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1 Die Aufgaben der Marktforschung im betrieblichen Informations- und Entscheidungssystem 1.1 Begriffliche Abgrenzung der Marktforschung

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Geht man von einer marktorientierten Führungskonzeption aus, so ist es Hauptaufgabe der Marktforschung, dem Marketing-Management auf empirischem Wege die Informationsgrundlage für die absatzpolitische Ziel- und Maßnahmenplanung bereitzustellen. Daher wird im Weiteren folgende Marktforschungsdefinition zugrunde gelegt (in Anlehnung an Böhler 1995):

»Marktforschung ist die systematische Sammlung, Aufbereitung, Analyse und Interpretation von Daten über Märkte und Marktbeeinflussungsmöglichkeiten zum Zweck der Informationsgewinnung für Marketing-Entscheidungen.«

Marktforschung ist gekennzeichnet durch den systematischen Einsatz wissenschaftlicher Untersuchungsmethoden. Ziel ist nicht nur die sorgfältige Beschreibung von Märkten, sondern auch die Gewinnung von Aussagen über Ursache-Wirkungsbeziehungen (z. B. »Wie wirkt der Einsatz von Marketing-Maßnahmen auf mögliche Abnehmer?«). Im Extremfall ist »wissenschaftliche« Forschung dadurch zu gewährleisten, dass ( Kap. 2.1)

• ihre Vorgehensweise öffentlich zugänglich und dadurch kritisierbar ist,

• das Ausmaß an Unsicherheit der Ergebnisse abgeschätzt werden kann und

• ein anerkannter Forschungsprozess zum Zuge kommt.

Selbstverständlich werden diese Kriterien in der Marketing-Praxis nicht immer vollends erfüllt. Man sollte sich dann aber darüber im Klaren sein, dass Abweichungen vom Regelwerk wissenschaftlicher Forschung die Qualität der Forschungsergebnisse beeinträchtigt. Man denke z. B. an unseriöse »Fernsehzuschauerbefragungen«, bei denen Anrufer über eine Hotline ihre Meinung kundtun, oder an aus dem Internet nach Registrierung kostenlos downloadbare »Marktübersichten« zweifelhafter Qualität, die vor allem der Gewinnung weitergebbarer Werbeadressen dienen.

Verbreitet ist in der Literatur auch eine Abgrenzung zwischen Marktforschung und Marketingforschung (Meffert 1992, S. 16; Köhler 1993, S. 2782; Decker und Wagner 2002, S. 4; Meffert et al. 2019, S. 173). Demnach unterscheiden sich »Marktforschung« und »Marketingforschung « durch ihren jeweiligen Untersuchungsgegenstand:

Durch die oben vorgeschlagene Begriffsdefinition der Marktforschung, in der von Daten über »Märkte« und »Marktbeeinflussungsmöglichkeiten« gesprochen wird, kommt zum Ausdruck, dass Gegenstand der Marktforschung Sachverhalte in den Absatz- und Beschaffungsmärkten und die dort zum Einsatz gelangenden Instrumente sind. Der in den USA weitverbreitete Begriff der Marketingforschung (»marketing research«) war dagegen ursprünglich auf Informationsbereitstellungen für Absatzentscheidungen eingeengt. So heißt es etwa in der Definition der American Marketing Association (AMA) von 1960 bzw. seiner deutschen Übersetzung bei Green und Tull (1982, S. 4):

»Marketing-Forschung ist die systematische Sammlung, Aufbereitung und Analyse von Daten, die sich auf die Probleme des Marketing von Gütern und Dienstleistungen beziehen.«

Im deutschsprachigen Raum wurde daher traditionell synonym zur Marketingforschung auch der Begriff »Absatzforschung« verwendet. Während somit der Begriff »Marketing-« bzw. »Absatzforschung« durch die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf den Absatzmarkt auf der einen Seite enger gefasst ist als der Marktforschungsbegriff, ist er auf der anderen Seite wiederum umfassender, weil er alle zur Absatzgestaltung notwendigen Informationen einbezieht. Hierzu zählen demnach auch Informationen, die sich auf innerbetriebliche Sachverhalte (z. B. Vertriebskosten, Lagerhaltungsprobleme, Kapazitätsprobleme) beziehen. Abbildung 1 verdeutlicht das Verhältnis der Begriffe graphisch (in Anlehnung an Meffert 1992, S. 16, siehe auch Meffert et al. 2019, S. 173 ff.).


Abb. 1: Abgrenzung zwischen Marktforschung und Marketingforschung

Jedoch ist anzumerken, dass seit den 1990er Jahren die Begriffe Markt- und Marketingforschung von vielen Autoren weitgehend synonym verwendet werden (vgl. z. B. Herrmann et al. 2008, S. 5 ff.; Iacobucci und Churchill 2018, S. 3 ff.; Kuß et al. 2018, S. 3; Homburg 2020, S. 292 ff.).

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die AMA inzwischen ihre Marketing- und Marketingforschungsdefinitionen modifiziert hat (siehe www.ama.org/the-definition-of-marketing-what-is-marketing/). Die 2004 verabschiedete neue, seither gültige und zuletzt 2017 überprüfte Definition betrachtet Marketing- bzw. Absatzforschung heute viel stärker aus einer Prozessperspektive heraus:

»Marketing research is the function which links the consumer, customer, and public to the marketer through information – information used to identify and define marketing opportunities and problems; generate, refine, and evaluate marketing actions; monitor marketing performance; and improve understanding of marketing as a process. Marketing research specifies the information required to address these issues; designs the method for collecting information; manages and implements the data collection process; analyzes the results; and communicates the findings and their implication«.

Aufgabe dieses Buches ist es vor dem Hintergrund dieser Definitionen und Entwicklungen, einen Überblick über die Aufgaben der Marktforschung im Sinne einer Absatzforschung zu geben. Es geht also vorrangig um die Erforschung von Sachverhalten, die vor allem den Absatzmarkt betreffen. Dieser Absatzmarkt ist allerdings kein homogenes Konstrukt, sondern bietet eine Vielzahl von unterschiedlichen Ansatzpunkten für die Marktforschung: Die Customer Journey beschreibt beispielsweise vielfältige Interaktionen mit einem Anbieter über verschiedene Kanäle und Zeitpunkte hinweg, wobei jeder einzelne dieser Kontakte (Touch Points) ebenso wie ihre Verbindung im Zeitablauf Bedeutung für das Kundenerlebnis und damit die Kundenzufriedenheit haben (Lemon und Verhoef 2016) und Gegenstand der ereignisorientierten Dienstleistungsqualitätsforschung werden kann ( Kap. 4.4.3.2.2). In deutlich geringerem Maße werden in diesem Buch hingegen Sachverhalte behandelt, die (ausschließlich) die Erforschung von Beschaffungsmärkten betreffen. Diese Schwerpunktsetzung beruht darauf, dass Absatzmärkte in der Wirtschaftspraxis zumeist die drängenderen Engpassbereiche darstellen – eine Situation, die angesichts eines sich verschärfenden globalen Wettbewerbs noch geraume Zeit andauern wird. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang aber, dass gerade auf Plattformen und Marktplätzen wie YouTube, Ebay oder Couchsurfing Konsumentinnen und Konsumenten auch die Rolle von Anbietern übernehmen: Durch diesen »Doppelcharakter« der Akteure als Anbietende und Nachfragende verschmelzen quasi Absatz- und Beschaffungsmarktforschung, wenn beispielsweise Marktforschung zur Untersuchung der Interpretation dieser Rollen und zu den Gründen für ein Pendeln von Akteure zwischen Anbieter- und Nachfragermarkt betrieben werden soll (vgl. Geiger et al. 2018).

Allerdings sollte diese bewusste Schwerpunktsetzung in diesem Lehrbuch nicht mit einer Verengung der Sicht auf die Dyade Anbieter-Abnehmer verwechselt werden: Folgt man der Service-Dominant Logic, wird deutlich, dass im Marketing auch auf der Absatzseite typischerweise mehrere Akteure Werte durch Integration ihrer Ressourcen ko-kreieren, und dass diese Ko-Kreation durch von den Akteuren geschaffene Institutionen koordiniert wird (Vargo und Lusch 2017). Die Marktforschung muss daher alle an der Ko-Kreation Beteiligten in den Blick nehmen, um umfassende Informationen zum Geschehen auf Märkten zu erlangen.

Es soll bereits hier auch darauf hingewiesen werden, dass angesichts der rasanten Fortschritte bei den Möglichkeiten, wie heute die Unternehmensführung kontinuierlich, zeitnah und effektiv mit Marktinformationen unterstützt werden kann, immer mehr Autoren statt von Marktforschung auch von »Marketing Intelligence« im Sinne einer permanenten innerbetrieblichen Frühaufklärung, Generierung und Auswahl von Handlungsalternativen sowie Wirkungskontrolle sprechen (vgl. z. B. Diller et al. 2011, S. 152 ff.; Iacobucci und Churchill 2018, S. 15 ff.; Meffert et al. 2019, S. 174; Theobald 2019).

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