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Da hilft nur noch ein Törtchen

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Wie versteinert schaute Sophie auf die Zeilen. Herr Grün ein Betrüger? Unmerklich zerrissen ihre Finger die grauen Seiten des Zeitungspapiers. Sie atmete tief aus. Wieder glitten ihre Augen über den Artikel. Was stand da? Sie kniff ihre Augen zu kleinen Sehschlitzen zusammen und runzelte ihre Stirn.

Ein Hintergrundbericht über den Leiter der Friedrich-Stein-Schule war im Gesellschaftsteil abgedruckt. Sophie raschelte hektisch mit den Seiten. Wirtschaft, Kultur, Sport und endlich – ganz zum Schluss: der Gesellschaftsteil. Soweit hatte sie die Zeitung sonst nie durchgeblättert.

Autor des kurzen Textes war ein gewisser Henry Nassen.

Der Bonvivant und Schuldirektor – die vielen Gesichter des Richard Grüns

Geboren als Ricardo Palavioni, dritter Sohn eines alten italienischen Adelsgeschlechts und aufgewachsen in der Schweiz. Nach Abschluss des Lyceum Alpinum Zuoz besuchte er die Londoner Universität und beendete nach vier Jahren sein wirtschaftswissenschaftliches - und mathematisches Studium. Zwischen seinen Examensarbeiten und mehreren Praktika bei renommierten Banken war er gern gesehener Gast auf den Society-Partys der englischen Hauptstadt. Mit seinem Charme und Witz bezirzte er vor allem die Frauen. Selbst seine Lehrtätigkeit an einem Jungeninternat in Südfrankreich schränkte ihn in seinem Lebensstil nicht ein. Erst mit der Verlobung und späteren Heirat mit Lady Helene Fitz-James, die er in einem früheren Zeitungsinterview als „Liebe seines Lebens“ - bezeichnete, wurde es um ihn ruhiger. Zwei Jahre nach der Hochzeit verunglückte das Paar während seines Skiurlaubs in den französischen Alpen nahe ihres Hauses bei Courchevel. Das Lawinenunglück tötete sieben Menschen, darunter auch seine Frau Lady Helene Fitz-James.

Erst als er die Direktorenstelle an der renommierten Friedrich-Stein-Schule drei Jahre später annahm, betrat er als Richard Kast wieder die Öffentlichkeit.

Zwei Jahre später heiratet er seine Sekretärin Viktoria Grün und bezog mit ihr ein feudales klassizistisches Stadthaus in der Innenstadt. Selten sieht man das kinderlose Paar in der Öffentlichkeit. Sie geben jedoch regelmäßig private Feste, bei denen die angestellten Servicekräfte Verträge mit Verschwiegenheitsklauseln unterzeichnen müssen.

Die raren Urlaubstage als Schuldirektor verbringt das Paar entweder in der Karibik, an der Côte d'Azur oder auf Martha Vineyard. In der Tat mag der illustre Lebensstil mit den Gehältern eines Schuldirektors und einer Sekretärin unvereinbar sein, doch wird der erfahrene und gewiefte Staatsanwalt Sascha Sigrun dies bestimmt bald aufklären können…

Sophie schluckte schwer. Sie spürte, wie sich ein bitterer Geschmack in ihrem Mund ausbreitete. Ihr Blick wanderte über die Bilder, die den Artikel begleiteten: Nobel Häuser, Luxushotels und das Auto von Direktor Grün aufgenommen vor der Schule. Plötzlich klingelte es. Sophie erschrocken schaute auf: Telefon? Türglocke? „Ich bin´s“, hörte sie Ontas Stimme dumpf durch die Tür rufen. Schnell eilte sie zu Tür und machte sie auf. „Na, endlich!“, stöhnte Onta und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Hast du es schon gehört?“, fragte sie keuchend zwischen zwei Japsern. „Ja“, antwortete Sophie kurz. In der Küche reichte sie ihrer erschöpften Freundin erst mal ein Glas Wasser, während Ontas Kopf in der Zeitung verschwand. „Unglaublich! Ich habe die Nachrichten am Terminal gesehen, als ich meine Eltern verabschiedet habe“, erklärte sie kopfschüttelnd. „Und was in dem Artikel steht, ist richtiger Bullshit!“, ereiferte sie sich und zerknüllte die Zeitung, bevor Sophie „Halt!“, rufen konnte. Mit Bedauern betrachtete sie die graue Kugel und hob sie mit einem Seufzen auf. Tja, dann würde ihre Mutter eben keine Zeitung heute Abend haben. „Nachdem wir wieder Zuhause waren, bin ich bei Suki vorbei, doch da war niemand“, schnaubte Onta aufgebracht, während sich ihre Gesichtsfarbe wieder normalisierte.

Mit großen Augen schaute sie Sophie an: „Und was machen wir jetzt?“ Sophie zuckte mit den Achseln und ließ sich neben Onta auf den Stuhl plumpsen. Wieder klingelte es. Telefon! Schnell rannte Sophie hin und nahm den Hörer ab. „Hallo Sophie“, rief Suki leicht panisch aus der Telefonmuschel. Sophie konnte ihre Anspannung fast schon spüren. „Wo bist du?“, wollte Sophie wissen, während sie das Telefon auf Lautsprecher umschaltete. „Ich bin bei Alba in der neuen Wohnung, ihre Mutter hat es uns gerade eben gesagt“, kam stoßweise aus dem Lautsprecher. „Hallo Sophie“, hörten sie Albas Stimme aus dem Hintergrund rufen. „Hallo ihr zwei“, antworte Onta und winkte unbewusst mit der Hand. „Was machen wir?“, wollte Suki wissen. Sophie sah zu Onta. „Wir treffen uns bei der Schule, so ...“, sie sah auf ihre Uhr. „... in einer halben Stunde. In Ordnung?“ Einen Augenblick herrschte Schweigen. „In Ordnung, das schaffen wir“, ertönte Albas Antwort. „Habt ihr schon Lulu erreicht?“, wollte Onta noch wissen. „Nein, sie geht leider nicht an ihr Telefon“, erklärte Alba mit einem Seufzer in der Stimme. „Und daheim bei ihr geht auch keiner dran“, fügte sie noch hinzu. Verständlich schoss es Sophie durch den Kopf. Die Goldblatts werden sicherlich von Journalisten belagert sein. Schließlich war Herr Goldblatt Mitglied im Stiftungsrat der Schule. Mit einem dann „Bis gleich“, verabschiedeten sich die Mädchen voneinander.

Schnell stapelte Sophie ihr Frühstücksgeschirr in der Spülmaschine, zog sich um und rannte zehn Minuten später mit Onta die Treppe zu den Fahrrädern hinunter.

Eine knappe Viertelstunde später hatten sie die Gartenanlage der Schule erreicht. „Haupeingang?“, fragte Onta unsicher. „Ja, aber besser wir lassen die Räder hier, wer weiß, was da vorne los ist“, mahnte Sophie. „Stimmt“, nickte ihre rothaarige Freundin und stieg ab. Der Kies knirschte, als sie mit eiligen Schritten in Richtung Haupteingang gingen. Je näher sie kamen umso lauter wurde das Summen der vielen Stimmen. „Du glaubst es nicht“, entfuhr Onta, als sie um die Ecke einbogen, die auf den Vorplatz führte. Sophie schüttelte den Kopf. Zwischen unzähligen Schülern und besorgten Eltern standen gut sichtbar in ihrem Gebaren mehrere Reporterteams. Doch irgendwie schien kein Schüler gewillt zu sein sich mit ihnen zu unterhalten, wie Sophie erleichtert feststellte als sie hinter einem Team zu Alba und Suki huschten. „Die sind echt sie Pest“, erklärte Alba, nachdem sie sich begrüßt hatten. „Wir haben schon zwei Reportern gesagt, dass wir kein Interview geben werden“, schimpft sie lautstark, während sie sich umschaute. „Na, na, wir werden euch schon beschützten“, grinste sie Tobias gönnerisch an und winkte Paul zu. Onta verdrehte sie Augen, während Alba nur kopfschüttelnd Sophie angrinste. „So wie es aussieht, sind alle, die nicht weggefahren sind hier“, meinte Suki, nachdem sie die Jungs begrüßt hatten. „Sehe ich genauso“, sagte Sophie, während die anderen zustimmend nickten. „Hat sich schon jemand von den Lehrern blicken lassen?“, wollte Onta von Paul wissen. „Bis jetzt noch nicht, also nicht seitdem wir hier sind“, war seine Antwort während der fragend zu Tobias schielte. „Nein, ich hab auch keinen gesehen“, stimmte er seinem Freund zu. „Und die Türen sind auch alle abgeschlossen“, fügte er hinzu. Plötzlich kam Bewegung in die anwesenden Reporter: Sie drängten sich an den Schülern vorbei, setzten sich in ihre Übertragungswagen und fuhren davon. Alle blickten ihnen stirnrunzelnd nach. Plötzlich knackte es in den Schullautsprechern. „Was?!“, blieb Ontas Frage in der Luft hängen. „Verehrte Schüler und Eltern, leider wissen die stellvertretende Schulleitung und der Stiftungsrat zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr als in der Presse mitgeteilt wurde“, tönte Herrn Oberreuts tiefe Stimme über den Platz. Ein enttäuschtes Raunen ging über den Platz. „Direktor Grün und seine Frau geht es gut oder genauer gesagt den Umständen entsprechen. Das Anwaltsteam der Kanzlei Hirsch und Herb wurde heute Morgen zu ihnen gelassen und hat sich mit den beiden beraten. Direktor Grün ist fassungslos und bestreitet ebenso wie seine Frau irgendetwas gewusst zu haben.“ Er machte eine Pause und jeder konnte hören, wie schwer dem Mittelstufendirektor das Sprechen fiel. „Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, eins Komma fünf Millionen Euro von den Stiftungskonten veruntreut zu haben. Die Anzeige erfolgte nach einer internen Überprüfung der Röhn-Bank.“

Röhn-Bank? Sophie schaute die anderen an. Ratlose Gesichter.

„In zwei Wochen wird es eine Schulversammlung geben, wo ich hoffentlich mehr sagen kann. Auch ob und wie der Schulbetrieb aufrechterhalten wird. Bitte verzichtet auf Anrufe bei der Staatsanwaltschaft oder Ähnliches. Danke“, verabschiedete sich Herr Oberreut mit müder Stimme.

Ein bisschen hatte Sophie Mitleid mit ihrem Lehrer. Der hatte sich die Ferien bestimmt auch anders vorgestellt. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Onta leise. Tobias schnaubte. „Also ich werde mir mal ein paar andere Schulen anschauen, nur so als Plan B. Kommst du Tobias?“, meinte Paul und kickte einen Stein zur Seite. Mhm, dachte Sophie und schaute zu den anderen. Vielleicht keine schlechte Idee für jemanden mit reichen Eltern, doch aufgrund ihrer monetären Verhältnisse keine wirkliche Option. Sie konnte nur hier zur Schule gehen, weil sie ein Stipendium gewonnen hatte und bei Onta zahlten ihre Eltern und ihre Tante die Schulgebühr.

„Vielleicht müssen wir auf eine staatliche Schule gehen“, orakelte Onta auf dem Rückweg zu ihren Fahrrädern. Überfüllte Klassenräume, miefige Zimmer unmotivierte Mitschüler und Lehrer, Drogenprobleme, technische Wüste und schnöder Frontalunterricht. Sophie schauderte. „Noch dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Was sind schon eins Komma fünf Millionen von einem Stiftungskonto“, meinte Alba missmutig. „Eine Menge oder?“, fragte Onta hinter ihr. Sophie schüttelte den Kopf. „Bedenk doch mal, was die hier einnehmen. Jeder Schüler muss eine nicht unerhebliche Schulgebühr bezahlen. Stifter wird man nur wenn man mindestens eine Millionen Euro pro Jahr investiert und außerdem gibt es ja noch die Gönner“, rechnete Sophie vor. „Eigentlich ist die veruntreute Summe, die Aufregung gar nicht wert, wenn man mal das Gesamtvolumen betrachtet“, fügte Suki mit einem dumpfen Lachen hinzu.

Irgendwie, schien das Bild, das sie von ihrem Direktor hatte und die scheinbaren Tatsachen nicht miteinander vereinbar zu sein, dachte alle und machten sich grüblerisch auf den Weg zu den Fahrrädern. Onta und Sophie nahmen Alba und Suki hinten auf ihren Rädern mit. Jetzt konnte nur noch ein Stück Torte und Limonade helfen, um den Tag wenigstens ein bisschen zu retten.

Sie hatten noch nicht die Räder am Zuckerstückchen abgestellt als Lulu auf sie zugestürmt kam. „Himmel wo seid ihr gewesen“, begrüßte sie ihre Freundinnen. „Wir waren in der Schule“, erklärte Alba, während sie von Ontas Fahrradträger abstieg und ihren Hintern rieb. Suki fasste kurz zusammen, was Herr Oberreut gesagt hatte, während Onta und Sophie die Fahrräder abschlossen. „Was weiß dein Vater über die Sache?“, wollten alle von Lulu wissen, als sie in die Backstube des Zuckerstückchens eintraten. „Nicht viel mehr als in der Presse stand“, erklärte Lulu frustriert. Zumindest hatte er ihr nicht mehr sagen wollen.

Frau Hummel streckte den Kopf durch die Tür, begrüßte alle und stellte ein Tablett mit Schokotörtchen auf den Tisch. „Ich glaube ihr könnt sie jetzt brauchen“, meinte sie mitfühlend und entschwand wieder Richtung Laden. Tief sog jede den verlockenden Duft, aus Schokolade, Vanille und Kakao ein. „In Ordnung, du Suki nimmst die Gläser, Sophie die Limonade, Alba die Teller und Lulu das Besteck und die Servietten“, kommandierte Onta.

Die Luft im Garten war warm und roch nach Blumen und Kräutern, die Frau Hummel dort anbaute. Geschwind deckten sie den Gartentisch unter der großen Kirsche ein und ließen sich mit einem allgemeinen Seufzen der Erleichterung auf die Stühle gleiten. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Suki, nachdem jede von ihrem Törtchen gekostet hatte. Tja, das war die große Frage. Alle runzelten die Stirn. „Vielleicht sollten wir erst mal die Fakten zusammenfassen“, meinte Alba und schaute ihre Freundinnen an. „Gute Idee“, stimmte ihr Sophie zu. „Also: auf dem Schulkonto der Röhn-Bank fehlen eins Komma fünf Millionen Euro“, schrieb sie mit großen Buchstaben auf das Blatt Papier das Onta ihr gebracht hatte und unterstrich dies dreimal energisch. „Zugriff auf das Konto hatten?“ „Auf alle Fälle Direktor Grün und seine Frau“, sagte Suki. „Und die Bankangestellten der Röhn-Bank“, warf Lulu ein. „Stimmt“, pflichtete ihr Sophie bei und schrieb Angestellte mit Fragezeichen unter den Punkt Verdächtige. „Vielleicht aber auch mehr“, mutmaßte Aimee und schaute die jungen Frauen, die erschrocken den Kopf reckten, spitzbübisch an. „Hast du uns erschreckt“, murmelte Onta. Sophie musterte Aimee und nickte langsam. Ontas Schwester hatte in der Bank gearbeitet, sie war sozusagen ein Insider. „Je nachdem, wie die Sicherheitslücken sind, kann ein Computerexperte Zugriff erlangen“, erklärte sie. Lulu schoss das Blut in den Kopf, nicht auszudenken, wenn es Sicherheitslücken bei ihrem Vater in der Bank gab. „Also schreiben wir mal auf: Zugriff auf Konto mit einem Fragezeichen“, sagte Sophie. Gemeinsam betrachteten sie das Blatt. „Könnt ihr euch vorstellen, dass das was in der Zeitung stand wahr ist?“, fragte Suki zögerlich. Sophie Blick wanderte in die Ferne. In Gedanken resümierte sie den Artikel, den sie vor wenigen Stunden gelesen hatte. „Also vielleicht hat Direktor Grün einen etwas ausschweifenden Lebensstil, doch wer sagt denn, dass er dafür auf das Geld der Schule zurückgreifen musste. In den Jahren vorher hat schließlich nie etwas gefehlt oder?“, gab Aimee zu bedenken, während sie sich über den Stuhl ihrer kleinen Schwester lehnte und sich blitzschnell das letzte Törtchen schnappte. Stimmt, das war ein Argument. „Also gut, wie wäre es wir nutzen die Zeit und überprüfen die Details des Artikels. Du Lulu frägst, deinen Vater. Onta und ich fragen Richard. Alba und Suki machen die internationale Recherche“, delegierte Sophie. Es grollte am Himmel. „Ein Sommergewitter“, sprach Alba missmutig und schaute in den Himmel. Stahlgraue Wolken schienen den blauen spätnachmittäglichen Himmel schier zu überfluten. Eilig packten sie zusammen. „Wir treffen uns in zwei Tagen wieder hier“, verabredeten sie sich beim Verabschieden, während die ersten Tropfen mit lautem Platschen auf das Pflaster klatschten.

Das Törtchen-Team packt die Koffer

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