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Unter Polizeischutz
Оглавление12. Tag: Christiansburg - Marion (136 km) 1.075 km
In dem großen Saal schlief es sich gut. Mein Sofa bot mir eine schöne weiche Auflagefläche. Davon konnte sich die Campingplatz-Erde mal eine Scheibe abschneiden!
Nach dem Frühstück radelten wir zur Methodisten-Grundschule, zu der der Saal gehörte, in dem wir schlafen durften. Am Haupteingang wurden wir begrüßt und zu zweit je einem Lehrer oder einer Lehrerin zugeordnet. Alex und ich folgten mit unseren bepackten Rädern einer jungen, netten Lehrerin in eine Schulklasse mit kleinen Jungen und Mädchen jeglicher Rassen.
„Hört mal alle zu. Hier habe ich euch zwei Fahrradfahrer mitgebracht, die mit ihrem hier mitgebrachten Rad mit den vielen Packtaschen quer durch unsere Vereinigten Staaten fahren wollen. Sie sind am Atlantik in Virginia gestartet und haben in Oregon den Pazifik als Ziel vor sich. Hört mal zu, was sie uns von sich erzählen, und weshalb sie das machen. Zuerst wollen wir die Frau fragen. Bitte erzählen sie den Kindern mal von sich, wer sie sind und wie sie darauf gekommen sind.“
„Ich heiße Hermine Stampa-Rabe und komme aus Kiel in Deutschland. Kiel liegt ganz hoch oben im Norden Deutschlands an der Ostseeküste ungefähr auf der Hälfte zwischen der Dänischen Grenze und der bekannten Hafenstadt Hamburg an der Elbe. Ich bin 60 Jahre alt und mußte bis zu diesem Alter warten, diese Tour zu beginnen, weil sie drei Monate dauert. Während meiner Arbeitszeit hätte ich nie so viele Wochen Urlaub bekommen. Deshalb mußte ich warten, bis ich in Rente gehe.
Außerdem war ich bis zum Winter 1990 nur eine ganz langsame Fahrradfahrerin. Seit der Zeit, als ich von der Möglichkeit erfuhr, durch Amerika mit dem Fahrrad zu fahren, begann ich mit dem Training. In Rente konnte ich erst 1998 gehen. So verblieb mir eine ganz lange Zeit, um genug Geld zu sparen und zu trainieren, was nicht so einfach war. Aber das habe ich nun alles hinter mir und bin glücklich, daß ich nun in eurem wunderschönen Amerika bin, wo alle Menschen so liebenswürdig zu mir sind.“
Wie drollig und vertraut sie mich anschauten.
„Und nun kommst du an die Reihe. Wie heißt du? Und kannst du uns auch alles von dir erzählen?“
„Ich heiße Alexander Gordon, bin 18 Jahre alt und studiere in Florida. Diesen Entschluß, durch unsere Vereinigten Staaten zu radeln, faßte ich erst acht Wochen vor Beginn der Tour. Ich möchte unser Land und unsere Leute kennenlemen und mich sportlich ordentlich fordern. Es gefällt mir alles sehr gut. An meinem Fahrrad hängen keine Packtaschen. Dafür befindet sich hinter meinem Hinterrad ein Fahrradanhänger, auf dem ich alles, was ich benötige, transportiere.“
„Habt ihr noch Fragen an die beiden Fahrradfahrer?“
Mit großen staunenden Augen waren sie unseren Ausführungen gefolgt. Für sie war es sichtlich ungeheuerlich, was wir vorhatten. Aber alle waren zufriedengestellt. Nun widmeten wir uns den Kindern persönlich. Ihre mich mit Bewunderung ansehenden Augen und ihr Stolz, mir ihre hübschen aus Papier selbstgebastelten IndianerGarderobenstücke zu zeigen, bezauberten mich. Alles lobte ich gebührend und bewunderte sie. Anschließend flocht ich zwei kleinen Mädchen mit ihren langen Haaren meine Zopffrisur. Das eine mit dem blonden langen Haar sah hinterher aus wie eine kleine Prinzessin. Beide wurden von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern bewundert. Ich glaube, ich hatte sie alle glücklich gemacht.
„Nun verabschiedet euch von unseren beiden Besuchern. Sie müssen weiter.“
Von allen Seiten drang ein fröhliches „Bye bye!“ zu uns.
Anschließend wurden wir Fahrradfahrer alle wieder nach draußen vor die große Eingangstür der Schule geleitet, wo wir von noch einer anderen Schulklasse samt Lehrer und Schulleiter bewundernd mit „Take care!“ verabschiedet wurden. Dieses Erlebnis hatte mich nachhaltig sehr beeindruckt.
Unsere Weiterfahrt bei strahlendem Sonnenschein und angenehmer Wärme setzten wir nach dem Motto: "Let's go west!" fort. Sarah war in dem Saal, in dem wir geschlafen hatten, zurückgeblieben, weil sie auf mein Zelt warten wollte, das gebracht werden sollte.
Auf unserer Fahrt durch diese Stadt kamen wir wieder an der Kirche vorbei, wo Sarah davor auf den Stufen auf mich wartete.
„Sarah, heute abend muß ich allein bis Marion Vorfahren, um am nächsten Morgen sehr früh zu starten. Morgen kommen wir nach Damascus, wo auf dem Postofficeviele Sachen auf mich warten. Dieses schließt nämlich schon um 11.00 Uhr.“
„Ich gebe dir sicherheitshalber mein Zelt mit. Für diese Nacht habe ich dann dein neues bei mir. Take care!“
So verabschiedeten wir uns.
„Können wir Hermine überhaupt allein fahren lassen?“ fragte ganz abschätzend Kal.-John.
Die anderen schauten auch ziemlich betreten. Alex sagte:
„Ich begleite sie. Dann ist sie nicht so allein. Und wenn ihr was passiert, kann ich ihr helfen.“
Ich lächelte dankbar.
„Kannst du denn überhaupt bei Plattfuß selbst flicken?“
„Ja, das kann ich allein.“
„Ja, ich weiß nicht, ob wir sie allein fahren lassen können. Aber Alex muß hierbleiben. Er behindert sie. Er fährt zu langsam.“
„Doch, ich glaube, wir können sie fahren lassen. Wenn sie Paris -Brest bei Tag und Nacht allein fahren konnte, dann schafft sie die Fahrt bis Marion auch allein.“
Kal.-John schaute mich abschätzend an.
„Ihr tut keiner etwas.“
Ich lächelte still in mich hinein. Wie nett, daß sie sich solche Sorgen um mich machten. Aber auch wenn sie gesagt hätten, daß ich nicht allein Vorfahren dürfte, wäre ich trotzdem gefahren. Sie kannten mich noch nicht gut genug.
„Du hast doch heute abend mit mir Küchendienst“, lenkte Kal.-John nochmal ein.
„Das übernehme ich für sie“, schaltete sich Engl.-Bob ein. Er war wie alle sehr kameradschaftlich.
Auf stark welligem - sprich: bergigem - Gelände radelten wir bei steigender Hitze nach Radford. Hier trennte ich mich von meiner liebenswürdigen Gruppe, die mich vorher noch auf die (11) brachte, bevor sie gen Süden einschwenkte.
Es fuhr sich herrlich auf dieser Schnellstraße. In Pulaski mußte ich eine Baustelle umfahren, bis ich wieder auf meine (11) kam, die bald über einen hohen Paß der Blue Ridge ging. Die Teerstraße glühte fast von der brennenden Sonne. Und irgendwann kam ich nach allerlei Serpentinen oben an und genoß den herrlichen Ausblick auf Wald und Feld unter mir.
Ein amerikanisches älteres Ehepaar kam in seinem Auto von der südlichen Seite hier oben an, sah mich und kam langsam zu mir gefahren. Die Frau stieg aus und unterhielt sich mit mir sehr freundlich und interessiert. Für sie war es ein seltenes Erlebnis, von meiner großen Expedition zu hören. Der Ehemann stellte aus dem geöffneten Auto auch interessiert einige Fragen. Aber ihn konnte ich nicht verstehen. Nach längerer Zeit verabschiedeten sich beide, wünschten mir „take care“ und fuhren weiter nach Pulaski, wo sie wohnten.
Eine rasante Abfahrt schloß sich für mich an. Aufeinmal war ich mit der (11) auf der Interstate - sprich: Autobahn - gelandet und radelte auf dem breiten Standstreifen, der als (11) ausgewiesen worden war. Hierauf fuhr ich ca. 20 km, bis ein großes Schild vor mir rechts erschien, auf dem stand, daß hier der Blue Ridge Parkway endete. Dazu hielt ich natürlich an und nahm es mit meiner Kamera auf.
Plötzlich hielt vor mir ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht. Mir fuhr ein heiliger Schreck durch die Glieder. Schnell ging ich mein Sündenregister in Gedanken durch und fand nichts, was sein Erscheinen gerechtfertigt hätte. Der Sheriff stieg aus seinem Auto und kam freundlich aber bestimmt auf mich zu.
„Guten Tag. Wo kommen sie her?“
„Aus Deutschland.“
„Aus Deutschland? Und wo wollen sie hin?“
„Ich bin in Yorktown am Atlantik gestartet und möchte die Vereinigten Staaten bis nach Florence am Pazifik in Oregon durchqueren.“ „Ich meine, wo sie heute hinwollen.“
„Nach Marion.“
„Sind sie ganz allein unterwegs?“
„Nein, mit einer Gruppe.“
„Und wo sind ihre Freunde?“
„Ich habe mich von ihnen getrennt, weil ich morgen vormittag bis kurz vor 11.00 Uhr in Damaskus beim Postamt ankommen muß, um meine ganze dort auf mich wartende Post abzuholen. Denn morgen ist Sonnabend und am Sonntag fahren wir weiter.“
„Sie fahren auf der Interstate. Das ist verboten.“
„Dieser sehr breite Seitenstreifen war nach der großen Kreuzung als (11) ausgewiesen worden. Deshalb fahre ich darauf.“
„Das ist aber zu gefährlich für sie. Die vielen Trucks könnten sie ausversehen in ihrem Sog mit sich reißen und sie überfahren. Deshalb müssen sie bei der zweiten Abfahrt rechts abbiegen und auf der dane-ben befindlichen und für sie viel sicheren Straße nach Marion weiterra-deln.“
„Ja, das werde ich machen.“
Er stieg wieder in sein Dienstfahrzeug, ließ mich vorradeln und fuhr zu meinem Schutz in meinem Tempo mit routierenden Blaulichtern hinter mir her. Als meine Ausfahrt erschien, fuhr er vor, um mir mit seinem Auto zu zeigen, wie ich auf die neue schmale Straße kommen konnte. Dort blieb er stehen, stieg aus und legte mir nochmal ans Herz: „Bitte, fahren sie nie wieder auf einer Interstate. Ich meine es gut mit ihnen und mache mir große Sorgen um ihre Sicherheit.“
„Das verspreche ich Ihnen. Vielen Dank, daß sie mir mein Leben gesichert haben.“
Dann fuhr er beruhigt davon.
Ein Autofahrer in einem kleinen Lastwagen hatte wohl alles mitbekommen, hielt links neben mir und fragte mich lächelnd:
„Darf ich sie und ihr Fahrrad nach Marion mitnehmen?“
Ich schaute ihn an. Sein freundliches, hilfsbereites und liebenswürdiges Gesicht flößte mir Vertrauen ein. Aber trotzdem wagte ich es nicht, mich ihm anzuvertrauen. So dankte ich ihm ebenso freundlich und sagte:
„Vielen Dank für ihr liebenswürdiges Angebot. Aber meine Tour möchte ich gern vollständig auf meinem Fahrrad beenden.“
Er blickte mich sehr enttäuscht an, rief „take care“, winkte und gab Gas.
Bei einem Souvenir-Geschäft trank ich nacheinander einen ganzen Liter kalten Wassers. Ich kam mir innen wie völlig ausgetrocknet vor. Bald danach setzte ich mich in den Schatten einer großen Tankstelle und aß meine zwei großen Apfelsinen, eine Banane und einen halben großen Apfel auf. Glücklich gesättigt radelte ich weiter nach Wythe-ville, wo unsere Gruppe heute übernachten sollte.
Als ich durch Wythville fuhr (immer hoch und runter, wie sich das hier so gehörte), rief plötzlich jemand:
„Hermine!“
Zuerst fühlte ich mich nicht angesprochen; denn wer sollte mich hier schon kennen? Aber beim dritten Mal wandte ich mich der Stimme zu, um zu sehen, wer das wohl sein mochte. Sarah war es.
„Was für ein Glück, daß ich dich doch noch getroffen habe. Hier habe ich dein neues Zelt.“
Sarah war eine sehr starke Fahrradfahrerin. Auf dem Umweg, der für die Gruppe vorgeschrieben war, hatte sie solch ein Tempo vorgelegt, daß sie mich hier noch abfangen konnte.
„Das ist aber sehr nett von dir, Sarah. Vielen Dank. Nun möchte ich mich nicht länger in diesem Ort aufhalten und fahre weiter Richtung Marion.“
„Take care!“
Die bergige Landschaft änderte sich nicht. Im Gegenteil: riesige Berg- und Talfahrten waren von mir zu bewältigen. Deshalb konnte ich nicht so schnell fahren.
Rechterhand sah ich auf der Auffahrt zu einem Gehöft ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht stehen. Daneben stand eine Polizistin, die mich beobachtete, mir zuwinkte, als ich an ihr vorbeifuhr und das Blaulicht wieder löschte.
„Aha", ging es mir so durch den Kopf, „die Polizei paßt auf, daß mir nichts passiert.“
Langsam senkte sich die Sonne dem Zenit zu. Kurz bevor ich in Marion ankam, verschwand sie hinter dem großen Bergrücken zu meiner rechten Hand.
Auf dieser Seite stand wieder ein Polizeiauto mit laufendem Blaulicht und einem Polizisten, der wohl meine Ankunft hier in Marion bestätigen sollte.
„Vielen Dank, liebe Polizei“, ging es mir durch den Kopf. Ich war gerührt. Als ich an ihm winkend vorbeiradelte, löschte auch er das Blaulicht und fuhr davon.
Um 20.30 Uhr erreichte ich ein Motel in Marion, ging aber zuerst ins benachbarte Hotel, um noch etwas Gutes zum Abendessen zu bekommen. Hier feierte ich ganz allein meine ersten 1.000 gefahrenen Kilometer. Hintereinander trank ich einen ganzen Liter eisgekühlten Sprites aus. Das nette junge Mädchen, das mich bediente, bekam richtig runde, erstaunte Augen. Während ich mein bestelltes gutes Abendessen genoß, packte sie für mich mein Frühstück, das ich mir zusammenstellen durfte, in einen Karton. Dieses war sogar im Preis meines Motelzimmers enthalten. Glücklich und satt schob ich nun mein Rad mit all den schönen Sachen dorthin.
Splitternackt saß ich aufgrund der brutigen Hitze in meinem Zimmer auf dem Bett und schrieb. Den Kaltluft-Ventilator wollte ich nicht anstellen. Die Wärme war mir lieber. Außerdem machte der Ventilator störende Geräusche für die Nacht.