Читать книгу Wie man glücklich wird und dabei die Welt rettet - Holger Dr. phil. Wohlfahrt - Страница 8
Die beglückende Freude der Zufriedenheit
ОглавлениеAuch wenn die Auseinandersetzung mit der Neurowissenschaft es nahelegt, so muss doch festgehalten werden: Der Mensch ist nicht nur ein hormonell gesteuertes Triebwesen. Er besitzt auch Geist. Er zeichnet sich unter anderem durch seine Fähigkeit zum Nachdenken, Reflektieren, Philosophieren aber auch zum Innehalten und Meditieren aus. Diese Fähigkeiten helfen, die impulsiven Euphorie-Ausbrüche einzuordnen, in ihrer Funktionsart zu erkennen und sogar zu steuern. Der Mensch kann somit Hoheit über sich gewinnen. Er kann die Abhängigkeit von den süchtig machenden Glückskicks beenden und stattdessen eine tiefere Einsicht in die Zusammenhänge des Lebens erlangen.
Menschen, die jene rein animalisch anmutende Instinktebene der unmittelbaren Triebbefriedigung verlassen, entwickeln dabei nachweislich ein besonders tiefes Bewusstsein. Neurowissenschaftler konnten zeigen, dass bei ihnen eine evolutionsgeschichtlich sehr junge Region im Gehirn, der sogenannte Cortex, stark aktiviert wird. In diesen Arealen der Hirnrinde wird von Forschern im Prinzip das verortet, was man Zufriedenheit nennt. Zufriedenheit steht somit für etwas, das als Ergebnis bewusster Vorgänge und erlernbarer Praktiken zu erlangen ist.
Bereits im 18. Jahrhundert schrieb der britische Universalgelehrte Samuel Johnson (1709-1784): „Zufriedenheit muss dem Verstand entspringen. Jener, der die menschliche Natur so wenig kennt, dass er bei der Suche nach dem Glück alles ändert außer seiner Anlage, wird sein Leben in fruchtlosen Bemühungen verschwenden und das Leid, das er beseitigen möchte, vervielfachen.“
Und damit kommen wir zur dritten und letzten Glücksdefinition. Um sie soll es im weiteren Verlauf des Buches vorrangig gehen.
Die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt meint, dass all das, was gegenwärtig als „Glücksforschung“ bezeichnet wird, in Wahrheit ohnehin eine „Zufriedenheitsforschung“ sei. Doch der Begriff Zufriedenheit wird jenem grundlegenden Wohlbefinden, das dem menschlichen Gefühlshaushalt zugrunde liegen kann, vielleicht nicht ganz gerecht.
Wer ausschließlich danach strebt, in gelassener Dauerruhe dahinzuvegetieren, droht seinerseits zum apathischen, teilnahmslosen und interessenlosen Wesen zu werden. Ein Streben nach Zufriedenheit kann schnell zu einem aus Bequemlichkeit vollzogenen Abschied aus dem tätigen und selbstbestimmten Leben degenerieren. Irgendwann, und sei es erst am Sterbebett, droht genau dieses Verharren auf einer niedrigen, vermeintlich wunschlosen Gefühlsebene, die zwar behaglich und bequem, aber eben auch „un-lebendig“ ist, für Unzufriedenheit zu sorgen. Im Bewusstsein kann sich ein „Un-Frieden“ breit machen. Der Philosoph und Dichter Khalil Gibran (1883-1931) drückt das in seinem Buch „Der Prophet“ so aus: „Die Behaglichkeit wird zu einem Bändiger und mit Haken und Peitsche macht sie Marionetten aus euren größeren Wünschen. […] Wahrlich, die Gier nach Behaglichkeit mordet die Leidenschaft der Seele und mischt sich dann grinsend in den Trauerzug.“
Wer in einem glücklichen Sinne zufrieden sein will, sollte daher vielleicht gerade nicht ausschließlich nach behaglicher Zufriedenheit streben. Stattdessen gilt es eine Art der Lebenskunst zu entwickeln, die es ermöglicht, das Leben in seiner Vielfalt, in seiner Schönheit, aber auch Tragik anzunehmen, voranzutreiben und auszukosten. Eine Lebenskunst, die dabei hilft, äußeres Glück genauso wie Pech, Erfolge genauso wie Niederlagen, Momente größter Wonne genauso wie schlimmste Schicksalsschläge zu akzeptieren und in die Geschichte des eigenen Lebens sinnvoll zu integrieren. Wem das gelingt, der empfindet wohl mehr als schlichte Zufriedenheit. Der Philosoph Robert Spaemann (1927-2018) spricht von einem Empfinden „inneren Jubels, der […] dauerhaft als Unterton mitschwingt.“ Er meint eine grundlegende Lebensfreude, die weit mehr ist als bloßes Glück. Bei dem großen Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926) heißt es dazu:
„Freude ist unsäglich mehr als Glück,
Glück bricht über die Menschen herein, Glück ist Schicksal –
Freude bringen sie in sich zum Blühen,
Freude ist einfach eine gute Jahreszeit über dem Herzen;
Freude ist das Äußerste, was die Menschen in ihrer Macht haben.“
Um jene Freude, deren Grundton ein „innerer Jubel“ ist, soll es in vorliegendem Buch nun überwiegend gehen. Die euphorisierende Wirkung des Kurzzeitglücks wird dabei jedoch nicht ausgeklammert. Sie wird immer wieder auf ihre Nutzbarmachung für wahrhafte Lebensfreude überprüft.