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Der Personalausweis der Rinder

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Seit 1998 müssen alle Rinder innerhalb der EU einen einheitlichen Personalausweis haben. Das sind gelbe Plastikohrmarken an beiden Ohren die mit einem speziellen Code versehen sind, aus dem man alle notwendigen Daten ablesen kann.

Dazu braucht jedes Tier einen Rinderpass, der tagfertig geführt werden muss. Der Pass begleitet das Rind auf dem gesamten Lebensweg. Darüber hinaus müssen die Rinderhalter ein tagfertiges Bestandsregister führen. Für die Betriebe, die Rinder in größeren Beständen halten, bedarf es für die praktische Durchführung dieser Festlegungen fast eine Vollzeitstelle. Jedes Land, in Deutschland noch jedes Bundesland, hat eigene Durchführungsbestimmungen erlassen.

In Sachsen ist der Landeskontrollverband (LKV) mit Sitz in Lichtenwalde für Ausgabe der Ohrmarken und die gesamte Bestandsüberwachung zuständig. Die Kontrollen zur Einhaltung werden von den Ämtern für Landwirtschaft und dem Veterinäramt gemeinsam oder einzeln durchgeführt.

Die Ohrmarken müssen vom Landwirt für jedes Tier in zweifacher Ausführung erworben werden (4 € pro Tier), spätestens 7 Tage nach der Geburt muss die Marke eingezogen und der Rinderpass ausgefüllt werden. Erst dann ist das Tier amtlich auf der Welt.

Es kommt immer wieder vor, dass Tiere ihre Ohrmarken verlieren. Wenn das bemerkt wird, muss sofort kostenpflichtig nachbestellt werden. Das Einziehen der Ohrmarken bei erwachsenen Rindern ist äußerst schwierig. In größeren Herden sehr aufwendig. Die Tiere müssen eingefangen und fixiert werden.

In Mutterkuhherden sind dafür regelrechte Treibjagden erforderlich. Dort wo Mastbullen lose in Boxen gehalten werden, ist das bei Tieren der höhern Gewichtsklassen lebensgefährlich.

Um das alles etwas zu entschärfen, suchen die Behörden und Landwirte nach Kompromissen.

So lange das Tier noch eine Ohrmarke hat, wird oft ein Auge zu gedrückt. Das Einziehen der Ersatzohrmarke erfolgt dann, wenn das Tier so wieso eingefangen werden muss (tierärztliche Untersuchung, Klauenpflege).

Bei Mastbullen, die zur Schlachtung gingen, wurde die Ersatzmarke lose zum Schlachthof mit gegeben.

Dass diese Erleichterungen nicht immer und überall möglich sind und die Behörden oft nach Buchstabe und Gesetz vorgehen, zeigt folgendes Beispiel.

In unserm Mastbullenstall wurden die Tiere in Laufboxen zu je acht Stück gehalten. In den Boxen gibt es immer wieder Rangkämpfe, bei denen auch die Ohrmarken herausgerissen werden. Viele, besonders die älteren schweren Tiere, hatten deshalb nur noch eine Ohrmarke. Als der Kreistierarzt eine Kontrolle durchführte und das feststellte, wurde er schon unruhig. Als er dann aber an eine Box kam, in der schlachtreife Bullen mit einem Gewicht von über 700 kg standen und sah, dass ein Bulle keine Ohrmarke mehr hatte, verlor er die Fassung. Er erklärte mir, dass es diesen Bullen nicht gibt und dass das Tier sofort zu entfernen ist. Ich blieb ruhig und sagte, das ist nicht so schlimm, die Tiere gehen so wieso in den nächsten Tagen zum Schlachten. Er donnerte los.


Ausgewachsene Mastbullen

Das geht gar nicht, das Tier gibt es nicht und deshalb kann es auch nicht geschlachtet werden. Jetzt verlor ich die Fassung. Zwei erwachsene studierte Männer stehen vor einen leibhaftigen 700 kg Bullen und streiten, ob es dieses Tier gibt oder nicht. Und das alles nur, weil es keine Ohrmarke hat. Dazu kann man nur sagen: typisch deutsch.

Nachdem der Tierarzt und der Landwirt richtig Dampf abgelassen hatten, haben wir noch eine Lösung gefunden.

Kurzgeschichten vom Land aus Vergangenheit und Gegenwart

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