Читать книгу Der Schwarze Stier II - Holger Steiner - Страница 5

Kap.2 Steinfall

Оглавление

Schon damals war Steinfall die Hauptstadt von Westland.

Die ganze Stadt war von einer begehbaren, mehrere Mann hohen Mauer umgeben. In regelmäßigen Abständen waren Wachtürme in die Mauer integriert. Sie erlaubten einen Blick weit auf die See und in das Landesinnere hinein.

An der zum Meer gelegenen Seite befand sich ein Hafen der auch großen Galeonen die Möglichkeit zum Be- und Entladen gab. Eine Seite des Hafens wurde durch hohe Klippen begrenzt. Hoch oben auf diesen Felsen lag die Festung des Fürsten. Alle Seiten zur Festung hinauf waren steil aufsteigend und nur eine sich an den Felsen durch den Klippenwald entlang windende Straße führte zum großen Haupttor der Burg.

In der Stadt am Fuße der Festung standen die Häuser dicht an dicht beieinander. Manche Nebengassen waren so eingeengt von den Wohnstätten, dass nur an einigen Minuten zur Mittagszeit das Sonnenlicht den Boden berührte. Doch selbst hier machten die Gebäude, wie in den meisten Vierteln, einen sehr gepflegten Eindruck. An vielen Fenstern und Balkonen hingen Blumenkästen in denen Pflanzen in allen Farben gediehen. Die Bewohner achteten sehr darauf, dass die Gebäude ihrer traditionsreichen Stadt ordentlich erhalten blieben. In der Hauptstadt Westlands gab es kaum Baufälliges.

Einzig im Hafenviertel und in der Nähe des Flüchtlingslagers war nicht alles so aufgeräumt.

Diese Orte waren ein Sammelsurium der verschiedensten Geschöpfe dieser Welt. Dort kamen und gingen die Leute und niemand fühlte sich wirklich verantwortlich.

Immer häufiger waren es Fabelwesen die kamen.

Sie suchten ein neues Zuhause in Westland.

Aus Erzählungen wusste der junge Gabriel, dass in Mittenland ein Hexer mit einem großen Hass auf sie lebte. Ein junger Magier hatte ihm die Stirn geboten und ihn sogar längere Zeit aus dem Land verbannen können. Doch konnte der so genannte Schwarze Stier durch irgendwelche Mysterien seine Macht wieder aufbauen und sammelte seitdem dunkelmystische Wesen um sich.

Zum Glück weit weg von Steinfall, dachte sich Gabriel damals, dem noch nicht bewusst war wie stark die einzelnen Länder des Kontinentes miteinander verzahnt waren.

Er war ein junger Fürst. Sein Vater, Sir Richel, hatte ihm den Thronstab schon zu Lebzeiten übergeben, um sich selbst langsam aus den Amtsgeschäften zurückziehen zu können. Sicherheitshalber hatte er sich aber gleichzeitig zum offiziellen Berater seines Sohnes gemacht, um weiterhin Einfluss auf das Geschehen bei Hofe zu haben.

Doch gab es nicht viel bei dem er Einfluss hätte nehmen können.

Der junge Fürst war beliebt bei der Stadtbevölkerung. Von Kindesbeinen an war er an den Menschen interessiert, die in seiner Stadt lebten. Stets darauf bedacht nicht zu wirken als würde er über den anderen stehen und immer mit einem offenen Ohr für die Nöte und Ängste seiner Bürger hatte er sich ein großes Vertrauen bei ihnen erworben. Dies half ihm auch sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge gegen seinen Vater zu stellen und jedem das Recht einzuräumen in Steinfall Schutz zu suchen. Sir Richel hingegen war der Meinung, dass die übermäßige Zuwanderung und die unterschiedlichen Lebensformen über kurz oder lang zu Zwist führen würden. Tatsächlich wurde durch das Öffnen der Stadttore die Stadt zu einem Schmelztiegel der verschiedensten Rassen und Kulturen.

Dennoch mussten die Stadtwachen nur selten eingreifen.

Im Gegenteil, diese kulturelle Vielfalt machte Steinfall nur noch mehr zum Mittelpunkt Westlands. Die Stadtwachen mussten, wenn überhaupt, ab und an zwei Streitende trennen, die sich einige Becher zu viel im Wirtshaus gegönnt hatten oder als wirkliche Ausnahme, einen Dieb fassen, der die Ablenkung der Streitenden für sich nutzen wollte. Es waren keine Auffälligkeiten erkennbar, die auf die Anwesenheit der Flüchtlinge zurückzuführen waren.

Bis jetzt.

In den letzten Tagen kam es öfter vor, dass sich eine neue Zuwanderergruppe mit anderen Stadtbewohnern in den Haaren lag. Erfuhr Gabriel von solchen Streitigkeiten ritt er aus, um mit den beteiligten Gruppen zu sprechen. Bis er im Ort ankam hatten die Stadtwachen die rivalisierenden Gruppen schon beruhigt und bei Bedarf in ihre Heimstätten zurückgeführt.

Außer diesmal!

Bei einem abendlichen Spazierritt durch die Stadt entdeckte Gabriel, beim Blick in eine der etwas breiteren Gässchen hinter den Kneipen des Hafenviertels, ein halbes Dutzend der neuen Zuwanderer die sich um ein am Boden liegendes vierarmiges Fischwesen mit dünnen Beinchen und der Schwanzflosse eines Delfins aufgebaut hatten. Neben dem schon niedergestreckten stand ein weiteres Fischwesen mit Blessuren und hielt schützend die Hände vor den Körper und das Gesicht.

Die Slarnom, so wurde die Zuwanderergruppe genannt, hatte die beiden Fischwesen so eingekreist, dass sie keine Fluchtmöglichkeit mehr hatten.

Gerade holte der vermeintliche Anführer zu einem weiteren Schlag auf das noch stehende Wasserwesen aus, als der Fürst von seinem Pferd aus auf sich aufmerksam machte.

Der Slarnom hielt tatsächlich im Schlag inne und drehte sich zu Gabriel um.

Als er den Waffenrock Gabriels, als den eines Steinfaller Soldaten erkannte, nahm er die Hand schnell herunter und vergrößerte seinen Abstand zu dem eben noch geprügelten Garnek.

„ Was ist hier vorgefallen?“ fragte der junge Fürst während er abgestiegen war und auf die Gruppe zuging. Der noch stehende Garnek zeigte auf sein Gesicht und den am Boden liegenden Artgenossen, der gerade begann sich langsam aufzuraffen.

„Ihre Hexe verdirbt die Waren! Wir verkaufen keine schlechten Waren! Sie wollen den Markt für sich! Sie tun uns weh weil wir die Wahrheit sagen!“ Der Rückenpanzer des eigentlich grauen Wasserwesens begann sich rot zu färben. Ein Zeichen, dass die Angst des Garnek langsam in Wut umschlug.

Nachdem er den jungen Fürsten noch einmal auf ihre Wunden aufmerksam gemacht hatte, bestand er darauf, dass Sir Gabriel die Gruppe der Slarnom sofort der Stadt verweist. Wild fuchtelte er mit seinen vier Armen.

Um ihn herum, der Fürst war inzwischen mitten in die Gruppe gegangen und hatte sich demonstrativ zwischen die Garneks und den Anführer gestellt, fingen jetzt auch die Slarnom an wüste Beschimpfungen zu rufen und forderten den Ausschluss der Wasserwesen aus der Händlergemeinschaft.

Sie hatten ihre Waffen gezogen und drohten mit kämpferischen Gebärden.

Gabriel wusste, dass er rasch handeln musste, bevor die Situation wieder eskalierte.

Zuerst wandte er sich den beiden Garneks zu. Dadurch konnte er sich selbst etwas Zeit verschaffen.

Er musste diplomatisch sein.

Die Garneks waren total verdreckt. Bei einem war an mehreren Stellen die Schwanzflosse eingerissen.

Die Slarnom mussten sie schon einige Minuten, auf sehr unsanfte Art, auf die schlechte Ware hingewiesen haben.

Er half dem schwerer Verletzten vollends auf die Beine.

Schnell wurde der von seinem Artgenossen übernommen.

„Verhaltet euch ruhig. Ich bin auf eurer Seite. Aber ihr müsst tun was ich sage!“ forderte Gabriel. Er kannte das Volk schon seit er denken konnte. Sie waren eines der ersten Fabelvölker die mit seinem Vater Handelsbeziehungen aufgebaut hatten. Er wusste, dass die Garneks niemals bewusst Verdorbenes anbieten würden. Die Meeresbewohner waren ein stolzes Volk. Zu stolz um sich Betrug nachsagen zu lassen.

„Ihr müsst das Slarnomvolk bestrafen!“ rief der immer noch sehr wütende Garnek.

„Ich werde mit den Verantwortlichen reden. Sie werden die Konsequenzen dafür tragen müssen.“ gab der Fürst zurück.

„Nur reden wird nicht genügen!“ blubberte Gundesch, der verletztere Garnek enttäuscht. Dann drehte er sich mit seinem Gefährten um und humpelte an den grölenden Slarnom vorbei. Erleichtert sah Gabriel, dass die Farbe der Rückenpanzer der Meeresbewohner langsam wieder in einen Grauton überging.

Die Parteien waren getrennt, die Garneks erstmal in Sicherheit.

Er würde sich nun um das Slarnomvolk kümmern.

Eine Rasse deren Erscheinungsbild sehr gewöhnungsbedürftig war. Ihre Kleidung war gebraucht, abgenutzt und ungepflegt, wie sie selbst. Ihre Waffen waren rostig. Der Schmutz klebte an ihnen wie Kletten am Fell seines Pferdes. Als er nähertrat konnte er riechen, dass der Schmutz schon älter sein musste. „Was war Anlass für euren Disput?“ fragte er den, der die lautesten Verwünschungen ausrief.

„Die Fischköpfe verkaufen verschimmelte Schwämme und wenn sich jemand beschwert behaupten sie, dass sie gar nicht von ihnen stammen.“ grunzte der breitschultrige, wuschelköpfige Streithahn.

Gabriel war überrascht. Er hätte gedacht, dass der Slarnom den Begriff Schwamm gar nicht kannte.

„ Sie behaupten sogar, dass wir den Ramsch selbst mitbringen und die Leute übers Ohr hauen. Seitdem will keiner mehr unsere Ware. Da hat es sich doch nur angeboten, dass wir zwei von ihnen auf ihrem Heimweg hier getroffen haben um uns auszusprechen.“ grinste der Slarnomanführer frech.

„Darf ich einen dieser Schwämme sehen?“ fragte Gabriel höflich.

„Den Wasserköpfen glaubt ihr ungesehen und von uns wollt ihr Beweise?“ baute sich der Sprecher der Slarnom grimmig vor ihm auf.

„Wer seid ihr überhaupt, dass ihr glaubt euch ein Urteil erlauben zu können?“

„Nun; meine Aufgabe ist es Recht zu sprechen und da ihr der Ankläger seid, möchte ich von euch die Beweise!“ forderte der Fürst, ohne sich wirklich zu erkennen zu geben.

Der Slarnomanführer ließ sich von einem seiner Leute einen Schwamm geben.

Gabriel erkannte sofort, dass der Schwamm unmöglich von diesem Meer stammen konnte. Der Mann hatte also gelogen. Niemals würde ein Garnek ein solches Teil überhaupt in die Hand nehmen, geschweige denn verkaufen.

„Packt eure Sachen und verschwindet von hier!“ befahl er dem Slarnom. Er hatte keine Lust mehr diplomatisch zu sein. „Solltet ihr noch einmal in dieser Stadt auftauchen und willkürlich Bewohner beschimpfen oder beschuldigen, ob Fabelwesen oder Mensch, werdet ihr unsere Gefängnisse kennen lernen!“

Für den Slarnomanführer war diese Drohung Anlass genug die Hand an die Waffe zu legen.

„Und was wollt ihr machen wenn wir nicht gehen wollen? Hier, in dieser Gasse? Ein Soldat gegen sechs Slarnom.“ Der Anführer zog sein Schwert. Seine Mitstreiter taten es ihm gleich.

So ein Mist, dachte Sir Gabriel als auch er zur Waffe griff. Warum ist nie eine Wache da wenn man sie braucht?

Er sah sich um. Die paar Betrunkenen, die langsam aus den Kneipen torkelten und in die Gasse schauten, nahmen gar nicht war, dass sich hier eine brisante Situation entwickelte. Und die zwielichtigen Typen die es doch warnahmen, kamen nur in die dunkle Gasse um zu sehen wie sich ein Soldat, eine aus ihrer Sicht verdiente Abreibung abholte. Gabriel schluckte.

Ein halbes Dutzend Slarnomkrieger waren auch für ihn ein Gegner. Er war bestens ausgebildet im Schwertkampf, doch das hier würde schwer werden. Vor allem, weil er es sich zum Ziel gemacht hatte, niemals zu töten.

Mit einer plumpen Attacke begann der anführende Slarnom seinen Angriff.

Das war noch leicht, schoss es Gabriel durch den Kopf. Das war ein Trick, war sein nächster Gedanke, als er im Augenwinkel das Niedersausen eines weiteren Schwertes bemerkte.

Die Slarnom hatten sich im Kreis um ihn versammelt und griffen immer zu zweit, von gegenüberliegenden Seiten an. So standen sie sich nicht im Weg. Und er musste sich gleichzeitig in mehrere Richtungen verteidigen. Schon nach kurzer Zeit rann ihm der Schweiß von der Stirn. Die Angriffe waren geschickt platziert. Immer wieder konnte er sich nur durch einen gewagten Sprung retten. Meistens landete er direkt vor einer weiteren Slarnomklinge.

Er hatte zusätzlich seinen kleinen Dolch zur Hand genommen. Wieder konnte er gerade noch einem Hieb ausweichen. Er blockte mit dem Dolch und führte einen Streich in die Richtung aus, aus welcher der Schlag kam. Wieder daneben! Auch die Slarnom waren schnell. Ein wenig Hilfe aus der Bevölkerung wäre hier nicht schlecht. Doch die hier inzwischen versammelten Personen waren entweder zu betrunken, um die Situation zu begreifen oder der Meinung, dass Soldaten die sich alleine im Hafenviertel aufhalten eine Abreibung verdient hätten.

Wieder ein Angriff! Gabriel duckte sich unter dem Schlag hindurch und holte den Gegner mit einem Fußwischer von den Beinen. Er sprang auf den Gestürzten zu, doch bevor er seinen Schwertknauf einsetzen konnte, sauste eine weitere Klinge auf seinen Hals zu. Mit aller Kraft musste er den Griff seines Schwertes festhalten, als die Wucht des Angriffs sein Eisen traf. Mit einer Rückwärtsrolle in den Stand brachte er sich aus dem Gefahrenkreis eines weiteren gegnerischen Hiebes.

Endlich sprang ein kleiner, dicklicher Mann mit einem riesigen Schmiedehammer schreiend in den Kampfkreis. Die ersten beiden Slarnomkrieger spürten den Schmerz, bevor sie wussten was geschah. Trotz seiner Masse war der Mann mit dem Lederschurz flink. Er rammte den Hammerstiel in die Mägen seiner Gegner und ließ den Kopf des wuchtigen Werkzeugs auf die Zehen der Feinde donnern. Auch eine Kniescheibe zerbarst.

Ambro!

Dem Himmel sei Dank!

Sein Freund Ambro war ihm zur Hilfe geeilt.

Das verschaffte dem jungen Fürst die Luft, die er brauchte. Jetzt konnte er seinen Schwertknauf auf die Nasenbeine der Slarnom krachen lassen und seine Klinge schmerzvoll einsetzen.

Eisen funkten, Schneiden klirrten.

Der Hammer des Schmieds zog verheerende Kreise. Gabriels flache Seite des Schwertes prellte Rippen, Arme und Beine der Angreifer.

Innerhalb kurzer Zeit war der Kampf zu Gunsten Gabriels entschieden.

Er wendete sich dem nun am Boden liegenden Anführer der Slarnom zu.

Merklich außer Atem, aber nicht ohne einen gewissen Hohn, sagte er: „Entschuldigt bitte wenn ich euch mit meiner Uniform getäuscht haben sollte. Ich vergaß mich zu Beginn des Gesprächs vorzustellen. Mein Name ist Sir Gabriel von Steinfall. Ich bin das Stadtoberhaupt und Fürst von Westland. Dies ist mein guter Freund Ambrosius Amboss. Aufgrund der vorhin schon ausgesprochenen Anschuldigungen verweisen wir euch und eure Gefolgschaft der Stadt!“

„Haltet ein, bitte haltet ein!“ rief plötzlich eine Stimme in die Gasse. Eine junge Frau drückte sich zwischen den Zuschauern durch und kniete vor dem Slarnomanführer.

An Sir Gabriel gewandt, flehte sie: „Bitte vergebt ihm. Er ist leicht aufbrausend und hat Unrecht getan aber verweist uns nicht der Stadt. Ihr kennt die Gefahren, die vor der Stadt lauern! Bitte lasst uns sicher hier verweilen. Ich werde meinen Bruder zügeln. Bitte!“ „Schmeiß sie raus und lass uns gehen!“forderte Ambrosius.

Gabriel blickte sich unsicher um.

Er wusste gar nichts von Gefahren vor der Stadt. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich den Nasenrücken. Dann schaute er sich die Bittstellerin von oben bis unten an.

Sie war jung, schmutzig und roch wie ihre Landsleute. Ihre Kleidung war verschlissen und viele Male geflickt. Eine Slarnom eben. Im Gegensatz dazu waren ihre Augen jedoch glasklar und scheinbar leuchtend grün, beinahe als gehörten sie gar nicht wirklich zu dieser Gestalt.

Die Augen einer Königin, im Körper einer Bettlerin waren es, die sein Mitleid erregten. Und das wiederum veranlasste ihn, ihrer Bitte Folge zu leisten. Mit harter Stimme entschied er: „Ich werde Gnade vor Recht ergehen lassen. Ihr dürft bleiben! Bei dem kleinsten Regelverstoß werdet ihr für immer der Stadt verwiesen! Zieht euch nun zurück und heilt eure Wunden!“

Die Zuschauer schlurften und torkelten langsam davon. Enttäuscht, dass der Kampf schon zu Ende war.

Jetzt endlich schaute auch die Stadtwache in die Gasse. Der Kommandeur der Gruppe stürzte zu Gabriel. „Können wir helfen?“

„Zu spät.“ foppte Ambrosius den Hauptmann.

Sir Gabriel befahl: „Begleitet die Slarnom zu ihrem Lagerplatz und habt ein Auge auf sie!“

Er selbst schaute den Slarnom noch ein wenig nach. Seltsames Völkchen, dachte er.

Bevor er sich aber weitere Gedanken machen konnte, hatte sein Freund Ambro ihm die Hand auf die Schulter gelegt und gefragt: „Was trinken?“

Gabriel nickte.

Gemeinsam machten sie sich auf zum „Goldenen Hahn“.

Und wie selbstverständlich trottete der weiße Hengst des Fürsten hinter den beiden her.

*

Im Gasthaus angekommen wurde ihnen sofort Wein vorgesetzt und auch ein reichliches Mahl wurde angeboten. Ambrosius und Gabriel hatten sich an einem Platz, etwas abseits niedergelassen. Wie immer wollte der Wirt den Fürsten einladen. Wie immer lehnte dieser ab und bezahlte freiwillig etwas mehr, als er hätte müssen.

Seit langer Zeit waren der Schmied und der Fürst sehr gute Freunde. Ambrosius war einer der wenigen die wussten, dass das Pferd des Fürsten ein Einhorn war. Gabriel fand das Fohlen auf einer Lichtung im Wald. Halb verblutet. Trophäenjäger hatten dem zutraulichen Einhorn einfach das Horn abgeschlagen. Aus der Stirnwunde des Tieres floss das Blut in Strömen. Gabriel konnte die Blutung nicht stoppen. In seiner Hilflosigkeit band er das Einhorn auf den Rücken seines Pferdes und galoppierte damit zum Schmied, der gleichzeitig Pferdepfleger des Fürsten war. Doch der Stahlformer war in Forberg, um sich mit Eisenerz aus der Mine zu versorgen. Sein Sohn hielt währenddessen das Feuer im Ofen auf Temperatur. In seiner Not zeigte Gabriel, Ambrosius dem Sohn, das Tier. Der hatte irgendwo gehört, dass Einhörner nur durch die Kraft von Edelsteinen geheilt werden konnten. Gabriel gab ihm, ohne darüber nachzudenken, sofort seinen diamantbesetzten Ring.

Der Sohn des Schmieds war schon als Jugendlicher ein begabter Handwerker. Er trennte den Diamant aus der Ringfassung und legte ihn dem Einhorn in die Wunde. Sofort begann das Blut des Einhorns zu gerinnen und die Wunde sich zu schließen. Ehe die zwei sich versahen, war der Diamant fest verwachsen. In die Stirn des Tieres eingebettet.

Jetzt hatten sie ein neues Problem! Sie brauchten etwas um den Diamanten am Kopf des Fohlens zu verbergen. Schon an der Hand Gabriels war der Stein ein verlockendes Angebot für jeden Dieb. Am Kopf des Pferdes schrie er geradezu: Klaut mich.

Ein Sichtschutz musste her.

Ambrosius hatte noch etwas Eisen im Feuer.

Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit und ohne einmal Maß nehmen zu müssen formte er einen Stirnschild, welcher den Stein überdeckte. Mit zwei Riemen wurde der Schild befestigt. Das Einhorn wehrte sich nicht, als das abgekühlte Eisen an seine Stirn angebracht wurde. Es schien zu ahnen, dass es zu seinem besten war. Um unangenehmen Fragen zuvor zu kommen und auch ein wenig um das Tier zu schützen, beschlossen die Jugendlichen, dass das vermeintliche Pferd von Sir Gabriel in der Steppe gefangen wurde, sich dabei verletzte und deshalb beim Schmied untergestellt werden musste. Sie schworen sich, niemandem von der wahren Identität des Fohlens zu erzählen, welches im Laufe der Zeit zu einem schneeweißen Hengst heranwuchs der in der Sonne silbern glänzte. Gabriel hatte das Tier daher Silberstern getauft. Ambrosius war das egal. Er nannte es weiterhin einfach Pferd, was seiner Zuneigung zu dem Einhorn aber kein Abbruch tat.

Durch das Unterstellen in den Stallungen beim Schmied war es für ihn auch ein Leichtes, dem Pferd immer wieder das Stirnschild anzupassen, so dass bis heute tatsächlich keiner wusste welch edles Geschöpf Gabriel sein Reittier nannte.

Seit seiner Rettung verbrachten Gabriel und Ambrosius, immer wenn es die Arbeit zuließ, die Zeit gemeinsam. Eine der ersten Amtsgeschäfte Gabriels als Fürst war daher auch, Ambrosius in seinen Stab zu holen. Er war, abgesehen von Gabriels Vater, sein verlässlichster Berater.

Der „Goldene Hahn“ hatte sich für die „Beratungsgespräche“ als ein guter Treffpunkt abseits des Protokolls herauskristallisiert. Auch heute konnten sie wieder ungestört einige Becher des wohlschmeckenden Mets genießen, bevor sie gemeinsam den Rückweg zur Burg antraten. Am Haupttor angekommen trennten sich allerdings ihre Wege. Der Schmied wollte noch zur Werkstatt, Gabriel musste ins Haupthaus.

Kaum war er auf der Burg angelangt, als er seinem Vater Rede und Antwort stehen musste. Natürlich hatte er sich einige Vorwürfe von Sir Richel anzuhören: Sich alleine mit einem halben Dutzend Slarnomkriegern anzulegen. Und dann einen Stadtverweis zurückzuziehen, wegen dem Gejammer einer jungen Frau. Das würde die Autorität des jungen Fürsten in Frage stellen.

Gabriel verteidigte sich nach Kräften.

Er war der Meinung, dass Gnade den Respekt bei der Bevölkerung erhöht. Er wehrte sich auch gegen den Vorwurf, wankelmütig zu sein. Er sicherte zu, die Slarnom selbst im Auge zu behalten und bei einem weiteren Vorfall keine Gnade mehr zu zeigen.

Der Schwarze Stier II

Подняться наверх