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Kapitel 2

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Robin

»Peyton! Nein! Gib das zurück!«

Robin Coal sprang hilflos vom Sofa auf, als seine beste Freundin ihm das Handy wegnahm und damit davonlief. »Äh-äh! Heute fängt dein Urlaub an.«

Robin wusste, dass sie nur scherzte und es gut meinte, aber sein Blick war besorgt auf das Handy gerichtet. »Äh, was das angeht…«

»Nein.« Sie schüttelte den Kopf und das Handy gleich mit. »Du hast die Arbeit an deine Vertretung übergeben. Du hast eine ganze Woche frei. Sie werden auch ohne dich überleben.«

Robin biss sich auf die Unterlippe. »Na ja, der Server ist ausgefallen und sie wollen lokal arbeiten, um weiterzumachen und… Das ist eine verdammt idiotische Idee und sie wollen es einfach nicht kapieren! Ich dachte mir, dass ich…«

»La, la, la!« Peyton wich ihm aus und lief auf die offene Küche der kleinen Wohnung zu. »Ich habe dir gesagt, ich würde dich auch drangsalieren, wenn es nötig wird. Weil ich nämlich deine allerbeste Freundin bin und das darf.« Sie öffnete den Kühlschrank und schob das Handy hinter die Milch und Dairs Proteindrinks.

Robin kreischte.

»Was ist, wenn… Dair anruft? Er ist schon zu spät dran. Ich mache mir Sorgen um ihn.« Es war ein ziemlich dürftiges Argument, aber er versuchte es trotzdem.

Peyton schürzte verächtlich die Lippen. »Dair ist ein großer, starker Marine. Ihm ist nichts passiert. Hör auf, das Thema zu wechseln. Du wirst zu diesem verdammten Klassentreffen fahren!«

Natürlich hatte sie recht, was Dair betraf. Und was Robin betraf, auch. Er hatte den Urlaub schon vor Monaten beantragt. Und jetzt hatte er das Büro verlassen und sein Projekt abgegeben und wurde plötzlich von Panik gepackt. Er war immer erreichbar. Immer. Als Softwareentwickler für Ticking Clock Entertainment zu arbeiten, mochte ihn in den Augen der meisten Menschen nicht unverzichtbar machen. Sie betrieben eine kleine Kette von Freizeiteinrichtungen in Seattle und Umgebung, darunter Spielhallen, Bowlingbahnen und Fluchträume. Ohne Robin und sein Team würde das ganze Unternehmen kollabieren.

»Ich habe versprochen, die Dinge im Auge zu behalten«, wollte er ihr widersprechen. Peyton verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Er verzog das Gesicht. »Wirklich, ich weiß noch gar nicht, ob ich wirklich nach Hause fahren will und…«

»Ich wusste es!«, rief Peyton. Sie hielt die Hände an den Kopf und sah ihn entsetzt an. »Nein, Robin! Es ist dein zehnjähriges Klassentreffen! Dein Bruder bereitet es seit einem halben Jahr vor. Du würdest ihm das Herz brechen. Und außerdem… Wann warst du eigentlich das letzte Mal zu Hause?«

Robin wurde von Schuldgefühlen gepackt und knabberte an den Lippen. Er telefonierte fast jeden Tag mit seinem Zwillingsbruder, deshalb wusste er sehr wohl, wie viel Herzblut Jay in die Planung dieses Treffens gesteckt hatte. Nicht zu vergessen, dass seit Jays letztem Besuch in Seattle – arbeitsbedingt – schon Monate vergangen waren und Robin langsam verrückt wurde, weil er ihn so lange nicht gesehen hatte.

»Ich weiß«, gab er zu und hob die Hände. »Aber im Büro ist die Hölle los und ich will sie einfach nicht im Stich lassen. Ich bin sicher, dass Jay es verstehen wird und ich…«

Ein fiependes Bellen unterbrach sie. Robin schaute nach unten, wo ein kleines, fluffiges Fellknäuel mit überraschend scharfen Zähnen nach dem Saum seiner Jeans schnappte und knurrend daran zerrte.

Peyton lachte. »Siehst du? Smudge gibt mir recht. Stimmt's, Smudgy?«

Das kleine Fellknäuel knurrte und wedelte hektisch mit dem Schwanz, ohne Robins Jeans aus den Fängen zu lassen. Robin bückte sich seufzend, hob das neuste Mitglied von Dairs Menagerie hoch und streichelte es. Theoretisch war es ihnen nicht erlaubt, Haustiere zu halten, aber der Hausverwalter ließ sich so gut wie nie blicken.

Nach dem Auszug ihres letzten Mitbewohners waren Peyton und Robin mit ihrer Weisheit am Ende gewesen. Jeder potenzielle Untermieter für das dritte Zimmer, mit dem sie gesprochen hatten, war ein absoluter Spinner gewesen. Dann war Dair in ihr Leben getreten und hatte sofort zu ihnen gepasst. Peyton, die aus einer Militärfamilie stammte, wollte den ehemaligen Marine schon aus Loyalität nicht abweisen. Ihr und Robin gefiel vor allem, dass Dair einen festen Job hatte und grundsätzlich kein Arschloch zu sein schien. Dazu kam noch, dass er genauso gerne thailändisch aß wie sie. Damit war der Deal besiegelt.

Es war auch kein Fehler, dass Robin Dair auf eine etwas schmutzige und ungehobelte Art höllisch sexy fand. Allerdings war Dair nicht schwul, also bestand nicht die Gefahr, dass zwischen ihnen etwas passieren konnte oder es peinlich wurde. Selbst Peyton wusste nichts von Robins dummer kleiner Schwärmerei.

Dair war jedoch nicht nur ein Muskelpaket, er war auch lustig und nett. Vielleicht sogar zu nett, wie der kleine Zoo in ihrer Wohnung zeigte. Sie hatten ihm das Zimmer schon zugesagt, als sie von seinem Anhang erfuhren. Weder Robin noch Peyton wollten das Angebot zurückziehen, also blieb ihnen nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen und die drei Katzen und zwei Hunde ebenfalls aufzunehmen, die Dair im Lauf der Jahre adoptiert hatte.

Bis auf Smudge, den kleinen Welpen, hatte er die Tiere alle aus Afghanistan mitgebracht, wo er als Marine mehrere längere Einsätze mitgemacht hatte. Er schien Streuner anzuziehen wie eine Disney-Prinzessin – sofern diese Prinzessin neunzig Kilo stemmen könnte und an einem Tag so viel essen würde wie Robin in einer ganzen Woche. Aber dieser fantastische Waschbrettbauch war es wert…

… und Robin verschloss auch diesen Gedanken in seiner geheimen Kiste der überflüssigen Schwärmereien, von denen niemand jemals erfahren musste.

Er beschaffte sich eine Galgenfrist, indem er Smudge ausgiebig knuddelte. Peyton gab jedoch nicht so leicht auf.

»Rob, ich weiß, dass du ein Computergenie bist und die anderen ohne dich aufgeschmissen sind. Aber du hast auch Urlaubsanspruch. Nutze ihn, bevor er verfällt! Ich verspreche dir, dass du dein Handy zurückbekommst und dich davon überzeugen kannst, ob alles richtig läuft. Aber jetzt ist Samstagabend und wir werden uns amüsieren.«

Robin seufzte. Smudge – der so genannt wurde, weil er braun war, aber eine schwarze Schnauze hatte – wand sich in seinen Armen und leckte ihm übers Kinn. Robin konnte Dair keinen Vorwurf machen, den Kleinen aus einem Müllcontainer gerettet zu haben. Er war ein liebenswerter Kerl, selbst wenn er keiner bekannten Hunderasse zuzuordnen war und noch am ehesten in die Kategorie fluffiger Tollpatsch passte.

Robin und Peyton hatten Musik laufen, deshalb hörten sie Dair erst, als er mit den Schlüsseln rasselte und die Wohnungstür öffnete. »Hallo!«, rief er und grinste die beiden an, während er hinter sich die Tür zutrat, weil er beide Hände voller Tüten hatte. »Hallo, hallo, wie geht's denn so?«

Robins Herz schlug einen kleinen Purzelbaum beim Anblick von Dairs strahlendem Lächeln. Verdammt. Er hatte sich wirklich Sorgen gemacht, weil Dair nicht pünktlich zurückgekommen war. Robin musste darauf achten, dass seine Schwärmerei nicht aus dem Ruder lief.

Als Dair in die Wohnung kam, rappelte sich Jimmy, die alte Bulldogge, auf und lief zu seinem Herrchen, um ihm zur Begrüßung auf die Schuhe zu sabbern. Die Katzen – Spot, Trixie und Jolly Roger – rafften sich ebenfalls auf und kamen angelaufen. Den armen Dingern fehlten Teile des Ohrs, des Schwanzes oder der Krallen, in Rogers Fall sogar ein Auge. Trotzdem fand Robin sie wunderbar. Er musste lächeln, als der große Mann sich bückte und sie zärtlich begrüßte. Dair kannte vermutlich ein Dutzend Methoden, einen Menschen zu töten, und doch knuddelte er jetzt seine Fellknäuel und gab ihnen Küsschen.

Diese dumme Schwärmerei klopfte jetzt wieder laut an den Deckel der Kiste in Robins Brust, doch er hielt ihn fest geschlossen.

»Tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich habe uns Essen mitgebracht«, verkündete Dair und stellte die Tüten auf der Küchenzeile ab. Zwei Sixpacks Bier waren auch dabei. »Fröhlichen Urlaubsanfang, Robin!«

Eine Mischung aus Verlegenheit und Stolz durchfuhr Robin bei so viel Aufmerksamkeit. Dankbar nahm er sich ein Bier und lenkte sich damit ab.

Dair öffnete sich ebenfalls eine Flasche Bier. »Ich wollte anrufen und euch Bescheid sagen, dass ich Essen mitbringe, weil es zum Kochen zu spät wird. Es ist niemand ans Telefon gegangen.«

»Thai ist immer gut«, erklärte Peyton, die den Mund voller Cracker hatte.

Robin lächelte schief. »Tut mir leid. Peyton hat mein Handy in den Kühlschrank gelegt.«

Dair blinzelte. »In den Kühlschrank?«

»Ja«, sagte Peyton. »Weil er ein Blödmann ist. Oh… Ist das Tintenfisch?«

Der köstliche Geruch von heißen Nudeln, Reis und Curry stieg Robin in die Nase. Sein Magen knurrte und er war froh, das Essen als Entschuldigung benutzen zu können, um nicht über seine Probleme reden zu müssen. Er bediente sich bei seinen Lieblingsgerichten und vermied dabei wohlweislich jeden Blickkontakt mit Peyton und Dair.

Es war nicht so, dass er nicht nach Hause fahren wollte. Schließlich war seit seinem letzten Besuch schon verdammt viel Zeit vergangen. Ihm wurde allerdings regelrecht schlecht bei der Vorstellung, seine Arbeit im Stich lassen zu müssen. Robin grübelte über seine Entscheidung nach. Sein Magen gurgelte von dem vielen Bier, in dem eine Handvoll Nudeln schwamm. Verdammt, er konnte nicht fahren. Er konnte einfach nicht.

»Robin?«, sagte Dair und ließ sich aufs Sofa fallen. »Ist alles in Ordnung?«

Robins Magen flatterte jedes Mal, wenn Dair ihn mit diesem besorgten Tonfall ansprach. Der Mann hatte keine Ahnung, wie sexy es war, wenn er den professionellen Marine herauskehrte.

Robin konnte nicht verstehen, wieso ein solcher Mann die Freundschaft mit jemandem wie ihm selbst suchen sollte. Anfangs hatten Peyton und er nach einem schwulen Mitbewohner gesucht, doch das hatte zu nichts geführt. Dair schien sich nicht daran zu stören, dass sie beide homo waren. Dair kochte immer gerne für sie alle; er half Peyton, sich auf ihre Prüfungen vorzubereiten und spielte mit Robin Videospiele. Er war ein guter Kerl.

Robin seufzte und stocherte mit den Essstäbchen in seinem Essen rum. Er hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Er musste endlich aufhören, über Dair nachzudenken. Und er musste sich entscheiden, ob er zu dem Klassentreffen fahren sollte oder nicht.

Jay, sein Zwillingsbruder, wäre sehr enttäuscht, wenn Robin in letzter Minute absagte. Jay gehörte dem Festkomitee an und hatte Tag und Nacht daran gearbeitet, Veranstaltungen und Aktivitäten vorzubereiten, die während der Festwoche stattfinden sollten. Der Gedanke an so viel Geselligkeit machte Robin nervös. Er zog es sowohl bei der Arbeit wie beim Spiel vor, sich hinter einem Bildschirm zu verstecken. Seine Arbeit war jedoch der Hauptgrund, warum er darüber nachdachte, nicht nach Pine Cove zu fahren.

Als er Dairs Frage nicht beantwortete, sprang Peyton ein. Sie war Krankenpflegerin. Robin musste sich also damit abfinden, gleich von zwei fürsorglichen Freunden umgeben zu sein. Verdammt. »Robin denkt ernsthaft darüber nach, nicht zu dem Klassentreffen zu fahren.«

Sie sah ihn mitfühlend an, fasste ihn am Knie und drückte zu. Ihre Haare waren hinten und an den Seiten kurz geschoren, aber vorne fielen sie ihr in die Stirn. Die Frisur, die bei jedem anderen Menschen brutal gewirkt hätte, sah bei der zierlichen Peyton mit ihrem androgynen Erscheinungsbild absolut umwerfend aus. Fand jedenfalls Robin.

»Halt… was?«

Dair sah Robin an und zog die Augenbrauen hoch. Er saß auf dem Sofa gegenüber, umgeben von seinem Streunerpack. Fairerweise musste man sagen, dass – von Smudge abgesehen – alle anderen ein Nickerchen hielten. Das kleine Fellknäuel sprang Dair um die Füße in der Hoffnung, dass früher oder später ein Stück Geschnetzeltes auf den Boden fiel, das er sich einverleiben konnte.

»Aber…«, fuhr Dair fort, ohne Robin aus den Augen zu lassen. »Du hast es doch schon vor Monaten geplant.«

»Momentan ist in der Firma die Hölle los«, sagte Robin schweren Herzens und seufzte. Peyton gab ein ersticktes Geräusch von sich und kniff die Augen zusammen. »Was ist?«

Sie rutschte von ihm weg. »Sei mir nicht böse…«

Robin runzelte die Stirn. Er konnte sich nicht erinnern, ihr jemals böse gewesen zu sein. »Warum sollte ich dir böse sein?«

»Meinst du, dass du vielleicht deshalb nicht fahren willst, weil Mac auch kommt?«

Diesen Namen hatte Robin schon lange nicht mehr gehört. Verwirrt schüttelte er den Kopf. »Nein. Nein. Ich meine… Nein. Das hat damit gar nichts zu tun.« Robin hatte sich wirklich alle Mühe gegeben, zu vergessen, dass er Mac wiedersehen würde. Er schüttelte sich. Es war, als wäre er gerade in einen eiskalten See gesprungen.

»Wer ist Mac?«, fragte Dair. Seine Aufmerksamkeit war ganz auf Robin gerichtet. Sogar seinen Teller hatte er abgestellt (auf den Tisch, wo Smudge ihn nicht erreichen konnte). Robin konnte sich nicht erinnern, dass Dair jemals sein Essen zur Seite geschoben hätte. Jedenfalls nicht, seit er ihn kannte.

Peyton seufzte. »Mac ist Robins Ex. Ein Psycho.«

»Meinst du nicht, Psycho wäre etwas übertrieben?«, stammelte Robin. »Sicher, er war ein Arschloch, aber…«

»Sobald nicht alles nach seinem Kopf ging, ist er ausgerastet!«, rief Peyton. Sie hatte Mac nie kennengelernt, weil sie und Robin erst später Freunde geworden waren, als sie schon aufs College gingen. Aber sie hatte von Robin die eine oder andere Geschichte über ihn gehört. Und – wie Robin vermutete – auch von seinen Geschwistern, weil sie die alle kannte.

Er biss sich auf die Lippen. »Na gut, ja. Es gibt einen Grund, warum wir uns getrennt haben. Aber es war auch meine Schuld, nicht nur seine.«

»Unsinn«, erwiderte Peyton wütend. »Er hat dein Handy überprüft, ohne dich um Erlaubnis zu fragen. Wenn du ausgegangen bist, hat er dich mit Nachrichten bombardiert. Er hatte strenge Regeln, wie man Tacos isst. Er hat dich Binny genannt und dich geschlagen, wenn er ein gottverdammtes Videospiel verloren hat.«

Dair drehte sich zu ihm um. »Was?«

»So war das nicht!« Robin wedelte mit den Händen und versuchte, die beiden wieder zu beruhigen. »Also gut… Wir waren siebzehn oder so. Ich war auf dem letzten Platz bei Smash Bros. Ich habe ihn gekitzelt, damit wir beide zusammen verlieren. Ich war so dumm, das für lustig zu halten. Als er auch verloren hat, hat er mich auf dem Boden festgehalten und mir in die Rippen geschlagen. Ich hatte noch nicht einmal einen blauen Fleck. Und nur weil ich selbst so schlecht war, hätte ich ihn nicht mit reinziehen sollen.« Er sah zwischen den beiden hin und her.

Dair blinzelte langsam. »Er hat dich geschlagen.«

»Mehr als einmal«, murmelte Peyton. Dair machte ein entsetztes Gesicht.

Robin lachte, um die Anspannung zu vertreiben, die in der Luft lag. »Leute, ich schwöre euch, dass es nicht so schlimm war. Ich hatte ganz vergessen, dass er auch zu dem Treffen kommt. Er ist nicht der Grund, warum ich über eine Absage nachdenke.«

Darüber war er sich so gut wie sicher. Beinahe.

»Welcher Teenager hat schon eine perfekte Beziehung? Wir haben uns getrennt, als ich aufs College ging und er nicht. Das ist alles.«

Das war nicht alles, aber es war das, was er immer erzählte. Die Wahrheit war zu schmerzlich. Sie war auch irrelevant. Robin hielt es deshalb nicht für nötig, im Detail darauf einzugehen.

Peyton schnaubte spöttisch. »Du willst damit sagen, du hast ihm den Laufpass gegeben.« Sie beugte sich vor und prostete ihm mit ihrer Bierflasche zu. »Gut gemacht. Aber glaubst du nicht trotzdem, dass er teilweise dafür verantwortlich sein könnte, dass du nicht nach Hause fahren willst? Dass du ihm nicht begegnen willst?«

Robin öffnete den Mund. Schloss ihn wieder. Jetzt war er gezwungen, ernsthaft darüber nachzudenken, und ihm fiel auf, dass er seine Familie schon seit Jahren nicht mehr besucht hatte. Normalerweise kamen sie in kleinen Gruppen zu ihm zu Besuch und den Urlaub verbrachten sie in Kalifornien oder Hawaii.

Er runzelte die Stirn. »Ich… Nein. Ich will Mac wirklich nicht wiedersehen. Aber im Büro…«

»… gehen sie davon aus, dass du für eine Woche fehlst.« Peyton winkte ab. »Dein Handy bleibt so lange im Kühlschrank, bis du etwas anderes sagst. Sie kommen auch ohne dich zurecht. Würdest du ernsthaft über eine Absage nachdenken, wenn Mac nicht zu dem Klassentreffen kommen würde?«

Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als er sich vorstellte, sein Ex würde an den Veranstaltungen der nächsten Woche nicht teilnehmen – vor allem nicht an der großen Party, die für den Samstagabend geplant war. Er dachte an sein Elternhaus, seinen älteren Bruder und seine jüngeren Schwestern. Selbst bei dem Gedanken, in dem alten Diner zu essen und an der berühmten Strandpromenade von Pine Cove spazieren zu gehen, zog es ihm vor Sehnsucht die Brust zusammen.

»Oh«, sagte er verlegen. »Ja, ich glaube schon, dass ich nach Hause fahren möchte.«

Vielleicht war es ja doch sein Unterbewusstsein gewesen, das ihn dazu gedrängt hatte, Mac aus dem Weg zu gehen?

»Richtig«, sagte Peyton resolut. »Und ich lasse nicht zu, dass du wegen diesem Blödmann kneifst.«

»Oh nein«, stimmte ihr Dair eindringlich zu. »Wenn überhaupt, dann sollte er nicht zu der Feier kommen. Du hast jedes Recht dazu. Er nicht.«

Robin rieb sich den Nacken und versuchte, die Essstäbchen wieder in die Hand zu nehmen, aber sie fielen auf den Boden. Sofort kam Smudge angerannt und beschnüffelte sie neugierig. Verlegen stellte Robin sein Bier ab, hob Essstäbchen plus Hund vom Boden auf und sah seine Mitbewohner niedergeschlagen an.

»Er kommt aber. Jay hat mich vorgewarnt. Wie gesagt, ich bleibe besser hier. Und in der Firma ist wirklich die Hölle los.«

Dair verzog kopfschüttelnd das Gesicht. »Nein. So leicht gewinnt dieses Arschloch nicht.«

Peyton hob die Hand, ohne Robin aus den Augen zu lassen. Sie und Dair klatschten sich ab und ließen die Hände wieder in den Schoß fallen.

»Sind deine Freunde nicht für dich da?«, erkundigte sich Dair besorgt.

»Selbstverständlich«, erwiderte Robin. »Aber…«

»Robins Zwillingsbruder und seine Freunde sind absolut wunderbar, aber sie sehen alle mehr oder weniger so aus wie er selbst.« Peyton bewegte die Hand auf und ab, um auf seine zierliche Gestalt hinzuweisen. »Das letzte Bild von Mac auf Facebook – bevor Robin seine hässliche Visage endlich blockiert hat – war mehr wie…« Jetzt bewegte sie die Hand vor Dair. »Mac war noch nie mit einem allzu scharfen Verstand gesegnet. Nur einer dieser dämlichen Jocks.«

Dairs Augenbrauen schossen in die Höhe und verschwanden unter seinen blonden Zottelhaaren. »Was du brauchst, ist ein Flügelmann, der dir dieses Arschloch vom Leib hält.«

Peyton schnappte nach Luft und schüttelte Robin am Bein. »Oh mein Gott! Wenn du mit einem heißen, starken Freund dort auftauchst, denkt Mac bestimmt zweimal darüber nach, ob er dir Ärger macht.«

Robin rollte mit den Augen. »Um Himmels willen, ich brauche doch keinen Leibwächter! Außerdem habe ich keinen Freund, schon gar keinen heißen, starken.«

Die peinliche Wahrheit war, dass Robin seit Mac gar keinen Freund mehr gehabt hatte. Er fühlte sich einfach zu unsicher. Sicher, er hatte einige kurze Affären gehabt, von denen man einige sogar als Dates bezeichnen konnte. Aber er hatte sich immer eingeredet, dass er sich mehr auf seine Karriere als eine Beziehung konzentrieren müsste.

Nachdem er sich eingestanden hatte, dass er nicht nach Hause fahren wollte, weil er dort Mac treffen würde, fragte er sich jetzt, ob er vielleicht aus einem ähnlichen Grund nie einen festen Freund gesucht hatte. Seine Beziehung zu Mac war kompliziert gewesen und hatte harte Arbeit erfordert. Robin hatte sich nie zugetraut, es noch einmal mit einem anderen Mann zu versuchen.

Würg. Darüber musste er ein andermal in Ruhe nachdenken. Peytons Vorschlag war sowieso irrelevant, weil sich ein heißer, starker Freund nicht aus dem Hut zaubern ließ.

Dair hatte die Stirn in Falten gelegt, während er Roger, die einäugige Katze, streichelte. »Überleg doch. Wenn du mit einem Freund nach Hause kommst, der stärker und größer ist als Mac… Würde er dann wegbleiben und du könntest euer Treffen genießen?«

Robin zog die Augenbrauen hoch. Er wusste nicht, worauf Dair hinauswollte. »Äh, vielleicht?« Er schloss die Augen und atmete tief durch, um sich das Bild vorzustellen – er, mit einem Prachtkerl von Freund am Arm, der ihn vor der ganzen Scheiße bewahrte, die Mac abziehen würde. »Ja, ich denke schon. Aber…«

»Prima!« Dair hörte sich überraschend fröhlich an. Robin öffnete die Augen und sah in das strahlende Gesicht seines Mitbewohners. »Wie wäre es, wenn ich für eine Woche deinen Freund spiele und dich zu allen Veranstaltungen begleite? Natürlich nur als Freund, aber es sollte reichen, um diesen Schwachkopf in seine Schranken zu weisen. Dann wärst du vor ihm sicher.«

Er hatte voller Begeisterung angefangen, doch bei seinen letzten Worten knurrte er fast. Robin verspürte ein leichtes Flattern in der Brust, als er über Dairs Idee nachdachte. Lag Dair wirklich so viel an ihm, dass er ihn vor Mac beschützen wollte? Und schlug er allen Ernstes vor, dass…?

»Du willst so tun, als ob du mein Freund wärst?«, fragte er. »Für eine ganze Woche?«

Peyton hatte die Hand vor den Mund geschlagen. »Oh mein Gott, das ist perfekt«, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hindurch. »Das ist teuflisch, Dair! Das ist genial! Robin… Ja!«

Robin sortierte immer noch seine Gedanken. »Äh, aber… du bist nicht schwul?« Smudge schlug ihm winselnd mit den Pfötchen an die Brust. Robin drückte ihn an sich. Der Kontakt gab ihm Sicherheit.

Dair runzelte die Stirn. »Ja, schon. Aber es ist ja nur gespielt. Das wäre doch cool, oder? Es wäre doch keine Beleidigung der LGBT-Gemeinschaft oder so?«

Peyton prustete. »Nein, Mann. Du bist einer der besten Verbündeten, den ich jemals erlebt habe.«

Robin schaute auf Smudge, der die Zunge aus dem Maul hängen ließ und ihn hechelnd angrinste. »Das ist verrückt. Ich könnte ein solches Spiel nie durchziehen. Oder doch?«

Er wollte nicht schwindeln und sich vormachen, dass nicht allein die Vorstellung, für eine Weile so zu tun, als wären er und Dair ein Paar, sich wunderbar anhörte. Natürlich würde zwischen ihnen nichts passieren. Aber eine ganze Woche zusammen zu verbringen und alle glauben machen, es wäre echt… Robin musste sich eingestehen, dass es ihm wie ein Traum vorkam.

Doch selbst wenn sie die anderen davon überzeugen konnten, war er nicht sicher, ob Jay es ihnen auch abnehmen würde. Oder? Sie unterhielten sich meistens über FaceTime. Jay hätte ihm angesehen, dass Robin etwas verheimlichte. Und das wusste Jay auch. Die Scharade würde auffliegen, bevor sie richtig begonnen hatte.

Es schien, als wäre er mit seinen Bedenken in der Minderheit.

»Pass auf«, sagte Dair mit der festen Stimme eines Marines. Robins Zehen krallten sich zusammen und sein Schwanz pochte. Das passierte ihm immer, wenn Dair in diesem Tonfall sprach. »Du hast das Recht, an dem Treffen teilzunehmen. Und es ist mir egal, dass es schon zehn Jahre her ist, aber dieses Arschloch hat dich geschlagen. Wenn du also willst, komme ich mit und sorge dafür, dass er dich nie wieder anrührt. Er wird dich noch nicht einmal ansehen, wenn er weiß, was gut für ihn ist.«

Er hörte sich so grimmig an, dass Robin fast darüber erschrak. »Wow, Mann. Danke. Das ist wirklich nett von dir. Aber… Lass uns davon ausgehen, dass ich zustimme. Was ist mit deinem Job? Kannst du dir so kurzfristig freinehmen?«

Dair zuckte mit den Schultern und lächelte, während er sich Jimmy, die Bulldogge, auf den Schoß setzte. »Ich habe seit anderthalb Jahren nicht einen einzigen Tag Urlaub genommen. Sie sind es mir schuldig.«

Peyton sprang vom Sofa auf und schaute zwischen ihnen hin und her. »Das ist wunderbar. Robin, du denkst zu viel nach. Ihr fahrt und amüsiert euch, Mac lässt dich in Ruhe und du genießt das Wiedersehen mit deinen Freunden. Es ist eine Win-win-Situation.«

Robin biss sich auf die Lippen. Er wollte Dair ansehen, aber seine Schüchternheit gewann die Oberhand. »Und, äh… es macht dir nichts aus, meinen, äh… Freund zu spielen?«

Er schaute auf. Dair lächelte ihn freundlich an, beugte sich vor und drückte ihm das Bein. Robin konnte den Schauer nicht ganz verhindern, der ihm über den Rücken lief. »Natürlich nicht. Wir sagen einfach, dass wir erst seit Kurzem zusammen sind. Das macht die Sache einfacher und niemand wird sich wundern, wenn wir nicht ständig am Knutschen sind.«

Allein die Vorstellung, mit Dair zu knutschen, machte Robin ganz schwindelig. »Äh, ja. Das ist eine gute Idee.«

»Sie ist brillant«, verkündete Peyton, nahm ihre Bierflasche vom Tisch und hob sie in die Luft. »Ich erkläre diesen Plan offiziell zum ersten Streich der drei Musketiere!«

Dair machte es ihr nach und hob auch die Flasche. »Kommst du auch mit?«

Peyton trank einen Schluck Bier. »Ich könnte am Freitag nach meiner letzten Schicht nachkommen. Dann bin ich für die große Party da. Meinst du, deine Familie wäre damit einverstanden, Robin?«

»Sicher. Sie lieben dich«, sagte Robin wahrheitsgemäß und schüttelte lachend den Kopf. »Na gut. Dann machen wir wirklich ernst?« Als die beiden nickten, hob er ebenfalls die Flasche und sie stießen mit lautem Klirren an.

»Auf die drei Musketiere!«

Smudge sprang bellend auf den Boden, rannte aufgeregt im Kreis und versuchte, seinen Schwanz zu fangen.

Robin sah wie benebelt zu, als seine Freunde sich wieder ihrem Essen widmeten und frisches Bier holten, um zu feiern. Es wurde wahr. Es passierte wirklich. Ein Lachen blubberte ihm aus der Kehle. Es war verrückt, aber… Es konnte ein Wahnsinnsspaß werden. Die beiden anderen fingen an zu kichern, als sie ihn lachen hörten.

Es gab mehr Bier, dann gingen sie zu Wodka und Rum über. Sie drehten die Musik lauter und tanzten um den Tisch mit den Essensresten. Smudge flitzte ihnen glücklich zwischen den Beinen hindurch.

Robins Handy geriet in Vergessenheit und verbrachte die Nacht im Kühlschrank. Sollte ihn jemand aus dem Büro erreichen wollen, musste er sich für den Rest der Woche einen anderen suchen, der sein Problem lösen konnte.

Robin musste an einem Klassentreffen teilnehmen.

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