Читать книгу Die Thronfolgerin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 9

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Schwarze Gewitterwolken türmten sich bedrohlich über dem Reichenauer Tal, und die feuchtschwüle Luft wurde mit jeder Minute, die verging, drückender.

Die Dohlen verstummten fast gleichzeitig, und sogar der Steinadler, der eben noch seine Kreise am Himmel gezogen hatte, war plötzlich verschwunden.

Auch die Männer, die hintereinander durch das Tal ritten, bemerkten, dass sich ein heftiges Gewitter über ihren Köpfen zusammenbraute, und trieben ihre Pferde daher zur Eile an. Sie folgten einem ausgetretenen, engen Pfad, der sich umsäumt von saftigen Wiesen durch das Tal schlängelte.

Für einen kurzen Moment schob sich ein letzter, gleißender Sonnenstrahl durch die Wolken und lenkte den Blick des vordersten Reiters auf die Steilwand, die sich schroff über dem Tal erhob.

Sein Atem stockte, als er dort in etwa hundert Klafter Höhe einen Gamsbock entdeckte, der regungslos auf einem felsigen Vorsprung verharrte.

Er hob die Hand zum Zeichen für die Reiter, die ihm folgten, brachte seinen Hengst zum Stehen und warf einen abschätzenden Blick nach oben. Seine hellen, braunen Augen funkelten vergnügt, hatte er die Hoffnung, am heutigen Tag noch eine Gams zu erlegen, doch längst aufgegeben.

Seine Begleiter folgten seinem Blick.

»Der Bock steht zu hoch, um ihn zu erreichen, Max«, gab sein Freund und Jagdgefährte Albrecht von Sachsen zu bedenken.

Berthold von Henneberg stimmte ihm insgeheim zu, kannte Maximilian, den Sohn des Kaisers, aber gut genug, um zu wissen, dass ihn gerade das unmöglich Erscheinende besonders reizte.

»Ich wette einen Fuder Wein, dass du ihn nicht triffst«, sagte er herausfordernd, und in seine grauen Augen trat ein lauernder Ausdruck. Maximilian hatte während der heutigen Jagd bereits zwei Rehböcke mit einem Blattschuss erlegt, und es konnte nicht schaden, wenn er sich endlich einmal eine Niederlage einhandeln würde.

Er selbst hatte weniger Glück gehabt. In seinem Ehrgeiz, Maximilian zu übertreffen, hatte er die Sehne seines Bogens so weit gespannt, dass sie gerissen war und ihm einen schmerzhaften Striemen auf seiner Wange hinterlassen hatte, der noch immer wie Feuer brannte.

Maximilian zögerte.

»Traust du dir zu, ihn mit deiner Büchse zu erlegen, Jörg«, wandte er sich an einen hochgewachsenen, sehnigen Mann mit wachen, blauen Augen.

Der Büchsenmacher schüttelte bedauernd den Kopf.

»Albrecht hat Recht, an den Bock kommen wir nicht ran.«

Wortlos griff Maximilian nach seiner Armbrust, legte einen Bolzen ein und spannte sie.

»Wir werden ja sehen«, gab er zurück und legte an.

Er bot das vollkommene Bild eines Jägers. Seine Muskeln unter dem blauen Waffenrock waren gespannt, sein Blick konzentriert.

Einen Augenblick lang verharrte er ebenso bewegungslos wie die Gams über ihm, nur sein schulterlanges, blondes Haar, flatterte im auffrischenden Wind.

Berthold und Albrecht hielten den Atem an, als sich Maximilians Zeigefinger um den Abzugshahn krümmte.

Dann drückte er ab, der Bolzen schnellte aus der Armbrust und traf den Bock mitten ins Herz.

Wie ein gefällter Baum kippte das Tier auf die Seite, rutschte über den Vorsprung und prallte nicht weit von ihnen entfernt auf einer Wiese auf.

Maximilian wandte sich triumphierend um. Sein Gesicht strahlte vor Stolz, während ihn Albrecht mit offenem Mund anstarrte. Mit einem solchen Treffer hatte er nicht gerechnet.

»Was für ein Schuss«, rief er aus und schlug Maximilian begeistert auf die Schulter.

Bertholds Augen verengten sich dagegen zu schmalen Schlitzen. Wie zum Teufel war es nur möglich, dass Maximilian absolut alles gelang, was er sich in den Kopf gesetzt hatte?

»Fortuna scheint dir wie immer wohlgesinnt zu sein«, knurrte er verächtlich und zeigte damit deutlich, dass er Maximilians Treffer lediglich für einen glücklichen Zufall hielt.

Doch Maximilian ließ sich seine gute Laune nicht verderben und grinste.

»Was hältst du von einem kleinen Wettschießen morgen früh, nur wir beide?«, erwiderte er, ganz wie Berthold es erwartet hatte.

Berthold zuckte gleichmütig die Schultern.

»Ihr Wunsch ist mir Befehl, Sire«, erwiderte er und neigte spöttisch seinen Kopf.

Jörg Burghart beobachtete Berthold unter halbgeschlossenen Lidern.

Berthold war ein schlechter Verlierer und verhielt sich, wie er fand, oft unnötig grausam, vor allem gegenüber Schwächeren.

Er kannte Berthold von dem Tag an, als sein Vater ihn an den Wiener Hof geschickt hatte, und wusste, wie sehr Neid und Ehrgeiz an seiner ruhelosen Seele nagten. Doch er hatte noch nie so recht begriffen, was es wirklich war, was den Jungen so sehr quälte.

Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ Reiter und Pferde zusammenschrecken. Mit einem Schlag wurde es so dunkel, dass man kaum noch die Hand vor Augen erkennen konnte. Blitze zuckten über den Himmel, und Donner rollte nun fast ununterbrochen über sie hinweg. Ein heftiger Regenguss folgte. Innerhalb weniger Augenblicke waren Reiter und Pferde bis auf die Knochen durchnässt, und der Pfad unter ihren Füßen verwandelte sich in eine gefährlich rutschige Schlammbahn.

»Wir sollten machen, dass wir nach Hause kommen, um den Bock kümmern wir uns später«, meinte Jörg warnend, als er sah, dass Maximilian vom Pferd stieg.

»Hilf mir lieber«, erwiderte Maximilian ungerührt. »Ich werde nicht ohne die Gams zurückkehren.«

Jörg Burghart hatte eine ähnliche Antwort schon befürchtet. Seufzend stieg er ab, um Maximilian zu helfen. Gemeinsam hievten sie den Bock auf Maximilians Pferd und ritten so schnell es ging zurück. Die Hufe der Pferde sanken allerdings mit jedem Schritt tiefer in den Matsch, sodass sie nur sehr mühsam vorankamen.

Hinter ihnen erklang erneut ein Grollen, das zunächst warnend wie das leise Knurren eines Hundes war, innerhalb weniger Sekunden aber zu einem ohrenbetäubenden Krachen anschwoll. Diesmal war es jedoch kein Donner, und Maximilians Nackenhaare sträubten sich. Er wusste sofort, was das Grollen bedeutete: Eine der gefürchteten Muren ging aus den Bergen ins Tal ab und kam direkt auf sie zu.

»Wir müssen aus dem Tal raus«, schrie er dem hinter ihm reitenden Berthold zu und trieb sein Pferd die Anhöhe hoch. Doch die Wiese war durch den vielen Regen glitschig, und der Hengst rutschte immer wieder ab. Schließlich sprang Maximilian vom Pferd und zog es keuchend die Anhöhe hoch.

Albrecht und Jörg taten es ihm nach.

Berthold wollte ihnen folgen, doch sein Pferd fand einfach keinen Halt. Ungeduldig riss er an den Zügeln, nahm dann seine Gerte und drosch unbeherrscht auf das verängstigte Tier ein, das immer mehr in Panik geriet. Seine Flanke war bereits wund, und es wieherte gequält auf.

Maximilian drehte sich zu Berthold um und wurde im nächsten Moment von einer unbändigen Wut gepackt. Ohne lange nachzudenken, sprang er auf Berthold zu, riss ihm die Gerte aus der Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige, die ihn taumeln ließ.

Dann legte er dem verängstigten Tier die Hand auf die Nüstern und flüsterte ihm ein paar beruhigende Worte zu.

Hinter ihnen brach die Hölle los. Das Pferd drohte erneut in Panik auszubrechen, doch Maximilian gab nicht auf, und Jörg eilte ihm zu Hilfe.

Mit vereinten Kräften zogen sie den Hengst aus der Gefahrenzone.

Keinen Augenblick zu früh.

Denn als sie sich schnaufend umwandten, sahen sie nur noch, wie der Boden, auf dem sie gerade noch gestanden hatten, unter der Wucht der Mure vom Hang wegbrach und mitgerissen wurde.

Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit raste der Strom aus Wasser, Stein, Schlamm und Schutt nur wenige Ellen unter ihnen hinweg und riss auf seinem Weg ins Tal alles mit sich, was sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen konnte.

»Das war knapp!« Maximilian strich sich erleichtert eine tropfende Haarsträhne aus dem Gesicht und sah Albrecht an, dem der Schreck noch immer ins Gesicht geschrieben stand.

Es war ein erregendes Gefühl, dem Tod so knapp entkommen zu sein, und in diesem Moment fühlte Maximilian sich, als könnte er die ganze Welt aus den Angeln heben.

»Was für ein Abenteuer!«, rief er begeistert aus und stieg auf sein Pferd.

Albrecht starrte an ihm vorbei auf die gurgelnde, braune Masse aus Steinen und Geröll, brachte keinen Ton heraus.

»Jetzt mach nicht so ein Gesicht, es ist doch noch einmal alles gut gegangen«, sagte Maximilian unbekümmert, worauf Albrecht ein Grinsen versuchte, was ihm jedoch gründlich misslang. Er wollte sich keine Blöße geben, konnte aber das Zittern in seinen Knien nicht abstellen.

Erst nach dem dritten Anlauf schaffte er es auf sein Pferd.

»Durch deinen Leichtsinn hast du uns alle in Gefahr gebracht«, brummte Jörg Burghart vorwurfsvoll.

Maximilian sah ihn mit einem merkwürdigen Blick aus seinen hellen, braunen Augen an.

»Gerade du solltest doch wissen, dass ein Jäger weder seine Beute noch ein Pferd oder einen Mann aus seinem Gefolge jemals zurücklässt.«

Seine muskulöse Gestalt straffte sich. Er nahm die Zügel in die linke Hand und warf einen raschen Blick auf seine Begleiter. Er achtete nicht auf Berthold, der ihn voller Hass ansah.

»Lasst uns nach Hause reiten und dem heiligen Georg für den Schutz danken, den er uns in seiner unermesslichen Güte gewährt hat.«

Jörg Burkhard war wider Willen beeindruckt.

Maximilian ist der geborene Führer, dachte er, und die Männer folgen ihm schon jetzt.

Die unerschütterliche Sicherheit, mit der der Kaisersohn auf sein Glück vertraute, zog die Menschen zu ihm hin, und Jörg Burkhard konnte nur hoffen, dass das Glück, welches Maximilian bei seiner Geburt von den Astrologen vorausgesagt worden war, auch weiterhin anhalten würde.

Der Stallmeister wartete mit wachsender Ungeduld auf die Rückkehr der Jagdgesellschaft. Ein Gewitter in den Bergen konnte äußerst gefährlich sein und war schon manch einem Unvorsichtigen zum Verhängnis geworden.

Obwohl er es niemals zugegeben hätte und ständig über Maximilians Leichtsinn schimpfte, liebte er den Sohn des Kaisers, wie er einen eigenen Sohn nicht mehr hätte lieben können, und der Gedanke, dass ihm etwas zustoßen könnte, war ihm unerträglich.

»Sie kommen«, rief einer der Knechte aufgeregt.

Der Stallmeister schickte ein Stoßgebet zum Himmel und lief den Reitern, gefolgt von einigen Knechten, entgegen.

Die Knechte hoben die Gams von Maximilians Hengst, nahmen den durchnässten Reitern die Zügel aus der Hand und führten die Pferde in die Stallungen.

Maximilian bestand jedoch darauf, sein Pferd selbst zu versorgen. Eigenhändig führte er seinen Hengst ins Trockene, zäumte ihn ab und rieb ihn anschließend liebevoll mit Stroh trocken.

»Ich werde nie verstehen, warum du so ein Aufhebens um deinen Gaul machst«, bemerkte Berthold herablassend, um Maximilan zu provozieren. Er war immer noch wütend wegen der Ohrfeige. Maximilian hatte ihn vor den Augen der anderen gedemütigt, und er hatte sich geschworen, es ihm bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit heimzuzahlen.

Er wartete einen Augenblick auf Maximilians Reaktion. Als diese jedoch ausblieb, wandte er sich ab und verließ den Stall.

Maximilian sah ihm nachdenklich nach.

Sein Vater hatte ihn schon früh gelehrt, dass man das Vertrauen eines Pferdes nur dann gewinnen konnte, wenn man sein Wesen erkannte, und um dieses zu erreichen war es unerlässlich, sich viel Zeit für das Tier zu nehmen. Denn nur wenn dieses Ziel erreicht war, konnte man sich in jeder Situation auf das Tier verlassen, was in zukünftigen Schlachten, die er schon bald zu führen gedachte, ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein würde.

»So, mein Alter, für heute hast du genug getan«, sagte er zu dem Pferd und klopfte ihm zärtlich den Hals. Der Hengst spitzte die Ohren und schnaubte, als würde er jedes Wort verstehen. Dann stupste er Maximilian auffordernd mit der Nase in die Rippen.

Maximilian lachte, zog eine Mohrrübe unter seinem Umhang hervor und hielt sie dem Hengst hin. Anschließend führte er das Tier zurück in seine Box und sorgte dafür, dass es genug Wasser und Heu erhielt.

Erst danach begab er sich in seine Gemächer, wo sein Kammerdiener trockene Kleider für ihn bereithielt.

Er hatte sich gerade umgekleidet, als Rosina von Kraig, die Zofe seiner Schwester Kunigunde, ihren Kopf zur Tür hereinstreckte. Sie war hochgewachsen und schlank, mit lockigem, braunem Haar, honigfarbenen Augen und verführerisch glänzenden Lippen und lebte mit ihrem Vater am kaiserlichen Hof, seit Maximilian denken konnte.

»Hat dir niemand gesagt, dass es sich nicht schickt, heimlich in die Gemächer eines Mannes einzudringen«, fragte Maximilian mit gespielter Strenge.

Rosina sah ihn vorwurfsvoll an.

»Ich habe mir Sorgen wegen des Unwetters gemacht. Konntest du nicht etwas früher zurückkehren? Ich bin vor lauter Angst, dass dir etwas geschehen sein könnte, schier gestorben«, erwiderte sie.

Maximilian winkte ab.

»Die Astrologen haben mir versichert, dass die Sterne günstig für mich stehen, es ist also nicht nötig, dass du dir Sorgen um mich machst. Die solltest du dir lieber um deinen Ruf machen, denn sollte dein Vater jemals erfahren, dass du dich in die Gemächer fremder Männer schleichst, wird er dich bis zu deiner Hochzeit in deine Kammer einsperren, sodass wir uns nicht mehr sehen könnten.«

Rosina sah ihn so erschrocken an, dass er lachen musste.

»Jetzt komm schon rein, bevor dich tatsächlich noch jemand sieht.«

»Bei dir weiß man nie, ob du deine Worte ernst meinst oder nicht«, beschwerte sie sich, schlüpfte durch die Türe und zog sie hinter sich zu.

Sie sah entzückend aus, wenn sie schmollte – und äußerst verführerisch. Maximilian beobachtete sie eine Weile, ohne ein Wort zu sagen.

Dann winkte er seinen Kammerdiener hinaus und zog Rosina in seine Arme. Glücklich schmiegte sie sich an ihn. Sie bot ihm ihren Mund, und ihre Lippen fanden sich zu einem leidenschaftlichen Kuss.

Ihr Busen hob und senkte sich bei jedem Atemzug, ein Anblick, der ihn erregte, und er widerstand nur mühsam dem Verlangen, ihr hier und jetzt das Mieder zu öffnen und ihre festen kleinen Brüste in beide Hände zu nehmen und sie sanft zu kneten. Sie schien zu spüren, wonach er begehrte, denn sie nahm entschlossen seine Hand und legte sie auf ihre rechte Brust.

Das Blut stieg ihm in den Kopf, und er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich wieder von ihr zu lösen. Sein Atem ging schwer.

Rosina war enttäuscht.

»Du liebst mich nicht mehr«, meinte sie traurig.

»Mein Vater erwartet mich in der Halle, und auch du wirst dort erwartet, und du kannst dir sicher vorstellen, was geschieht, wenn sie uns zusammen erwischen«, erinnerte Maximilian sie.

Ihre Augen wurden dunkel vor Trauer.

»Ich weiß, dass du mich nicht heiraten kannst, aber ich werde niemals einen anderen Mann lieben als dich«, sagte sie entschlossen.

»Was das betrifft, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Bisher ist es nur ein Wunschtraum meines Vaters, dass ich die Tochter des Herzogs von Burgund heirate. Schließlich sind wir noch nicht einmal miteinander verlobt«, widersprach ihr Maximilian voller Überzeugung.

Hoffnungsvoll sah Rosina ihn an.

»Glaubst du wirklich?«, fragte sie.

Anstelle einer Antwort gab Maximilian ihr einen Kuss.

»Würde ich es sonst sagen?«, gab er zurück und lächelte ihr aufmunternd zu. »Jetzt geh schon, sonst wirst du noch zu spät kommen.«

Maximilian wartete noch einen Moment, dann folgte er ihr in den Saal.

Seine Gedanken schweiften zu der unbekannten Herzogstochter, die er, nach dem Willen seines Vaters, schon bald heiraten sollte.

Es hieß, sie sei wunderschön und die reichsten und edelsten Bewerber des Abendlandes würden um ihre Hand anhalten.

Er versuchte sich ihr Gesicht anhand der Beschreibungen, die er von ihr erhalten hatte, vorzustellen, doch sobald er ein Bild vor Augen hatte, wurde es sofort von dem Rosinas überlagert.

Die Thronfolgerin

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