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Der Galeerentrommler
ОглавлениеEigentlich war es ein Tag wie jeder andere in meinem alten Hamburg-Winterhude. Dem Stadtteil der Hansestadt, in dem ich geboren und aufgewachsen bin und wo meine Wurzeln sind. Ich ging, wie fast jeden Morgen, hinunter zum Winterhuder Marktplatz, auf der Suche nach neuen Impulsen und Ideen, gierig nach Themen Ausschau haltend, die ich schön zu Papier bringen könnte.
Und vor allem, um wieder meinem allmorgendlichen Ritual zu frönen.
„Tass` Kaff`, Franzbrot mit Körnern und Mopo“ bei meinem Lieblingsbäcker, der „Schanzenbäckerei“ in der Alsterdorfer Straße, direkt vorm Winterhuder Marktplatz, die von der Familie Yilmaz geführt wird. Herr Yilmaz, ein aufmerksamer, toleranter Mann mit wachem Blick, stets auf das Wohlbefinden seiner Kunden und Gäste bedacht. Frau Yilmas seine Frau, sanftmütig, geduldig und immer freundlich. Die beiden jungen Töchter Ayse und Serife, mit denen ich oft interessante Gespräche führen konnte. Wenn es ihre Zeit zuließ, sprachen wir über die überall sichtbaren unterschiedlichen religiösen Auffassungen zwischen Muslimen und Christen in Deutschland. („Schland“- ein furchtbarer Ausdruck für unsere Heimat) Dabei trugen die beiden jungen Frauen sehr fortschrittliche Ansichten dazu vor. Es war überhaupt das erste Mal, dass ich mit Menschen muslemischen Glaubens über die Unterschiede zwischen christlicher und muslemischer Sozialisation sprechen konnte. Aufgeschlossen hörten sie sich von mir an, dass Fundamentalismus auf beiden Seiten dieser Religionen für ein gedeihliches Miteinander nicht zuträglich wäre. Insbesondere hob ich dabei kritisch meine Empörung über das unsägliche Sarrazin-Buch „Deutschland schafft sich ab“ vor. Für mich eindeutig der Versuch einer Spaltung unterschiedlicher Volksgruppen, die doch bisher friedlich miteinander gelebt hätten. Wies dabei aber auch darauf hin, dass meine religiösen Auffassungen, die stark von der Figur Jesus geprägt wären, für mich den gleichen Stellenwert hätten, wie es wohl der Islam für sie tat. Ayse und Serife pflichteten mir bei und fragten mich dann, was die Figur Jesus überhaupt für eine Bedeutung hätte und ob er „Gottes Sohn“ sei. Ich sagte, dass laut unserer Religion Jesus am Kreuz für unsere Sünden gestorben sei und sie uns damit abgenommen wären. Wir waren uns darüber einig, dass es nur „eine Kraft“ geben könne (O-Ton Ayse), die alles zusammenhielte, ob man sie nun Allah oder Gott nennen würde. Dann sagte ich, dass auch ich mich in ihre Kultur integrieren wolle. Wie soll man denn sonst zusammenleben? Und nur so könne es überhaupt ein Verständnis zwischen unseren Völkern geben. Das nicht nur die muslemischen Volksgruppen sich unserer Kultur anzupassen hätten, sondern wir auch uns der ihren. Naima und Serife sind sehr modern eingestellt und wir verstehen uns sehr gut. Für mich ist der Aufenthalt dort auch deshalb so angenehm, weil viel gelacht wird. Naima, die afghanische Mitarbeiterin, eine Frau mit drei Kindern, hat so ein herrliches, frisches Lachen, wobei der Schalk in ihren Augen jedes Mal aufblitzt. Wir scherzen und freuen uns miteinander.Besonders lustig wird es, wenn ich morgens dort hereinkomme und frage „Kenne ich Sie von irgendwo her?“ Dann sagt sie,, „Nein“ und dann blitzt wieder dieses unverfälschte Lachen in ihren Augen auf.
Layluma, die andere Mitarbeiterin, hat ebenfalls drei Kinder. Sie sieht aus wie das blühende Leben. Ist überaus freundlich und herzlich, so dass es immer wieder eine Freude für mich ist, in dieses gastliche Haus einzukehren.
Als ich nun die Bäckerei verließ, sah ich die üblichen „Un-Verdächtigen“, die teils an mir vorbeieilten und Leute, die an allen Ecken des großen Platzes herumstanden.
Das waren zum einen die Hintz & Kuntz-Verkäufer, die, sich um Würde bemühend, ihrem Tagwerk, nämlich ihre Obdachlosen-Zeitungen zu verkaufen, nachgingen. Da stand der Fritz, ein ruhiger,
strubbelbärtiger Mit-Fünfziger, der einen seltsamen inneren Frieden ausstrahlte und der links von der Eingangstür vom kleinen Edeka-Supermarkt seinen Stammplatz hatte, von dem aus er seine Zeitungen zu verkaufen versuchte.
Und gegenüber, am Eingang des EKZ-Winterhuder Forum, der große Blonde, der mit seinem weißen, blauäugigem Husky den Leuten die Tür zum EKZ-Forum aufhielt, was er während des Verkaufs seiner Zeitung tat. Einige ältere Hausfrauen standen des Öfteren bei ihm, unterhielten sich und steckten ihm den einen oder anderen Euro als „Lohn“ dieser Tätigkeit zu. Dieser Mensch hatte eine merkwürdig autoritäre Art, sich in die Gesellschaft der Einkaufenden einzugliedern. Sein selbst erschaffener Job eines „Tür-Aufhalters“ schien ihm das Gefühl zu geben, irgendwie dazu zu gehören und etwas Nützliches zu tun, selbst wenn es nur das Türaufhalten war.
Als ich die Alsterdorfer Straße zurückging, immer noch einigermaßen wütend mit der abrupten Trennung von Linda beschäftigt, die mir ihr künftiges Fortbleiben von mir am Telefon erklärte, sah ich den bärtigen Computer-Typen, aus dem PC-Shop, der mir meinen Rechner verkauft hatte, mit jemandem, den ich nur vom sehen kannte, an einem vor einem Cafe stehenden Stelltisch gestikulieren. Ich wollte ihm ausweichen, doch schon sprach er mich an. „Hollyyyy! Wie geht`s!?“ Genervt gab ich zurück, daß ich „Stress“ mit einer Frau hätte, was zur Folge hatte, dass der Typ ihm gegenüber mich plötzlich feindselig musterte. Ich bot ihm von meinen Kirschen an, doch der guckte nur verächtlich zur Seite und sagte: „Ich darf nichts von Fremden annehmen:“ Aha, orale bis anale Phase, dachte ich noch und ging weiter.
Zu allem Überfluss kam mir auch noch dieser sehr simple Typ entgegen, dem ich vor ein paar Monaten ein Ansprechverbot erteilte. Der Grund dafür war, dass er sich einmal rassistisch und menschenverachtend äußerte, als ich, in seiner Gegenwart, meiner Empörung über ein wieder einmal gesunkenes Flüchtlingsschiff vor der spanische Küste Luft machte. Seine Antwort darauf war: „Alle ersäufen, dieses Pack, alle ersäufen!“ Ich drehte mich um und fragte „Was hast Du da eben gesagt?!“ „Alle ersäufen diese Neger. Was wollen die denn hier?!“ Ich versuchte ihm zu erklären, dass Afrika der rohstoffreichste Kontinent der Erde sei und dass er, seit der Kolonialisierung (Kolonialwaren!), von einigen europäischen Ländern immer nur versklavt und ausgebeutet worden wäre. Seine Antwort lautete wieder „Ersäufen alle ersäufen!“
Ich forderte ihn ein letztes Mal auf, damit aufzuhören und diesen Satz zurückzunehmen. Und dies sehr vehement. Er stammelte trotzdem weiter dieses „Ersäufen“. „Dann hast Du ab sofort ein Ansprechverbot von mir. Du bist ein Rassist und mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben!“ sagte ich ihm im vollen Ernst. Fortan hielt er sich daran. Zwar schaute er mich hasserfüllt an, wenn ich ihn mal traf, aber einen Angriff auf mich wagte er bisher nicht.
Wenn ich wenigstens den netten Filmregisseur Michael Harder, der diesen berühmten, leider Contergan-geschädigten Bariton vertritt oder den gerade zum Schriftsteller avancierenden Saxofonisten und Musiker-Kollegen „Heinz Strunck“ getroffen hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht mit meinem Hund Brady an die Nordsee gefahren, um mich dort einmal ordentlich durchpusten zu lassen.
Mord-See ist Nordsee
Im Gegensatz zum diesigen Hamburger Wetter, fand ich einen sonnendurchfluteten Tag an der See vor. Ich ging mit meinem Hund an der Steilküste auf der Insel Norderney spazieren, als sich plötzlich, weit draußen über dem Meer, der Himmel mit turmhohen schwarzen Gewitterwolken bezog. Wolken oder Regen und Wind machten meinem Hund eigentlich niemals etwas aus. Aber diesmal war es etwas ganz anderes. Er blieb stehen, zog die Ohren hoch und begann, unter Jaulen und Wimmern aufgeregt hin und her zu laufen. Dann verharrte er, hob seine rechte Pfote und starrte in dieser Haltung hinaus auf die Nordsee.
Ich folgte Bradys Blick und konnte, außer den sich ausbreitenden Gewitterwolken, nichts weiter erkennen. Zwar eilten einzelne Boote landwärts herbei und die Wellen schlugen immer höher an den Strand, doch dann begann sich, zunächst unmerklich, ein zunehmendes Heulen des Windes bemerkbar zu machen. Ganz plötzlich flogen uns Sturmböen entgegen und Brady drückte sich sofort Schutz suchend gegen meine Beine. Und als das Heulen unerträglich schrill wurde, die Sturmböen immer heftiger wehten, trat plötzlich und unverhofft eine tiefe und unheimliche Totenstille ein. Das Meer glättete sich wie ein Spiegel und die Wolken verzogen sich mit einem mal.
Kopfschüttelnd wollte ich weiter gehen, doch dann vernahm ich es. Es hörte sich zunächst wie ein weiteres dumpfes Donnergrollen an, doch bei genauerem Hinhören konnte ich seltsame Einzeltöne vernehmen. Sie klangen wie rhythmisch geschlagene dumpfe Trommelschläge. Nun war mein Interesse geweckt und ich spitzte, so wie Brady vorher, ebenfalls die Ohren, während sich mein Hund schnell hinter einer nahe gelegenen Düne verzog.
Da stand ich nun und starrte horchend hinaus auf die offen da liegende See. Es war aber wieder nichts weiter zu sehen, als das glatt daliegende Meer.
Die Trommel-Töne wurden plötzlich lauter, fast so wie Hammerschläge. Sie kamen näher und näher und dabei war mir, als fuhr ganz dicht an dem Küstenstreifen ein großes Schiff vorbei. Ich hörte imaginäre Segel im Wind flattern, und das Knallen einer Gischt, die gegen die Planken eines Bugs zu prallen schien. Dann folgten Rufe und Befehle, die mir via einem rasch aufgefrischten böigen Wind entgegen wehten. Der Sinn der Rufe und Schreie erschienen mir rätselhaft und ich konnte sie nicht verstehen. Dort schien eine völlig fremde Sprache zu herrschen.
Gebannt stand ich auf der Steilküste. Dann zuckten Blitze an dem nun dunklen Meereshimmel auf und in jedem der grellen Blitzlichter sah ich es. Ein Toten-Schiff! Mit zerrissenen Segeln und Skeletten an Bord, die mittelalterliche Seemannskleidung trugen. Sie waren mit Schwertern und großen Messern bewaffnet, die sie drohend durch die Luft wirbelten und so mit einander zu kämpfen schienen. Vorne, vor dem großen Steuerrad, stand, mit hoch erhobenem Totenkopf, eine Gestalt und schlug auf eine mächtige Trommel ein. Sie gab den Takt vor, in dem sich alles auf dem Schiff bewegte. Stoppte das Skelett das Trommeln, blieben alle anderen lebenden Leichen wie angewurzelt stehen und nichts und niemand bewegte sich mehr.
Es schoss mir in den Kopf: das muss der unheimliche Galeeren-Trommler sein, von dem eine Mittelmeer-Sage behauptet, dass er im ausgehenden 16. Jahrhundert eine Meuterei auf einem spanischen Kriegsschiff angezettelt hatte, den Kapitän und seine Offiziere ermorden ließ und sie dann den Fischen zum Fraß vorwarf. Die Galeerensklaven, die er vorher in einer Nacht- und Nebelaktion befreite, stellten, der Sage nach, fortan seine Geistermannschaft dar, die verdammt war in alle Ewigkeiten und ohne Erlösung über die Weltmeere zu segeln.
Waren die Geister auf dem Schiff untereinander mit Kämpfen beschäftigt, so lichtete sich plötzlich der sie umgebende Nebel und ich sah klar und deutlich wie das Schiff in großer Nähe langsam an mir vorbeifuhr, um dann einen Moment lang vor mir zum liegen zu kommen.
Alle Toten-Gesichter an Bord waren mir zugewandt. Gespenstisch starrten sie mich an und der Galeerentrommler zeigte dabei mit seiner knöchernen Hand auf mich, wobei er der Mannschaft etwas zuzurufen schien.
Doch plötzlich verschwand das Phänomen so schnell, wie es gekommen war. Wie benommen sah ich, dass nun die Sonne wieder ganz normal auf das glitzernd vor mir liegende Meer schien, eine Möwenschar kreischend vorbei flog und Brady, sich vorsichtig vorwärts tastend, zu mir zurückkam. Er war immer noch völlig verängstigt und ich versuchte, meinen eigenen Schrecken überwindend, ihn streichelnd zu beruhigen, als erneut dieses Heulen und Pfeifen begann. Dieses Mal aber in einer so ungeheuren Lautstärke, daß ich mir die Ohren zuhalten musste und mein Hund vor Schmerzen in seinen Ohren aufjaulte. Gleichzeitig kam wieder diese ungeheure neue Nebelwand auf uns zu und irgendetwas schien uns zu packen, zu ergreifen und wir wirbelten durch diesen Nebel, drehten uns dabei immer schneller um uns selbst, bis wir uns auf einer mittelalterlichen Galeere liegend wieder fanden….