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Mein uralter und bildschöner Maserati Quattroporte zog immer und überall Blicke auf sich. Deshalb hatte ich ihn nicht in der Nähe von Vittorio Rossignolos Firma im Stadtwesten geparkt, sondern auf dem in einiger Entfernung gelegenen, aber zentralen Straubinger Theresienplatz mit seinen Läden. Für den Brunch mit Maximilian wollte ich ohnehin noch Croissants und frische Brötchen besorgen.

Auf glutheißen Straßen ging ich stadteinwärts und ärgerte mich, dass ich den Rückweg unterschätzt hatte, auf dem Hinweg war es noch nicht so warm gewesen. Währenddessen überlegte ich in einem fort. »Da Ernesta«, der Empfänger der drei Pakete – das klang nach einem Restaurant, das von einer Italienerin geführt wurde. Gut möglich, dass sich dahinter die Freundin verbarg, an die Vittorio Rossignolo seine frisch erworbenen Gemälde verkauft hatte. Seltsam. Hatte er nicht gesagt, sie arbeite für ein Museum?

Mit Tüten beladen, stand ich irgendwann dann doch vor meinem Wagen auf dem Theresienplatz, warf die Beute hinein und öffnete sämtliche Türen und Fenster des Autos, damit die aufgestaute Hitze entweichen konnte. Samstagsshopper schlenderten an mir vorbei, ein älterer Mann mit Kinderwagen und eisschleckende Mädels in Vincenzos Alter, die so laut quietschten, dass der Mann sich umdrehte.

Ich setzte mich so auf den Fahrersitz, dass meine Füße nach draußen baumelten. Es brachte zwar kaum Abkühlung, aber ich musste den Gedanken an Ort und Stelle weiterverfolgen. Dann nahm ich das Smartphone zur Hand und suchte im Internet mit der Wortkombination »Da Ernesta« und »Burg«, dem Anfang der Adresse, die ich erspäht hatte.

Tatsächlich, ein Restaurant. Und der Ort, in dem es lag, hieß Burghausen.

Ein Blick auf die Website verriet mir, dass ich richtig geraten hatte. Auf den Fotos sah ich Wände voller Gemälde in Gold- und Silberrahmen: Landschaften, Stillleben, Porträts, auch abstrakte Bilder waren darunter. Bingo.

Auch sonst war immer alles sehr stilvoll. Riesige Lampenschirme, perlmuttfarbene Stoffservietten, Kristallgläser, edles Porzellan. Die abgebildeten Gerichte waren nach Art der Nouvelle Cuisine in Szene gesetzt, die winzigen Portionen so geschmackvoll arrangiert, dass mir allein schon vom Ansehen das Wasser im Mund zusammenlief. Bis auf drei Tassen Tee hatte ich heute noch nichts zu mir genommen, schließlich wollte ich mir meinen Hunger für den Brunch mit Maximilian aufsparen. Bald war es elf.

Das »Da Ernesta«, sah ich beim Weiterscrollen, residierte in einem himmelblauen Bauwerk mit italienisch anmutender Scheinfassade, das offensichtlich aus früheren Jahrhunderten stammte und wunderschön renoviert war. Es besaß kleine Zinnen und Stuckverzierungen über den Sprossenfenstern.

Vor einem breiten Holztor posierte eine aus etwa zwanzig durchweg lachenden Menschen bestehende Gruppe. Die meisten waren dunkelhaarig und steckten entweder in einem schwarzen Outfit oder in einer bis zu den Knöcheln reichenden Kochschürze. Nur die langbeinige Frau in der Mitte, die ich trotz ihrer weißblonden Mähne sofort als Landsmännin aus dem Süden erkannte, trug ein papageienbuntes Kleid, das ihren schlanken und festen, aber ausgesprochen weiblichen Körper betonte. Vermutlich Ernesta, die Inhaberin, umgeben von ihren Angestellten. Sie erinnerte mich an jemanden, ich hätte jedoch nicht sagen können, an wen.

Weiter unten gab es eine beeindruckende Burganlage zu sehen, auf der einen Seite mit Blick auf einen See mit einladend grünblauem Wasser, auf der anderen auf die Salzach, den Grenzfluss zwischen Burghausen und Österreich. Sonnenbeschienene Uferwege, Gässchen zum Flanieren, ein noch wesentlich pittoreskerer Stadtplatz als hier in Straubing. Farbenprächtige, mitunter zinnenbewehrte Bürgerhäuser, gediegene Hotels, zünftige Wirtschaften mit Blumenpracht und oberbayerischer Gemütlichkeit.

Ich dachte an Vincenzo, der jetzt mit seinen Freunden auf dem Weg nach Kallmünz war. An Mona, die bald den Gardasee erreichen würde. An meine Auftraggeber, die sich auf der Nordseeinsel Sylt der Entschleunigung widmeten. Sogar Paolo hatte zwischen seinen Schweigeübungen vielleicht ein wenig Muße für ein paar Schritte am Chiemsee, während ich mich kaum daran erinnern konnte, wann ich mir das letzte Mal einen freien Tag gegönnt hatte.

Mitten in meine Gedanken hinein sang Pavarotti von den trügerischen Frauenherzen: »La donna è mobile …« Maximilians Name erschien auf dem Display meines Mobiltelefons.

»Du bist schon wach?«, begrüßte ich meinen Liebsten erfreut, sprang aus dem Wagen, umrundete ihn in schnellen Schritten und klappte dabei eine Tür nach der anderen zu. »Ich bin praktisch schon auf dem Heimweg, und einen Mordshunger habe ich. Die Sachen für den Brunch sind übrigens im Kühlschrank, bis auf die Spiegeleier habe ich schon alles vorbereitet, die Croissants …«

»Das müssen wir leider auf später verschieben«, unterbrach Maximilian mich zerknirscht. »Ein Anruf aus der Klinik. Tut mir wirklich unsäglich leid, Anna.«

Ein Stöhnen entfuhr mir. »Doch nicht schon wieder ein Notfall?«

»Keine OP dieses Mal. Aber der Kollege, der mich nach Russland begleiten sollte, hat sich beim Mountainbiken zwei Rippen gebrochen. Deshalb muss ich mich jetzt um alles kümmern – die Präsentation vorbereiten, Papers ausdrucken, unsere neuesten OP-Methoden zusammensuchen, alles eben.« Er schnaubte. »Kannst du mir einen Gefallen tun, Anna? Fahr doch bitte im Baumarkt vorbei, wir brauchen dringend Blumenerde für die Rosenbeete. Ich weiß nicht, wie lange das hier dauert, und ich wollte noch unbe…«

»Stai zito!« Wie so oft, wenn ich sauer war, verfiel ich in meine erste Muttersprache. »Basta, hai sentito, basta davvero!«

Eine Frau im viel zu kurzen Kleid, die gerade ihr Handy aus der Tasche zog, blieb stehen und gaffte mich an. Böse blitzte ich zurück. Dann holte ich tief Luft und wechselte ins Deutsche.

»Maximilian, sei mir bitte nicht böse«, sagte ich in bemüht ruhigerem Ton, »aber du wirst doch in Gottes Namen jemanden auftreiben können, der das für dich erledigt. So etwas muss doch nicht immer der leitende Oberarzt höchstpersönlich tun, noch dazu am Wochenende, oder wie siehst du das?«

Er setzte an, sich zu rechtfertigen. Meine Frage war aber ohnehin nur rhetorischer Art gewesen.

»Sosehr ich es zu schätzen weiß, wie vorbildlich du dich um meinen Garten kümmerst – das hat doch Zeit. Am Montag steigst du in den Flieger, dann sehen wir uns die ganze Woche nicht. Und nur so nebenbei«, ein rascher Blick zum Gehsteig sagte mir, dass die Frau im Miniminikleid weitergegangen war, aber selbst das Gegenteil wäre mir egal gewesen, »wann hatten wir eigentlich das letzte Mal Sex miteinander?«

Mein Liebster hatte mir still zugehört. Nun seufzte er.

»Du hast ja recht«, sagte er schließlich, ohne auf meine Frage einzugehen. »Für Jekaterinburg brauche ich ohnehin Verstärkung. Ich werde jemanden organisieren, der mich begleitet und sich im Vorfeld um alles kümmert. Das dauert eine halbe Stunde, höchstens, und dann, hoch und heilig versprochen, komme ich sofort heim.«

»Tu das. Und wenn du da bist, steigen wir ins Auto und fahren weg. So kommst du erst gar nicht in Versuchung, tausend Dinge zu erledigen, die wichtiger sind als ich.« Ich schwieg einen Moment, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Nur wir beide, amore. Seit Ligurien haben wir keinen einzigen Ausflug mehr gemacht.«

Das war im Februar gewesen. Damals hatte ich in einem Fall ermittelt, bei dem ich nach einem verschwundenen Bestsellerautor gesucht hatte.

»Dass wir den Kurzurlaub am Meer dann auch noch viel zu früh abbrechen mussten«, Maximilian lachte, »das war ausnahmsweise nicht meine Schuld.«

»Ausnahmsweise mal«, gab ich zu. »Also, was meinst du?«

»Ein freies Wochenende, weit weg von allem – das klingt tatsächlich verlockend. Hast du schon eine Idee, wohin die Reise geht?«

»Burghausen«, sagte ich prompt. »Das liegt in Oberbayern, im Voralpenland, und soll wunderschön sein. Wusstest du, dass es dort die längste Burg der Welt gibt?«

***

Als wir Burghausen am frühen Abend erreichten, war es so heiß, dass die Luft flirrte. Ich parkte Maximilians Alfa Romeo auf dem Stadtplatz, wo es trotz der sengenden Hitze jedoch alles andere als ausgestorben war. Überall gab es Menschen, Lebensfreude und einen ohrenbetäubenden Radau.

Angesichts des Wetters hatten wir den Maserati stehen lassen und Maximilians Auto genommen, das über eine Klimaanlage verfügte. Je weiter wir in Richtung Voralpenland gefahren waren, umso schwüler und heißer war es geworden. Die ganze Zeit über hatte ich am Steuer gesessen, mein Liebster hatte geschlafen.

Trotz seines Versprechens war er erst spät aus der Klinik gekommen. Die Suche nach einer Vertretung für den verunglückten Kollegen war schwieriger gewesen als gedacht. Doch ich hatte nicht groß nachgefragt, sondern ihn beim schon leicht abgestandenen Brunch gebeten, nach dem Essen so schnell wie möglich zu packen – und zwar nicht nur bis Sonntagabend. Wir würden uns eine weitere Nacht zu zweit gönnen, und am Montagmorgen würde ich Maximilian direkt zum Münchner Flughafen fahren.

Während er sein Rollköfferchen packte und ich das Nötigste für die nächsten beiden Tage in eine Tasche warf und nebenbei unser Hotelzimmer reservierte, hatte ich Nachrichten verschickt. Paolo würde am Sonntagabend wieder zu Hause sein, und ich hatte ihn gefragt, ob er sich bis zu meiner Rückkehr um Vincenzo kümmern könne. Auch wenn mein Sohn im Dezember fünfzehn wurde, so ließ ich ihn nachts ungern allein. Sicherheitshalber hatte ich Benedetta um denselben Gefallen gebeten.

Maximilian und ich stiegen aus dem Alfa Romeo, und sofort fühlte ich mich wohl. Trotz der Geräuschkulisse – eine Blaskapelle gab original bayerische Musik zum Besten – erinnerte mich das Flair, das uns umgab, an meine alte Heimat.

Auf dem Stadtplatz flanierten Spaziergänger, viele davon so herausgeputzt wie im mir vertrauten Süden. Kinder mit Luftballons rannten auf und ab, während ihre Eltern in Grüppchen beieinanderstanden oder an Kneipentischen im Freien saßen und sich lautstark unterhielten. In den meisten der jahrhundertealten, liebevoll renovierten Stadthäuser hatten sich kleine Läden, Gasthäuser oder sonstige Lokale und Bars eingenistet. Über allem thronte, hoch oben auf dem Berg, die berühmte Burg. Die Silhouette ihrer Wehrtürme und Bauwerke mit spitzen Zinnen hob sich vor einer strahlenden Abendsonne in den Himmel.

Unsere Unterkunft, das »Hotel Post«, entpuppte sich als so traditionsreich, wie die Homepage es versprochen hatte. Ein blumengeschmückter Biergarten, in dem sich die Gäste drängten, erstreckte sich vor dem stattlichen Gebäude. Im Treppenhaus roch es nach der Würde vergangener Jahrhunderte, die Stufen aus dunklem Holz knarzten angemessen.

Mit seinen gedeckten Farben und edlen Stoffen passte auch unser Doppelzimmer ins Ambiente, bot jedoch allen Komfort der Gegenwart. Das Bett war breit, das Badezimmer modern und mit vergoldeter Spiegelpracht, die Aussicht ansprechend. Direkt gegenüber lag das leuchtend blaue Bürgerhaus unter dem nicht minder blauen Himmel, daneben die nicht ganz so pompöse Stadtbibliothek in Zinnoberrot.

Maximilian stellte unser Gepäck neben dem Kleiderschrank ab. Das Rummstata der Blaskapelle schepperte so laut, dass die Fensterscheiben klirrten, auch Stimmen und Lachsalven drangen herein.

»Ich nehme an«, sagte er, und obwohl er den halben Nachmittag verschlafen hatte, klang seine Stimme müde, »wir müssen bald los. Hast du einen Tisch reserviert?«

Beim Brunch hatte ich ihm von meinem Auftrag und dem Grund unseres Besuches erzählt – selbstverständlich nur ein Randaspekt unseres verlängerten Wochenendes.

»Hab ich vergessen.« Ich kickte meine Schuhe weit von mir und sank aufs Bett, im Moment zu erschöpft, um den Anruf im Restaurant gleich hier und jetzt nachzuholen. »Erst einmal brauche ich eine Verschnaufpause. Danach flitze ich unter die Dusche, und bestimmt ergattern wir trotzdem noch ein hübsches Plätzchen. Das Lokal ist ziemlich groß.«

Maximilian setzte sich neben mich auf den Bettrand. Seine Bewegungen wirkten schwerfällig.

»In den letzten Wochen«, er nahm meine Hand und sah mit umschatteten Augen zu mir herab, »habe ich dich ziemlich vernachlässigt, Anna, bitte sieh es mir nach. Die Zeit lässt sich ja bekanntlich nicht zurückdrehen, und je älter ich werde, umso klarer wird mir das. Trotzdem tappe ich immer wieder in dieselbe Falle, immer zählt ja nur die Arbeit, dabei gibt es doch so viel wichtigere Dinge.«

Er seufzte tief, und ich gab ihm innerlich recht.

»Es gelingt mir immer weniger, allem und jedem gerecht zu werden – leider auch dir nicht, und du hättest es doch am meisten verdient. Aber manchmal«, mit der Linken fuhr er sich durchs dunkle Haar, das nur über den Ohren ein paar graue Strähnen hatte, »manchmal fühle ich mich so ausgelaugt.«

»Maximilian, ich …«

Er machte eine abwehrende Geste. »Hör bitte zu. Weißt du, früher hat mir das nichts ausgemacht – die vielen Dienste, die unvorhergesehen OPs, die ständige Herumfahrerei. Nur, in letzter Zeit …«, seine Lider fielen zu, er seufzte erneut. »Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde alt.«

Er öffnete sie wieder, schaute mir ins Gesicht. Die lustigen gelben Pünktchen in seinen tiefbraunen Augen, in die ich mich schon bei unserer ersten Begegnung verliebt hatte, schienen im Vergleich zu damals ein wenig trüb geworden zu sein.

»Wir alle werden älter«, sagte ich und setzte mich auf. »Aber bis wir richtig alt sind, wird noch einiges Wasser die Donau hinabfließen und die Salzach vermutlich auch.« Ich umarmte ihn, zärtlich und sehr innig, und küsste ihn auf die Stirn. »Wir haben noch so viel Zeit, amore, mach dir bitte keine Sorgen.«

»Du bist mir nicht böse, wenn ich jetzt gleich wieder einschlafe, anstatt irrsinnigen Sex mit dir zu haben?«

»Warum sollte ich dir böse sein?« Ich ging ein wenig auf Abstand, zwinkerte ihm zu. »Wenn du bei dem Getöse auch nur ein Auge schließen kannst, hast du sowieso einen Orden verdient.«

Sein Blick veränderte sich, wurde erst weich, dann schelmisch. Er zog mich an sich, ich fühlte seine Hände über meinen Rücken gleiten.

»Andererseits hat der Krach auch gewisse Vorteile«, murmelte er, während seine Finger tiefer und tiefer wanderten. »Du kannst so laut sein wie noch nie, und niemand wird dich hören.«

Lachend fielen wir auf die Matratze, und bald war alles um uns vergessen. Das Kindergeschrei von draußen, das Lärmen der Erwachsenen, nicht einmal das Geschepper und die Täterätäs hörten wir noch.

***

Im »Da Ernesta« waren auf den ersten Blick alle Tische besetzt. Der Ober, der nach unserer Reservierung fragte, maß uns mit sichtlichem Unverständnis. Mit der Bemerkung, dass man bei ihnen immer reservieren müsse, »veramente sempre, signora, capisce?«, organisierte er angesichts meiner italienischen Abstammung dann aber doch einen Tisch im überdachten Innenhof, in dem ein Marmorbrunnen vor sich hinplätscherte.

Das Ristorante lag am nördlichen Ende des Stadtplatzes, in einem Eckhaus, und war auch in natura so nobel wie im World Wide Web. Die Einrichtung war in Türkis und Kakaofarben gehalten, die Tische waren so großzügig arrangiert wie in einem Sternerestaurant. Riesige Lampen schwebten an den Decken und tauchten alles darunter in einen kupfergoldenen Schimmer.

Um uns herum wurde gespeist, geplaudert und getrunken, es duftete nach Knoblauch und den Gewürzen meiner alten Heimat. Die Kellner und Kellnerinnen eilten emsig hin und her, hatten aber dennoch für jeden Gast aufmerksame Blicke übrig. Am Tresen, wo zwei Barkeeperinnen routiniert Getränke ausschenkten, wurde italienisch gesprochen. Die anderen Angestellten unterhielten sich in einer Mischung aus Bayerisch und Italienisch.

Wir bestellten gemischte Antipasti, als Primo spaghetti al pesto di noci, das Walnusspesto und die Nudeln natürlich aus eigener Herstellung, gefolgt von agnello al rosmarino, mit Rosmarin gewürzte Lammkoteletts, dazu wurde gegrilltes Saisongemüse serviert. Als aperitivo orderten wir einen Secco rosé, anschließend einen Primitivo aus Apulien und spritziges Wasser.

Noch vor dem ersten Schluck Secco nahm ich die vielen Lithografien und Kunstdrucke in Augenschein, die uns umgaben. Schlösser und Burgen vor bewaldeten Landschaften, Holzhütten und Ruinen, die an steilen Felsen hoch über dem Meer klebten. Dazwischen Aktzeichnungen von verwirrender Intensität, die meisten davon mit Abbildungen weiblicher Körper.

Die drei Gemälde, die ich aufspüren sollte, waren natürlich nicht darunter. Erstens waren sie viel zu wertvoll, um hier aufgehängt zu werden, und zweitens vermutlich erst heute geliefert worden. Ich hoffte jedoch, einen der Angestellten darauf ansprechen zu können. Aber darum würde ich mich später kümmern. Die gemeinsam verbrachte Zeit mit Maximilian tat mir gut, und noch immer war ich trunken von seiner Nähe, trunken von unserem neu erblühten Glück.

Wir prosteten uns zu. Seine Augen, stellte ich zufrieden fest, als ich am Secco nippte – der aperitivo schmeckte einfach göttlich –, hatten ihren Glanz zurückgewonnen. Schon vor dem Aufbruch war uns nach Feiern zumute gewesen, wir hatten uns fein gemacht. Zu seinen obligatorischen, wie angegossen sitzenden Jeans hatte Maximilian sich für ein anthrazitfarbenes Hemd und ein edles Jackett entschieden. Auch ich hatte mich in Schale geworfen und trug ein kleines Schwarzes aus Wildseide.

Bald kamen die Antipasti. Das vitello tonnato war das zarteste, das ich je gegessen hatte, und die dazu garnierten Oliven und Cocktailtomaten trugen die südliche Sonne, in der sie gereift waren, noch in sich. Der Wein war rubinrot und schmeckte so abgerundet und samten, als stammte er aus der cantina meines Onkels Marcello, der den besten Rotwein kreierte, den ich kannte. Mit jedem Schluck, mit jedem Bissen wurden wir ausgelassener.

Auch an den Nachbartischen ging es launig zu. In einer Nische beim Brunnen, wo zwei Paare mittleren Alters saßen, war die Stimmung besonders angeregt. Immer wieder schnappten wir Gesprächsfetzen auf. Man lobte das Essen und unterhielt sich lautstark über die letzten Urlaubsreisen, alle ausnahmslos zu hörbar kostspieligen und, Klimakatastrophe hin oder her, exotischen Zielen. Champagner und Wein flossen in Strömen.

Mir fiel auf, dass viele der anderen Gäste immer wieder zu dem Vierergespann hinübersahen, teilweise neugierig, teilweise ehrfurchtsvoll. Einer der Männer – er trug Hornbrille und Glatze und beides mit Stolz – schwadronierte ohne Unterlass. Seinem Kompagnon, wie er im Nobel-Anzuglook, gelang es nur selten, eine Bemerkung einzuwerfen. Die nicht minder elegant gekleideten und mit Edelsteinen geschmückten Damen – eine mollige, auffallend hübsche Schwarzhaarige und eine schmale Brünette mit schiefen Zähnen – beteiligten sich nur mit zustimmendem Nicken oder glockenhellem Lachen an der Konversation.

»Schade, dass wir es so weit haben nach Burghausen«, sagte Maximilian, als er die letzten hauchdünn geschnittenen Schalotten und Auberginen des Secondo auf seine Gabel spießte. »Morgen Abend kommen wir wieder her, abgemacht?«

Es war zehn vorbei und ich schon fertig mit dem Hauptgang. Ich hatte mich mit mehreren Obern unterhalten, ihnen jedoch keine Informationen über eventuell heute gelieferte Bilder entlocken können.

Ein Duft nach frisch gemahlenen Kaffeebohnen stieg mir in die Nase. »Wie wär’s mit einem caffè, amore?«

»Espresso, Dessert, Grappa, ich nehme alles.«

Maximilian trank genießerisch einen Schluck Wein und winkte dem Kellner, der sofort zur Stelle war. Aus dem Augenwinkel sah ich eine langbeinige Frau auf mörderisch hohen Stilettos durch den Innenhof stolzieren. Ich erkannte sie sofort wieder – Ernesta, die Inhaberin dieses vorzüglichen Ristorante.

Sie begrüßte hier diesen Gast, dort jenen, lachte immer wieder laut und aufreizend und war sich ihrer atemberaubenden Wirkung voll bewusst. Das platinblonde Haar, das in krassem Gegensatz zu den dunklen Augenbrauen und dem gewiss von Natur aus bronzefarbenen Teint stand, hatte sie zu einem gewagten Turm drapiert. Auch ihr fließendes Kleid in schlichtem Weiß, mit Pailletten übersät und der Machart nach zu schließen von Gucci, zog alle Blicke auf sich.

»Bei Ihnen passt alles?«, fragte sie uns zuvorkommend und in fast akzentfreiem Deutsch. Ihre Stimme war tief und wie bei vielen Italienerinnen rauchig. »Sind Sie zufrieden mit dem Essen und dem Service?«

»Tutto a posto«, bestätigte ich, lobte jeden einzelnen Gang und schloss mit den Worten: »Siamo contenti – no, siamo contentissimi.«

Mit plötzlich erwachter Aufmerksamkeit scannte sie mich mit ihren fast schwarzen Augen von oben bis unten ab, während sie Maximilian kaum beachtete. Ein Lächeln schoss wie eine Leuchtkugel über ihr schmales Gesicht und verglühte sternschnuppengleich auf halber Strecke, nur in umgekehrter Richtung. Mein ursprünglicher Gedanke, sie würde mich an jemanden erinnern, meldete sich zurück.

»Das freut mich sehr«, sagte sie auf Italienisch. »Sie sind heute Abend zum ersten Mal bei uns zu Gast?«

Ich erklärte, wir seien nur auf der Durchreise. Sie erkundigte sich, woher in Italien ich stammte. Mir entging nicht, dass ihre Stimme dabei vibrierte und sie mir tiefe Blicke zuwarf, in denen weit mehr mitschwang als das bloße Interesse an einem Gast oder einer Landsmännin. Ernesta hegte offensichtlich eine Vorliebe für Frauen.

»Aus der Toskana«, antwortete ich.

Normalerweise hätte ich nun von meiner Heimat zu schwärmen begonnen und sie nach ihren Wurzeln gefragt, ihrem Akzent nach stammte sie aus Norditalien. Stattdessen aber lobte ich die ausgestellten Bilder, was sie mit einem geschmeichelten Nicken zur Kenntnis nahm. Bevor sie etwas entgegnen konnte, ging in der Nische am Brunnen die nächste Lachsalve los.

»Ernesta, das Filetto!«, dröhnte der Mann mit Glatze und Brille in unsere Richtung und betonte das letzte Wort so, als schriebe man es mit fünf L und noch mehr T. Das E dazwischen, das man im Italienischen eigentlich betont hätte, verschluckte er. »Das Filllllettttttto war einfach bombastisch!«

Sie entschuldigte sich, mit leisem Bedauern, wie mir schien, wünschte uns einen schönen Abend und trat an den Tisch der Bande.

»Das freut mich wirklich sehr, Herr Dr. Grafenreuther«, sagte sie herzlich. »Wie schön, dass Sie wieder einmal bei uns zu Gast sind. Sonst alles in Ordnung?«

»Alles bestens, Ernesta, alles bestens.« Der Rädelsführer der beiden Pärchen betatschte ihre Hand. »Das letzte Mal waren wir übrigens beim Du, schon vergessen? Setz dich doch her zu mir und gib mir als Entschädigung einen kleinen Kuss.«

Er lachte dröhnend und versuchte, sichtlich angetrunken, sie mit ungelenken Bewegungen auf seinen Schoß zu ziehen. Die Schwarzhaarige neben ihm versetzte ihm einen Stoß mit dem Ellbogen, was er jedoch nicht zu bemerken schien. Er zog und zerrte nun auch an Ernestas runden Hüften.

»Stimmt, Michael, du verzeihst mir doch?« Mit neckischem Lachen entschlüpfte sie seinem Griff. »Darf ich dich, deine charmante Gattin«, ein angedeutetes Nicken in Richtung der Schwarzhaarigen, »und deine beiden Freunde zu einem Digestif einladen? Wir kennen uns leider noch nicht«, ihr warmer Blick streifte das zweite Paar, »aber du stellst mir die Herrschaften ja sicher vor. Grappa, Limoncello oder lieber einen Ramazzotti?«

»Aber immer, Ernesta, aber immer«, polterte er. »Du darfst mich einladen, zu was du willst.«

Während Ernesta sich auf den noch freien Stuhl zwischen den beiden Männern setzte, ging ihre Antwort im allgemeinen Gelächter unter. Am lautesten lachte der Glatzköpfige selbst über seinen geschmacklosen Witz. Seine Gattin stimmte in die Heiterkeit mit ein, wenn auch mit säuerlicher Miene. An Ernestas teilnahmsvollem Lächeln – wieder erhellte es jede Partie ihres Gesichts, nur nicht die Augen – meinte ich zu erkennen, dass sie Mitleid mit der Schwarzhaarigen hatte.

Längst war mir klar geworden, an wen Ernesta mich erinnerte. Sie hatte sogar dasselbe Lächeln wie Vittorio Rossignolo.

Stille Donau

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