Читать книгу Die Thronfolgerin - Hildegard Burri-Bayer - Страница 8
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ОглавлениеDer festlich geschmückte Bankettsaal schimmerte golden im flackernden Licht unzähliger Kerzen, und sein fast schon überirdischer Glanz wurde von den sanften Klängen unsichtbarer Instrumente noch unterstrichen, als wären die himmlischen Heerscharen persönlich vom Himmel herabgestiegen.
Die Gespräche verstummten, als der Herzog von Burgund seinen Ehrengast, Karl von Guyenne, durch die weit geöffneten Flügeltüren führte.
Eine unnatürliche Stille breitete sich aus, die nur hier und da von raschelnder Seide und knisterndem Brokat unterbrochen wurde.
Entsetzte Blicke folgten dem Bruder des Königs von Frankreich, der neben der kraftvollen Gestalt des Herzogs noch schmächtiger und unansehnlicher wirkte, als er ohnehin schon war.
Guyenne war nach der neuesten Mode gekleidet, doch sein prächtiger Brokatrock konnte weder seinen verwachsenen Rücken verbergen noch die krankhafte Blässe seiner wenig ansprechenden Gesichtszüge.
In silbernen Schnabelschuhen, deren Spitzen so lang waren wie die Linie seiner Abstammung, stolzierte er an der Seite seines zukünftigen Schwiegervaters auf seine Braut zu.
Maria erstarrte und ihre Augen weiteten sich in ungläubigem Staunen, als sie den verwachsenen, alten Mann auf sich zukommen sah. Mit diesem Mann sollte sie das Bett teilen und ihm Söhne gebären? Mit einem Mann, der so gar nichts mit dem edlen Ritter gemein hatte, den sie in ihren Träumen stets an ihrer Seite gesehen hatte?
Nein, versuchte sie sich zu beruhigen, das konnte nicht sein, ihr Vater würde sie niemals zwingen, einen Mann wie Guyenne zu heiraten. Er liebte sie, sie war seine einzige Tochter, und er würde nicht zulassen, dass sie unglücklich werden würde.
Zweihundert Augenpaare hefteten sich auf ihr Gesicht, beobachteten jeden einzelnen Wimpernschlag von ihr und gierten sichtbar nach einer Reaktion.
Es war so still, dass sie ihren eigenen Atem hören konnte.
Maria begann zu zittern. Und mit einem Mal fühlte sie sich so fremd inmitten all dieser Menschen wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Verzweifelt suchte sie den Blick ihres Vaters, doch Karl hatte nur Augen für seinen Gast. Wäre sie weniger aufgewühlt gewesen, hätte sie die Verachtung und den grimmigen Hass in seinen schwarzen Augen bemerkt, den er nur mühsam hinter den Förmlichkeiten der steifen Hofetikette verbarg, und gewusst, dass er gar nicht daran dachte, seine einzige Tochter einem Franzosen zur Frau zu geben und noch dazu Ludwigs Bruder, doch sie ahnte nichts von dem, was in ihm vorging, und wurde immer verzweifelter.
Ihr Herz raste. Fort, nur fort, hämmerte es in ihrem Kopf. Schon wollte sie sich umdrehen und den Saal verlassen, konnte sich aber nicht von der Stelle rühren, und dann war es zu spät. Guyenne stand direkt vor ihr.
Sie spürte seine Nähe, roch den säuerlichen Geruch, den er verströmte, und kämpfte gegen die in ihr aufsteigende Übelkeit an.
Er nahm ihre eiskalte Hand, beugte sich über sie und hauchte einen Kuss darauf.
Von oben gesehen wirkte seine Nase noch spitzer, und sie konnte die roten Äderchen sehen, die sich durch seine durchscheinende, fahle Haut zogen wie Flüsse und Bäche auf einer Landkarte.
Guyenne ließ ihre Hand los und betrachtete sie mit dem Stolz eines Mannes, der soeben eine besonders prächtige Stute erworben hatte.
Röte stieg ihr in die Wangen. Noch nie hatte es ein Mann gewagt, sie so anzusehen.
Seine kleinen, schwarzen Augen huschten prüfend über ihr schmales Gesicht, den schlanken weißen Hals bis zu ihrem Dekolleté hinunter, das den Ansatz ihrer festen, kleinen Brüste erkennen ließ. Dort verweilten sie und saugten sich gierig fest.
Marias Atem ging schneller und ihre Brüste hoben und senkten sich noch mehr, während der alte Mann ihren Körper begaffte.
In seine Augen trat ein lüsterner Ausdruck, und er leckte sich genießerisch über die blassen Lippen.
Schaudernd senkte Maria ihren Blick und starrte erschrocken auf sein anschwellendes Geschlecht, das sich deutlich unter den engen grünen Beinlingen abzeichnete.
Schreiend fuhr Maria aus dem Schlaf. Ihr Körper war schweißüberströmt, und ihre Haare hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie strich die langen, blonden Strähnen zurück und setzte sich benommen auf. Doch es dauerte noch eine Weile, bis sie sich aus den Fängen des Albtraums befreit hatte. Die beunruhigenden Bilder verblassten nur langsam. Sie verabscheute diesen Traum, genauso wie sie Guyenne verabscheute und ihn doch nicht aus ihrem Kopf verbannen konnte.
Wie zur Beruhigung suchte ihr Blick den farbenprächtigen, mit Gold und Silberfäden überzogenen Gobelin, der sich an der ihrem Bett gegenüberliegenden Wand befand. Im Licht der einfallenden Morgensonne schien der lebensgroße blonde Ritter darauf zum Leben zu erwachen. In goldenem Harnisch und mit erhobenem Schwert stand er kampfbereit vor dem Feuer speienden Drachen, um seine Prinzessin zu retten. Sein Anblick war ihr so vertraut, dass ihr die Tränen in die Augen traten.
Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, einen edlen und mutigen Ritter wie ihn zu heiraten, und nun hatte ihr Vater sie mit einem abstoßenden alten Mann verlobt, dessen Anblick sie kaum ertragen konnte. Wie hatte er ihr das nur antun können? Allein der Gedanke an Guyenne löste Ekel in ihr aus.
Völlig aufgelöst schlüpfte Maria durch die grüngoldenen Damastvorhänge, die von hoch oben zwischen den Bettpfosten verstrebten Stangen auf den Boden herabfielen und ihre Schlafstätte umgaben, und trat mit nackten Füßen an eines der hohen, schmalen Fenster, die sich über die gesamte Front ihres Schlafgemachs erstreckten.
Ihre Mutter hätte einer Verlobung mit diesem schrecklichen Mann niemals zugestimmt, dachte sie traurig und grübelte wie schon so oft darüber nach, wie sie der Heirat mit Guyenne entkommen konnte.
Bisher war jedoch keiner ihrer Pläne zufriedenstellend gewesen. Weder gefiel ihr der Gedanke, sich in ein Kloster zurückzuziehen, wie ihre Großmutter es getan hatte, noch die Idee, eine Krankheit vorzutäuschen und dann Monate, vielleicht sogar Jahre im Krankenbett verbringen zu müssen.
Schließlich tröstete sie sich damit, dass ihr schon noch etwas einfallen würde. Der Tag der Hochzeit war schließlich noch nicht festgelegt worden, und bis es so weit sein würde, war sie auf jeden Fall vor Guyenne sicher.
Von ihrem Fenster aus hatte sie einen herrlichen Blick über den weitläufigen Schlosshof und auf den von der Leie gespeisten Wassergraben, der sich nordwärts des Schlosses zu einem Teich verbreiterte, bis hin zu den weitläufigen Parkanlagen mit ihren kunstvollen Wasserspielen.
Feiner Nebeldunst hing wie ein durchsichtiger Schleier über der Landschaft und verlieh ihr einen geheimnisvollen Zauber.
Wie gerne würde sie jetzt auf ihrer geliebten Stute Sturmwind über die taufeuchten Wiesen galoppieren, jeden Gedanken an Guyenne weit hinter sich lassen und, losgelöst von jeglichen Zwängen der Etikette, erregende Augenblicke völliger Freiheit genießen.
Stattdessen standen ihr eintönige Lateinstunden bei dem gestrengen Magister Sylvius bevor.
Als sich das unvermeidliche Klappern der dreitausend Webstühle Gents mit dem fröhlichen Gezwitscher der Vögel zu mischen begann, wandte sich Maria leise seufzend ab.
Das gleichförmige, dumpfe Grollen der Holzgestelle, das der Wind an manchen Tagen aus der Stadt zum Schloss hinüberwehte, erinnerte sie wieder an ihre Pflichten.
Sie griff nach dem goldenen Glöckchen, um nach ihrer Zofe zu klingeln, als die Türe auch schon aufflog und Catherina mit hochroten Wangen ins Zimmer gestürzt kam.
In ihren verschwommenen, hellen Augen stand ein Ausdruck von Entsetzen. Vom schnellen Laufen außer Atem, schnappte sie mehrmals nach Luft.
»Der Herzog von Guyenne ist ermordet worden«, platzte sie heraus, noch bevor sie die Türe hinter sich zugezogen hatte. »Und du errätst nie, von wem.«
Maria erbleichte. Allein die Erwähnung von Guyennes Namen versetzte sie in Panik.
Catherina sah, wie Maria um Fassung rang, und ihr Nacken kribbelte vor Erregung. Wie würde sie erst reagieren, wenn sie erfuhr, wer Guyenne ermordet hatte?
Es war Catherina unmöglich, ihr Wissen auch nur einen Moment länger für sich zu behalten.
»Dein Patenonkel war es. Der König von Frankreich hat seinen eigenen Bruder auf dem Gewissen.« Ihr blasses Gesicht glühte, und sie bekam vor lauter Aufregung kaum noch Luft.
Marias Gedanken überschlugen sich.
Sie würde Guyenne nicht heiraten müssen!
Eine Welle der Erleichterung floss durch ihren Körper, doch gleichzeitig meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wenn sie sich über seinen Tod freute, war sie nicht viel besser als ihr Patenonkel.
Sie zweifelte keinen Augenblick an dem Wahrheitsgehalt von Catherinas Worten, und der Gedanke, dass ihr Patenonkel ein Brudermörder war, verursachte ihr Unbehagen.
Sie konnte sich nur noch dunkel an ihn erinnern, denn sie hatte ihn nicht wieder gesehen, nachdem seine hinterhältige Intrige, durch die er gehofft hatte, einen Keil zwischen ihren Großvater und ihren Vater zu treiben, um anschließend selbst Karls Platz einzunehmen, gescheitert war. Ludwig hatte das Gerücht verbreiten lassen, ihr Vater würde mit dem bretonischen Herzog gegen Philipp den Guten konspirieren. Dass man Karl die Statthalterschaft über die Normandie übertragen habe, sei schließlich der beste Beweis dafür.
Und auf den darauf folgenden Bruch zwischen Vater und Sohn hin hatte Ludwig seine Mörder nach Gorkum ausgesandt, um Karl zu beseitigen, der sich dorthin zurückgezogen hatte. Allein der Aufmerksamkeit der Einwohner von Gorkum war es zu verdanken gewesen, dass ihr Vater Ludwigs Anschlag überlebt hatte. Die Gorkumer waren misstrauisch geworden, als die Fremden in ihrem Hafen gelandet waren und sie beobachtet hatten, wie diese heimlich das Schloss ausspionierten, auf Befestigungen herumkletterten und die Wälle überprüften.
Seit jenem Tag war Ludwig Burgunds erklärter Feind, der keine Gelegenheit ausließ, um ihrem Vater zu schaden.
Bei dem Gedanken, von diesem Mann über das Taufbecken gehalten worden zu sein, begann Maria zu frösteln.
»Jetzt sag doch endlich etwas«, forderte Catherina sie auf.
»Bist du nicht froh, dass Guyenne tot ist und du ihn nicht mehr heiraten musst?«
Ihre Augen hefteten sich erwartungsvoll auf ihr Gesicht.
Aber Maria konnte kein Mitgefühl in ihnen entdecken, nur brennende Neugier.
»Wir werden in die Kapelle gehen und für Guyennes Seele beten, und jetzt hör auf, mich anzustarren, und hilf mir lieber beim Ankleiden«, erwiderte sie betont ruhig, doch Catherina kannte Maria gut genug, um zu wissen, dass sie längst nicht so gelassen war, wie sie vorgab.
Ihre Nasenflügel bebten, und in ihren goldbraunen Augen stand ein eigentümlicher Ausdruck, den Catherina noch nie zuvor gesehen hatte.
Maria schwieg, während Catherina ihr eine karmesinrote Robe mit weiten Ärmeln über die enge Cotte zog, sorgfältig ihr langes, blondes Haar kämmte, es mit geübten Griffen eindrehte und zum Schluss ein schimmerndes, mit Perlen besetztes Haarnetz darüber schlang.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie würde Guyenne nicht heiraten müssen, er stellte keine Bedrohung mehr für sie dar, weil sein eigener Bruder ihn ermordet hatte. Sein eigener Bruder! Der Gedanke ließ sie erschauern und eisige Kälte kroch in ihr hoch, als sie begriff, dass allein sie der Grund für diesen Mord gewesen war. Und dabei ging es noch nicht einmal um sie als Person, sondern einzig und allein nur um ihre Funktion und Stellung als reichste Erbin des Abendlandes.
Guyenne hätte sie selbst dann geheiratet, wenn ihr Rücken ebenso verwachsen gewesen wäre wie sein eigener, und selbst wenn sie schielen würde oder ihr Kopf kahl gewesen wäre, hätte er sich von der Heirat nicht abbringen lassen.
Die Entscheidung ihres Vaters hatte ihr Vertrauen in ihn bis ins Innerste erschüttert. Nichts würde mehr so sein wie früher, und die wunderbare Geborgenheit, die für sie stets selbstverständlich gewesen war, war für immer aus ihrem Leben verschwunden.
Mit einem Mal fühlte sie sich schrecklich allein und wünschte sich, dass ihre Mutter bei ihr sein könnte, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, doch ihre Mutter war tot und würde sie nie wieder trösten können.
Das Eintreffen ihrer Erzieherin riss sie aus ihren traurigen Gedanken.
Madame Halewyn war eine energische und kluge Frau, die nur selten ein Blatt vor den Mund nahm. Marias Vater hatte sie an den Hof geholt, um ihren Mann, einen hohen und einflussreichen Würdenträger der Stadt Gent, durch diese Geste seines Wohlwollens enger an sich zu binden.
Ein warmes Lächeln trat auf ihre Züge, als sie Maria erblickte. Sie sah entzückend aus in ihrem karmesinroten Kleid, das ihr seidiges, hellblondes Haar zum Leuchten brachte und ihre zierliche Figur betonte. Lange Wimpern umrahmten die goldbraunen Augen, die ihr anmutig geschnittenes Gesicht beherrschten und dunkel vor Zorn werden konnten, jetzt aber ungewöhnlich ernst wirkten.
»Ich habe dir eine wichtige Mitteilung zu machen, mein Kind«, begann sie mit mühsam unterdrückter Erregung.
»Ist es wegen Guyenne?«, fragte Maria leise. »Catherina hat mir schon von seinem Tod erzählt.«
»Das, was ich dir zu sagen habe, hat nichts mit Guyenne zu tun«, wehrte Madame Halewyn ab und warf Catherina einen vorwurfsvollen Blick zu, den Catherina trotzig erwiderte. Dass die Mädchen aber auch nie ihren Mund halten können, dachte sie ärgerlich.
Insgeheim war sie erleichtert gewesen, als sie von Guyennes Tod erfahren hatte. Denn an der Seite dieses alternden Lüstlings wäre Maria wie eine Blume ohne Licht und Wasser verwelkt, davon war sie fest überzeugt, und deshalb hatte sie auch jeden Tag seit der Verlobung zu Gott gebetet und ihn darum angefleht, ihren Schützling vor diesem Schicksal zu bewahren.
Madame Halewyn seufzte. Es war ein Fehler, ein Kind, das einem nur auf eine bestimmte Zeit hin anvertraut worden war, zu sehr zu lieben, doch gegen die Liebe war nun einmal kein Kraut gewachsen.
Marias Leben war von der Stunde ihrer Geburt an vorgezeichnet gewesen, und es war ihre Pflicht, zum Wohle ihres Landes zu heiraten, dafür würde sie es immer warm haben und niemals hungern müssen.
Maria spürte, dass es sich bei dem, was Madame Halewyn ihr zu sagen hatte, um eine Angelegenheit von großer Bedeutung handeln musste, und suchte in dem vertrauten, klaren Gesicht mit den graublauen Augen daher nach einem Zeichen, das sie beruhigen würde, aber sie konnte keines entdecken.
Madame Halewyns volle Lippen waren zu einem Strich zusammengepresst und verrieten ihre nur mühsam unterdrückte Erregung.
»Ist etwas mit meinem Vater?«, fragte Maria ängstlich, und ihre schönen Augen füllten sich mit Tränen.
Madame Halewyn legte beruhigend ihren Arm um Marias schmale Schultern und streichelte sie liebevoll. Sie kannte Marias Angst, nach dem Tod der Mutter nun auch noch ihren Vater zu verlieren, den sie abgöttisch liebte. Er war ihr strahlender Held mit seinen kühn geschnittenen Gesichtszügen, den schulterlangen schwarzen Locken und den durchdringenden schwarzen Augen, und obwohl er Maria schrecklich enttäuscht hatte, konnte sie dennoch nicht aufhören, ihn zu lieben.
»Dein Vater hat beschlossen, eine neue Gemahlin zu nehmen.« Endlich war es heraus. Sie hätte Maria die Botschaft gerne schonender beigebracht, aber es war ihr unmöglich, den Ausdruck von Ungewissheit und Bestürzung, der in Marias Gesicht stand, auch nur einen Augenblick länger zu ertragen.
Marias Augen weiteten sich vor Schreck, doch in den Schrecken mischte sich Erleichterung darüber, dass ihrem Vater nichts geschehen und er wohlbehalten wieder im Prinzenhof eingetroffen war.
»Wer ist es? Wer wird meine neue Mutter?«, fragte Maria flüsternd und schmiegte sich schutzsuchend an ihre Gouvernante an.
Madame Halewyn räusperte sich. Gerne hätte sie ihr die Wahrheit noch eine Weile erspart, doch es würde nichts nutzen. Die Gerüchte im Schloss verbreiteten sich rasend schnell, und Maria sollte die unglaubliche Neuigkeit von ihr erfahren.
»Es ist Margarete von York, die Schwester des englischen Königs.«
Maria erbleichte. Fassungslos starrte sie Madame Halewyn an.
Eine Engländerin aus dem Hause York sollte ihre neue Mutter werden?
Sie vergaß ihren Patenonkel und Guyenne und dachte daran, wie abfällig sich ihr Vater jedes Mal über die Yorkisten geäußert hatte, die für ihre Gefühlskälte und ihren Neid bekannt waren und denen man auf keinen Fall trauen durfte.
Letzteres hatte Karl sogar einmal wortwörtlich zu seinem Kanzler gesagt, dem lieben und klugen Hugonet, der wie ein Onkel für Maria war und der ihr immer ein kleines Geschenk mitbrachte, wenn er an den Prinzenhof kam.
Wie von selbst wanderten ihre Gedanken von Hugenot weiter zu ihrem Geschichtslehrer, dem etwas farblosen Magister Edgar, der ihr erst kürzlich mit näselnder Stimme von dem mörderischen Bruderkrieg zwischen York und Lancaster erzählt hatte, den beiden englischen Adelshäusern, die seit Jahren erbittert miteinander um den englischen Thron kämpften und ihr Land darüber in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt hatten.
In ihrer Vorstellung war daraufhin ein Bild von fischäugigen, blassen Menschen entstanden, denen Freundschaft und Treue nicht das Geringste bedeuteten.
Madame Halewyn sah, wie es hinter Marias hoher Stirn arbeitete, und sie ahnte, dass Maria die Entscheidung ihres Vaters nicht leichtnehmen würde.
Schließlich war sie selbst über die Entscheidung des Herzogs entsetzt gewesen, obwohl sie wusste, dass diese Hochzeit nicht aus Liebe, sondern einzig und allein aus politischen Erwägungen heraus geschlossen worden war, genauso wie Marias Verlobung mit Guyenne.
Siedend heiß wurde ihr dabei bewusst, dass es längst an der Zeit gewesen wäre, Maria über diese Dinge aufzuklären, um sie behutsam auf ihre eigenen Pflichten als Erbprinzessin vorzubereiten, aber sie hatte es bisher nicht übers Herz gebracht, Maria aus ihrer kindlichen Traumwelt zu reißen, in die sie sich vor drei Jahren nach dem Tod ihrer geliebten Mutter geflüchtet hatte.
Es war ein Fehler, dachte sie, während ihre Augen langsam über Marias schmale Gestalt glitten.
Unter dem eng am Oberkörper anliegenden Kleid zeichneten sich deutlich die ersten Wölbungen ab, die Maria eine neue, verführerische Weiblichkeit verliehen, wie Madame Halewyn in diesem Augenblick schmerzhaft bewusst wurde.
Doch Maria schien mittlerweile eine Entscheidung getroffen zu haben.
Ihre Augen blitzten.
»Ich werde zu meinem Vater gehen, er soll es mir selbst sagen«, verkündete sie entschlossen und ließ die verdutzte Madame Halewyn und die erschrockene Catherina einfach stehen.
Mit wehendem Kleid eilte sie durch das endlose Gewirr von Gängen, die vom raunenden Flüstern der Dienerschaft und Höflinge erfüllt waren, bis sie die breite Treppe zum Audienzsaal erreicht hatte, in dem sich ihr Vater um diese Zeit gewöhnlich mit seinen Ratgebern aufhielt, wenn er einmal gerade nicht durch seine Länder zog, um aufständische Fürsten und aufsässige Städter zur Ordnung zu zwingen, und so den Frieden in Burgund sicherte.
Die misstrauischen Augen der Wachen folgten dem vorbeihastenden Mädchen. Bewegungslos wie Statuen verharrten sie auf ihrem Posten und wurden von den meisten Menschen am Hof kaum noch wahrgenommen.
Am Fuß der Treppe zögerte Maria einen Moment. Sie zwang sich dazu, ihr aufgewühltes Gemüt wieder zu beruhigen, und atmete einige Male tief durch, bis ihre Gedanken wieder klar und ihre Gesichtszüge ohne jedes äußere Anzeichen von Erregung waren, ganz wie Madame Halewyn es sie gelehrt hatte.
Bis zum heutigen Tag war sie niemals ungehorsam gewesen und hatte sich gegen keine Entscheidung ihres Vaters aufgelehnt, doch jetzt ging es um das Andenken ihrer Mutter, deren aufwendig aus Marmor gehauenes Grabmal noch nicht einmal fertig gestellt war, auch wenn es nun kurz vor der Vollendung stand, wie man ihr versichert hatte.
Sie ahnte, dass ihr Vater zornig über ihr unaufgefordertes Erscheinen sein würde, aber das unbestimmte Bedürfnis, die Tote gegen die Lebenden verteidigen zu müssen, war stärker als ihre Angst.
Mit stolz erhobenem Haupt stieg sie die Treppenstufen hoch, vorbei an der langen Reihe der Bittsteller, die sich schon am frühen Morgen eingefunden hatten, obwohl der Herzog sie kaum vor dem Mittagsmahl empfangen würde.
Ein Raunen ging durch die Reihen, und bewundernde Blicke folgten Maria, die von der Aufmerksamkeit, die sie erregte, nichts zu bemerken schien und an den Bittstellern vorbeieilte, als wären sie gar nicht vorhanden.
Und noch bevor die Wache stehenden Soldaten in ihren prächtigen Waffenröcken reagieren konnten, war sie auch schon durch eine der beiden mit Gold überzogenen und bemalten Flügeltüren in den Audienzsaal geschlüpft.
Am anderen Ende des Saales, weit genug von den spitzen Ohren der ausländischen Gesandten entfernt, saß der Herzog erhöht unter dem mit Silber und Goldfäden bestickten Baldachin auf seinem Thronsessel.
Er hatte seine engsten Berater um sich herum versammelt; seinen Halbbruder Antoine, seinen Kanzler Hugonet, Sir Humbercourt, den Statthalter von Gent, sowie den Grafen von Campobasso, einen ehemaligen Vertrauten seines verstorbenen Vaters, und Olivier de la Marche, seines Zeichens Feldmarschall und Zeremonienmeister.
Nur einer fehlte: Philippe Commynes, der Karl verraten hatte und zu Ludwig übergelaufen war.
Graf Humbercourt hatte wie selbstverständlich dessen Platz eingenommen, und nicht einmal Antoine, der außerehelich geborene Sohn des Herzogs von Burgund, hatte gewagt, dagegen aufzubegehren.
»Die Genter werden zufrieden sein, wenn sie von dem Kontrakt mit England erfahren und sie ihre Wolle und ihr Tuch wieder nach Britannien verkaufen können«, stellte Humbercourt gerade fest. In seiner Stimme lag keine Spur von Unsicherheit. Er war so überzeugt von dem, was er sagte, dass jeder, der ihm zuhörte, es ebenfalls war. Seine Unbeirrbarkeit und die Art, wie er die Dinge auf den Punkt brachte, hatten Karl beeindruckt, und so war er schon nach wenigen Monaten, die er am Hof weilte, in den engsten Kreis seiner Berater aufgestiegen.
»Hoffentlich zufrieden genug, um mir ihre Beutel zu öffnen und meine Kriegskasse wieder aufzufüllen«, knurrte Karl missgelaunt, obwohl er allen Grund zur Freude gehabt hätte.
Eduard VI., der König von England, hatte endlich seine Einwilligung zur Heirat seiner Schwester Margarete mit ihm erteilt und den entsprechenden Kontrakt unterschrieben, obwohl Ludwig nichts unversucht gelassen hatte, um diese Heirat, und damit ein Bündnis seiner beiden mächtigsten Feinde, zu verhindern.
Karl zog eine Braue hoch und sah Humbercourt finster an.
»Ich erwarte von Euch, dass Ihr Euch darum kümmert.«
Humbercourt hielt seinem düsteren Blick stand. »Nun, die Genter werden einsehen müssen, dass sie keine andere Wahl haben; jedes Bündnis hat nun einmal seinen Preis«, gab er kühl zurück.
Seine Züge verhärteten sich, als er an die Zunftmeister und die reichen Kaufleute dachte, die den Rat der Stadt Gent bildeten. Denn sobald es um ihr Geld ging, herrschte seltene Einigkeit zwischen ihnen, und jede einzelne Münze in ihrem Stadtsäckel wurde verbissen verteidigt.
Karls Miene hellte sich bei Humbercourts Worten jedoch unerwartet auf.
Es war nicht der Tuchhandel, der ihn interessierte, sondern einzig und allein seine Kriegskasse. Er dachte an die zehntausend Krieger, die sein zukünftiger Schwager Eduard VI. ihm zugesichert hatte, und seine Laune hob sich noch mehr. Die gefürchteten englischen Bogenschützen würden seine Truppen unschlagbar machen. Mit ihrer Hilfe würde er Frankreich erobern und Ludwig endgültig vernichten.
Am anderen Ende des Saales erhob sich ein bewunderndes Raunen, und Karl sah auf und traute seinen Augen nicht.
Isabella, seine unvergessene, über alles geliebte Gemahlin, schritt mit hocherhobenem Haupt auf ihn zu.
Brennende Sehnsucht erfüllte ihn, doch dann erkannte er, das es nicht Isabella war, die nun vor ihm stand, sondern seine Tochter Maria.
Sie sah Isabella so ähnlich, dass es ihn schmerzte.
Stille herrschte plötzlich in dem großen Saal, und Maria schlug züchtig die Augen nieder und trat herausfordernd einen Schritt näher an den Thronsessel heran, als es die Etikette erlaubte.
Einer Bittstellerin gleich sank sie vor ihrem Vater auf die Knie und neigte graziös ihren schönen Kopf.
Doch bevor Karl überhaupt entscheiden konnte, wie er reagieren wollte, traf ihn schon ein flammender Blick aus Marias zornig funkelnden Augen.
»Vater, ist es wahr? Werdet Ihr zulassen, dass eine Engländerin aus dem Hause York Mutters Platz einnimmt, deren Grabmahl noch nicht einmal fertig gestellt ist?« Die letzten Worte hatte sie fast herausgeschrien.
Karls Gesicht färbte sich dunkelrot.
Furchtlos hielt Maria seinem Blick stand, und Karl spürte, wie ihm das Blut in die Adern schoss. Es war das gleiche Blut, das auch durch Marias Adern floss.
Die Männer im Saal hielten den Atem an. Niemand von ihnen hätte gewagt, was dieses Mädchen wagte.
Zu groß war ihre Furcht vor Karl, der in seiner Grausamkeit ebenso maßlos sein konnte wie in seinem übertriebenen Gerechtigkeitssinn und in seiner an Verschwendung grenzenden Großzügigkeit.
Wehe dem Unglücklichen, der es wagte, ihn zu kritisieren, oder, schlimmer noch, seinen ehrgeizigen Zielen in die Quere kam.
Lediglich das heftige Ausatmen verriet die Spannung der Versammelten.
Nie zuvor hatten sie den Herzog sprachlos erlebt. Sie ahnten nichts von dem Sturm, der in seinem Inneren tobte.
Wie konnte Maria es wagen, seine Besprechung zu stören? Und wie geringschätzig das Wort Engländerin aus ihrem Mund geklungen hatte.
Er hatte den besten Unterricht und die beste Erziehung für Maria befohlen, die fähigsten Lehrer aller Universitäten an den Hof geholt, und was war dabei herausgekommen? Seine jäh aufsteigende Wut vernebelte ihm den Verstand, und er dachte nicht mehr daran, wie abfällig er selbst des Öfteren über seine neu gewonnenen Verbündeten gesprochen hatte und noch immer sprach.
Es war immer das Gleiche: Wo immer er auch hinkam, stieß er auf mangelnde Ordnung und Disziplin, bis hin zur offenen Rebellion. Hinter seinem Rücken wurden Befehle verweigert oder nur halbherzig ausgeführt, allen voran das aufsässige Geldern am einen Ende seines Reiches und die oberrheinischen Pfandlande am anderen. Er hatte es satt.
Hugonet sah mit Sorge, wie sich das Gesicht des Herzogs verdüsterte und die Ader auf seiner Stirn anschwoll. Er kannte den Herzog von Burgund gut genug, um zu wissen, dass dieser kurz davor stand, die Beherrschung zu verlieren und sich in einem seiner allseits gefürchteten Wutanfälle Luft zu verschaffen.
In dem Versuch, ihn zu besänftigen, legte er seine Hand auf Karls Arm und warf einen bedeutsamen Blick auf die ausländischen Gesandten. Karl fegte seine Hand jedoch hinweg und sah ihn böse an. Einen Augenblick lang befürchtete Hugonet sogar, Karl würde ihn schlagen, doch Karl wandte sich abrupt von ihm ab und wieder seiner Tochter zu.
»Es ist beschlossen, also wirst du dich damit abfinden müssen«, sagte er kalt und gab Maria durch eine herrische Bewegung seiner Hand zu verstehen, dass sie entlassen war.
Was fiel dem Mädchen nur ein, hier hereinzuplatzen und ihn vor den Augen aller Versammelten in Verlegenheit zu bringen?
Er hatte sich jetzt wieder einigermaßen gefasst und wirkte nach außen hin ruhig und kühl wie zuvor.
Nur Hugonet ahnte, was für eine große Anstrengung ihn seine Zurückhaltung kostete. Trotz der Demütigungen, die er durch ihn erfuhr, liebte und bewunderte er Karl und empfand keinerlei Hass für ihn. Stattdessen spürte er die Qualen, die Karls Inneres verzehrten und unter denen er litt, als wären es seine eigenen.
Unter halb geschlossenen Lidern musterte Karl die Gesandten.
In ihren Gesichtern las er unverhohlene Bewunderung für seine Tochter.
Der derbe Graf von Nassau verschlang sie geradezu mit seinen Blicken, und in die berechnenden Augen des Grafen von Kleve war ein gieriger Glanz getreten.
Trotz seines Ärgers war er insgeheim stolz auf Maria.
Das Mädchen war von faszinierender Schönheit. Ihr Haar glänzte wie fein gesponnenes Gold, ihre Gesichtszüge waren edel und wie von Meisterhand geformt, und ihre Haut war rein und milchweiß. Sanft geschwungene Augenbrauen betonten ihre großen, braunen Augen.
Er hatte sie monatelang nicht gesehen, war gerade erst aus Nancy zurückgekehrt und sah nun, dass sie zu einer eindrucksvollen jungen Frau herangewachsen war, die die Schönheit ihrer Mutter, aber auch seinen eigenen ungestümen Willen in sich vereinigte.
Marias Anwesenheit war noch zu spüren, als sie den Saal schon längst wieder verlassen hatte. Ihr unerwarteter Auftritt hatte allen Anwesenden deutlich vor Augen geführt, dass sie das heiratsfähige Alter erreicht hatte, und diese Tatsache war bedeutend genug, um sie in die Überlegungen jedes einzelnen Anwesenden mit einzubeziehen.
Einige der ausländischen Gesandten starrten noch immer auf die Türe, durch die Maria entschwunden war, als hätten sie eine Erscheinung gesehen.
»Sie ist eine Prinzessin, eine Königin, nein, was sage ich, sie ist eine Madonna«, stieß der Graf von Nassau beinahe ehrfürchtig hervor und wischte sich mit einem Seidentuch den Schweiß von der Stirn.
Der Herzog von Kleve, Generalstatthalter von Gent, musterte ihn spöttisch.
»Gebt Euch bloß keinen falschen Hoffnungen hin. Ihr würdet in der langen Schlange der Bewerber um ihre Hand sowieso ganz hinten stehen.«
»So wie Ihr«, schnaubte der Graf von Nassau beleidigt zurück und wandte ihm demonstrativ den Rücken zu.
Johann von Kleve biss sich wütend auf die Lippen. Lange genug hatte er sich der Hoffnung hingegeben, Maria mit seinem Sohn Philipp vermählen zu können, bis er sich schließlich hatte eingestehen müssen, dass er sich die ganze Zeit über etwas vorgemacht hatte. Gegen die reichen und mächtigen Bewerber, zu denen sich zu allem Übel nun auch noch der Sohn des Kaisers gesellt hatte, hatte er nie eine Chance gehabt.
»Was für ein außergewöhnliches Zusammentreffen von Schönheit und Anmut. Ich habe gar nicht gewusst, dass es in den Niederlanden eine noch kaum erblühte Rose wie diese gibt«, hörte er eine gezierte Stimme hinter sich sagen.
Ärgerlich wandte er sich um und sah in das Gesicht eines elegant gekleideten jungen Mannes mit glänzenden schwarzen Haaren und gestutztem Lippenbärtchen, der zum Gefolge des Herzogs von Mailand gehörte.
Allein die Kleider dieses verwöhnten Bürschchens mussten mehr gekostet haben, als ihm seine Grafschaft in einem Jahr einbrachte, was seinen Ärger noch mehr steigerte.
Der Italiener öffnete gerade den Mund, um fortzufahren, doch der Herzog von Kleve fiel ihm grob ins Wort.
»Eine Rose, die Ihr jedenfalls ganz bestimmt nicht pflücken werdet. Es würde Euch daher weit besser anstehen, Euch um Euren eigenen Garten zu bekümmern«, bemerkte er unhöflich.
»Und für Euch wäre es sicher besser, Eure Zunge zu hüten«, gab der Gesandte hochmütig zurück.
»Wollt Ihr mir etwa drohen?« Die Stimme des Älteren klang so herablassend, dass dem Italiener das Blut in den Kopf schoss.
Er sprang auf. In seiner Hand blitzte eine Klinge, und seine schwarzen Augen glitzerten tückisch.
Aus den Augenwinkeln heraus sah der Herzog von Kleve zwei Wachen herbeieilen, die noch im Laufen ihre Schwerter zogen.
Sein Mund verzog sich verächtlich. Er lehnte sich zurück und verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust.
Das Bürschchen würde es nicht wagen, ihn anzugreifen.
Der Junge stand da wie ein düsterer Racheengel, und es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, wie lächerlich sein Auftritt auf die Umstehenden wirken musste.
Wütend steckte er das Messer wieder ein und ließ sich auf seinen Stuhl zurücksinken.
Johann von Kleve warf ihm noch einen letzten höhnischen Blick zu, der dem Italiener erneut das Blut in den Kopf steigen ließ, dann wandte er sich zufrieden von ihm ab.
Er konnte diese verdammten Italiener nun einmal nicht leiden.