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Prolog – Vor drei Monaten

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Robin

»Hört diese Qual denn nie auf!«, rief Robin Coal und schlug sich verzweifelt die Hände vors Gesicht. »Dieser Horror! Dieser Albtraum!«

Peyton, seine beste Freundin, tätschelte Robin den Kopf, der auf dem Sofa saß und die Hände in die Luft warf. »Ganz ruhig«, sagte sie mit todernster Stimme.

Robin nahm die Hände vom Gesicht. Seine Unterlippe zitterte. »Ich halte das nicht mehr aus. Bitte zwing mich nicht dazu. Wenn du mich wirklich liebst, hörst du damit auf.«

Peyton schnalzte mit der Zunge und schaute auf ihr Handy. »Ich hasse es, dir schlechte Nachrichten zu überbringen, aber wir müssen noch mit einem letzten Bewerber sprechen.«

Robin ließ sich an die Sofalehne fallen. »Bestell meinen Eltern, ich hätte sie immer geliebt! Es war ein gutes Leben!«

Peyton lachte und kitzelte ihn an der Seite. Robin zahlte es ihr kreischend heim. Einen so skrupellosen Angriff konnte er ihr nicht durchgehen lassen. Als sie vollkommen zerzaust auf dem Fußboden lagen, stellte er sich wieder der Realität.

Sie würden nie den passenden Untermieter für das freie Zimmer finden.

Es stand schon seit ein paar Wochen leer und sie näherten sich gefährlich dem Zeitpunkt, an dem die nächste Monatsmiete fällig wurde. Dieses eine Mal mochten sie es schaffen, aber wenn sie bis März niemanden gefunden hatten, würde es Probleme geben.

Robin zog sich hoch und setzte sich wieder aufs Sofa. »Okay. Gut. Lass uns alle Bewerber noch einmal durchgehen. Der Typ mit der unheimlichen Pilzsammlung kommt nicht infrage, ja?«

Peyton nickte und setzte sich zu ihm. »Auch nicht das Mädchen, das so high war, dass es keinerlei Durchblick mehr hatte.«

»Oder das Mädchen mit dem Notizblock, das die Staubhöhe in Millimetern gemessen hat.«

»Oder der Fitnessfanatiker, der Junkfood aus dem Kühlschrank verbannen wollte.«

Robin schob seufzend die Brille hoch und rieb sich über den Nasenrücken. »Was ist mit dem Paar? Die schienen mir nicht allzu schlimm zu sein.«

»Machst du Witze?« Peyton sah ihn entsetzt an. »Der ältere Kerl wollte jedes Ei und jeden Liter Wasserverbrauch bis auf den Cent ausrechnen und aufteilen! Ich weiß, dass wir nicht reich sind, aber einen solchen Pfennigfuchser brauchen wir nicht!«

Robin studierte unglücklich die Notizen, die er sich in einem kleinen Block gemacht hatte. »Was sollen wir nur tun?«

Seine beste Freundin seufzte und legte den Arm um ihn. Da er noch kleiner war als sie, passte es genau. Und da er schon lange keinen Freund mehr gehabt hatte, waren Peytons Umarmungen das Beste, was er dieser Tage erwarten konnte.

»Wir finden schon eine Lösung. Hey, was hältst du davon, wenn wir uns nach dem letzten Bewerber etwas beim Thailänder bestellen und eine Flasche Wein aufmachen?«

Robin biss sich auf die Lippen und stellte sich vorab die Katastrophe vor, die ihnen bei diesem letzten Gespräch des Abends blühen würde. »Das hört sich gut an. Aber ich muss morgen arbeiten.«

Peyton küsste ihn auf den Kopf. »Du machst dir zu viele Sorgen, mein Schatz. Ein paar Gläschen Wein können nicht schaden. Du weißt doch, dass ich für dich da bin.«

»Ich kann mich um mich selbst kümmern«, grummelte Robin nicht allzu ernst.

Die Wahrheit war, dass er es liebte, gelegentlich von jemandem verwöhnt zu werden. Er wünschte nur, es könnte ausnahmsweise ein richtiger Freund sein. Stattdessen ließ er sich von Peyton knuddeln, während sie die Bewerbungsmail ihres letzten Kandidaten durchlasen.

»Alasdair Epping«, las Robin laut vor.

»Ex-Marine«, fügte Peyton hinzu und zog die Augenbrauen hoch. Ihre ganze Familie hatte auf die eine oder andere Weise mit der Armee zu tun und sie selbst war Krankenpflegerin. Robin merkte ihr an, dass sie es als Pluspunkt sah. Er selbst war sich da nicht so sicher.

»Und wenn er so ein Macho-Typ ist? Wenn es ihm nicht passt, dass wir…?«

Peyton rollte mit den Augen. »Wenn er homophob wäre, hätte er nicht auf eine Anzeige reagiert, in der ein Untermieter für einen Homo-Haushalt gesucht wird.« Sie schaute zu der Regenbogenfahne, die über ihrem Sofa an der Wand hing. »Außerdem ist er nicht mehr im Dienst. Er schreibt, dass er hier in Seattle als Mechaniker arbeitet. Woher willst du wissen, ob Homophobie nicht der Grund war, warum er aus dem Militär ausgeschieden ist?«

Robin schüttelte sich. »Ich hoffe nicht.« Das wäre ätzend.

»Hier… Er kocht gern und liebt Videospiele.« Es klopfte an der Tür. Peyton schaute auf die Uhr. »Und pünktlich ist er auch!« Sie sprang auf, um den Mann einzulassen.

Robin schnaubte. »Ich wette fünf Dollar, dass er gleich anfängt, sich die Zehennägel zu schneiden.«

Peyton verdrehte die Augen und öffnete die Wohnungstür.

Für einen Gott.

Robin wäre beinahe schon wieder vom Sofa gefallen.

Der Mann, der in der Tür stand, war wunderschön. Er hatte warme braune Augen und zottelige blonde Haare, die ihm bis zum Kinn fielen. Mit seinen über eins achtzig überragte er Peyton um ein ganzes Stück und obwohl er – natürlich – bekleidet war, hatte er einen ausgesprochen beeindruckenden Körperbau.

Robin konnte die rollenden Muskeln praktisch vor sich sehen, als der Mann verlegen von einem Fuß auf den anderen trat. Er zog eine Hand aus der Tasche seiner Bomberjacke und winkte ihnen dämlich zu.

Robins Herz schmolz dahin und floss ihm bis in die Pantoffeln. Dummerweise waren sie wie kleine Koalas geformt und so ziemlich das Peinlichste, was er an Schuhwerk besaß. Bis jetzt war ihm das egal gewesen. Ihre potenziellen Mitbewohner sollten rechtzeitig erfahren, auf wen sie sich einließen.

Bedauerlicherweise wusste das jetzt auch dieser Prachtkerl von Alasdair Epping. Robin gab sich alle Mühe, nicht rot anzulaufen.

Alasdair grinste nur. Robins Pantoffeln schienen ihn nicht im Geringsten aus der Fassung zu bringen. »Hallo! Du musst Peyton sein? Und du Robin? Ich bin Dair.«

»Dair?«, wiederholte Peyton und runzelte die Stirn, als sie sich die Hand schüttelten. »Oh! Die Kurzform von Alasdair. Wie cool. Komm doch rein.«

Sie ließ Dair den Vortritt und während sie die Tür hinter ihm schloss, warf sie Robin einen vielsagenden Blick zu: Oh mein Gott, der ist umwerfend! Robin versuchte, sie zu ignorieren. Stattdessen lächelte er Dair an, tastete nach seinem kleinen Notizblock und schaffte es irgendwie, den Block hochzuschleudern. Er flog ihm direkt ins Gesicht.

»Aua«, sagte er verlegen und rieb sich die Wange.

»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Dair betroffen und setzte sich ihm gegenüber aufs Sofa.

Robin lachte. »Bestens.« Er hob den Notizblock vom Fußboden auf, wo es sich vermutlich auch seine Würde heimisch gemacht hatte. »Du, äh… willst also ein Zimmer mieten?«, fragte er und zuckte zusammen. Natürlich wollte Dair das. Dazu war er schließlich gekommen. Aus welchem anderen Grund sollte Robin im selben Zimmer sein wie ein Mann von Dairs Aussehen?

Peyton kam zurück und setzte sich wieder neben ihn. Dair verschränkte die Finger seiner großen Hände und ließ sie zwischen den Knien hängen. Sein großer Körper ließ das Sofa winzig wirken. Guter Gott, was könnte Robin mit einem solchen Körper unter sich alles anfangen…

Unpassend! Er packte den Gedanken in eine Kiste in seiner Brust und schlug den Deckel zu.

Dair schien nicht zu bemerken, dass Robin mit einem kleineren Anfall zu kämpfen hatte. Er lächelte sie bedauernd an. »Ich lebe seit der Trennung von meiner Freundin allein und die Mieten in Seattle sind verdammt hoch. Ich dachte mir, ich könnte jemanden finden, mit dem ich mir die Kosten teilen kann. Und neue Leute kennenlernen. Nicht nur vier Wände, in die ich mich zum Schlafen zurückziehe.«

Ex-Freundin. Verdammt. Robin zwang sich zu einem Lächeln und merkte, dass das eigentlich sogar eine gute Sache war. Falls der Mann bei ihnen einzog, war es besser, wenn er nicht schwul war.

Nicht, dass sie sich schon einig wären, Dair zu nehmen. Abgesehen von der Tatsache, dass Robins Herz einen Hopser gemacht und Ja! gerufen hatte, kaum dass Peyton die Tür geöffnet hatte.

Er und Peyton warfen sich einen Blick zu. »Genau das suchen wir«, sagte Robin. »Einen Freund.«

»Unser letzter Mitbewohner hat sich nicht als schüchtern, sondern als Arschloch herausgestellt«, informierte Peyton ihn mit einem ernsten Kopfnicken. »Wir hoffen, dass wir dieses Mal jemanden finden, bei dem die Chemie stimmt.«

Robin schluckte. Es war immer etwas unheimlich, sich outen zu müssen – egal, wie oft man es in seinem Leben schon hinter sich gebracht hatte. Leider gehörte es aber zu den unvermeidbaren Notwendigkeiten im Leben eines schwulen Menschen.

»Äh, in der Anzeige stand, dass wir beide homo sind.« Robin zeigte auf die Regenbogenfahne über ihren Köpfen. »Das ist doch in Ordnung, oder?«

Dair runzelte blinzelnd die Stirn. »Selbstverständlich. Außer… habt ihr jemanden gesucht, der auch schwul ist?«

Robins Augenbrauen schossen in die Höhe und Peyton machte es ihm nach. »Nein«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Solange es dich nicht stört, ist es uns auch egal.«

Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Dairs Gesicht aus. Robins Herz schmolz dahin. »Prima! Das ist toll. Einer meiner besten Kumpel im Corps war schwul. Er und sein Mann haben diesen Account bei Instagram, für den sie mit Waren und Reisen und so bezahlt werden, nur weil sie Bilder von sich posten, auf denen sie glücklich sind und ihre Muskeln zeigen. Ist das nicht cool?«

Er schüttelte lachend den Kopf. Wow. Dair war wirklich bezaubernd. Robin fiel es schwer, nicht laut zu seufzen.

»Oh«, sagte Dair und zeigte auf die Küche. »Ich will ehrlich sein. Ich koche gern. Nicht nur für mich, auch für andere Leute. Es ist wie Zen für mich. Wäre es ein Problem, wenn ich oft in der Küche zugange bin?«

Diese unpassenden, schwärmerischen Gefühle klopften an den Deckel der Kiste in Robins Brust.

»Ein Problem?«, quiekte er.

»Unser Lieblingsgericht ist die Kurzwahl zu dem Thai-Restaurant um die Ecke«, erklärte Peyton.

Dair strahlte wieder sein Kilowatt-Lächeln. »Ich habe ein Rezept für grünes Curry, das ich schon lange ausprobieren wollte.«

Peyton sah ihn ernst an. »Vergiss das Zimmer. Willst du mich heiraten?«

Dair lachte ansteckend.

Oha. Das war ein Problem. Dair war offensichtlich der perfekte Mitbewohner. Er war lustig und großzügig und hatte einen festen Job, was ihn auch noch zuverlässig machte.

Aber etwas Bedrohliches breitete sich in Robins Brust aus. Es war, als würde Dairs Anwesenheit im Zimmer Robins ganze Welt zum Strahlen bringen. Er spürte einen Stich in der Brust, sein Herz fing wild zu pochen an und seine Hände wurden feucht.

Robin war dabei, sich Hals über Kopf in einen Mann zu verlieben, den er erst seit fünf Minuten kannte.

Der nicht schwul war. Und den Robin jeden Tag sehen würde.

Aber Peyton kam schon mit drei Dosen Bier zum Sofa zurück und diskutierte den Mietvertrag. Das Geschäft war so gut wie perfekt. Also lächelte Robin und gab sein Bestes, die Zähne auseinanderzubekommen und an der Unterhaltung teilzunehmen.

Zeit. Er brauchte nur etwas Zeit. Diese harmlose Verliebtheit würde sich schon wieder legen, davon war er überzeugt. Und bis dahin würde er eine Eisenkette um die Kiste in seiner Brust wickeln und dafür sorgen, dass niemand etwas von seinen Gefühlen erfuhr. Sie würden schon wieder verschwinden.

Jedenfalls hoffte er das.

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