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PROLOG

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Zweiter März im Jahre des Herrn 1468

Louvre, Paris

Der Anblick des Herzogs Karl von Guyenne und seiner Mätresse, die sich ganz offensichtlich in dem prunkvollen Bett vergnügten, war abstoßend und faszinierend zugleich.

So wie Gott den Tag und die Nacht erschaffen hatte, so hatte er auch schöne und weniger schöne Menschen erschaffen, dachte der Mörder in der grün-golden gestreiften Livree eines Dieners und starrte gebannt auf das Bild, das sich ihm bot. Der Gedanke an Gott behagte ihm dabei nicht ganz, und er zwang sich, ihn zur Seite zu schieben, was nicht weiter schwierig war, weil die aufsteigende Hitze in seinen Lenden ganz andere Vorstellungen in ihm wachrief.

Über den seidenen Kissen, nur wenige Ellen von ihm entfernt, breitete sich eine Flut rotblonder Locken aus, die bis zu den vollen, weiß schimmernden Brüsten Colette de Chambes reichten. Diese hielt ihre leicht schräg stehenden, grünen Augen geschlossen, und ihrem schönen Mund entrang sich ein Stöhnen, das den dürren, etwas verwachsenen Mann über ihr anzuspornen schien, denn seine Bewegungen wurden schneller. Sein Gesicht mit der spitzen Nase und dem ebenso spitzen Kinn war genauso hässlich wie sein Körper.

Fahle, durchscheinende Haut spannte sich über dünne Kinderknochen, deren Anblick unweigerlich an Krankheit und Tod denken ließ.

Die beiden schienen es eilig gehabt zu haben, ins Bett zu kommen, wie die über den gesamten Boden hinweg verteilten Kleidungstücke bezeugten, und sie hatten sich auch nicht erst die Mühe gemacht, die schweren Brokatvorhänge zuzuziehen, die das Bett umrahmten.

Ein grausames Lächeln umspielte den schmalen Mund des Mörders, als er die nackten, ineinander verschlungenen Körper der Liebenden betrachtete, deren Leidenschaft sie alles andere um sich herum vergessen ließ.

Vielleicht fällt es Colette ebenso schwer wie mir, den Anblick des Herzogs zu ertragen, und sie hält deshalb ihre Augen geschlossen, dachte er, und der Gedanke erfüllte ihn mit grimmiger Genugtuung.

Ohne besondere Eile stellte er die große Silberschale mit den duftenden Pfirsichen auf dem zierlichen Tisch vor dem Fenster ab, legte ein glänzendes Messer griffbereit daneben und verschwand dann ebenso lautlos, wie er gekommen war.

Am nächsten Morgen glich Paris einem brodelnden Hexenkessel. Die Gemüter der Menschen waren erhitzt, und Gerüchte liefen von Haus zu Haus, durch Garküchen, Schänken und sogar bis in die letzten Winkel der Stadtmauern, in denen die Bettler und Ausgestoßenen hausten.

Es hieß, Guyenne sei beim Schälen eines Pfirsichs mit einem vergifteten Messer zu Tode gekommen und der König selbst habe den Mord an seinem Bruder in Auftrag gegeben.

König Ludwig XI. lehnte sich zufrieden in seinem Thronsessel zurück und zog seinen scharlachroten, mit Zobelpelz gefütterten Umhang enger um seine Schultern. Der schwarze Turban, den er sonst nur bei offiziellen Anlässen trug, verdeckte seine fliehende Stirn und ließ seine Nase noch spitzer erscheinen, als sie es ohnehin schon war.

Er setzte eine betrübte Miene auf, als sein heimlicher Ratgeber Philippe Commynes den Saal betrat, obwohl er innerlich triumphierte. Philippe Commynes ging am burgundischen Hof ein und aus und galt als ein enger Vertrauter seines Erzfeindes Herzog Karl.

Ein Blick in die eng zusammenstehenden Augen des Königs genügte Philippe, um zu erkennen, dass dessen Trauer über den Tod seines Bruders nur gespielt war. Er fühlte sich unbehaglich, als er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah.

Ein Brudermord war ein abscheuliches Verbrechen, ein Verbrechen, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zog seit der Zeit, als Kain seinen Bruder Abel ermordet hatte.

Sein Unbehagen verstärkte sich nochmals, als er sich widerwillig eingestand, dass er nicht ganz unschuldig an Guyennes Tod war. Immerhin war er derjenige gewesen, der Ludwig von dessen hartnäckigen Bemühungen um Marias Hand unterrichtet hatte.

Siedend heiß wurde ihm bewusst, dass die Augen des Königs noch immer auf ihm ruhten, und es schien ihm, als hätte sich des Königs Blick dabei verfinstert, oder bildete er sich das nur ein?

Er zwang sich zu einem kühlen, unverbindlichen Lächeln und hoffte, dass sein Gesichtsausdruck ihn nicht verraten hatte. Unwillkürlich straffte er die Schultern. Seine Sinne waren aufs Äußerste gespannt, denn es war nicht ungefährlich, sich im Dunstkreis der Mächtigen aufzuhalten, und die langen Jahre am Hof Karls des Kühnen hatten sein Gefühl für Gefahr geschärft. Mittlerweile konnte er sie sogar schon riechen, wo sie für andere Menschen noch nicht einmal im Ansatz greifbar war. Wie jeder Mensch, der etwas zu verbergen hatte, konnte Ludwig nicht tatenlos hinnehmen, wenn ihn jemand durchschaute und dadurch unweigerlich zum Mitwisser seiner schändlichen Taten wurde.

Doch die nächsten Worte des Königs überraschten ihn.

»Wisst Ihr, mein lieber Commynes, ich habe fast den Eindruck, dass es Gott gefällt, manche Schwierigkeiten von mir zu nehmen. Sicher habt auch Ihr längst von meinem herrlichen Obstgarten gehört?«

Philippe Commynes schluckte hart, als Ludwig so offen auf die Gerüchte zu sprechen kam und Worte dafür fand, die keinem anderen Menschen in seiner Situation über die Lippen gekommen wären. Er schien sich nicht im Geringsten um seinen Ruf zu sorgen und den Schrecken, den er seinem Volk durch den heimtückischen Brudermord zugefügt hatte, allem Anschein nach auch noch zu genießen.

In leichtem Plauderton fuhr der König fort. »Es ist Zeit für das Mittagsmahl, würdet Ihr mir wohl die Ehre erweisen und mein Gast sein?«

Philippe Commynes verneigte sich tief und stumm und spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten.

Zu zweit nahmen sie an der Tafel Platz, deren Länge auf nicht mehr als zehn Personen ausgerichtet, heute aber nur für sie beide eingedeckt worden war. Ludwig liebte es, in kleinem Kreise zu speisen, wobei er seine Tischpartner jedoch sorgfältig auswählte.

Die Diener reichten Pastete und Wild, dazu frisches Gemüse, duftendes weißes Brot und gebratene Fische, dann entfernten sie sich auf einen Wink des Königs wieder.

»Gottes Wege sind unergründlich, findet Ihr nicht auch?«, eröffnete Ludwig das Tischgespräch mit vollem Mund und bekreuzigte sich schmatzend.

Philippe Commynes fühlte sich eigentümlich betroffen, als Ludwig den Namen Gottes aussprach.

Giftig wie eine Natter, spann Ludwig aus dem Hintergrund heraus seine tödlichen Fäden, in denen sich jeder, der ihm im Wege war, unweigerlich verfing.

Sein Bruder, der Duc de Guyenne, erster Anwärter auf die Krone, sollte Ludwig etwas passieren, stellte nun keine Bedrohung mehr für ihn und seinen neugeborenen Sohn Charles dar. Weder konnte er Charles die Krone streitig machen noch die Braut, die er ihm zugedacht hatte: Maria, die Erbin Burgunds, deren Glanz Frankreich wie einen leuchtenden Stern erstrahlen lassen würde.

»Was meint Ihr, mein Freund, könnten wir mit Herzog Karl einig werden, wenn wir ihm für die Hand seiner Tochter, sagen wir mal, Amiens und vielleicht auch noch St. Quentin abtreten würden?«, wechselte er abrupt das Thema.

Es klang beiläufig, als wäre ihm der Gedanke gerade erst gekommen, doch der gierige Ausdruck in seinen berechnenden schwarzen Augen entlarvte ihn.

Diese Frage war der endgültige Beweis für Philippe, dass er Recht gehabt hatte, was den Mord anging, aber auch, dass der König ihm vertraute, indem er sich keinerlei Mühe gab, seine ehrgeizigen Pläne vor ihm zu verbergen.

Ludwig hatte seine Maske endgültig fallen gelassen. In seinem blassen, etwas verweichlichten Gesicht waren weder Betrübnis noch Trauer zu erkennen, als er Philippe jetzt verschwörerisch zublinzelte.

Eine Welle der Erleichterung ging durch Philippes Körper, während er fieberhaft nach einer Antwort suchte, die Ludwig zufrieden stellen würde.

Er kannte die hochtrabenden Pläne des Herzogs von Burgund nur zu gut und wusste genau, dass Karl seine Erbtochter niemals mit Ludwigs Sohn verheiraten würde, solange er die Hoffnung hatte, durch eine Heirat Marias mit dem Kaisersohn Maximilian selbst noch die Königskrone zu erlangen, doch das konnte er Ludwig unmöglich sagen.

Er entschloss sich daher, diplomatisch vorzugehen.

»Wie Ihr wisst, kämpft der Herzog von Burgund an vielen Fronten, sodass der Weisheit Eurer Majestät viel Raum zum Handeln gelassen ist«, begann er schmeichelnd. »In dieser Angelegenheit sollte man deshalb den richtigen Moment abwarten, einen Moment der Schwäche, in dem der Herzog in seiner Entscheidungsfreiheit eingegrenzt ist. Genügend Feinde hat er sich ja schon geschaffen, selbst in den eigenen Reihen, und dazu die ständigen Unruhen an den verschiedenen Grenzen seines wahrlich unübersichtlichen Reiches. Noch hat er hochtrabende Pläne und nutzt alle Bewerber um Marias Hand für seine Zwecke, allen voran den Herzog von Lothringen. Solange er ihnen Hoffnungen machen kann, ist er ihrer Loyalität sicher, doch wie schnell kann sich das Blatt wenden und geht Glück in Unglück über?«

Er legte eine kurze Pause ein, um Ludwig Zeit zu lassen, über seine Worte nachzudenken. Schließlich hatte er ihm soeben durch die Erwähnung des Herzogs von Lothringen eine Möglichkeit aufgezeigt, wie er dem Herzog von Burgund eine empfindliche Schlappe versetzen und diese Möglichkeit gleichzeitig auch noch als seine eigene Idee ausgeben konnte. Diese Chance würde er sich sicher nicht entgehen lassen. Zu gut kannte Commynes die grenzenlose Eitelkeit Ludwigs, die nur noch von seinem Machthunger und seiner Gier übertroffen wurde.

Zwei Diener kamen mit einer großen Silberschale glänzender Pfirsiche herein und stellten sie auf dem Tisch ab. Ludwig bedeutete ihnen, sich zu entfernen, dann beugte er sich über die Pfirsiche und nahm einen nach dem anderen in die Hand. Es sah aus, als würde er ihre Reife prüfen. Dann schien er endlich einen Pfirsich gefunden zu haben, der nach seinem Geschmack war, und begann damit, ihn eigenhändig in kleine Stücke zu schneiden, die er auf Commynes’ Teller legte.

Commynes wurde blass.

Die Natter hatte ihm einen Pfirsich gereicht, genau wie die Schlange einst Eva den Apfel gereicht hatte. Seine Gedanken überschlugen sich. Wollte der König nun etwa auch ihn vergiften? Konnte es möglich sein, dass seine Miene entgegen allem Anschein seine heimlichsten Gedanken zuvor doch verraten hatte?

Was sollte er nur tun?

Auf seiner Stirn bildeten sich feine Schweißperlen.

König Ludwig beobachtete ihn lächelnd, bevor er seiner Qual ein Ende bereitete.

»Habt Ihr wirklich vor, diese köstlichsten aller Früchte zu verschmähen?«, fragte er beinahe liebevoll und zog den Teller zu sich herüber. Dann steckte er sich genüsslich ein Stück nach dem anderen in den Mund.

Philippe atmete erleichtert auf. Er würde sich niemals an den makaberen Humor der Franzosen gewöhnen. Und er erkannte, dass der biblische Vergleich, der ihm gerade durch den Kopf geschossen war, gar nicht so falsch gewesen war. Nur dass in diesem Fall der Pfirsich für die Erkenntnis stand, die der König beschlossen hatte, mit ihm zu teilen.

Als der König ihn entließ, hatte Philippe sich wieder beruhigt. Er hatte gewusst, auf was für ein gefährliches Spiel er sich eingelassen hatte, indem er sich von Herzog Karl abgewandt und in König Ludwigs Dienste begeben hatte. Doch er hatte gerade noch rechtzeitig erkannt, dass es mit Karl kein gutes Ende nehmen würde. Dessen brennender Traum, das alte burgundische Königreich wiederauferstehen zu lassen, war zu ehrgeizig für einen einzigen Mann, und die Ritterideale, die er durch den Orden vom Goldenen Vlies zu erhalten versuchte, fanden keinen Platz mehr in einer Zeit, in der die Bürger immer selbstbewusster wurden und mit zäher Unnachgiebigkeit auf ihre eigenen Rechte pochten. Eine Tatsache, die er sehr bedauerte, da Karl ihm im Grunde seines Herzens näherstand als dieser durchtriebene und heimtückische Franzosenkönig.

Aus allen Toren der Stadt ritten Boten aus, um die Nachricht vom Tode des Herzogs von Guyenne an die Höfe Europas zu tragen, zu Kaiser Friedrich III. nach Wien, nach England und Lothringen, zum Bischof von Metz und nach Bern, dem Vorort der Eidgenossenschaft, und schließlich auch nach Gent, wo Karl, der Herzog von Burgund, sie nachdenklich zur Kenntnis nahm.

Guyenne war einer der hartnäckigsten Bewerber um Marias Hand gewesen, doch er, Karl, hatte die Heirat bewusst in der Schwebe gehalten, wie er es bei allen Bewerbern machte. Er hatte noch viel Zeit, um Maria zu verheiraten, Zeit, die er nutzen würde, um Burgund zu vergrößern und sein Reich zu festigen.

Um Guyenne war es nicht weiter schade, aber Ludwig hätte eigentlich wissen müssen, dass er es niemals zugelassen hätte, dass sich sein eigenes Blut mit dem dieses unansehnlichen kränkelnden Mannes vermischen und in seine Erblinie eingehen würde.

Ludwig hätte sich den Mord sparen können, der ihm, Karl, nun eine willkommene Gelegenheit bot, gegen den verhassten Feind vorzugehen und sein eigenes Volk und seine Verbündeten gegen ihn aufzuwiegeln.

Einem Brudermörder konnte man nicht trauen, er konnte kein gottgewollter König sein und würde Tod und Verderben über jeden bringen, der sich nicht schleunigst von ihm abwandte.

Er spürte, wie der alte Hass wieder in ihm hochstieg, und schleuderte unbeherrscht den kostbaren Silberpokal gegen die Wand, aus dem er gerade noch getrunken hatte. Ludwig, dieser tückische kleine Verräter, war weitaus gefährlicher als jeder Saulus.

Sein Vater, Philipp der Gute, hatte ihn einst wie einen Sohn aufgenommen, als er flüchtig und heillos zerstritten mit dem eigenen Vater gewesen war.

Ohne zu zögern hatte Philipp der Gute damals die Belagerung von Deventer abgebrochen, die eine Expedition zur Eroberung Frieslands einleiten sollte, und war nach Brüssel geeilt, um Ludwig willkommen zu heißen.

In den darauf folgenden Jahren, die Ludwig am burgundischen Hof verbracht hatte, hatte Karl Seite an Seite mit ihm gejagt und war ihm stets ein guter Freund gewesen.

Er hatte seiner einzigen Tochter auf Ludwigs Wunsch hin sogar den Namen von dessen Mutter, der Königin von Frankreich, gegeben und ihm zu allem Überfluss auch noch die Ehre erwiesen, Marias Pate zu werden und sie über das Taufbecken zu halten.

Als Dank dafür hatte Ludwig in seiner hinterhältigen, feigen Art immer wieder versucht, einen Keil zwischen seinen Vater Philipp und ihn zu treiben, was ihm auch fast gelungen wäre und Vater und Sohn beinahe für immer entzweit hätte.

Hugonet, der liebe, gute Hugonet hatte ihn richtig beraten. Und er erkannte jetzt, was sein Kanzler schon lange vor ihm erkannt hatte: Dass ein Bündnis mit England die einzige Möglichkeit war, um Frankreich die Stirn zu bieten und gleichzeitig zu verhindern, dass sich der englische König Eduard VI. hinter seinem Rücken mit Ludwig zusammenschloss.

Noch am selben Tag verließ der größte Teil der französisch sprechenden Ritter und Höflinge Burgund in Richtung Frankreich, um dafür zu sorgen, dass sich die Kunde von der schändlichen Tat des Königs im ganzen Land verbreitete. Kaiser Friedrich III. befand sich trotz des feinen Nieselregens in seinem privaten Teil des Schlossgartens an einem seiner Pflanztische, als Dr. Georg Heßler, sein Protonotar und Vertrauter, mit der Botschaft vom Tod Guyennes erschien.

Die Hände des Kaisers waren mit brauner Erde überzogen, und seine klaren Gesichtszüge wirkten wohltuend entspannt, fast schon verklärt, während er vorsichtig die winzigen Zwiebeln seltener Blumen in die weiche Erde drückte.

Er war so in sein Tun versunken, dass Dr. Heßler sich mehrmals räuspern musste, um von ihm bemerkt zu werden.

Friedrich empfing ihn trotz der Störung in seiner Lieblingsbeschäftigung ruhig und freundlich, während seine kräftigen Hände, mit denen er sogar Eisenstangen biegen konnte, behutsam fortfuhren, die winzigen schwarzen Blumenzwiebeln in die Erde zu stecken.

Dr. Heßler wusste, dass Friedrich wenn sie allein waren, keinen Wert auf die übliche Etikette legte, und kam daher sofort zur Sache.

»Der Duc von Guyenne ist vergiftet worden, und es heißt, der König von Frankreich hätte diesen Mord in Auftrag gegeben.«

Friedrich sah auf und schenkte ihm einen kurzen Blick aus seinen ehrlichen braunen Augen. »Wie weise ist doch Gott unser Herr, der dem menschlichen Handeln zusieht, ohne darin einzugreifen, und weise ist auch der Ackersmann, der im richtigen Moment erntet, was er gesät hat.«

Bevor er sich wieder seinen Zwiebeln zuwandte, warf er noch einen nachdenklichen Blick in den grau verhangenen Himmel, und Dr. Heßler wusste, dass er entlassen war. Wie töricht doch die meisten Menschen waren; verwechselten kluges Abwägen und Warten mit Unentschlossenheit und Feigheit. Hätte jedoch jedes Land einen solchen Herrscher wie diesen Kaiser, würde es keine Kriege mehr geben und endlich Friede auf Erden herrschen.

Vor den kaiserlichen Stallungen traf er auf einen hochgewachsenen blonden Jungen, der sich gerade furchtlos auf ein unruhig tänzelndes, mächtiges Schlachtross schwang. Der breitschultrige grauhaarige Stallmeister hatte Mühe, das temperamentvolle Tier zu halten. Immer wieder warf es seinen Kopf hoch und scharrte dabei ungeduldig mit den Hufen. Der Junge ließ sich davon jedoch nicht beeindrucken, grinste Dr. Heßler übermütig an und hob grüßend die Hand.

Der Protonotar verneigte sich. »Seid gegrüßt, junger Herr«, sagte er und beobachtete, wie Maximilian, der Sohn des Kaisers, dem Pferd die Fersen in die Flanken stieß.

Das Pferd machte daraufhin einen mächtigen Satz nach vorn und riss dem Stallmeister die Zügel mit einem Ruck aus der Hand, sodass er aus dem Gleichgewicht geriet. Nur mit Mühe gelang es ihm, sich wieder zu fangen. Mürrisch sah er dem davonjagenden Reiter nach.

»Irgendwann wird sich der Bengel in seinem Leichtsinn noch das Genick brechen«, murmelte er respektlos.

Als er den Protonotar erkannte, nahm sein Gesicht einen ehrerbietigen Ausdruck an.

»Euer Pferd steht bereit, es ist gefüttert und getränkt«, versicherte er ihm beflissen und sah sich nach den Stallburschen um, der wie immer, wenn man ihn brauchte, verschwunden war. Er legte zwei Finger an den Mund und stieß einen lauten Pfiff aus. Sofort eilte ein kräftiger junger Bursche herbei, um seinen Befehl entgegenzunehmen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß.

»Bring das Pferd von Dr. Heßler«, befahl der Stallmeister und wandte sich wieder dem Protonotar zu, der ihn aus zusammengekniffenen Augen musterte.

»Ihr solltet besser auf den jungen Herrn achtgeben«, bemerkte er mahnend. Der Vorwurf in seiner Stimme war unüberhörbar.

Der Stallmeister seufzte nur und zuckte die Schultern.

»Selbst der wildeste Hengst ist noch eine Schindmähre gegen das Temperament dieses Jungen«, verteidigte er sich gegen den in seinen Augen ungerechten Vorwurf. Der hohe Herr hatte gut reden. Schließlich musste er nicht Tag für Tag gegen die Wünsche des jungen Herrn ankämpfen, der zuletzt doch jedes Mal seinen Willen durchsetzte.

Im Stillen gab Dr. Heßler dem Stallmeister Recht. Er war wahrhaftig nicht um seine Verantwortung zu beneiden. Im Gegensatz zu seinem Vater war Maximilian abenteuerlustig und voller Tatendrang. Und um eine Entscheidung zu treffen, brauchte er nicht länger als einen Wimpernschlag. Für seine zukünftige Rolle als Kaiser war er viel zu heißblütig und unbedacht. Sein Temperament zu zügeln war daher die dringlichste Aufgabe, vor welche die Lehrmeister des Kaisersohns gestellt waren.

Dr. Heßler saß auf und ritt aus dem Hof, doch seine Gedanken kreisten auch noch um den Sohn des Kaisers, als er das Schloss schon längst wieder verlassen hatte.

Die Thronfolgerin

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