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5. Kapitel

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Am selben Abend

Als ich meine Hand auf den Türgriff der Eingangstür meines Hauses legte, bekam ich einen Stromschlag. Erschrocken wich ich zurück, stolperte einen Schritt nach vorn und knallte gegen die Tür. Der Schlüssel fiel zu Boden und mein Knie durchschoss ein piekender Schmerz.

"Mist, verdammter", fauchte ich.

Ich bereute, so viel getrunken zu haben. Dass ich den Hals aber auch nie vollbekam! Für einen Moment überlegte ich, wie ich überhaupt nach Hause gekommen war, als mir plötzlich der schnuckelige Taxifahrer wieder einfiel. Ich hatte ihn am Valley Drive ran gepfiffen, als ich in meinem doch recht angetrunkenen Zustand bemerkte, dass ich vom Wein umnebelt und von der warmen Luft des Sommers getragen, einen ganzen Block in die falsche Richtung gelaufen war.

Ich bückte mich, um den Schlüsselbund aufzuheben und hatte wieder Ambers Parfüm in der Nase. Glückselig grinste ich vor mich hin.

Im Hausflur war es dunkel. Ich wollte das Licht anmachen, als eine Stimme leise aus der Finsternis des Aufgangs zischte: "Nicht, lass das Licht aus!".

Mir sprang das Herz fast aus dem Brustkorb. Ein seltsames Keuchen, das aus der Richtung des Treppengeländers kam, lähmte mich einen Augenblick vor Schreck.

Jetzt ist es soweit, schoss es in panischer Angst durch meinen Kopf.

Ich bin Mädchen Nummer Fünf.

"Bitte", sagte die mir plötzlich vertraute Stimme jammernd: "Ich möchte im Dunkeln sitzen."

Mein Herz trommelte wie wild. Ich kniff die Augen zusammen. Allmählich gewöhnten sie sich an das spärliche Licht, das von einer surrenden Glühbirne aus dem Hinterhof in den Hausflur fiel. Deutlich konnte ich jetzt die Umrisse einer gekrümmten Gestalt, die auf der letzten Stufe der Treppe neben den Briefkästen saß, erkennen.

"Ich möchte im Dunkeln sitzen", wiederholte die weinerliche Stimme.

Ich kannte sie. Mein Pulsschlag begann, sich wieder auf seine normale Frequenz einzupegeln.

"Kolberg?", fragte ich in die Dunkelheit: "Kolberg sind Sie das?"

"Ja, Kindchen", lallte er mir entgegen: "Hab ich dich erschreckt?"

"Und wie!"

Kolberg ließ den Kopf tief zwischen seinen Knien hängen. Er trug nur einen Schuh, sein linker Fuß steckte in einer Socke. Es roch nach Fusel. Neben ihm stand eine Schnapsflasche, eine zweite schien leer zu sein und war in Richtung der Briefkästen gekullert. Augenscheinlich steckte der arme Kerl in einer Krise. Er wirkte deprimiert und lallte über sein aus seiner Sicht verpfuschtes Schriftsteller- und Journalistenleben.

"Alles nur noch Blödsinn. Dieses Facebook: Pfff ... alles vorbei. Sinnlos. Alles ist so sinn … hicks … los geworden."

Ich wollte zwar eigentlich nur schnell ins Bett, aber offensichtlich wollte Kolberg nicht allein sein. Obwohl ich mir einen besseren Ort vorstellen konnte, als das Treppenhaus, setzte ich mich zu ihm. Es interessierte mich nicht sonderlich, was der alte Suffkopp schwafelte, aber er schien froh über Gesellschaft zu sein. Mit den Gedanken bei Amber ließ ich ihn sich den Frust von der Seele lallen.

"Die werden alle immer jünger! Das sind Babys! Babys!"

"In Ihrem Sender meinen Sie?"

"Ha, ha", er lachte ironisch, "in meinem Sender. Der Witz ist gut. Meinen Sender übernehmen jetzt andere. Die Jugend. Die Jugend weiß, was sie tut". Er lachte wieder höhnisch. "Diese Scheiß-Jugend! Was kann die denn? Nichts! Gar nichts! Alles läuft nur noch übers Internet. Eigene Gedanken: Fehlanzeige! Musste irgendwann ja so kommen!"

"Was denn?"

"Dass man ein Fossil ist."

"Oh, achso."

"Die Welt geht vor die Hunde."

"Fürwahr."

"Früher hat es was bedeutet, Erfahrungen zu haben. Heute gehört man mit Ende fünfzig zum alten Eisen. Und dann ist man nichts mehr wert!"

"Ach, Kolberg", versuchte ich ihn zu trösten, "das stimmt doch so nicht. Was sagt denn Ihre Frau dazu?"

"Meine Frau", Kolberg setzte die Flasche an und trank einen Schluck. Dann sagte er: "Abgehauen ist die! Meine Frau."

"Oh! Tut mir leid", flüsterte ich und legte meine Hand auf seine Schulter.

"Wissen sowieso schon alle. Geschieht mir recht. Was muss ich auch den jungen Dingern nachglotzen."

Kolberg erzählte von seinen Versuchen, im Sender im Gespräch zu bleiben. Wichtig zu bleiben. Unersetzbar zu sein. Alles war erlaubt, solange es dazu führte, dass man wahrgenommen wurde. "Wer nicht wahrgenommen wird, ist erledigt", sagte er und setzte wohl alles daran, Aufmerksamkeit zu erregen. Im Zweifel sogar negative. Und das gelang ihm durch seine Affären mit "jungen Hüpfern". Die aber in Wahrheit, wie Kolberg eingesehen hatte, über ihn nur an die wirklich wichtigen Kontakte rankommen wollten. "Die haben ganz schnell begriffen, wie der Hase läuft."

"Aber Kolberg, das kann Ihnen doch egal sein, ob der Nachwuchs Sie als Sprungbrett benutzt. Sehen Sie es doch mal positiv, Sie haben wieder Sex mit Zwanzigjährigen!"

Das gefiel ihm, er grinste geschmeichelt.

"Ja, stimmt, so kann man's auch sehen." Er war inzwischen ziemlich abgefüllt. "Ich hasse die Frauen", lallte er, "außer dich, Kindchen, dich hasse ich nicht." Er hickste.

"Kommen Sie! Wir bringen Sie jetzt erstmal ins Bett."

Ich wollte ihm aufhelfen, aber er war nicht einen Zentimeter zu bewegen.

"Ist schon okay, Kindchen", sagte er schläfrig, "geh du nur, ich komm schon klar".

"Sicher?", fragte ich, doch er schien bereits eingenickt.

Ich zweifelte, ob es eine gute Idee war, Kolberg auf der Treppe seinen Rausch ausschlafen zu lassen, aber er war ein erwachsener Mann und ich nicht für ihn verantwortlich. Ich zupfte ein bisschen an seiner Strickjacke herum und sah zu, dass ich ins Bett kam.

Obschon ich hundemüde war, war an Schlaf nicht zu denken. Alles in mir drehte sich. War das nur der Alkohol? Oder saß ich schon im Liebeskarussell? Durchs offene Fenster drangen die Geräusche der Engelstadt in mein Schlafzimmer - ein monotones Summen, das versuchte, mich liebevoll in den Schlaf zu wiegen.

Die Hitze des Tages lag auch jetzt noch, mitten in der Nacht, wie eine Käseglocke über den Gebäuden und krabbelte bis unter meine Bettdecke. Ich fühlte, wie Feuchtigkeit meine Haut überzog. Ein paar Mal drehte ich mich von links auf rechts, nestelte an meinem Kopfkissen, zählte Schäfchen und stand sogar noch einmal auf, um mir eine Milch mit Honig zu machen. Wenn nichts half: Heiße Milch hatte mich nie im Stich gelassen. Immerzu musste ich an Amber denken. An ihren Mund. An ihre Grübchen, wenn sie lachte. An die Muschelohrringe, die an ihren Ohrläppchen hin und her baumelten.

Der Gedanke an sie erregte mich immer mehr. Mit geschlossenen Augen versuchte ich, mir jedes noch so kleine Detail in Erinnerung zu rufen. Allein wie sie sich das Haar hinter ihre Ohren klemmte - jede ihrer Gesten war so erotisch, dass ich mir wünschte, sie würde jetzt neben mir liegen. Mit dem Gedanken, mich eng an ihren Körper zu schmiegen, formte ich mir aus meinem Kopfkissen einen Menschen und schlief trotz plötzlich aufjaulender Sirenen, die durch die Nacht schrillten, ein.

Bumm bumm bumm. Ein lautes, hämmerndes Geräusch riss mich aus dem Schlaf. Was war das? Hatte ich schlecht geträumt? Ich drehte mich auf den Rücken und lauschte in die Nacht.

Stille.

Ich wollte die Augen gerade wieder schließen, als ich es erneut hörte. Bumm bumm bumm. Noch lauter als zuvor. Obwohl die Intervalle kürzer wurden, war nicht auszumachen, woher das Hämmern kam. Ich knipste das Licht auf meinem Nachttischchen an, richtete mich auf und lauschte erneut. Das Hämmern schien aus Kolbergs Appartement zu kommen. Was, um alles in der Welt, stellt er um diese Uhrzeit an? Ich beschloss, ihn zur Rede zu stellen. Kurz bevor ich die Treppen zu ihm herunterzustürzen wollte, fiel mir auf, dass ich im Schlaf mein T-Shirt und meine Schlafanzughose ausgezogen hatte. Amber - sie allein war der Grund. Verstohlen grinste ich in mich hinein und streifte mir schnell meinen Bademantel über. Dann schlurfte ich, ohne auf der Veranda das Licht anzumachen, leise nach unten und drückte zweimal auf Kolbergs Klingel. Nichts geschah. Außer, dass das Hämmern nun nicht mehr zu überhören war.

"Ruhe, verdammt nochmal!", brüllte eine krächzende Stimme aus einem der Nachbarhäuser.

Ich klingelte erneut. Erst nach mehrmaligem Klopfen öffnete er. Krankenhauslicht strömte mir entgegen.

"Ähm, äääh?", stotterte ich bei seinem Anblick.

Kolberg trug nur Schuhe und war ansonsten nackt. In der rechten Hand hielt er einen Hammer. Sein Körper war von einer Staubschicht überzogen. Ich rieb mir die Augen. Die Situation war surreal, ich wusste nicht, ob ich mich fürchten oder lachen sollte.

"Was machen Sie für einen gottverdammten Lärm?" Ich versuchte, streng zu klingen.

"Sie musste weg", sagte Kolberg knapp.

"Hä?", fragte ich perplex. Ich war zu müde für tiefgehende Gespräche.

"Sie hat mich ausgelacht! Ihr Bild: Es hat mich aus … ge … lacht! Ab mit ihr! Und weg!"

So richtig schlau wurde ich nicht aus ihm, aber als ich am nackten Kolberg vorbeischaute und im Hintergrund eine halb eingerissene Wand erblickte, fiel der Groschen. Kolberg hatte den linken Bereich seines Wohnzimmers eingerissen, an der ein Bild seiner Ex-Frau hing.

"Kolberg, wieso haben Sie das Bild nicht einfach abgehängt, wieso reißen Sie gleich die ganze Wand ein? Mitten in der Nacht."

Kolberg wiederholte mit Nachdruck: "Sie hat mich ausgelacht!"

"Jetzt legen Sie sich mal lieber hin! Und als Erstes nehmen Sie den Hammer aus der Hand! Die Nachbarn schimpfen schon! Nicht, dass gleich noch jemand die Cops ruft! Gönnen Sie sich und den andern ein bisschen Ruhe, ja?"

"Miss Paxton, Kindchen, ich mach alles, was du sagst. Alles! Aber bitte - ein Aspirin, ich brauche ein Aspirin. Hast du ...?"

"Sicher", sagte ich, "warten Sie hier, rühren Sie sich nicht vom Fleck, legen Sie den Hammer aus der Hand, ich bin gleich wieder da!"

Ich flitzte die Treppen nach oben, lief ins Bad, öffnete den Badezimmerschrank, wo ich meine kleine Hausapotheke hatte, schnappte die Schachtel und - erschrak!

Kolberg war mir gefolgt. Nackt stand er in meinem Badezimmer. Den Hammer noch immer in der Hand! Sein Atem ging schwer, er hielt den Kopf gesenkt.

"Machen Sie jetzt keinen Scheiß!", stammelte ich.

Doch Kolberg sagte nichts und schaute mich nur an, musterte mich von oben bis unten. Ich bekam Angst, schreckliche Angst. Doch dann begriff ich, weshalb er mich so anstarrte. Auch ich war fast nackt unter meinem Bademantel. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich mein Gürtel gelockert hatte. Mein Puls raste.

Der liebe, nette Arvid Kolberg war mit einem Male zu einer Bedrohung geworden. Unter seinen gierigen Blicken zurrte ich den Gürtel fest und bat ihn, mir den Hammer zu geben. Aber Kolberg antwortete nicht, tat nichts, sagte keinen Ton. Eine Weile stand er einfach nur da und starrte mich weiter an. Dann sagte er: "Ich wollte doch nur, dass sie aufhört, mich auszulachen."

Er hatte eine schreckliche Fahne. Offenbar hatte er beide Flaschen Schnaps geleert. Ich versuchte, meine Angst in den Griff zu kriegen und redete mit ruhigen Worten auf ihn ein: "Sie geben mir den Hammer und ich gebe Ihnen das Aspirin! Deal?"

"Deal", sagte Kolberg mit brüchiger Stimme und hielt mir den Hammer hin.

Dann sackte er auf meinem Badewannenrand zusammen. Eben noch angsteinflößend wirkte er jetzt bemitleidenswert.

Ich nahm ein Glas aus dem Schrank, hielt es unter fließendes Wasser, warf das Aspirin hinein und hielt es ihm hin. In einem Zug kippte er das Zeug hinter und stierte vor sich hin. Dann erhob er sich mit wackligen Knien, bedankte sich mit einem Nicken und schob seinen blässlichen Hintern aus meiner Wohnung.

Erschöpft fiel ich, nachdem wieder Ruhe eingekehrt war, zurück in mein Bett.

Doch an erholsamen Schlaf war nicht mehr zu denken.

Aluminium-Mädchen

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