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Vorwort

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Teilhabe in Zeiten von Klimawandel und Flüchtlingselend, Corona und Trumpismus, oder: Plädoyer für ein inhaltlich qualifiziertes Teilhabe-Verständnis

Dieses Buch handelt von Teilhabe und Sozialer Arbeit. Es beruht auf einem umfassenden Verständnis von Teilhabe als einem Menschenrecht, dessen Verwirklichung zu einem »guten Leben« für alle in einer demokratischen und gerechten Gesellschaft beitragen kann.

Teilhabe in diesem Verständnis ist voraussetzungsvoll. Sie bedarf der politischen und sozialen Strukturen, die Teilhabe ermöglichen, und die Einzelnen müssen befähigt sein oder werden, sich aktiv an der Gestaltung der sozialen Welt zu beteiligen. Zudem ist Teilhabe folgenreich. Sie verändert nicht nur die Einzelnen durch die Erfahrung der Selbstwirksamkeit und der Gestaltungsmöglichkeiten, sondern auch die Gesellschaft – sei es in Teilbereichen oder auch in ihrer Gesamtheit.

Um die politischen und sozialen Strukturen, Herausforderungen und Gestaltungsperspektiven verstehen und beeinflussen zu können, müssen die Einzelnen über eine Fülle von Informationen verfügen, sie überprüfen, gewichten und bewerten. Sie müssen Gelegenheiten haben und in der Lage sein, sich an argumentativen und fairen Prozessen der Meinungsbildung und der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Und sie brauchen einen positiven emotionalen Bezug zu den gemeinsamen Grundwerten der Freiheit, der Demokratie und der Menschenwürde. Dies alles ist den Einzelnen nicht ›in die Wiege gelegt‹, sondern entsteht durch Interaktion und Kommunikation, durch Erfahrungen der Wertschätzung und Anerkennung, durch das Verfügen über die nötigen Ressourcen, sowie durch die Chance, tatsächlich teilhaben und gesellschaftliche Wirklichkeiten ändern und Entwicklungen beeinflussen zu können.

Was nicht mit einem demokratischen Verständnis von Teilhabe verwechselt werden darf, sind das Verbreiten von »alternativen Fakten« oder »Fake News«, Hass und Hetze und das Sich-Berauschen an der eigenen ›Stärke‹, die auf Gewalt beruht. Solche Aktionsformen und Handlungsweisen sind weder an demokratischen Werten noch an Menschenwürde und Gerechtigkeit orientiert, sondern zielen auf die Zerstörung von Demokratie.

Zwar ist es legitim, für die eigenen Interessen zu kämpfen und unterschiedliche Ziele der gesellschaftlichen Entwicklung zu verfolgen. Aber die Veränderung des gesellschaftlichen Ist-Zustandes kann nicht losgelöst von inhaltlichen Kriterien als von Vornherein ›gut‹ betrachtet werden, und »Teilhabe«, »Selbstwirksamkeit« sowie »Empowerment« im Sinne von »Bemächtigung« müssen sich ebenso an inhaltlichen Kriterien messen lassen. Im jeweiligen Kontext geht es darum, auf der Basis von Erfahrungs- und auch von Sachwissen in demokratischen Verfahren dazu beizutragen, dass Menschenwürde und ein »gutes Leben« nicht nur für die Privilegierten dieser Erde realisiert werden können. Das schließt auch die globale Herausforderung ein, den Klimawandel zu bekämpfen und eine lebensfreundliche Umwelt zu bewahren oder wiederherzustellen.

Seit der Zeit, in der ich die Schule beendete und anfing zu studieren, also seit etwa 50 Jahren, gehört es zu meinem Selbstverständnis, mich politisch und sozial zu engagieren. Als ich mit den Vorarbeiten für dieses Buch begann, beschäftigten mich viele Aspekte der Teilhabe-Thematik ganz persönlich – allen voran der Klimawandel, die Verletzung der Menschenwürde von geflüchteten Menschen und der (wieder) erstarkende politische Populismus. Während der Arbeit am Manuskript brach die Corona-Pandemie über die Menschheit herein, und ihr Ende ist jetzt, zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Buches, noch nicht abzusehen. Oft habe ich mich gefragt, wozu ich in solchen Zeiten ausgerechnet ein Buch über »Teilhabe« schreiben sollte – schließlich ist es eine prägende Erfahrung, die diese Pandemie mit sich bringt, dass die Möglichkeiten politischer Teilhabe erschwert sind und viele Menschen sich in radikaler Weise in der Gestaltung eines »guten Lebens« für sich, ihre Familien und ihre Mitmenschen einschränken müssen. In besonderer Weise gilt dies für Menschen, die in Pflegeheimen und anderen stationären Einrichtungen leben und arbeiten sowie ihre Angehörigen. Den extremsten Ausschluss von Teilhabe erfahren diejenigen, die ohne Beistand durch ihre Nächsten sterben.

Inzwischen bin ich der Auffassung, dass gerade in diesen Zeiten das Thema »Teilhabe« von zentraler Bedeutung ist. Denn die Erfahrungen der Pandemie nötigen uns zur Besinnung auf die Grundwerte von Demokratie und Menschenrechten. Es muss immer wieder neu darüber nachgedacht und diskutiert werden, in welchem Verhältnis persönliche Freiheiten und die solidarische Rücksichtnahme zueinanderstehen. Warum und wie lange ist es gerechtfertigt, persönliche Freiheitsrechte einzuschränken, um die Menschen vor den gesundheitlichen Risiken der Pandemie und das Gesundheitswesen vor dem Kollaps zu bewahren? Über Jahrzehnte bewährte politische Strukturen wie der Föderalismus offenbaren ihre Schwachstellen. Die Bekämpfung populistischer Kampagnen in den Sozialen Medien mit ihrer Verleugnung von Realitäten einerseits, das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie der Schutz freier und unabhängiger Medien andererseits müssen neu miteinander in Beziehung gesetzt werden. Der globale Kapitalismus beweist einmal mehr, dass die ökonomischen Prozesse politisch gesteuert werden müssen und dass ›starke‹ und ›schwache‹ Interessen nicht nur ein Thema der Sozialen Arbeit sind, sondern ein Zukunftsthema für die Staaten der Welt.

Nicht zuletzt hat es mich erschreckt, wie schnell für mich persönlich ebenso wie für die politische Öffentlichkeit die Themen des Klimawandels und der Flüchtlingspolitik aus dem Fokus der Aufmerksamkeit geraten können.

Die Antworten auf alle diese Fragen können nur mit Hilfe von Demokratie und nicht etwa gegen demokratische Grundrechte und Prinzipien gefunden werden. Das hat die Erstürmung des Weißen Hauses, dem Regierungssitz der Vereinigten Staaten von Amerika, durch gewalttätige Verächter und Verächterinnen der Demokratie Anfang Januar 2021 – den so genannten »Trumpisten« – überdeutlich gemacht.

»Teilhabe« ist auch und gerade in Zeiten der Pandemie und der globalen ökonomischen und politischen Verwerfungen kein Luxusthema, sondern von existenzieller Bedeutung für die Einzelnen wie für die Gesellschaften insgesamt. Soziale Arbeit kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass Teilhabe auch denjenigen Personen und Gruppen ermöglicht wird, die nicht von vorneherein dazu privilegiert und motiviert sind. Und vielleicht, so ist meine Hoffnung, kann dieses Buch etwas dazu beitragen, die Teilhabe-Orientierung in der und für die Soziale Arbeit zu stärken.

Von der ›Rohfassung‹ bis zur hier vorliegenden Druckfassung ist das vorliegende Buch umfassend überarbeitet worden. Wesentliche Impulse und zahlreiche Anregungen hierfür verdanke ich Carola Kuhlmann und Kerstin Walther.

Weitere wichtige Hinweise kamen von Benjamin Benz, Vera Dittmar, Lilo Dorschky und Kristin Sonnenberg.

Euch allen gilt mein großer Dank!

Bochum, im März 2021

Hildegard Mogge-Grotjahn

Gesellschaftliche Teilhabe

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