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Glück als Wohlfühlmoment

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Wer sich als glücklich bezeichnet, meint in der Regel, dass er sich im Hier und Jetzt gut fühlt. Er meint ein Glück, das schönen, lustvollen Momenten, das Augenblicken des Genusses, Spaßes und Vergnügens oder gar dem Rausch der Ekstase entspringt. Er meint jenes Glück, das sich in einem kurzzeitigen Gefühlshoch bemerkbar macht, in einer hormonellen Explosion, die ein Feuerwerk positiver Emotionen bedingt. Es ist eine Form von Glück, die der mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Mathematiker und Philosoph Bertrand Russell (1872-1970) in seinem Buch „Die Eroberung des Glücks“ als „primitiv“ und „animalisch“ bezeichnet.

Diese Form des Glücks scheint in der heutigen Welt von vielen nahezu verbissen gesucht zu werden. Wahre Glücksjunkies sind auf der Jagd nach dem ultimativen Gefühls-Kick. Verantwortlich für die Momente akuter Euphorie sind vornehmlich die sogenannten Glückshormone. Vor allem sind hier sicherlich Oxytocin, Endorphin, Serotonin und Dopamin zu nennen.1 Alle vier Hormone wirken dabei nie isoliert von anderen chemischen und auch physikalischen Prozessen im Gehirn. Dieses Zusammenspiel ist derart kompliziert, dass es nur schwer verständlich ist. Selbst der versierteste Experte muss stark vereinfachen, um in seinen Erklärungen halbwegs nachvollziehbar zu bleiben. Doch der genaue Wirkmechanismus der hormonellen Botenstoffe ist nicht nur hochkomplex, sondern auch noch lange nicht in allen Details geklärt. Vereinfachend kann nach jetzigem Forschungsstand aber gesagt werden: Oxytocin, auch als Kuschel-, Treue- oder Bindungshormon bezeichnet, sorgt vor allem für gute Gefühle bei jeder Form von Zärtlichkeit, Endorphin wirkt schmerzstillend und euphorisierend, Serotonin macht zufrieden und Dopamin weckt das Begehren und die positive Erwartung.

Besonders viele und bedeutende Wirkungen werden dabei dem Oxytocin zugeschrieben. Die physiologische Bedeutung des Oxytocins kommt vor allem bei Geburten zum Tragen. Es sorgt maßgeblich dafür, dass sich die Gebärmutter der Frau zusammenzieht und Wehen ausgelöst werden. Zugleich löst es ein Gefühl tiefer Verbundenheit der Mutter zu dem neugeborenen Kind aus. Es verwundert daher nicht weiter, dass Oxytocin bei Frauen grundsätzlich etwas aktiver ist.

Weiterhin stärkt Oxytocin das Vertrauen in die Mitmenschen. In der Fachzeitschrift „Nature“ wurde 2005 eine aufsehenerregende Studie eines Forscherteams aus Zürich veröffentlicht. In der Studie konnte nachgewiesen werden, dass Probanden, die kleine Mengen von Oxytocin in Form eines Nasensprays verabreicht bekamen, großzügigere und vertrauensseligere Entscheidungen trafen als eine Vergleichsgruppe, die einen bloßen Placebo erhalten hatte.

Schließlich gilt das Oxytocin als Treue-Hormon. So wird von dem Hormon das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert, wenn man mit dem eigenen Partner oder auch vertrauten Leuten zusammentrifft. Das gleiche geschieht bei zärtlichen Berührungen.

Allerdings kann das Hormon gleichzeitig Skepsis gegenüber Unbekannten und Fremden schüren.

Aus evolutionsbiologischer Sicht forciert das Oxytocin vor allem das Bestreben, die eigenen Gene durchzubringen und sich daher z.B. bei der Partnerwahl tendenziell einen vertrauten, vielleicht ähnlichen Partner zu suchen. Weiterhin sorgt die Befriedigung, die aus dem Gefühl der Bindung entsteht, dafür, dass man den eigenen Nachwuchs behutsam und zärtlich beschützt und in einem möglichst geborgenen Rahmen großzieht.

Das zweite besonders beachtenswerte Glückshormon, das Endorphin, wird interessanterweise nicht nur dann ausgeschüttet, wenn man ein freudiges Erlebnis hat, wenn einem also zum Beispiel das beschriebene Schicksalsglück wohl gesonnen ist, sondern auch wenn man Schmerzen erleidet. Endorphine können betäubend und euphorisierend zugleich wirken. Sie scheinen ein Grund zu sein, warum schwer Verletzte in den ersten Momenten nach einem Unfall oft keine Schmerzen spüren und warum gebärende Frauen trotz der unmenschlichen Schmerzen manchmal von unbeschreiblichen Glücksgefühlen überwältigt werden.

Die Lust, die Masochisten im Moment eines Schmerzes empfinden, ist somit unter anderem mit dem Endorphin erklärbar. Auch leichte Schmerzerfahrungen, wie sie etwa Extremsportler bisweilen gezielt suchen, können ein diffuses Glücksempfinden hervorrufen. Wer also beispielsweise einen Marathon läuft, spürt oft in den Momenten größter körperlicher Anstrengung plötzlich eine euphorisierende Wirkung.2

Aber auch wer zum Beispiel ein unverhofftes Geschenk bekommt, wer zufällig einen geliebten Menschen nach langer Zeit wiedertrifft oder wer eine freudige und unerwartete Entdeckung macht, wird die Wirkung der Endorphine spüren.

Evolutionsgeschichtlich dürfte das Endorphin dazu beigetragen haben, dass wir Menschen in Extremsituationen, in Augenblicken größten Schmerzes und Momenten großer Überraschung – im Guten wie im Schlechten – nicht vollkommen erstarren, sondern durch die ausgelöste Euphorie handlungsfähig und aktiv bleiben. Die Wirkung der Endorphine unterscheidet sich jedoch von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation. Nicht jeder Marathonläufer erlebt das sogenannte „Runner’s High“. Und nicht jede gebärende Frau erlebt ein unmittelbares Gefühlshoch.

Das Serotonin findet sich vor allem im Darmnervensystem, im Blut, im Herzkreislaufsystem, in kleinen Mengen aber auch im Zentralnervensystem. Es hat zahlreiche Regulierungsfunktionen. So trägt es auf komplexen Wegen unter anderem zur Steuerung des Blutdrucks bei, wirkt auf den Verdauungstrakt, beeinflusst die Körpertemperatur, die Blutgerinnung, den Schlaf, den Appetit und die Lernprozesse im Gehirn.

Bekannt ist das Serotonin jedoch meist nur in seiner Funktion als „Glückshormon“. Allerdings wäre die Bezeichnung „Zufriedenheitshormon“ treffender. Schließlich dämpft das Serotonin unangenehme Gefühlszustände wie Angst, Traurigkeit, Hunger oder auch Aggression. Stattdessen befördert es Gefühle von Gelassenheit und innerer Ruhe. Ein Mangel an Serotonin kann unmittelbar zu Angststörungen oder depressiven Verstimmungen führen.

Indem es für eine Form von grundlegender Zufriedenheit sorgt, hilft es dabei, den menschlichen Geist zu beruhigen. Evolutionstechnisch war dies hilfreich, um Phasen der Regeneration, der konzentrierten Ruhe (die für Lernprozesse notwendig waren und sind) und der Verdauung zuzulassen.

Das Dopamin ist wohl das wirkmächtigste aller Glückshormone. Der Psychiater Daniel Z. Lieberman von der George Washington University geht so weit, zu behaupten: „Dopamin hängt inzwischen mit dem wichtigsten Teil unseres Wesens zusammen. Es hat von unseren Seelen Besitz ergriffen.“ Das Hormon überflutet uns vor allem dann, wenn wir etwas Gutes erwarten. Es ist der Grund, weswegen wir bereit sind, Mühen auf uns zu nehmen. Das Dopamin kann auch als Hormon des Antriebs und der Vorfreude bezeichnet werden. Der Hirnforscher Gerhard Roth von der Universität Bremen meint daher, dass Dopamin „kein Glücksstoff an sich“ ist. Er meint vielmehr: „Es verspricht uns das Glück.“ Es speist die Erwartung, dass wir uns bald wohl fühlen werden. Trifft der erwartete oder erhoffte Wohlfühlmoment ein, lässt sich im Hirn interessanterweise jedoch keine nennenswert erhöhte Menge an Dopamin mehr messen. Es ist somit gewissermaßen die Voraussetzung jeglichen Glücksstrebens. Das Dopamin ist der Treibstoff, der bereits die antike Glücks-Lehre des Aristoteles (384-322 v.Chr.) antrieb. Aristoteles ging davon aus, dass alles, was der Mensch tut, einem höheren Ziel dient. Für einen Menschen der Gegenwart könnte das Glücksstreben im aristotelischen Sinne etwa so aussehen: Man geht in die Schule und lernt, um gute Noten zu bekommen. Gute Noten ermöglichen dann eine gute Berufsausbildung. Ein guter Beruf ermöglicht ein hohes Einkommen. Ein hohes Einkommen ermöglicht die Erfüllung individueller Wünsche. Die Erfüllung individueller Wünsche scheint ein gutes Leben zu ermöglichen. Ein gutes Leben macht schlussendlich glücklich. Und so treibt das Dopamin uns durch alle möglichen Anstrengungen, Mühen und Ärgernisse hindurch, einer vermeintlich goldenen Zukunft entgegen.

Dabei ist vollkommen gleichgültig, wie der Glücksbegriff am Ende der aristotelischen Handlungskette definiert wird. Der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) wollte den von Aristoteles ans Ende der Kette gesetzten Begriff beispielsweise abschaffen und durch den der Pflicht ersetzen. Der Mensch solle demnach aus Pflichtgefühl Gutes tun und nicht nach Glück streben. Doch auch wer sich höchsten Prinzipien wie etwa einer strengen Pflichterfüllung verschreibt, wird dies tun, weil ihm die positive Erwartung des Dopamins ein gutes Gefühl für den Moment der Umsetzung seiner Ideale verspricht.

Auch wer für sich entscheidet, dass Erfüllung in persönlichem Leid (etwa einer strengen Askese) oder in der Aufopferung für andere besteht, erwartet für den Moment der Erfüllung jener vordergründig verdrießlich erscheinenden Vorhaben ein gutes Gefühl. Die Momente der Belohnung besonders selbstzerstörerischer Handlungsweisen werden dabei oft in ein idealisiertes Jenseits verfrachtet. Man denke an religiös motivierte Attentäter. Auch sie werden von einer freudigen Erwartungshaltung zu ihrem mörderischen Tun verleitet.

Die Glückshormone sorgen in ihrer Wirkung somit nicht nur für intensive Gefühle und viel Freude, sondern können auch Grund für Terror, Übel und Leid sein. Vor allem waren sie aber ein evolutionsgeschichtlicher Garant für das Überleben der Menschheit. Aus der Perspektive eines Evolutionsbiologen ist das Glücksempfinden tatsächlich nichts weiter als ein Mittel zum Zweck des puren Überlebens. Indem der Mensch auch unabhängig von seinen bewussten Denkvorgängen durch chemische Prozesse in Form von Hormonausschüttungen zu aktivem Tun angeregt wird, konnte er bis heute sehr gut überdauern. Gerade überlebenswichtige Handlungen wie die Nahrungsaufnahme, wie die Zusammenarbeit und die Hilfeleistung untereinander, wie die Anschaffung von lebenssichernden Gütern oder wie die Sexualität, scheinen kulturunabhängig ein besonders hohes Maß an Freude mit sich zu bringen. Sie bedingen stets die Ausschüttung von Glückshormonen.

Durch die Jagd nach guten Gefühlen bzw. durch das, was man neuzeitlich das „Streben nach Glück“ bezeichnet, hat sich der Mensch nicht nur behauptet, sondern rücksichtslos ausgebreitet und in weltgeschichtlich kurzer Zeit explosionsartig vermehrt. Vielleicht ist es gerade die unreflektierte Glücksjagd, die sich inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt hat. Sie bringt vielfach kein Glück, sondern Unglück. Und sie scheint die Menschheit als Ganzes an den Rand eines Abgrunds zu führen.

Problematisch ist nämlich nicht nur, dass Glückshormone auch angesichts kulturell definierter Ideale ausgeschüttet werden. So konnten und können selbst schlimmste menschliche Entgleisungen und Barbareien geschehen, wenn sie gesellschaftlich als richtig und gut deklariert wurden. Einzelne empfinden daher auch im Angesicht schlimmster Verbrechen oder vorgeblich heilstiftender Kriege euphorisierende Gefühle des Glücks.

Doch auch die Wirkweise der Glückshormone selbst bedingt Gefahren für den Einzelnen und die Menschheit insgesamt. Hirnforscher Gerhard Roth erklärt: „Dieses [hormonell bedingte] Glücksgefühl ist nur von kurzer Dauer und verlangt schnell nach mehr.“ Tatsächlich ähneln die Glückshormone rein chemisch dem Morphium, Opium und Heroin. Doch nicht nur das. Sie wirken auch in derjenigen Region des Hirns, dem Nucleus Accumbens, die auch eine große Rolle bei der Entstehung von Sucht spielt. Und so verwundert es nicht, dass die Jagd nach euphorisierenden Momenten tatsächlich zur Sucht werden kann. Oft wird das Suchtverhalten dabei nicht mal als solches erkannt. Die Suchtforscherin Tagrid Leménager von der „Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit“ in Mannheim erklärt: „In unserer Konsumgesellschaft sind wir ständig auf der Suche nach Reizen, die ein Euphoriegefühl auslösen.“ Es werden also in immer kürzeren Abständen immer kostspieligere Outfits konsumiert, immer gewaltigere Reisen gebucht oder immer teurere und nutzlosere Artikel der Unterhaltungsindustrie angeschafft. Ein kurzzeitiges, hormonelles Gefühlshoch ist auf die Art nur allzu leicht zu bekommen. Um dann das gleiche gute Gefühl noch einmal zu erzeugen, „[…]braucht man dann mehr. Mehr Geld, mehr Partys, mehr Urlaub“, so Leménager. Die Dosis muss also, wie bei einer Drogensucht, erhöht werden. Der Einzelne wird so zu einem fremdbestimmten Wesen, das verzweifelt dem nächsten Gefühlskick nachjagt. Die Gesellschaft als solche verliert sich in einem blinden Konsumismus, für den die begrenzten Ressourcen unserer Erde herhalten müssen.

Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet

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