb zurückgewandt, das schimmernde Spiel der harten Lichtwellen wieder wahrnahm, fühlte sie sich genötigt, die Bestätigung der Liebe aufs neue von ihrem Manne zu verlangen, als glimme ein Zweifel von dort herüber.
„Aber jetze seh ich grade drauf“, sagte sie entschieden und wandte sich dem Lichtstreifen zu.
„Auf wås ‘n?“ frug Griebel nach einer Weile zerstreut.
„Nu, aufs Licht. — Das ist eigentlich komsch, wenn man sich’s überlegt,“ begann sie nach einer Weile verträumt.
„Wås ‘n?“
„Das Licht da.“
„Ach! — de Lampe brennt ebenste noch auf ‘m Tische. Då kemmt halt der Schein zwischen ‘m Vorhang ei de Stube rei. Dås is doch nie komsch!“
„. . . o ja —“ mit halb geschlossenen Augen lag sie da, und leise zuckte es in ihren Gliedern, wie bei Kindern, die auf ein Märchen hören . . . „wahrhaftig, als wenn das da draußen ein anderes Reich wäre und hier auch . . . Da hat mir de Mutter eine Geschichte von der Nixe erzählt — — die beißende, harte Sonne des Tages — wo die Augen uns wehe thun, die Zunge dürr wird vor Durst, wo die Menschen müde und alt werden im Staube, wo es entweder kalt is zum Erfrieren oder heiß zum Umkommen . . . .
Da faßte den Jüngling ein Schmerz, als ob seine Seele heimgewollt hätte.
Und er ging an das stille Wasser in das grüne Dunkel. Die weißen Seerosen schwammen stumm auf dem Teiche, ihre glänzenden Blätter lagen unhörbar schlafend um sie herum. In der Luft über ihnen hing ein regungsloser Zauber.
Der Jüngling sah lange darauf mit seinen lichtmüden Augen, und sein Herz schloß den Zauber auf, da es rein war.
Die Seerosen wurden zu süßen, weißen, lächelnden Gesichtern, die Blätter wuchsen zu grünen Gewändern und die blaßrötlichen Stiele hoben sich als schlanke Glieder aus dem weichen, stillen Wasser. Der Zauber ward lebendig in den Lüften und ein singender Wind zog geheimnisvolle Kreise über die glatte Fläche auf der die Wasserjungfrauen tanzten, daß ihre goldgrünen Haare wehten.
Dazu sangen sie:
Die Lüfte lispeln mit leisem Mund,
Da steigen wir aus dem tiefen Grund.
Wir tragen den Glanz von Karfunkelstein,
Schlingen wir singend den Ringelreihn.
Uns machte das Licht noch den Leib nicht matt,
Das Haar nicht spröde, die Seele satt;
Uns hüpft im Herzen stets aus und ein
Rotglühendes Blut wie Karfunkelgestein.
Die Wasser sind blau, die Treue ist groß:
O komm, staubkranker Sonnengenoß;
Wir tragen dich sanft und sicher hinein
Ins Nixenschloss aus Karfunkelgestein.
Da sollst du sein unser Buhle süß
Unter warmem Wasser im Paradies,
Wo kein Schatten wächst im roten Schein,
Nicht Erdenzeit und nicht Erdenpein.
Und der Jüngling sank aus dem Lichte unter das Wasser . . . schläfst de denn schon, Joseph?“
„Nä —“
„Gelt ja, ich bin recht dumm. Aber das Geschichtl fiel mr grade ein. Na, un warum könnte es nie sein? Siehste, ich bin die Nixe un du der Jüngling. Der Lichtstreifen da an der Diele hin über die Wand is de Brücke auf de Erde nauf . . .“
Damit sprang sie flink aus dem Bett, lief in das Wohnzimmer und löschte die Lampe aus.
Dann kniete sie neben ihn:
„Jetze kannst du nich mehr fort von mir, denn de Brücke is eingestürzt. Jetze bist du immer meine. Schlaf, schlaf, du bist müde vom Lichte. Ich deck‘ dich mit meinen Haaren zu.“
Weich ließ sie die Flut ihres reichen Haares über seinen Leib sinken, beugte sich nieder und küßte sein Gesicht mit zierlichem Munde.
„Ach — thu deine Haare weg! Das kitzelt ja wie tausend Flöhe.“
„Ja, ja. Hast recht, ich laß dich nich schlafen. Sei ‘och gut, ‘s war ja bloß Spaß. Ich bin noch ‘s reine Kind, gelt ja. — Gude Nacht! — Lieber, du! — Küss’ mich! —sehr, sehr!“
„Ver . . . jetze låß mich. ‘s muß doch ålls seine Årt hå’n, auch’s Verricktgethue.“
— — — —
„Du! — Bist du mir wirklich gut?“
„Ach nu freilich. Jetze låß åber amål dås Fragen sein!“.“
Gehorsam legte sie sich.
Aber ihre Unruhe trieb sie aufs neue zu ihrem Manne hin:
„Nimm mich um den Hals!“
Als Antwort rückte Griebel hastig, ohne ein Wort, — aus ihren verlangenden Armen gegen die Wand hin und bettete sich umständlich mit wohlig schnurrenden Lauten zur Ruh wie ein plumpes Tier. Ein scharfer beizender Geruch ging dabei von seinem Leibe aus.
Das alles drang auf Leonore ein wie ein Schnitt, daß eine unsägliche Mattigkeit über sie kam. Dabei hatte sie die Gewißheit, schreien zu müssen, wenn sie sich rühre. Ganz, ganz regungslos lag sie. Ihr Atem ging schnell und heiß. Dieser furchtsame Laut, mit dem er kam, peinigte sie. Einigemal schlang sie ihn wohl hinunter; aber inbrünstig, mit zitternder Brust rang sie dann wieder nach ihm. Wirbel und Angst kamen über sie; ihr Herz pochte; erschreckt sprang sie auf die Knie.
Nun schien sie dem Bann dieses Gedankens entwichen zu sein. Mutvoll schüttelte sie das Haupt und sah nach dem Manne hin, der neben ihr lag. Sie wußte, daß sie ihn nicht sehen konnte; sie wollte nur schärfer hören.
„Nein, er kann mich nicht betrügen, nein —nein . . .“
Das sagte sie fröstelnd, wie einer in eisiger Nacht ein dünnes Gewand um seine Schultern hüllt und, schauernd bis ins Mark, sich belügt: „Nein, es ist nicht kalt.“
Die fetten Schnarchlaute Griebels setzten ein, ein Zeichen, daß er fest eingeschlafen sei. Sie mußte sich sein großes, glänzendes Gesicht vorstellen, wie die Lippen des halboffenen Mundes schleppend eingesogen und sprudelnd ausgestoßen wurden, wobei der blonde Schnurrbart sich jedesmal bürstenartig aufrichtete.
„Er schläft wie nach einer Arbeit.“ In Schrecken überfiel sie dieser Gedanke.
Wo ist die Süßigkeit hin, sein Kosen, seine weiche Liebe. Das Haus redete verwundete, lange Töne. Schroff brachen sie manchmal ab, und dann zuckten ihre Gedanken aus einem Wiegen, das über sie gekommen war, verstört auf.
„Der Wind wird kommen . . .“ stotterte sie in sich hinein und horchte in Selbstflucht um sich.
Dann war es ganz still, und sie besänftigte ihren lauten Atem, indem sie sich die Faust gegen ihr Herz drückte, daß sie zur Hälfte sich in den Busen grub. Denn das Wogen dieser Luft in ihrer zitternden Brust drückte sie nieder wie eine rücksichtslose Bestätigung ihrer Hilfsbedürftigkeit, als schwanke sie ächzend wie ein entwurzeltes Bäumchen.
Da glitt ein verschwebendes Streichen durch den finstern Raum, als rühre der Flügel einer schlaftrunkenen Fliege an einen Gegenstand; vielleicht waren es die Schneeflocken, die an den Scheiben niedersanken.
„Eine geheimnisvolle Nacht, diese Nacht.“
Sie sagte „diese Nacht“, um es sich zu beweisen, wie wichtig es sei, auf alles zu lauschen.
In Wirklichkeit floh sie nur vor der Gewißheit, die sich qualvoll in ihr bildete.
Der Nachtwächter pfiff die zehnte Stunde. Die Töne reihten sich erschlafft in Zwischenräumen aneinander. Darauf hörte man taktmäßig fortwandernde Schritte.
‚Wie eine große Uhr klingen die gleichen Tritte.‘
Mit der gleichen flüchtenden Aufmerksamkeit sann sie das.
Plötzlich fiel es ihr auf, daß man die Pendelschläge der Uhr im Flur nicht höre. —
Nein . . . . .
Mutter hatte oft erzählt, vor dem Tode ihres Vaters sei die Wanduhr stehen geblieben.
Wahrhaftig, die Uhr draußen ging nicht mehr. Was für ein Unglück bedeutete das?
Der Dunst des Weines, der ihr in demselben Augenblick auffiel, nahm ihr jeden Zweifel.
„Es war nur der Rausch, und alles ist nicht wahr . . .“
Er hatte sie betrogen, und wie hatte sie sich ihm hingegeben! Nun lag er da und morgen würde er sie verlachen und ihre heiligste Verzweiflung zerrann wieder im Rinnstein des Alltags wie so vieles andere.
In sinnloser Bestürzung fiel sie über ihn und rüttelte seine Schultern.
„Joseph! — Joseph!“
So konnte sie nicht leben. — „Joseph!“
„Was håt‘s ‘n?“
Schwerfällig hob er sich halb in die Höhe und gähnte lang.
„Geh und wasch dir die Augen mit kaltem Wasser!“
Das stieß sie in höchster Erregung hervor.
Der Ausdruck ihrer Stimme war so erschütternd, daß der Tuchmacher wirklich vollständig wach wurde und besorgt frug: „Ha, liebes Lorla, ha, wås is dr denn eigentlich? Håste schlecht getraumt?“
Zitternd griff sie nach seinen Händen; ließ sie aber fahren und schmiegte sich an seine Brust.
„Nimm mich in deine Arme, fest — fester! — Küss‘ mich!“ Unter seinen Liebkosungen ward ihr Atem gleichmäßiger, ihr Herz ruhiger. Sie schloß die Augen und gab sich abgehetzt einer süßen, weichen Geborgenheit hin.
Griebel aber schläferte schon wieder. Da sich Leonore nicht rührte, ließ er behutsam seinen Arm sinken, um ihren regungslosen Leib, den er schon im Bann des Schlafes glaubte, leise hinzubetten.
Da fuhr sie schneidend auf und frug in heißer Hast: „Du, lügst du auch? — Hast du mich schon belogen in deinem Leben?“
‚Wås dås nu wieder soll‘, dachte Griebel und sagte laut: „Nein! — Håt åber dås nie bis morgen Zeit?“
„Du, auf dein Gewissen frag ich dich!“
„Nein“, wiederholte er, unsicher werdend, wegen des Ernstes, der aus dem Ton ihrer Stimme klang.
„Willst d mir jetzt de Wahrheit sagen? – Aus dein’m Herze, rein und gar?“
„Jå, då mach ‘och!“
„Bist de mir gut?“
„Jå.“
„Ganz?“
„Jå.“
„Heilig wie der Mondschein is?“
„Jå.“
„Wie silbernes, süßes, reines Wasser?“
„Jå.“
„Wie Glocken klingen . . . wie die blaue Himmelwelt über den Bergen . . . wie tiefes Rot in den Abendwolken . . . Jahre . . . eine Ewigkeit? . . .“
Sie hatte auf Antworten nicht mehr gehört. Die Glut ihrer Lebenssehnsucht, die Inbrunst ihrer Lebensliebe umfaßte sie, breitete eine Verzückung über ihre Seele. Ihre Worte, die, wie Verse eines Liedes, visionär von ihren Lippen flossen, weit ausklingend wie wehendes Geläut, brachten einen unendlich tiefen Rausch der Gewißheit über sie. In regungsloser Wonne hörte sie dann dem Verklingen ihrer Stimme nach und merkte nicht, daß Griebel sich schon wieder gelegt hatte. Der verhielt den Atem, dachte belustigt: ‚Nach, ich will bloß sehn, wie lange sie noch papert!‘ und blieb still, während Leonore immer noch wie versteinert neben ihm kniete. —
Endlich konnte er den Atem nicht mehr halten und mit krachendem Gelächter ließ er ihn aus: „Haha! — Schockschwerebrett! — Wie ein Sengmädl, lang und huch — huuuch !“ äffte er ihr nach, „hehehe!“
Leer, plump lachte er sie aus. — — —
Ein feiner, unendlich weher Ton ward klagend laut und verlor sich ersterbend — — — als reiße eine goldene Saite entzwei, und starre Luft trank ihren Tod.
Zugleich fühlte er den Unterschenkel Leonores, der an seiner Brust lag, immer stärker zittern.
Es wurde ein Schlottern.
Erschreckt langte er hinauf.
Sein Weib war zusammengebrochen und hatte ihren Kopf in das Kissen gewühlt. Sie murmelte irgend etwas und griff wie eine Versinkende immer von neuem in Zuckungen in die Betten.
‚Ich hå doch bloß een’ Spaß gemacht,‘ dachte Griebel und fühlte dumpf eine große Schuld. Darum wagte er nicht zu sprechen.
Jetzt richtete sich Leonore auf, und er fühlte ihre Hand schwer auf seine Brust fallen. Sie war zur Faust geballt, kalt und hart wie ein Stein. Ganz fein zuckte es in ihr. Lange lag sie starr. Dann begann sie mehr und mehr zu drücken. Als darauf ihr Gelenk überknackte, ließ eine Weile der Druck nach. Plötzlich setzte sich die andere Hand daneben, auch zur Faust geballt, kalt und hart wie Stein.
Nun trieben sich die Fäuste in das Fett seiner Brust, als seien ihre Knöchel schonungslose Zähne.
Schon fühlte Griebel einen brennenden Schmerz auf der Stelle. Eine blinde Furcht gebot ihm, sich nicht zu rühren, um ihren Zorn nicht zu reizen.
Endlich hielt er es nicht mehr aus.
Leise begann er unter dem Druck der starren Fäuste fortzugleiten.
Sobald aber die erste Bewegung in seinen Leib kam, brach ihre Wut los.
Sie stürzte sich auf ihn, würgte ihn, schlug sein Gesicht mit Fäusten und riß ihn an den Haaren. Dabei schrie sie unförmlich:
„Hund! . . . Hund!! — ha! . . . reiß mir den Leib. auf! — du mußt, du mußt! Ich hab meine Schande geschluckt — — du hast mich zum zweiten Male zum Mensche gemacht!“
Aus dem Röcheln unheilbarer Wunden stiegen diese Schreie.
Noch wehrte sich Griebel nur schwach, obwohl er es schon heiß über sein Gesicht laufen fühlte, denn er meinte, daß er das verdient habe.
Plötzlich überfiel Leonore die Angst des zu Tode getroffenen Wildes, sie fühlte sich rettungslos verloren. Knirschend stürzte sie sich wieder auf ihn und grub ihre Finger klammernd um seine Kehle:
„So stirb du auch!“
Griebel war am Ersticken. Das letzte buntfarbige Rad vor seinen Augen tanzte in Nacht, und Musik hob in seinen Ohren an. Die Wollust des Todes bildete sich in seinem Unterleibe . . .
Da schleuderte er sie mit einem furchtbaren Stoße von sich, daß sie aus dem Bette flog und dumpf aufschlug.
Polternd fiel ein Stuhl um.
Dann trat Grabesstille ein.
Die Schatten der Nacht rührten sich nicht.
Nach einer Weile knackte die Thür des Wohnzimmers.
Ein vorsichtiges Schlürfen glitt im Flur hin.
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