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2.7.3 Anstand

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Anstand ist das durch Konvention geregelte Verhalten eines Menschen, das sich z. B. im guten Benehmen in der Gesellschaft zeigt. Der Zweck dieser Konvention besteht darin, den richtigen Umgang miteinander durch Zügelung der individuellen Willkür und durch grundlegende Wertvorstellungen zu vermitteln. Der anständige Mensch respektiert die Persönlichkeit des Anderen und achtet darauf, dass dieser nicht bloßgestellt, gedemütigt oder benachteiligt wird. Die Basis des Anstands bildet nach A. von Knigge die Einhaltung gewisser Regeln. Gute Umgangsformen sollten vor allem durch das Elternhaus verbreitet werden.219 Manche Menschen nehmen diese Regeln allerdings überhaupt nicht ernst. „Im Extrem sind die einen hemdsärmelig frech und die anderen neigen zur Vornehmheit.“* „Vornehmheit und Herzensgüte sind nicht alles, aber sie sind sehr viel“ (T. Fontane). Auch der Anstand wird sehr unterschiedlich beurteilt.

► Pro: Der französische Philosoph Honoré de Balzac hat es klug ausgedrückt: „Feinster Anstand und wahrhaft gute Manieren kommen von Herzen und von einem ausgeprägten Gefühl persönlichen Wertes.“ Ähnlich sagt es P. Schibler: „Anstand ist Respekt vor der Würde des anderen.“ Auch der Umgang mit Unterstellten zeigt uns: „Je vornehmer einer ist, desto höflicher behandelt er den Niedrigen“ (L. Börne). Weitere Aussagen zum Anstand sind:

▪ „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand“ (Seneca).

▪ „Der Anständige vereinigt das sittlich Schöne mit dem Sittlichen“ (C. Garve).

▪ „Je mehr ein Mensch sich schämt, desto anständiger ist er“ (B. Shaw).

▪ „Echter Anstand mündet in Vertrauen.“*

▪ „Anstand kokettiert zuweilen mit Abstand.“*

▪ „Das Betragen ist ein Spiegel, in dem jeder sein Bild zeigt“ (J.W. von Goethe).

▪ „Gute Manieren bestehen aus lauter kleinen Opfern“ (R.W. Emerson).

„Die Pflege des Anstands ist für jede gute Gesellschaft unentbehrlich. Anstand vereinfacht das Zusammenleben der Menschen.“* Die Regeln des Anstands kann jeder lernen, z. B. Höflichkeit, gutes Benehmen, sich entschuldigen und Grüßen auf der Straße. Der anständige Mensch war der Idealfall des Weltbilds der Aufklärung. Der Anstand ist auch ein zentrales Anliegen der Moraltheologie und der Moralphilosophie.

► Contra: Leider hat der Anstand heute keinen so hohen Stellenwert, wie es früher war: „Heute muss man annehmen, dass Menschen den Anstand für etwas halten, bei dem es nicht auf das Benehmen ankommt, sondern auf den Ansitz des Jägers beim Schießen.“* Schlechte Manieren sind sehr weit verbreitet: „Umgangsformen sind Formen, die zunehmend umgangen werden“ (O. Hassenkamp). Leider gilt heute: „Auch Anstand kann man verlernen.“ (Sprichwort). Peter Ustinov argumentiert in eine andere Richtung: „Liebe ist keine Entschuldigung für schlechte Manieren.“ „Wer anständig ist, drängt sich nicht vor und handelt sich dadurch mitunter Nachteile ein.“* Und: „Anstand stellt sich hinten an und kriegt nichts ab“ (M. Hinrich). Außerdem:

▪ „Wer an Wissen zunimmt, und an Anstand abnimmt, nimmt mehr ab als zu“ (Sprichwort).

▪ „Wer nur aus Berechnung anständig ist, der ist ein Tor!“*

▪ „Nicht jeder Vorstand hat Anstand“ (unbekannt).

▪ „Manche verstehen unter Verschwiegenheit, dass sie die ihnen anvertrauten Geheimnisse nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählen“ (M. Aurel).

Hat man Menschenmassen im Blickfeld, dann hat sich oft bewahrheitet: „Menschen in Massen verlieren ihren Sinn für Anstand“ (J. Galsworthy). Mitunter wird der Anstand in totalitären Staaten (z. B. Kommunismus, Faschismus, Nationalsozialismus) als nicht so bedeutend bewertet und leider als „großtuerisch“ abgewertet. Im Rahmen der Russischen Revolution in 1917 wurde die Etikette als überholt angesehen, äußerliches Gepflegtsein galt als übertrieben und peinliche Hemdsärmlichkeit machte sich breit. „Politische Verlogenheit, Fremdenhass und mangelnde Barmherzigkeit sind mit Anstand nicht vereinbar.“*

► Conclusio: „Wesentliche Merkmale des Anstands sind gutes Betragen, Respekt, Höflichkeit, Takt, Umgangsformen, gute Manieren und Achtsamkeit gegenüber anderen. Hochmut, Selbstüberschätzung, Frechheiten bzw. Egozentrismus haben hier keinen Platz.“* Aber man stellt auch fest: „Natürliche Dinge sind nicht unanständig“ (Vergil). „Anständigen im wahren Sinne begegnet man nur unter Menschen, die feste Überzeugungen haben“ (A. Tschechow). Die eindeutige Beurteilung des Anstands ist nicht einfach:

„Es ist schwierig zu beurteilen, ob ein aufrichtiges und ehrliches Benehmen das Ergebnis der Anständigkeit oder der Berechnung ist“

(Francois de la Rochefoucauld)

Unter Anstandsliteratur werden Werke bezeichnet, die sich mit den gesellschaftlichen Umgangsformen beschäftigen, z. B. das heute noch verfügbare Buch von Freiherr A. von Knigge mit dem Titel „Über den Umgang mit Menschen“.220 „Der Lebenskampf gibt der hohen Schule des Anstands seine Bewährungschance“ (H. Arndt). Dabei ist Missbrauch nicht ausgeschlossen: „Ein schlechter Mensch ist nicht immer an seinen Sitten zu erkennen“ (aus China). Das respektvolle Miteinander der Menschen zeigt sich in folgender „goldener Regel“: „Rechte und Freiheiten eines jeden Menschen finden ihre Grenze in den Rechten und Freiheiten des anderen.“221 Zum Schluss ein klares Plädoyer für den Anstand: „Takt und Benehmen sind auch in unserer heutigen Gesellschaft unverzichtbar.“222

Dialektik des geisteswissenschaftlichen Universums

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