Читать книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr - Страница 41

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Inhaltsverzeichnis

Am grauen Morgen erwachte Exner wie wachgerüttelt. Das erste Licht sank über die aufgelösten Blondhaare seines Weibes, deren Kopf auf dem untergeschobenen entblößten Arm ruhte. Ihr Gesicht war gegen die Stube gekehrt, in tiefem Schlaf und schimmerte in der schlaffen Schönheit einer befruchteten Blume.

Der Klumpen lächelte geringschätzig über ihre Müdigkeit, kleidete sich hastig an und verschwand ziemlich geräuschvoll aus der Schlafkammer. Jeder Mann steht gestärkt vom Mahle der Liebe auf und greift herzhafter in die Speichen der Pflicht.

Für den Lahmen war es ein Peitschenhieb gewesen, und ungeduldig, wie ein Roß nach der Rennbahn drängt, ging er an sein Werk, noch ehe der erste Hahnenschrei verklungen war.

Dunstig wie ein Federbett lag der Himmel über der Erde. Taulos standen Gras und Busch in der stillen, stockigen Wärme. Der Kuckuck rief undeutlich, wie durch die hohle Hand jemand aus der Weite redet.

Mißmutig begab sich Einer auf einen Rundgang um die Felder. Da und dort bog er die Saat auseinander und sah, ob sie sich bestocke. Dann schüttelte er jedesmal den Kopf und schaute über die Breiten hin, auf und ab, aber er ward nicht froher. Jeder Halm, sein und durchsichtig, trug regungslos das kleine Büschel krankhaft grüner Blattchen. Die Felder lagen da wie vergilbende Gewänder.

Exner stieß im Weiterwandern immer wieder den Fuß durch das kurze Gras und murmelte: »Wieder keen Tau, wieder nich een Troppen«, und hob den Kopf lange nicht.

Als vom Erlengrund herüber die Sägemühle zu heulen begann, trat er wieder ins Haus. In der Stube stand Marie vor dem kleinen Spiegel und steckte sich die schweren Flechten auf. Als Exner unwirsch die Tür öffnete, war sie gerade fertig, ließ die Arme sinken, ging ihm froh entgegen, ergriff seine herabhängende Hand und sagte, sie pressend: »Na guten Morgen, du Ausreißer!«

Seinen starren Blick mißverstehend, errötete sie tief, wandte sich jäh ab, dem Ofen zu und sprach im Hingehen mit liebem Schmollen: »Da ruft ma und ruft, derwelle stiefelt er wer weiß wo rum.«

Er drehte den Kopf nach ihr und entgegnete unfreundlich: »Ja, rum. Wärste lieber mit ufgestanden, da wärste nich aso gepatzig tun. Dir würde 's Lachen vergehen, wenn du den Hafer sähst!«

»Na, Karla, a so schlimm is doch nich!« antwortete sie begütigend.

»Da hast du dein Freirichter! Das is ein Filz, das Haferla!« Er hatte sich auf die Bank gesetzt. Nach einem rauhen Lachen sah er halb zum Fenster hinaus, gewahrte die Blutbretter des Brunnens, gedachte der friedlichen Stille, in der er sein Weib und Freiwald getroffen, und der Wetterprophezeiung des letzteren. Und als habe durch zu große Freundlichkeit gegen den Greis Marie eine Schuld an dem trockenen Wetter, sprach er bitter: »Immer kriech du 'n hinten rein, dem Freirichter und dem Freiwald. Du wirst ja sehen, wohin das führt.«

Dann stand er auf und ging einigemal durch die Stube. Marie versuchte durch ruhigen Zuspruch und durch Scherz seine Grillen zu vertreiben, es gelang ihr nicht. Er ging immer hin und wider und sah sie von der Seite an. Zum Schluß sagte er: »Red, was du willst. Eemal hab' ich dir gefolgt und nich mehr, merk dir's!« Damit verließ er wieder die Stube.

Sein Weib sah noch auf die Tür, als sie sich lange hinter ihm geschlossen hatte und das Handtuch daran ganz ruhig hing. Endlich wich der tiefe Ernst auf ihrem Gesicht einem sonnigen Lächeln.

»So ein Mann is doch, meiner Seele, zu komisch«, sagte sie kopfschüttelnd und hantierte am Ofen hurtig weiter.

Denn sie glaubte, er sei in den Angeln ihrer süßen Gewalt. Allein, auch als der Lahme mit den Kühen den Pflug zum Acker schleifte, waren seine Züge noch verdrossen, seine Augen eingekniffen. Ungeduldig spähte er nach dem Schuster aus, und als die Zugtiere in etwas lebhaftere Gangart verfielen, hieb er sie mit dem Peitschenstiel über die Nasen.

Endlich kam der Erwartete. Das Leiden und der Kummer lagen wohl noch deutlich auf dem Gesichte, aber an seinem Barte nahm man wahr, daß die Verzweiflung nicht mehr so mächtig in ihm wirkte. Er hing nicht mehr so wirr wie gestern über die Lippe, sondern war sorgfältig in der Mitte geteilt und aufgedreht.

Mit halblautem Gruß trat Klose heran und sprach auch danach noch undeutlich wie mit geschlossenen Zähnen.

Der Klumpen verbarg seinen Arger durchaus nicht, wenn er auch keine Erklärung dafür gab. Der Schuster nahm gar keine Notiz davon. Schweigend begannen beide die Tätigkeit.

Die unfreundliche Stimmung wich stundenlang nicht. Mit Ausnahme kurzer Fragen, ebensolcher Anweisungen und abgerissener Ausrufe wurde nicht gesprochen.

War der Pflug in die Steine festgefahren, so hob man ihn vorsichtig heraus, schlug mit der Spitzhaue die Felsstücke los und drückte sie mit hölzernen Hebebäumen zur Seite.

Der schwächliche Schuster, dem diese Arbeit ungewohnt war, zog nach kurzer Zeit seine Jacke aus und trocknete sich den Schweiß. Gegen die Mitte des Vormittags war er so kraftlos geworden, daß seine Spitzhaue schon unsicher niederging und oft umkippte.

Exner aber wurde immer aufgeräumter. Da er sah, welche Gewalt er über die Steine hatte, war er nicht mehr so mutlos über die trüben Ernteaussichten, die böse Hitze, über den Freirichter, über Freiwild und die geheime Sympathie seines Weibes mit beiden. Sie sollten nur kommen! Je größer die Felsbrocken waren, gegen die er loshieb, desto lustiger war er: »Ja'ch, a Spitzhäckla is halt kee Pechdraht!« rief er seinem Freunde einmal zu, der sich vergeblich bemühte, einen Stein loszuschlagen.

Sonst wäre Klose eilig mit einer treffenden Antwort bei der Hand gewesen, jetzt aber verzog er nur das Gesicht zu einem müden Lächeln und schwieg. Oft hielt er auch mitten im Gang inne und sah ratlos hinaus. Auf den Zuruf Exners fuhr er erschrocken aus seiner Betäubung und schlug mit der Haue irgendwohin.

So ging die Arbeit nur langsam vor sich, und der Klumpen sagte mürrisch: »Du mußt a wen'g besser zupacken, Guste, aso geht's ja gar nich vom Flecke!«

»Nu ja, ja!« entgegnete dieser und fuhr sich verlegen durch die Haare. »Kurasche, Kurasche!« murmelte er sich dann ermutigend zu, und sein Gesicht nahm einen unendlich schmerzvollen Ausdruck an.

Nach dem Feierabend des zweiten Arbeitstages bat er den Lahmen um vierzig Pfennig Vorschuß.

Am andern Morgen erschien er singend auf der Arbeitsstelle. Von weitem riß er die Mütze vom Kopfe und schrie: »Nu kann's losjehn, nu woll mr aber tüchte buddeln!«

Von nun an schritt die Arbeit wirklich schnell vorwärts. Der Schuster griff nicht nur wacker, nein, leidenschaftlich zu, sondern zeigte sich unerschöpflich in derben Witzen und schnackischen Redewendungen. Der Klumpen wurde von seiner Heiterkeit angesteckt und war sogar so ausgelassen, zu dem Liede, das der Schuster zum besten gab, mit seinem unförmlichen Baß irgendwelche Töne als Begleitung zu singen. Versiegte des Armen Humor und begann die krankhafte Glut aus seinem bleichen, knochigen Gesichte zu weichen, so verschwand er hinter einer Dornhecke, und nach einer Weile war er wieder übermütig geworden.

»Nach«, sprach er am Abend zum Klumpen, als er vor dem Fortgehen einen Augenblick im Hausstur mit ihm geplaudert hatte, »hatte ich heute kee Kurasche?«

»Nee, heute warste wie vom Bändel los!«

»Da mußte halt wieder vierzig reißen!«

Mit Lachen gab ihm der Lahme das Geld, und bald war der Schuster pfeifend unterwegs.

Es ward nun zur Regel, daß er sich jeden Tag denselben Betrag auf einen »Knorpel«, wie er den Schnaps spaßhaft nannte, herauszahlen ließ. Beide machten sich jedesmal darüber lustig; vor Marie versteckte der Schuster die Schnapsflasche. Einst aber beim Mittagessen, als Klose eine Schnurre zum besten gab und zur Illustrierung aufstand und sich über den Tisch neigte, kam er Marie so nahe, daß sie seinen Atem roch.

»Guste«, unterbrach sie ihn ernst, »du hast wohl Schnaps getrunken?«

»Ach nee, Mariela, 's riecht nach Pfefferminzkichla, weeßte, ich hab's ei a Zähnen.«

Die beiden Männer wechselten einen Blick und lachten unbändig. Marie beruhigte sich scheinbar bei der Antwort, behielt aber den Schuster im Auge.

Am Nachmittag sah sie ihn taumelnd über das Höfchen geh«. Sofort eilte sie hinaus und stellte ihn: »Guste, du bist besoffen!«

»Nee, bloß angeheitert. Nach, und sauft nich a jeder Vogel?« fragte er mit der täppischen Betulichkeit der Trunkenen.

»Warum läßt dir denn bloß de Flasche gar kee Ruh'?« Das junge Weib war näher getreten und sah mit Mitleiden über seine Verwahrlosung hin.

»Steck die Frage schnell wieder ein, das is ein gar böser Pfennig, den de da ausgibst.« Klose kehrte sich mit einem Lachen ab und wollte davongehen.

»Nee, du bleibst!« beharrte Marie, »he! – Mit der Paule wird's doch nie anders, wenn de auch nie nüchtern wirst!«

Der Schuster kehrte die paar Schritte, die er währenddessen nach dem Schuppen zu getan hatte, zurück und fragte dicht vor ihr haltend: »Was schert denn dich das eigentlich! – Is denn noch nie genug, soll's etwan noch schlimmer wern?«

Das sagte er im Zorn zu ihr. Aber bald machte der Haß in seinem Auge einer blicklosen Stumpfheit Platz. »De Paule, haha, da haste schon ganz recht! Aber das war bloß de Axt; geschlagen hat jemand ganz anders, nich etwan der Trasperschreiber und cetera pee pee!«

»Guste, wenn de aber amal allen Willen zusammennähmst ...«

»Was weeßt du von den Worten, die ei deim Munde warm wern! Nu hör, ich brauch Kraft, ich muß een hellen Kopp behalten, deswegen sauf' ich. Wehe dem Tage, an dem ich einmal nüchtern bin! Un außerdem hat's noch viel! viel! Wenn's erst regnet, kommen die Troppen von allen Seiten.«

Marie schickte sich zu einem neuen Einspruch an, der Schuster schnitt ihn zum voraus ab: »Gib dr keene Mühe! Bei mir is Oberleder ratzekahl vo dr Sohle geplatzt. Da nutzt kee Nagel mehr was.«

Er ging in den Schuppen und ließ sie stehen. Von der Stube aus sah sie ihn bald darauf, mit einem neuen Hebebaum beladen, vorübergehen.

Marie hatte wohl die Anklage aus den vieldeutigen Worten des Trinkers herausgehört. Das peinliche Gefühl, mitverantwortlich an dem Hinabgleiten des armen Menschen zu sein, wurde durch reines Mitleid so verstärkt, daß sie den Klumpen ohne Zögern bat, dem Schuster weitere Vorschüsse zu verweigern. Aufmerksam hörte ihr Mann zu, sah sie groß an und verließ ohne jede Erwiderung die Stube. Am Abend gab er vor ihren Augen seinem Freunde wieder das Trinkgeld. Darauf wiederholte sie dringender ihre Forderung und wies ihm nach, daß er durch seine Starrköpfigkeit mitverantwortlich an der Verlumpung Kloses werde.

Wiederum wartete Exner ruhig, bis sie all ihre Gründe auseinandergesetzt hatte. Er schaute gegen die Diele und verfärbte sich. Dann, als wolle er gegen sie losfahren, riß er sein Gesicht herauf und sah sie wild an, mäßigte sich jedoch und erwiderte nur: »Nee, das bild' dir nich ein! Mann bleib' ich.«

Allein, war es die Wirkung der Worte Maries für sich, war es die Folge der stillen Wachsamkeit ihrer Augen: auf Tage wüster, arbeitsamer Trunkenheit des Schusters folgten Zeiten strikter Nüchternheit, in denen er wie umgewandelt erschien: wortkarg, reizbar, seine Hände trödelten absichtlich, er schlug mit Fleiß die Schärfe der Haue an den Steinen zuschanden und redete bittere Worte von Geiz und Nichtgenugkriegen, wenn der Lahme darüber ungehalten war. Glaubte er sich unbeobachtet, so maß er seinen Freund voll Haß.

Dem jungen Weibe begegnete er in diesen Tagen in demütiger Scheu, war dankbar für jeden Blick, erfreut über jedes gute Wort.

Nach vier Wochen war endlich das Feld aufgebrochen. Mit großen und kleinen Steinen wie übersät, glich es einer verlassenen Arbeitsstelle der Steinmetzen.

Die trockene Hitze hatte all die Zeit angehalten. Die Sommersaaten standen sehr schwach, der Winterroggen hatte verblüht, war kurz und feinhalmig, das Gras auf den Wiesen »kroch immer mehr in den Boden«. Die Heuernte mußte beginnen, denn die Schwingel der Gräser streuten schon den Samen aus. Während der Lahme in den frühen Morgenstunden mähte, sann er über sein Geschick nach. Ein alter Aberglaube der Landleute der Grafschaft besagt, daß das erste Jahr der Ehe ausschlaggebend für das Glück eines Paares sei. Exner hatte damit eine unparteiische Begründung seines Mißgeschicks gefunden. Warum, wenn es nichts zu bedeuten gehabt hätte, warum fiel dieser Mißwachs gerade auf das Jahr seiner Verheiratung?

Nach dieser Offenbarung begann er, Marie den Einblick in seine Pläne und Entwürfe zu versagen, um sich ihres unheilbringenden Einflusses nach Möglichkeit zu erwehren. Immer schroffer äußerte sich diese Wendung seines Wesens. Es war eigentlich keine Wendung. Der Vorgang stellte sich als die notwendige Bewegung einer Feder dar, die, durch irgendeinen äußeren Druck aus ihrer Lage gebracht, sofort in sie zurückspringt, wenn der Einfluß dieser gegenwirkenden Gewalt nachläßt.

Wie nach einer langen, unnötigen Abschweifung gelangte er allmählich wieder ganz in das einsame Geleise seines früheren Lebens zurück. Der Anflug von Milde und Sanftmut zerfloß in ihm, und wohlig wühlte er sich in die dumpfen Triebwolken seiner Vergangenheit. Damit stand in direktem Zusammenhange ein engerer Anschluß an den Schuster.

Mürrisch, wie er die Heuernte begonnen hatte, beendete er sie. Die drei Fuder trockenen Grases füllten kaum den dritten Teil des Bodens. Darum machte er sich mit Klose eilig an das Abräumen des Niederstückes, um darauf wenigstens noch Futter anzubauen und so den Ausfall etwas zu decken. Exner zerschlug die größeren Steine mit einem eisernen Pürdel, und der Schuster fuhr sie in einem Kastenkarren über ein langes Brett auf die Mauer und schüttete sie, oben angekommen, aus. Jenseits des Rodewalles zog sich ein dem Freirichter gehöriger schmaler Wiesenstreifen an einem Roggenfelde hin. Der Lahme duldete nicht, daß die Steine auf seine Seite geschüttet wurden, weil er sonst einige Fußbreiten Acker verloren hätte. Ebensowenig erlaubte er seinem Freunde, den Karren auf dem Rücken des Steinwalles zu leeren.

»'s soll mir wohl noch vollends alles verdämmen? Schütt's of de andre Seite!«

»Nee, das leidt dr Freirichter nich!« antwortete Klose, der wieder seine trockene, widerspenstige Periode hatte.

»Freirichter! Was ihr mit dem Freirichter alle habt! Als wenn's dr Herrgott wär'. Steht a Grenzsteen droben?«

»Nee, aber die Mauer is doch da.«

»Zeig' mir den Grenzsteen!« rief der Klumpen aufgebracht, warf den Pürdel hin und stieg mit langen Schritten über die Mauer. »Den Grenzsteen will ich sehen!« schäumte er fortwährend über dem Hinaufklettern.

Sie untersuchten jeden Stein, der aus dem Wiesenstreifen des Freirichters hervorragte: keiner trug ein Kreuz. Der Schuster nahm diesen und jenen noch einmal in Augenschein. Es war wirklich nicht anders, ein Grenzstein war nicht vorhanden, und auch auf Exners Seite fehlte ein solcher.

»Wenn ich sage, es hat keen, da hat's keen. Merk' dir's. Und der Freirichter soll mir bloß kommen, Pflug und Eggen schmeiß ich auf den Nagelschmied.«

Trotzdem weigerte sich Klose entschieden, die unrechtmäßige Arbeit zu vollziehen. Sie tauschten die Beschäftigung. Der Schuster zerprüdelte die Steine, und der Lahme schaffte sie fort.

Nun kollerten die Brocken lustig den Rodewall hinunter ins Gras der freirichterlichen Wiese, und der Lahme gab seinem Karren jedesmal einen derben Schwung, daß große Sandsteine bis nahe an das Roggenfeld rollten. Dabei lachte er übermütig und schrie ihnen zu: »Grüßt mr a Herrn Freirichter schön!«

Die Hitze der Erregung nahm erst ein wenig ab, als der letzte Karren seinen Inhalt auf den jenseitigen Boden ergossen hatte.

Dann ging er nach Hause mit dem wohltuenden Gefühl in der Brust, etwas sehr Gutes vollbracht zu haben.

Am andern Morgen trieb er schon zeitig seine Zugkühe mit den Eggen über den Acker. Er knallte in einem fort mit der Peitsche und schrie aus purem Mutwillen die Tiere bei jeder Kleinigkeit laut an. Dann und wann lachte er laut hinaus: »Haha, Wendla, komm och!«

Und da stand er schon auf der Mauer und hatte den höhnischen Ausruf des Dahinschreitenden gehört, und sein papierweißes Gesicht verkroch sich vor Grimm noch mehr in den struppigen Vollbart.

»Guten Morgen, Exner!«

Der tat, als ob er nichts gehört habe, begann mit seinen Kühen laut und anhaltend zu schreien und nahm einen langsamen, schlendernden Gang an. Endlich war er am Ende des Ackerstückes angekommen, wandte die Kühe und tat erstaunt, als ob er Wende erst jetzt bemerke: »Ach, Sie sein's, Herr Freirichter? Ich dachte, es blökt da rum wo a Öchsla.«

Der Verspottete schien die Anzüglichkeit nicht gehört zu haben und schrie in herrischem Tone herab: »Wer hat Ihn erlaubt, auf meinem Grund und Boden die Steine abzuladen?«

»Wer erlaubt's Ihn, a so was zu fragen?«

»Wer? Wissen Sie nich, daß das meine Wiese is?«

»Nee, da möcht' man gar! – Wo stehn denn de Grenzsteene?«

»Die Grenzsteine! Hier ist die Mauer, hier ist die Grenze.«

»Ja'ch! Ich dachte, Sie hätt'n se ei dr Tasche und wöllt'n mr se zeigen. – Unter der Mauer sein se! Nee, was so ein Freirichter nich klug is!«

Da war es mit der Beherrschung des Großbauern vorbei.

»Ich geb' Ihn acht Tage Bedenkzeit, von dato angefangen. Sind die Steine dann nicht weg, und hab' ich dann nicht die Entschädigung für das zertretene Gras, dann werden wir uns woanders sprechen.«

Die letzten Worte waren in höchster Wut gesprochen, sie kamen zischelnd und brodelnd wie kochendes Wasser aus seinem Munde.

Aber nun geriet auch der Klumpen in Raserei, warf die Leine hin, drehte die Peitsche um und machte sich unter den greulichsten Verwünschungen auf, dem Freirichter zu Leibe zu rücken. Ohne die Beweise des Wilden abzuwarten, machte sich der Bärtige auf den Marsch, der in eine regelrechte Flucht ausartete und erst auf dem Kommunikationswege zu halbwegs ruhigen Schritten kam.

Der Lahme schimpfte noch, als Wende schon lange nicht mehr zu sehen war, schirrte die Kühe aus und band sie an einen Baum. Bei seinem Eintritt kam ihm Marie schreckensbleich entgegen. Er glaubte, sie wolle ihm Vorwürfe machen, drohte, sie zu erschlagen, stürmte in die Stube, hieb auf den Tisch und schrie fortwährend wie besessen:

»Zeigen wer ich's 'm, zeigen wer ich's 'm! Aber das kommt alles davon, wenn's Weib nich an ei'm Stricke mit eem zieht. Mei Recht will ich, mei Recht, und wenn's mei Wirtschaft kostet, mei Leben.«

Dann stürzte er wieder zur Tür hinaus und begab sich an die Arbeit.

Am andern Morgen trat der Schuster in die Stube, bleich und nüchtern wie seit Tagen schon. »Was machen die Pappeln?« fragte er mit argem Lächeln.

»Was wern se machen, Schaf, stehn tun se!«

»Meenste, Karla! Nu 'ch, da komm och und siehch dr se an.«

Sie gingen hinauf. Beide Bäumchen waren von frevler Hand mittendurchgeschnitten, und ihre Kronen lagen auf dem Wege.

»Aha? – das is de Antwort of de Steene! Meenste nich?«

Klose zuckte gleichgültig die Achseln in die Höhe und bückte sich, nahm eine Krone auf und betrachtete den Schnitt, der mit einem sehr scharfen Messer geführt war, glatt und sicher durch das Stämmchen, das die Stärke eines kindlichen Armgelenks hatte.

»Der hat's gekonnt«, sagte er dann, trat an das Stämmchen zur Rechten und hielt den abgeschnittenen Teil auf den Stumpf. Er paßte genau. Der verderbliche Schnitt an dem andern Baume zeigte zwei Wülste. Der Frevler mußte zuerst die rechts stehende Pappel gefällt und dann, schon geschwächt und beunruhigt, sich an die andre gemacht haben.

Das entzifferte der Schuster, und der Lahme gab ihm nach einigem Besinnen recht.

»Freilich, wo sollte er denn die Kraft hernehmen.«

Darauf untersuchte der Schuster die Entfernung des Schnittes vom Erdboden und prüfte sie an der Größe des Lahmen. Es war leicht einzusehen, daß der nächtliche Schädiger von mittlerer Figur gewesen sein und den Schnitt von unten geführt haben mußte.

»Deine Größe hat er gehabt!«

Der Lahme maß seinen Freund mit den Augen, und Klose lachte mit geschlossenem Munde dazu.

Und hier unten, mit dem Rücken nach'm Hause hat er gestanden, denn der Schnitt is of a Born zu«, setzte der Schuster seine Untersuchung fort und war offenbar vergnügt über seine Findigkeit.

»Er muß verdammt sicher gewesen sein«, nahm er nach einer Pause den Faden der Mutmaßungen wieder auf und weidete sich sichtlich an der Verblüffung des Klumpen, der sich aufrichtete und nach einem schweren Atemzuge nichts hervorbrachte als ein beschwörendes, qualvolles Wort: »Schuster!«

»Ich kann dr nich helfen, es is nich anders.«

»Da biste wirklich dr Meinung, es is ein anderes gewesen. Guste, überleg' dir's genau!«

»Was weeß ich, mit wem du alles Streit gehabt hast. Ein Feind vo dir is gewesen oder eens, das dich höhnern oder dir een Schabernack spielen wollte, cetera pee. Das ist deine Sache!«

Das alles sagte er mit einer herzlosen Sachlichkeit. Seine Züge waren tief gefurcht.

Der Klumpen starrte ratlos auf ihn.

»Da siehch, überzeug dich selber, Karla, und von unten rauf is er sogar gekommen. Denn da und dort, rund um die Wassergruben, is of de Mauer zu das Gras zertreten. Bist du so eefältig, zu meenen, er is im Wege runtergegangen und hat sich dann pee a pee umgedreht, daß du'm bequem vo hinten an den Kragen gekonnt hättst. Da siehch!«

Exner beugte sich nieder und sah Fußtapfen in dem betauten Grase, die halb verwischt waren durch aufgerichtete Halme. Seine große braune Hand zitterte, wie sie so durch das Grün fuhr. Dann wühlte er wie geistesabwesend in den abgefallenen Baumblättern. Plötzlich knitterte etwas, und als er hinsah, zerdrückten seine Finger mechanisch einen weißen Zettel. Er richtete sich auf und starrte auf das Papier, aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen.

»Was is das?« fragte gepreßt Klose.

»Da lies och amal«, antwortete der Lahme mit mühsamer Beherrschung. Mit verstellter Handschrift, in lauter Großbuchstaben stand darauf:

»Zum Freirichter Exner.«

»Lies noch a mal«, mahnte der Verhöhnte stockend, und sein Gesicht sank in Schrecken ein.

»Es stimmt alles, alles, zu gut, zu gut stimmt's...«, murmelte er dann.

»Was denn?« fragte Klose.

Exner schwieg, nahm ihm den Zettel ab, sann einige Augenblicke, zerriß ihn dann und wandte sich zum Gehen. Er stieß mit dem Klumpfuß oft an die Steine des Weges; den Kopf kraftlos auf die Seite geneigt, hinkte er auf den Schuppen zu.

Klose wollte zur Haustür hinein.

»Wohin gehst du?« fragte der Lahme zurückschauend.

»Ich will's deiner sagen.«

»Meiner – meiner? – ich dächt', meine wüßt's schon.«

Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen; er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht.

Im Schuppen ging er wie betäubt umher, stellte ein Kartoffelhäckchen zehnmal woanders hin, schlug mit einem Spaltscheitchen trommelnd gegen die Bretterwand und begann dann einen Stoß Knüppelholz umzusetzen. Das alles tat er hastig, als werde er angetrieben. Endlich erbrach sich seine Seele. Verächtlich schleuderte er das Holzscheit, das er gerade in der Hand hielt, von sich. Sicher schoß es vor seinen Augen zusammen. Marie hatte von Anfang an der Vergrößerung seines Besitzes widersprochen, nie recht zu ihm, ihrem Manne, sondern immer zu andern, vor allem dem Freirichter gehalten. Sie war sogar vor dem ersten Zank nicht zurückgeschreckt, um aus Rücksicht auf Wende die Anpflanzung der Turmpappeln zu verhindern.

Der Schuster, vor dessen vorurteilslosen Augen sich die Deutung des Frevels so zwanglos vollzog, hatte trotz seiner Sympathie mit Marie ohne Wissen niemand als sie mit dem Verdacht der Täterschaft beladen. Vorsichtig und langsam stellte der Klumpen den zerstreuten Holzstoß wieder auf und ging in die Stube. Die Essenszeit war herangekommen. Er dachte, daß es vier Stunden im Schuppen gedauert habe, und beobachtete unauffällig Marie, die mit unsicherer Hast, bleicher als sonst, ab und zu ging und vermied, mit ihren Augen den Blicken ihres Mannes zu begegnen, die sie auf sich ruhen fühlte. »'s is dir schon recht, zerstoß dir meinetwegen de Beene«, sann der Lahme, ihre Unsicherheit bemerkend, und langte nach dem Löffel, als der Schuster eintrat.

»Na komm«, sagte er zu dem Eintretenden, »setz' dich her und iß. Wir haben's verdient, wir halten zusammen.«

Trotz aller Lustigkeit in der Zustimmung merkte er seinem Freunde auch eine Frostigkeit, eine Gedrücktheit an. Das war ihm unbegreiflich, und nachdem er gedankenvoll einige Löffel Suppe geschlürft hatte, sprach er in das taktmäßige Klappern der Blechlöffel:

»Guste, was is dir denn? Du tust ja grade, als hätt'st du heut nacht dei Messer durch Pappelholz gezogen!«

Des Schusters Augen hafteten an der Schüssel, er schwieg und verzog dann das Gesicht zu einem Lächeln.

Um das Gespräch auf ein ruhigeres Gebiet zu führen, begann Klose die jüngste Schmugglergeschichte des krummen Rathmann Bene vom Berge zu erzählen. Der Lahme hörte mit halben Ohre zu, blickte in der Stube umher und schaute dann zum Fenster hinaus, sah die Blutbretter am Brunnen, warf den Löffel auf den Tisch und schrie unbekümmert um des Schusters Erzählung in dumpfem Zorne:

»Da soll man milde sein und sanfte, wenn eem so was passiert ei seim Hause!«

Marie wurde rot und blaß, der Löffel in ihrer Hand zitterte. Sie öffnete den Mund zum Reden, brachte aber kein Wort über ihre Lippen. Klose trat ihn mit dem Fuße und machte ihm mit den Augen ein Zeichen, sich zu mäßigen.

»Karla«, begann endlich Marie, »Guste hat mir gesagt, um was es sich handelt ...«

Sie wurde von dem Eintritt des Postboten unterbrochen, der einen Brief vor den Lahmen legte und eilig verschwand.

Exner erbrach das Schreiben, sah eine Weile hinein, und da er des Lesens nicht recht kundig war, reichte er das Papier dem Schuster. Dieser machte Miene, es Marie zu geben.

»Du liest!« rief Exner mit einer Leidenschaftlichkeit, der sich Klose fügen mußte.

Der Schuster las:

»Steindorf, den 17. Juni l883. Dem Feldgärtner, Herrn Karl Exner, zeige ich hierdurch an, daß binnen acht Tagen die Steine von meiner Wiese durch ihn oder seine Leute weggeräumt sein müssen, widrigenfalls ich gerichtlich gegen ihn vorgehen werde. In derselben Zeit sind von dem oben Genannten an mich zehn Mark zu entrichten als Schadenersatz für vernichtetes Gras auf eben dem Felde.

Joseph Wende, Freirichtergutsbesitzer.«

Der Lahme saß eine Weile wie starr, riß dann mit rauhem Lachen den Brief aus den Händen Kloses und steckte ihn ein.

»Nach, Marie, biste denn im endlich zufrieden?« fragte er und sah sie mit verhaltenem Grimm an. Dem jungen Weibe stürzten die Tränen in die Augen. Sie stand auf und taumelte hinaus.

Der Lahme stieß den Tisch von sich und begann in der Stube erregt auf und nieder zu holpern.

Der Schuster war aschfahl geworden und stierte regungslos auf seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen, dabei kaute er an dem Schnurrbart.

Plötzlich, wie auf einen unvorhergesehenen Stoß, sprang er auf, riß die Mütze am sich und lief wie gehetzt davon.

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen

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