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Einschätzung des Betriebergebnisses

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In allen Betrieben, so auch in der Landwirtschaft, wird versucht so früh wie möglich im Jahr das finanzielle Jahresergebnis einzuschätzen. Wenn in den großen Landwirtschaftsbetrieben die Halmfruchternte eingebracht ist, beginnt überall das große Rechnen. Ein guter Betriebsleiter, der auch mit seiner Buchhaltung offen und ehrlich zusammen arbeitet, kann jetzt schon ziemlich genau das Jahresergebnis voraus sagen. Das hat für noch zu treffende Entscheidungen eine große Bedeutung.

In dem von mir geleiteten großen Betrieb der Pflanzenproduktion, der einen Bruttoumsatz von mehreren Millionen machte, war das auch so.

Auf zwei Bogen DIN 4 schrieb ich mit einem Kuli die Zahlen von den Erlösen und Kosten, die bis zu diesem Zeitraum gebucht waren und schätze, was in den einzelnen Positionen bis zum Jahresende noch anfallen wird. Die Größe Tausend war dabei meine kleinste Einheit und 100 000 plus oder minus im geschätzten Ergebnis waren bei dem Umsatz von Millionen ein zufrieden stellendes Ergebnis. Im weiteren Verlauf des Jahres wurden die Schätzungen immer genauer. Meine Voraussagen haben immer gestimmt.

Nach der Privatisierung hatten die Einschätzungen genau so eine große Bedeutung. Nach der Getreideernte wurde ich als Geschäftsführer einer GmbH zum Hauptgeschäftsführer, dem mehrere GmbHs unterstanden, zur Einschätzung des Jahresergebnisses bestellt.

Ich erschien mit meinen zwei beschriebenen DIN 4 Bogen, mit einigen Blättern Schmierpapier, einem Kuli und dem Betriebsplan. Auf dem Schreibtisch meines Chefs lagen neben den Betriebsplänen zwei sorgfältig gespitzte Bleistifte, jede Menge Schreibpapier, ein großer Radiergummi und ein Taschenrechner. Er schaute verächtlich auf meine Unterlagen und meinte, dass wir so wohl nicht zurecht kommen werden. Ich entgegnete ihm, dass wir erst einmal anfangen sollten und ich denke dass ich seine Fragen beantworten kann.

Als es losging, sah ich mit Erstaunen, dass der Chef jede Zahl mit zwei Stellen nach dem Komma schrieb. Meine kleinste Einheit war Tausend. Es ging ja nicht um eine fertige Bilanz, sondern jetzt Ende August um die Schätzung des finanziellen Jahresergebnisses von Millionen. Der Chef rechnete, schrieb, radierte, schrieb wieder, stellte Fragen die ich so genau nicht beantworten konnte, radierte wieder und fing wieder von vorn an. So vergingen Stunden, ich langweilte mich unterdessen und mein Chef schwitzte. Dann hatten wir ein Ergebnis, das im Wesentlichen genau so aussah, wie ich es errechnet hatte. Mein Chef war zufrieden und sagte: „Genau wird es nicht stimmen, es ist ja auch nur eine Schätzung.“ Er hatte das Gefühl für die Firma etwas Großes vollbracht zu haben. In Wirklichkeit hätten wir in diesen Stunden wichtigere Dinge erledigen können.

Je mehr sich das Jahr zum Ende zu neigte, je öfter wiederholten sich solche Einsätze. Der Unterschied war, dass ich jetzt auch immer einen Taschenrechner mitgebracht habe.

Kurzgeschichten vom Land aus Vergangenheit und Gegenwart

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