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3. Die unternehmerische Dimension

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Das Betriebsverfassungsgesetz bringt die unternehmerische Dimension bei der Bemessung eines Sozialplanes vor allem im Kontext der Rahmensetzung für die Tätigkeit der Einigungsstelle zur Sprache.10

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Darin wird der Einigungsstelle aufgegeben, „bei der Bemessung des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen darauf zu achten, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet werden“. Dies bezieht sich insbesondere auf die in der Rechtsprechung häufig zitierte „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ der Unternehmen. Hiermit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen durch die wirtschaftlichen Folgen des Sozialplanes nicht mit Illiquidität, Überschuldung oder sonstigen existenzbedrohenden Situationen rechnen müssen, was den Fortbestand des Unternehmens als Ganzes und damit auch die nach einer Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze gefährden würde. Damit hat der Gesetzgeber gleichzeitig ein Korrektiv eingezogen, wonach kein vollständiger Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile durch einen durch die Einigungsstelle festzusetzenden Sozialplan erfolgen muss.

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Unverändert herrschende Meinung ist aber auch, dass eine für die Ertragskraft des Unternehmens einschneidende Belastung durch den Sozialplan zu billigen ist.11 Häufig nehmen gerade wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen sozialplanpflichtige Betriebsänderungen vor – dies entbindet sie jedoch nicht von der Verpflichtung, weitere Belastungen durch einen Sozialplan auf sich zu nehmen.12 Handlungsleitend ist hierbei die Ausführung des BAG,13 wonach „das Gesetz die Vertretbarkeit auch einschneidender Belastungen des Unternehmens durch den Sozialplan bis an den Rand der Bestandsgefährdung für möglich ansieht“.

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Die Einschränkung der Sozialplandotierung auf Grundlage der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens ist unmittelbar einsichtig. Denn in wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen werden häufig aus betrieblicher Not heraus Betriebsänderungen mit Massenentlassungen durchgeführt. Hier sind dementsprechend – auch ohne Durchführung eines Einigungsstellenverfahrens – die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Unternehmens bei den arbeitnehmerseitigen Sozialplanforderungen zu berücksichtigen. Dieser Fall tritt insbesondere in Ein-Betriebs-Unternehmen ohne Konzernzusammenhang auf. Dem Spannungsfeld „Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens und der verbleibenden Arbeitsplätze vs. bestmöglicher Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Beschäftigten“ muss sich der Betriebsrat in diesen Konstellationen stellen.

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Kann der Betriebsrat im Beratungsverfahren zur Betriebsänderung hingegen deutlich machen, dass die betriebsändernde Maßnahme ohne wirtschaftliche Not bzw. nicht aus wirtschaftlichen Zwängen heraus umgesetzt wird, so kann es vertretbar und für das Unternehmen auch ohne weiteres leistbar erscheinen, sämtliche wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Beschäftigten für z.B. fünf Jahre auszugleichen.14 Gleiches gilt (analog zur betrieblichen Dimension), wenn der Betriebsrat glaubhafte und realistische Alternativszenarien mit konstantem oder höherem Einspar- bzw. Verbesserungspotenzial bei gleichzeitig geringeren wirtschaftlichen Nachteilen für Beschäftigte des Unternehmens entwickeln kann. Bleibt der Arbeitgeber dann bei den ursprünglichen unternehmerischen Planungen, kann der Betriebsrat geltend machen, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit offensichtlich nicht die höchste Priorität bei der Umsetzung der Maßnahme hat. Dementsprechend kann der wirtschaftliche Nachteilsausgleich dann auch in höherem Maße erfolgen als bei Veränderungen aufgrund wirtschaftlicher Not des Unternehmens.

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Die entscheidende Frage für den Betriebsrat ist dabei regelmäßig, wie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Unternehmens adäquat gemessen und somit das Maximum an Sozialplanleistung ohne gleichzeitige Gefährdung der übrigen Arbeitsplätze definiert werden kann. Dies lässt sich nicht abstrakt definieren, sondern ist maßgeblich von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig. Grundlage für eine entsprechende Bewertung sind vor allem nachfolgend aufgeführte Informationen aus den Jahresabschlüssen, wirtschaftlichen Monatsrechnungen, Businessplänen und Liquiditätsrechnungen des Unternehmens:

 – vorhandene Liquidität des Unternehmens inkl. freier, zur Verfügung stehender Linien;

 – vorhandenes, kurzfristiges zur Liquiditätssicherung nutzbares Vermögen der Aktivseite, welches ohne Bestandsgefährdung herangezogen werden kann;

 – Höhe des Aktivvermögens, welches ggf. zur Liquiditätsgenerierung besichert oder verwertet werden kann;

 – Eigenkapitalbasis zur Verhinderung möglicher Überschuldungsszenarien;

 – laufende Überschüsse aus der Geschäftstätigkeit;

 – absehbare Planüberschüsse aus der laufenden Geschäftstätigkeit;

 – langfristige Ergebnisziele zur Relativierung eventueller Verluste aus dem Einmaleffekt „Sozialplan“;

 – bereits ergebniswirksam gebildete Rückstellungen für einen Sozialplan/für Restrukturierungsmaßnahmen.

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Die obige Aufzählung ist nicht abschließend – insbesondere interessant ist bei Unternehmen in Konzernzusammenhängen auch die Frage nach bestehenden Ergebnisabführungs- oder Cashpool-Verträgen, die ggf. die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Gesamtkontext einer Unternehmensgruppe besser erscheinen lassen als bei reinem Blick auf die einzelne juristische Person.

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Zwar ist die Gerichtsbarkeit hinsichtlich der Frage der Möglichkeit eines Berechnungsdurchgriffs auf Konzernvermögen bzw. Vermögen von herrschenden Gesellschaften nicht eindeutig, in jüngerer Vergangenheit sogar zunehmend restriktiv. Ein Durchgriff kann sicher nicht generalisierend bejaht werden, da klarer Bezugspunkt des Gesetzes das Unternehmen ist. Jedoch kann insbesondere vor dem Hintergrund des Wortlautes des § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 BetrVG davon ausgegangen werden, dass keine Fortbestandsgefährdung eines Unternehmens vorliegt, wenn eine entsprechende Verlustübernahme durch eine Muttergesellschaft bzw. die Möglichkeit, Liquidität durch die Inanspruchnahme von konzerneigenen Cashpool-Mitteln in Anspruch zu nehmen, vorhanden ist. Eine Fortbestandsgefährdung des Unternehmens durch Illiquidität bzw. Überschuldung kann bei Vorliegen solcher gesellschaftsrechtlichen Verträge bzw. Finanzierungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden.15

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In der Realität werden gerade bei Sozialplänen in konzernzugehörigen Unternehmen oftmals De-facto-Obergrenzen durch Konzernspitzen vorgegeben. Dies erfolgt, damit die Preise bei möglichen zukünftigen Sozialplänen in anderen Konzernunternehmen „nicht verdorben“ werden – sprich, damit nicht jeder Sozialplan von Mal zu Mal für ein Unternehmen teurer wird. Diese strategische Betrachtungsweise mag aus Sicht der Konzernspitzen nachvollziehbar sein, für die von einer Betriebsänderung betroffenen Beschäftigten spielen solche Überlegungen jedoch keine Rolle und können dementsprechend auch nicht für einen Betriebsrat handlungsleitend sein. Nichtsdestotrotz kommt es hierüber nicht selten zu ernsthaften Meinungsverschiedenheiten in den Beratungen über die Ausstattung des Sozialplanes. Letztlich kann jedoch auch in dieser Situation auf das Gesetz und die dort niedergelegten Grundsätze mit den Maßstäben des § 112 BetrVG verwiesen werden. Die substanzielle Milderung wirtschaftlicher Nachteile kann demzufolge nicht durch eine starre Direktive von oben definiert werden, sondern ist in jedem Fall von den Gegebenheiten des Einzelfalls und den vorliegenden bzw. zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteilen zu bestimmen. Sowohl Wortlaut, Historie, Sinn und Zweck als auch Zusammenhang der Sozialplannorm mit den übrigen Vorschriften des BetrVG lassen keinen anderen Schluss zu.

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Als pragmatischer Hinweis für Betriebsräte sei an dieser Stelle jedoch auf alternative Möglichkeiten der Ausgestaltung von Sozialplanvolumina jenseits der klassischen Elemente hingewiesen. So bestehen auch Möglichkeiten, „politische Konzernvorgaben“ wie Faktoren, Divisoren oder Maximalabfindungen einzuhalten und dennoch substanziell bestehende wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. Hier bedarf es ein wenig Kreativität, z.B. im Hinblick auf Definitionen von Betriebszugehörigkeit oder auf das als Bemessungsgrundlage dienende Bruttomonatsentgelt. Gleichzeitig kann mit Fix- oder Sockelbeträgen gearbeitet werden und es können Sozial- oder andere Zuschläge vereinbart werden, die nicht unter Maximalbeträge fallen und die unter Rn. 124 näher beleuchtet werden.

Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten

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