Читать книгу Centratur - zwei Bände in einer Edition - Horst Neisser - Страница 4

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Vorgeschichten

Centratur ist ein Kontinent der Welt. Er wird regiert von Königen und ihren Vasallen. Die eigentliche Herrschaft aber üben Zauberer aus, von denen die einen gute, spirituelle und die anderen eigennützige, machtgierige Ziele verfolgen. Besonders ein skrupelloser Zauberer hat Centratur im Lauf der Geschichte bedroht: Ormor, der Zauberkönig.

Um die absolute Macht zu erringen und die Erde zu unterjochen, war ihm jedes Mittel recht. Deshalb hat er die Welt in schreckliche Kriege gestürzt.

Der letzte Krieg, der den Beinamen der „Große Krieg“ bekam, begann vor sechzig Jahren. Wieder einmal schien der Usurpator, der rücksichtslos seine Ziele verfolgte, zu siegen. Wieder einmal wurde die Welt in entsetzliches Leid und Elend gestürzt. Aber wieder konnten die vereinten, freiheitsliebenden Völker von Centratur Ormor schließlich doch niederringen und mitsamt seinem Heer in einen Berg bannen.

Nach Ormors Niederlage übernahm Meliodas, der Nachfahre der alten Hochkönige, die Herrschaft über Centratur. Er wurde ein gerechter König, der den Frieden sicherte und seine Völker schützte.

Der Zauberer Aramar hatte seit Generationen die Geschicke der Menschen aus dem Verborgenen gelenkt. Er war der eigentliche Widerpart Ormors im Großen Krieg gewesen. Dieser Zauberer, der die Menschen und besonders die Erits liebt, war der Meinung, die Bewohner von Centratur sollten nun für sich selbst verantwortlich sein und ihr Geschick allein bestimmen. Die Zeit der Zauberer sei vorbei. Deshalb zog er sich auf eine Insel zurück. Dies war sein großer Irrtum.

Die Geschichte, die nun erzählt werden soll, beginnt mit einer folgenschweren Befreiung und dem Tod des Hochkönigs. Die Folge ist ein grausamer Mord. Doch dann wird die Idylle des Heimlands geschildert, einem Gebiet weit im Westen der bekannten Welt. Dort leben in Abgeschiedenheit Erits, deren größte Sorgen ihre Ernte und das Wetter sind. Sie haben es sich gemütlich gerichtet und ahnen nicht, was in der übrigen Welt vor sich geht. Bis sich die Ereignisse überschlagen.

Sechs Kämpfer


Die sechs Reiter, die auf der Lichtung ihre Pferde festbanden, waren die besten ihrer Art. Jeder von ihnen hatte eine hervorstechende Eigenschaft, war auf seine Art geschickt, schnell und klug. Es gab, soweit man wusste, niemanden auf der Welt, der sie darin übertroffen hätte. Eines aber war ihnen allen gemeinsam: Sie schreckten vor keiner Gefahr zurück und sie hatten keine Hemmungen zu töten.

Ihre bisherigen Aufträge hatten sie ohne fremde Hilfe erledigt, denn jedem von ihnen war es zur Gewohnheit geworden, sich nur auf sich selbst zu verlassen. Sie brauchten in der Tat keine Unterstützung, denn jeder der Sechs war so gefährlich wie Dutzende der besten Kämpfer, und keiner scheute ganze Heere als Gegner. Wer immer ihnen begegnete, fürchtete ihre Feindschaft und suchte ihre Freundschaft. Aber sie hatten keine Freunde, und sie hatten keine Feinde. Man bezahlte sie, sie erledigten ihre Arbeit und ritten weiter. Niemand sah sie gern, und dennoch waren sie sehr begehrt.

Die Agenten hatten diese Sechs auf der ganzen Welt gesucht. Es hatte Jahre gedauert, bis alle Kämpfer aufgespürt worden waren. Über die Entlohnung musste nicht lange gefeilscht werden, denn die Agenten waren bereit, jeden Preis zu zahlen. Nur die Auflage, den Auftrag zusammen mit anderen auszuführen, war von keinem der Sechs zunächst akzeptiert worden. An dieser Bedingung wäre das Unternehmen beinahe gescheitert. Es bedurfte viel Zeit und großer Überredungskunst der Agenten, bis schließlich doch alle eingewilligt hatten. Endlich war es vollbracht und das große Werk konnte beginnen.

Die sechs Männer hatten sich in der großen Ebene getroffen und auf den Weg zum Berg gemacht. Sie ritten sorglos und stellten in der Nacht keine Wachen auf, wussten sie doch um ihre Macht. Kein Wegelagerer und kein Herrscher dieser Welt hätte es gewagt, sie anzugreifen.

Nach einigen Wochen erreichten sie die Lichtung am Fluss und wurden sogleich vorsichtiger. Die Gegend um den Berg wurde nämlich bewacht. Die einen sammelten Holz, die anderen holten Wasser. Später tranken sie wohlschmeckenden Tee und aßen von ihren Vorräten. Der Wald und die Lichtung lagen ruhig in der untergehenden Sonne, und die Männer genossen den Frieden. Sie sprachen wenig und bereiteten sich in Gedanken auf ihren Auftrag vor. Nicht, dass sie Angst gehabt hätten. Keiner von ihnen hatte je einen Kampf verloren. Aber sie waren siegreich geblieben, weil Vorsicht zu jeder Zeit ihr Tun bestimmte und sie gut auf ihre Aufgaben eingestellt waren.

Die Bohnen mit Speck, die sie sich später zubereiteten, schmeckten köstlich. Danach lagen sie satt und zufrieden mit den Köpfen auf ihren Sätteln und sprachen noch einmal alles durch. Jeder wiederholte die ihm zugewiesene Rolle. Endlich schliefen sie einen tiefen Schlaf und natürlich hatten sie Wachen eingeteilt.

Am nächsten Tag erhoben sie sich beim ersten Morgengrauen. Sie kochten Tee und frühstückten in aller Ruhe. Dann löschten sie das Feuer und traten auch noch die letzten Funken aus. Sie vergruben ihre Abfälle und gaben der Lichtung die Unberührtheit zurück, die sie vor ihrer Ankunft gehabt hatte. Mit ihren kleinen Spaten stachen sie Grassoden in einem Quadrat von sechs mal sechs Fuß ab und stapelten sie zu einem Haufen. Sorgfältig glätteten sie den erdigen Boden und zogen mit Messern ein Gitternetz ins Erdreich. Darauf legten sie aus kleinen Steinen zwei überlappende Dreiecke, so dass eine Figur mit sechs Ecken entstand. Würdevoll stellten sie sich um das Sechseck, jeder an einer Spitze, und fassten sich bei den Händen. Dann fielen sie gemeinsam auf die Knie und senkten die Köpfe. Ihre Stimmen vereinigten sich zu einem monotonen Singsang, bis die Gruppe von einem matten Lichtglanz umgeben war. Der Schein schwebte nur wenige Sekunden über ihnen und verschwand dann wieder. Jetzt erhoben sie sich und beseitigten mit großer Sorgfalt auch diese Spuren. Selbst die Soden legten sie wieder an ihren Platz.

Gemessenen Schritts begab sich ein jeder zu seinem Pferd und kleidete sich um. Sie schälten sich aus ihren bequemen Reisekleidern. Die weiten Überhänge wurden abgestreift, die Hosen aus gefärbtem Wildleder ausgezogen, sorgfältig zusammengelegt und in den Satteltaschen verstaut. Einige hatten kecke Mützen mit langen Federn getragen, die sie nun vorsichtig abnahmen und an den unteren Ästen von Bäumen hingen, damit den Hauben während ihrer Abwesenheit nichts geschehe.

Die Rüstungen, die sie nun anlegten, hatten jeweils eine andere Farbe und waren speziell für ihren Träger angefertigt worden. Sie waren schwarz, rot oder glänzten hell poliert. Allein das Anbringen der Magie, die auf jeder lag, hatte mehrere Jahre gedauert. Der Wert der einzelnen Rüstungen war größer als der von Königreichen.

Zum Schluss legten sie ihre Waffen an. Auch sie waren bei jedem der Helden verschieden. Es gab kurze und lange Schwerter und solche, die man nur mit zwei Händen führen konnte. Sie schnallten sich Streitäxte um und schulterten Bogen und Köcher mit Pfeilen. Manche trugen Armbrüste, andere Lanzen und einer hatte sich zwölf Messer um den Oberkörper geschnallt, die er trefflich zu werfen verstand. Alle Waffen, selbst die Streitäxte, hatten berühmte Namen.

Als sie gerüstet waren, machten sie sich auf den Weg. Sie wussten genau Bescheid über die Gegend. Man hatte ihnen rechtzeitig Karten zur Verfügung gestellt. Schon vor Jahren war alles auf das genaueste ausgekundschaftet worden. Die Agenten hatten damit die besten Späher beauftragt, die in der Welt aufzutreiben gewesen waren. Deshalb konnten sich die Kämpfer den Posten vorsichtig nähern und auch tödliche Fallgruben umgehen.

Die sechs bewegten sich trotz der schweren Rüstungen behände und lautlos. Sie verschreckten nicht einmal das Wild, das ihren Weg kreuzte. Selbst wenn man nur vier Fuß von ihnen entfernt gewesen wäre, so hätte man sie nicht wahrgenommen. Vor der ersten Wache schwärmten sie aus. Es war ein alter Mann in abgewetzter grüner Kleidung, der sich anscheinend auf Pilzsuche befand. Aber sie ließen sich von seiner Tarnung nicht täuschen. Drei von ihnen kreisten ihn ein und stachen gemeinsam zu. Lautlos sank der Alte zu Boden. Der Anfang war gemacht. Als nächstes überfielen sie eine alte Frau die Beeren pflückte und töteten sie. Sie hatten kein Mitleid, denn sie wussten, dass die Wachen gut getarnt waren und selbst gnadenlos jeden Angreifer umbrachten.

Sie hatten schon die halbe Höhe des Berges erreicht und waren noch immer auf keinen Widerstand gestoßen. Dieser Umstand gab ihnen zu denken. Zwei sicherten nach hinten und zwei liefen als Späher voraus. Plötzlich wurde der linke Späher tot aufgefunden. Er lag in seiner schwarzen Rüstung hinter einem Busch. Nur seine Beine ragten hervor. Sein Hals war von einer scharfen Lanzenspitze durchbohrt. Die Überlebenden kümmerten sich nicht weiter um ihn. Aber sie waren froh, denn sie wussten nun, dass sie auf dem rechten Weg waren.

Auf einer Lichtung traten ihnen zwölf Gewappnete entgegen und es kam zum ersten Kampf. Es gab ein wütendes Hauen und Stechen. Als die zwölf endlich im Gras lagen, waren die sechs auf vier zusammengeschmolzen. Kurz nachdem sie weitergegangen waren, löste sich eine mächtige Steinlawine am Berg und stürzte zu Tal. Die Kämpfer rannten um ihr Leben, aber einer musste sterben.

Die letzten Drei stiegen noch langsamer und noch vorsichtiger in einer Linie weiter. Sie wurden noch in viele Kämpfe verwickelt, die sie alle siegreich bestanden. Endlich erreichten sie den Gipfel. Dort trat ihnen eine hohe Gestalt in einem langen weißen Gewand entgegen. Sie hatte die Arme erhoben und die Handflächen ihnen zugewandt.

„Was wollt ihr?" rief der alte Mann mit lauter Stimme. „Warum stört ihr den Frieden dieses Berges?"

Keiner antwortete ihm. Der Mann mit den Messern traf den Alten in der Brust. Dieser brach stöhnend zusammen und ein Blutschwall quoll aus seinem Mund. Sie stiegen über ihn, nach allen Seiten witternd und sichernd. Vor ihnen musste das Tor sein. Es war nicht zu sehen. Kein Spalt zeichnete sich im Fels ab. Niemand, der nicht eingeweiht war, hätte hier den Zugang zum Herzen des Berges vermutet.

Sie verloren mit der Suche keine Zeit und versuchten auch nicht, den magischen Schlüssel zu entdecken. Stattdessen packten sie die Zauberutensilien aus, die sie mitgebracht hatten, und bauten sie sorgsam auf. Dann zogen sie sich zurück. Mit einem mächtigen Blitz vernichtete der Zauber die Spitze des Berges und gab den Gang, der in die Tiefe führte, frei. Ohne zu zögern traten sie ein und stiegen über die verkrümmten Gestalten, die im Inneren des Berges durch den Zauber getötet worden waren.

Immer tiefer folgten sie dem Gang ins Dunkel des Berges. Sie hatten Fackeln entzündet und schritten mit der gebotenen Vorsicht aus. Zwei Fallen auf dem Weg konnten sie rechtzeitig entdecken, die dritte kostete einem von ihnen das Leben. Nun waren es nur noch zwei Kämpfer, die sich immer tiefer in das Gestein wagten. Sie trafen auf keinen Widerstand mehr und erreichten nach Stunden die Halle.

Diese war so groß, dass man weder ihre Seiten noch ihre Decke in dem fahlen Licht der Fackeln sehen konnte. Die Luft roch modrig, war aber völlig trocken. Staub lag auf dem steinernen, unebenen Boden. Es war völlig still. Es schien, als schlucke die Dunkelheit jedes Geräusch. Stunden um Stunden wanderten sie durch die unheimliche Schwärze. Ihr Vorrat an Fackeln neigte sich dem Ende zu. Waren sie verbraucht, würden sie nie mehr den Weg aus der Dunkelheit herausfinden. Aber sie kümmerten sich nicht um diese Gefahr. Sie hatten einen Auftrag und würden nicht ruhen, bis er erfüllt war.

Das riesige Kriegerheer, dem sie dann begegneten, verharrte in der Dunkelheit reglos und stumm wie aus Stein. Gewappnete Krieger saßen auf ihren Pferden, Wolfsreiter standen auf dem Sprung, Kobolde und andere Geschöpfe aus dunklen Tiefen, bewaffnet mit allem, womit man töten konnte, standen in Reih und Glied. Die beiden Kämpfer schritten mitten durch das Heer. Sie kannten keine Furcht, aber sie betrachteten die ungeheure Macht, die hier versammelt war, mit Staunen.

In der Mitte der Höhle tat sich ein großer Kreis auf. Hier stand ein steinerner Tisch, und an ihm saß ein Mann. Er musste schon viele tausend Jahre dort sitzen, denn sein langer Bart überwucherte und verdeckte die Steinplatte. Seine Hände lagen starr unter den Haaren. Die Fingernägel waren meterlang.

Die beiden Männer gingen langsam um den Alten herum und betrachteten ihn von allen Seiten. Die Agenten hatten ihnen genaue Anweisungen gegeben, wie sie mit ihm zu verfahren hätten. Nun war der Augenblick gekommen, den Auftrag zu vollenden. Ohne weiter zu überlegen, holten sie Scheren aus ihren Taschen und schnitten ihm die Nägel. Anschließend verschränkten sie ihm die Hände, so als wolle er beten. Dann scherten sie ihm den Bart. Die langen Strähnen fielen achtlos auf den Boden und sammelten sich zu einem grauen Teppich. Endlich holten sie aus ihrem Gepäck eine kleine Schale aus purem Gold. Da hinein gossen sie von der Flüssigkeit, die ihnen ihre Auftraggeber in einer Feldflasche mitgegeben hatten. Damit wuschen sie die Gestalt am Tisch. Zuletzt wickelten sie aus einem samtenen Tuch einen Edelstein. Sie legten den roten Kristall in die Hände des Mannes und achteten sorgfältig darauf, den Stein nicht zu berühren. Plötzlich begann der Kristall zu glühen. Er strahlte so große Wärme aus, dass die beiden Helden in ihrer Rüstung zu schwitzen begannen.

Dies war der Augenblick, da der Greis am Tisch die Augen aufschlug. Verwirrt sah er sich in der Dunkelheit um. Dann entdeckte er seine Retter und fragte mit heiserer Stimme: „Wer seid ihr?"

„Man hat uns geschickt, Euch zu erlösen."

„Warum kommt ihr so spät?"

„Man hat uns nicht früher beauftragt."

Da erhob sich der Mann am Tisch und sprach: „Kommt her, damit ich euch danken kann."

Als sie auf ihn zu traten, sagte er: „Kniet nieder!"

Als sie taten, wie ihnen geheißen, schlug der Alte dem einen, obwohl dieser einen starken Helm trug, den Schädel ein und dem anderen mit einem Schlag seiner Handkante den Kopf vom Hals. Ohne die beiden Toten, deren Fackeln am Boden verglommen, noch weiter zu beachten, reckte sich der Alte und streckte seine Arme in die Höhe.

„Wachet auf!" rief er und seine Stimme war wie Donnergrollen. „Wir haben zu lange geschlafen!"

Das mächtige Heer begann sich in der Finsternis zu regen.

Dann erhob der Mann seine Stimme erneut und rief: „Öffne dich!"

Bei diesen Worten brach der Berg auf. Donnernd stürzten riesige Felsbrocken zu Tal. Bäume wurden entwurzelt, knickten wie dünne Stäbe und rutschten die Hänge hinab. Die Erde bebte und das Gestein teilte sich. Strahlendes Licht flutete in das tausendjährige Dunkel des Berges. Die Sonne drängte in die Halle der Nacht. Das Heer, aus seinem Schlaf erwacht, ordnete sich und nahm Aufstellung. Zuerst kamen die Reiter und dann die Fußtruppen. Ormor bestieg sein Pferd und setzte sich an die Spitze.

Niemand sprach, als der Zug die Höhle verließ. Nur der Huftritt vieler Pferde und das Trampeln schwerer Stiefel durchbrachen die Stille. Am Fuß des Berges kamen die Krieger an einer Lichtung vorbei. Dort standen Pferde und Mützen mit langen Federn hingen an Ästen; aber keiner der Vorüberziehenden achtete darauf.


Der Tod des Königs


Der Tag war zwar noch kalt, aber die klare Luft und die Sonne ließen den langen Winter vergessen. Meliodas, der Hochkönig von Centratur und Herrscher über Whyten, war auf dem Weg von Cantrel, seinem Regierungssitz, nach Hispoltai in Equan. Obwohl er aus dem Geschlecht der Großen Könige stammte und seine Lebensspanne weit über die von normalen Menschen hinausreichte, war sein Haar mit den Jahren grau geworden und seine Schultern gebeugt.

Er ritt auf seiner Lieblingsstute, Weichfell, und an seiner Seite hing das Schwert seiner Väter, das er Aràntila genannte hatte, was bedeutet ‘Unerbittliche Siegerin’. Der König war in Begleitung seiner Frau, Lunete, seiner zwölfköpfigen Leibwache und der beiden Edlen Misselbeck und Rankohr. Obgleich Meliodas den Weg gut kannte, hatte ihm Equan drei Führer entgegengeschickt, die nun an der Spitze des Zuges ritten. Zu dem Gefolge gehörten noch zwei Abgesandte aus dem Norden des Reiches. Sie hatten sich mit dem König auf die Reise begeben, um dem Herrscher in einem günstigen Moment ihr Anliegen vorzutragen. Nicht vergessen werden sollte bei dieser Aufzählung die Dienerschaft, die mit den Packpferden hinter den Nobilitäten ritt.

Der König war schon seit dem Vortag, als sie Cantrel verlassen hatten, guter Dinge und sang ein Lied nach dem anderen. In seinen Gesang fiel die ganze Reisegesellschaft respektvoll ein. Man war am frühen Morgen bei Dunkelheit vom Nachtlager aufgebrochen und machte am späten Vormittag die erste Rast. Die Diener stellten rasch Zelte auf und deckten die Tische reichlich. Wenn ihr Herr auf Reisen war, so sollte es ihm an nichts fehlen, dies verlangte ihre Ehre. Es gab süße Kuchen und köstlichen Tee. Die Laune des Herrschers wurde bei diesem zweiten Frühstück noch besser. Reyknang, der Gesandte aus Luran, sah dies mit Freuden und beschloss, sein Anliegen schon jetzt vorzubringen. Er hatte nicht damit gerechnet, den König so früh in leutseliger Stimmung vorzufinden und wollte die Gunst der Stunde nutzen. Wenn seine Mission frühzeitig zu einem erfolgreichen Ende käme, bräuchte er den beschwerlichen Weg nach Equan nicht mitzumachen. Er könnte umkehren und in Cantrel das Hofleben genießen.

Respektvoll wartete er, bis Meliodas gespeist hatte. Dann näherte er sich ihm demütig, die Mütze in der Hand.

Ob er die allergnädigste Majestät wohl kurz sprechen dürfe, fragte er bescheiden.

Meliodas lachte, wenn es denn unbedingt sein müsse, und winkte dem Vasallen zu, auf einem Sitz neben ihm Platz zu nehmen. Reyknang gab sich unsicher und schwieg.

Der König ermunterte ihn mit einer Frage nach seinem Begehr.

Der Mann aus dem Norden tat, als wolle er sich ein Herz fassen, und sprach, sein Volk, seine Fürsten und auch er selbst seien stets der Meinung gewesen, es gebe keinen fürsorglicheren und gnädigeren König als Meliodas, den Sohn des Trisa. Hier unterbrach ihn der Herrscher mit einer gelangweilten und etwas unwilligen Handbewegung, aber er war noch immer gut gelaunt.

Reyknang beeilte sich fortzufahren. Weil man sich in der Huld des Königs wisse, habe man beschlossen, sich mit drückenden Sorgen an ihn zu wenden.

Das erwarte er auch, warf der Herrscher ein. Aber der Gesandte möge nun endlich zur Sache kommen, man wolle weiter reiten.

Dieser sah, dass der König ungeduldig und unwillig wurde und beeilte sich mit seiner Rede. Man habe sich in seinem Land große Bauvorhaben vorgenommen, die nicht nur für Luran wichtig wären, sondern auch zur Ehre des ganzen Reiches beitrügen und damit den Ruhm des Königs mehren würden. Er habe Pläne und Aufrisse dabei und könne Seine Majestät deshalb über alle Einzelheiten genauestens unterrichten.

Wieder zuckte er unter einer ungeduldigen Handbewegung von Meliodas zusammen.

Kurz und gut, diese Bauten würden sehr viel Geld kosten. Man habe sich deshalb entschlossen, den König zu bitten, die Steuern des Landes Luran für zehn Jahre auszusetzen. Danach sei man gerne bereit, wieder den schuldigen Tribut zu zahlen.

Der Herrscher sah den Gesandten einen Moment verwundert an. Dann antwortete er mit einem barschen „Nein" und erhob sich.

Er klatschte in die Hände und rief zum Aufbruch. Als er aufs Pferd stieg, schien es, als habe seine gute Laune keinen Abbruch erlitten. Lunete, die Königin aus achajischem Geschlecht, lenkte ihr Pferd neben das ihres Gemahls. Sie war noch immer wunderschön, obgleich sich schon die ersten Falten um ihre Augen und Mundwinkel zeigten. Sie stammte von einem fernen Kontinent und hatte lange auf den geliebten Mann, der um seinen Thron kämpfte, warten müssen. Sie hatte ihre Entscheidung nie bereut, so war zumindest die Meinung ihrer Umwelt. Aber die wenigsten sahen, dass das Leben an der Seite des Königs nicht immer einfach war.

Meliodas hatte erst in späten Jahren die Bürde der Regentschaft übernommen. An das Hofleben, die vielen Menschen um ihn, das bunte Treiben und das Wohlleben, konnte er sich nur schwer gewöhnen. Er war die meiste Zeit seines Lebens ein Hagestolz gewesen, der, vertrieben vom königlichen Hof, mit sich allein in der Wildnis gehaust hatte. Dabei hatte er gelernt, Einsamkeit zu ertragen. Deshalb kosteten ihn die höfischen Sitten und das Zusammenleben mit einer Frau auf Dauer Kraft und Überwindung. Er gab sich redlich Mühe, aber seine Eigenarten und sein Wunsch nach Einsamkeit brachen immer wieder durch. Seine Frau hatte darunter natürlich zu leiden. Dazu kam noch, dass die Ehe bisher kinderlos geblieben war.

Lunete ertrug die Launen ihres Mannes mit Gelassenheit. Nie sah man ihr irgendeinen Kummer an. Stets lächelte sie und begegnete ihrem Mann in der Öffentlichkeit mit ausgeglichener Freundlichkeit. Zwischen ihnen aber gab es so manche Szenen, von denen der Hof besser nichts erfuhr. Dann ging sich das Paar einige Tage aus dem Weg und versöhnte sich schließlich auf spröde, aber herzliche Weise, wie es dem Wesen von Meliodas entsprach.

Sie habe eine Bitte, so begann Lunete das Gespräch, und er möge ihr nicht zürnen, wenn sie ihm diese Bitte vortrüge.

Nur frisch heraus, antwortete ihr Gemahl. Wenn immer es möglich wäre, würde er ihr Anliegen erfüllen.

Die Augen der Frau leuchteten bei diesen Worten, und sie lächelte ihren Mann zärtlich an. Er wisse, sagte sie, dass sie die letzte ihres Volkes sei, die sich noch in Centratur aufhalte. Ihre Familie sei schon vor langer Zeit in die angestammte Heimat nach der Insel Aureas aufgebrochen. So lebe sie schon seit vielen Jahren ganz allein. Nun aber, da sie das nahe Alter spüre, habe sie das Bedürfnis, ihre Familie, Vater, Mutter und Geschwister, noch einmal zu sehen. Es sei ihr Wunsch, mit ihnen für einige Zeit zusammen zu sein, um dann für immer Abschied zu nehmen. Sie erbitte also von ihrem Gemahl Urlaub für eine kurze Reise nach Aureas.

Der Herrscher blickte sie aus seinen hellen Augen prüfend an, während sein Mund zu einem schmalen Spalt verkniffen war. Dann sagte er: „Nein", und gab seinem Pferd die Sporen.


Mittagsrast wurde am Fuß des Grauen Waldes gemacht. Ein Teil der Dienerschaft war nach der ersten Rast zurückgeblieben und hatte zusammengepackt. Der andere Teil war im Galopp vorausgeeilt und hatte das Mittagslager vorbereitet. Als der König mit seinem Tross eintraf, war schon alles gerichtet. Die Zelte standen im Schatten, eine Suppe dampfte in eisernen Kesseln über offenen Feuern, Wildbraten drehte sich auf Spießen. Im Lager roch es so gut, dass den Reisenden das Wasser im Mund zusammenlief. Man saß ab und machte es sich auf Feldstühlen bequem. Schalen mit Wasser wurden gebracht, damit sich die Herrschaften den Staub abwaschen konnten. Dann wurden Erfrischungen gereicht.

Der Edle Rankohr war dem König auf diesem Ritt nach Equan gefolgt, um eine persönliche Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Sie betraf seinen Sohn und war für seine Familie von äußerster Wichtigkeit. Er hatte sich schon seit Tagen genau zu Recht gelegt, mit welchen Worten er seinem Herrn sein Anliegen vorbringen wollte und brannte darauf, endlich dessen Entscheidung zu hören. Die Gelegenheit schien ihm nun günstig. Schon wollte er sich in das offene Zelt des Königs begeben, als er sah, wie Graf Misselbeck an ihm vorbei zum Monarchen huschte. Der andere war ihm zuvorgekommen, nun musste Rankohr seinen Bittgang wieder verschieben.

Doch es dauerte nicht lange, und der Graf verließ das Zelt. Er sah sehr niedergeschlagen aus und war ganz rot im Gesicht. Man konnte deutlich sehen, dass er keinen Erfolg gehabt hatte und auf keinen gnädigen König gestoßen war. Seine Hände waren so zu Fäusten geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten. Rankohr schlenderte zu ihm hinüber und fragte arglos, ob der König sehr erschöpft und ob Misselbecks Gespräch erfreulich verlaufen sei? Meliodas sei doch ein gütiger Monarch, dem man stets dankbar sein müsse.

Rankohr sah mit Freude, wie schwer es dem Grafen fiel sich zu beherrschen und zustimmend zu nicken. Deshalb konnte er nicht an sich halten und setzte noch die Frage obendrauf, welche Güte der Herrscher dem edlen Grafen denn diesmal erwiesen habe?

„Keine“, war die knappe Antwort.

Misselbeck ließ den scheinheiligen Rankohr stehen und ging mit langen Schritten davon. Dieser lächelte in sich hinein und nahm sich vor, es selber klüger anzustellen.

Nachdem sie gegessen und ein wenig geruht hatte, machte sich die Gesellschaft wieder auf den Weg. Sie kamen nun in ein Gebiet, in dem Rebellen hausen sollten. Doch befürchtete man keinerlei Überfälle oder andere Misshelligkeiten. Meliodas war als gerechter und weiser König bekannt, der im Reich keine Feinde hatte. Auch war die Garde schwer bewaffnet, so dass Angreifer keine Chancen gehabt hätten. Dennoch schickte der Führer der Leibwache zwei seiner Leute zur Sicherheit voraus. Aufgeregt kehrte einer der beiden nach wenigen Stunden zurück. Er berichtete, sie seien angegriffen worden und der Überfall habe seinem Kameraden das Leben gekostet.

Hauptmann Kuri unterrichtete seinen König. Er fragte ihn, was zu tun sei und empfahl ihm seinerseits umzukehren. Doch davon wollte Meliodas nichts wissen. Vor ein paar Rebellen würde er nicht kneifen, er hatte schon ganz andere Gegner in seinem langen Leben besiegt. Er fasste nach dem Schwert an seiner Seite und lockerte es in der Scheide.

Die Wache sicherte nun in alle Richtungen. Vorsichtig ritt man weiter. Kurz vor Dunkelheit wurde der Zug mit Pfeilen beschossen doch niemand getroffen. Weil sie keinen sicheren Lagerplatz fanden, ließ der Hauptmann der Garde trotz der Dämmerung nicht Halt machen. Auch eilten nun die Diener nicht voraus, um alles vorzubereiten.

Meliodas Lippen wurden immer schmäler und sein Kinn kantiger. Er umfasste den Knauf seines Schwertes mit starker Hand. Man sah, dass ihm ein Kampf nicht unwillkommen gewesen wäre. Für ihn waren diese Angriffe aus dem Hinterhalt eine persönliche Beleidigung. Er sah in ihnen sogar eine Schmähung der Königswürde. Hätten sich die Schurken zum Kampf gestellt, so hätte er ihnen gezeigt, dass noch die alte Kraft in ihm war. Aber sie blieben unsichtbar, wie um ihm zu zeigen, wie sehr sie die Macht des Königs missachteten.

In seinem Reich seien die Straßen sicher, sagte er immer wieder beteuernd zu Wisbad, dem Gesandten aus Muriel, dessen Pferd schon seit geraumer Zeit neben dem seinen lief. Dennoch müsse man immer wieder mit Wahnsinnigen, Verbrechern und Wichtigtuern rechnen, die den Frieden störten. Diese Ausnahmen bestätigten nur die Regel.

Die Sicherheit auf den Straßen Muriels, sei der Grund, der ihn an den Hof Seiner Majestät geführt habe, entgegnete Wisbad. Die Sicherheit sei nämlich im Osten des Reiches, dort wo er herkomme, nicht mehr gewährleistet, deshalb bitte man den König um Hilfe.

Unwirsch erkundigte sich der Herrscher, ob der Gesandte damit andeuten wolle, sein königlicher Schutz reiche nicht mehr bis Muriel? Ob er tatsächlich behaupten wolle, sein Reich Centratur, das er von seinen Vorvätern übernommen und gegen alle Feinde verteidigt habe, zerfalle?

„Ja, Majestät“, kam die Antwort.

Alles, was der Gesandte noch hörte, bevor sein Herr davon preschte, waren wüste Beschimpfungen ob seiner Dreistigkeit.

Endlich wurde ein Lagerplatz am Ufer des Tessenfluss, der aus dem Tessenwald in die Ebene floss, gefunden. Man stellte Zelte und Wachen auf, und die Herrschaften begaben sich zur Ruhe. Meliodas blieb noch lange wach. Wie sehnte er sich nach seinem früheren Leben in der Natur zurück. Damals war er wirklich frei und nur sich selbst verantwortlich gewesen. Niemand hatte ständig etwas von ihm gewollt.

Die Nacht verging ohne Zwischenfälle. Am nächsten Morgen äußerte Meliodas den Wunsch nach einem Bad. Sein Diener war entsetzt und wies auf das treibende Eis im Wasser hin. Der Herr werde sich erkälten, er könne sich sogar den Tod holen. Dieser ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen. Die Absicht des Königs sprach sich rasch herum, und der Hauptmann eilte herbei. Der Fluss sei zu unsicher. Man könne den Herrscher nicht genügend schützen. Wenn er an dieser Stelle bade, sei er den Pfeilen vom anderen Ufer hilflos ausgeliefert.

Doch Meliodas entgegnete: „Ich lasse mein Leben nicht von den Absichten einiger Verbrecher bestimmen. Niemals werde ich mich den Plänen der Feinde unterwerfen und meine eigene Freiheit von diesen Elementen einschränken lassen. Dies werde ich jetzt mit einem Bad demonstrieren.“

„Dann kann ich die Verantwortung für Euer Leben nicht länger übernehmen“, bekannte der Mann von der Wache.

„Diese Verantwortung hast du nie getragen“, entgegnete ihm sein König bitter. „Sie ist für dich auch viel zu schwer. Der einzige, der die Verantwortung für mich tragen kann, bin ich selbst. Du kannst gehen. Für diesmal sei dir deine Unbotmäßigkeit noch verziehen.“

Mit diesen Worten warf er sich einen weiten Mantel über den nackten Körper und ging langsam auf den Fluss zu. Lunete war aus dem Nachbarzelt herausgekommen und stellte sich ihm in den Weg. Der Fluss sei reißend und gefährlich. Es wäre unklug, sich seinen Fluten jetzt anzuvertrauen. Er antwortete ihr nicht, sondern ging einfach eilenden Schritts um sie herum. Lunete sah ihm kopfschüttelnd nach. Dann wandte sie sich abseits in die Büsche. Die beiden Gesandten hatten das Lager bereits verlassen. Auch von den Edlen Rankohr und Misselbeck war nichts zu sehen. Der Hauptmann folgte seinem König zum Fluss. Er schlenderte dabei betont gemächlich.

Am Ufer legte Meliodas den Umhang ab und stieg in die Fluten. Das Wasser war sehr kalt und tief. Es schauderte ihn, aber er konnte nun nicht mehr zurück und musste ein paar Stöße schwimmen, um sein Gesicht nicht zu verlieren. Nur sein Kopf war noch zwischen den Wellen sichtbar, obwohl er sich kaum vier Fuß vom Ufer entfernt hatte. Ein großer Baumstamm, dessen Äste traurig in die Luft ragten, trieb genau auf ihn zu. Der König sah ihn kommen und versuchte noch ihm auszuweichen, doch da färbte sich das Wasser an der Stelle, wo eben noch sein Kopf gewesen war, bereits rot. Meliodas, Hochkönig von Centratur, Herrscher von Whyten, der letzte Spross aus dem Geschlecht der großen Könige, wurde nicht mehr lebend gesehen. Er starb in den Fluten des Tessenfluss. Seine Leiche konnte in den braunen Wassern erst viele Meilen flussab geborgen werden. Sie war vom Eis, dem Treibholz, den Baumstämmen, und dem was das Hochwasser des Frühlings sonst noch mit sich führte, so entstellt, dass man die Todesursache nicht mehr erkennen konnte. Die edlen Züge waren zerstört. Nicht einmal Lunete erkannte ihren Mann.

Der Körper wurde zum Regierungssitz nach Cantrel zurückgebracht und dort aufgebahrt. Dann eilten Boten durch das ganze Land und verkündeten überall das schreckliche Unglück. Die Edlen aus allen Ländern reisten nach Whyten, um an den Beerdigungsfeierlichkeiten teilzunehmen. Große Trauer herrschte überall. Man fürchtete das Schlimmste für das Reich. Einige Weise aber raunten, der König sei für diesen Tod glücklich zu preisen. Ihm sei es erspart geblieben, den Untergang seines Reiches mitzuerleben.


Die Flasche


Die Flasche war rund und hatte einen Durchmesser von drei Handflächen. Ihr langer Hals war mit einem kunstvoll geschnitzten Stück Holz verschlossen. Leider war sie nicht mehr ganz dicht. Mit den Jahren war der Ton porös geworden, und die Glasur hatte Sprünge bekommen. Ramram stand deshalb jeden Tag vor der Entscheidung, entweder schon im Lauf des Vormittags seinen Wasservorrat zu verbrauchen oder die Flüssigkeit sparsam über den Tag zu verteilen. Wählte er die erste Möglichkeit, hatte er schon am frühen Nachmittag nichts mehr zu trinken. War er aber sparsam, dann versickerte ein Teil des kostbaren Nass in der Erde neben dem Acker. Was er auch tat, es war falsch.

Morgens, wenn er sich mit seinen beiden Ochsen und dem schweren Pflug auf den Weg machte, überlegte er manchmal, wie er es heute halten sollte. Aber er vergaß dann doch seine Vorsätze und überließ die Entscheidung der Hitze, seinem Durst oder der spontanen Laune.

Natürlich hatte sich Ramram schon oft vorgenommen, eine neue Flasche zu besorgen. Dazu hätte er seine Arbeit liegen lassen und viele Stunden in das weit entfernte Dorf laufen müssen. Letztlich scheute er jedes Mal den Weg. Vielleicht war es aber gar nicht der Gedanke an den langen Fußmarsch, sondern vielmehr die Menschen, die er in der Siedlung treffen würde?

Heute hatte er sich nicht zurückgehalten, und nun war die Flasche leer. Die Sonne brannte heiß und erbarmungslos vom Himmel. Ramram schwitzte während er sich schwer auf den Pflug stützte und versuchte ihn in der Spur zu halten. Die Ochsen legten sich ergeben in die ledernen Riemen und wischten nur hin und wieder mit den Schwänzen einen Schwarm Fliegen von ihren schweißnassen Rücken. Der Bauer hätte etwas darum gegeben, jetzt eine Pause machen und einen Schluck trinken zu können. Aber es war nichts mehr da und der Brunnen war eine Wegstunde entfernt.

Mittag war schon eine Stunde vorüber und er hatte seine beiden Brote im Schatten der Bäume in aller Ruhe gegessen. Er hatte sie sich selbst gestrichen, denn zu Hause war nun niemand mehr, der ihm zur Hand ging. Seit seine Frau gestorben war, besorgte er den Haushalt allein. Kinder hatten sie keine, und für eine Magd oder gar einen Knecht reichte die Wirtschaft nicht aus. Seine Frau hatte ihm noch auf dem Sterbebett ans Herz gelegt, die Einöde zu verlassen und zu den Leuten zurückzukehren. Er hatte es ihr auch versprochen. Doch es ging nun schon ins dritte Jahr, dass sie unter der Erde lag, und er machte noch immer keine Anstalten, ihren Wunsch zu erfüllen.

Was sollte er auch im Dorf? Ihm gehörte dort kein Land. Er könnte sich nur als Knecht verdingen. Nach der Freiheit hier würde ihn das schwer ankommen. Irgendwann würde er schon zurückkehren, sagte er sich immer, wenn er schuldbewusst an sein Versprechen dachte. Aber bis dahin war noch Zeit. Hier draußen war er zufrieden. Hier musste er sich nicht mit törichten Leuten herumstreiten. Hier war er ein freier Mann. Hier passte niemand auf, wie er seine Wirtschaft führte, wann er aufs Feld ging und wann er zurückkehrte. Hier war es gleichgültig, welche Kleidung er trug und wie lang er seinen Bart wachsen ließ.

Weil er frei sein wollte, war er damals mit seiner jungen Frau in die Wildnis gezogen. Er war der jüngere Sohn gewesen, den Hof hatte sein Bruder geerbt. Ein Leben als Knecht wäre sein Los gewesen. Aber er hatte dem rauen Leben in der Einöde den Vorzug gegeben, hatte begonnen, das Land zu bestellen, das weit ablag, und das niemand haben wollte. Die Leute im Dorf hatten ihn und seine Frau ganz seltsam angesehen, wenn sie hin und wieder zum Einkaufen zurückgekehrt waren, so als ob sie etwas Unrechtes getan hätten.

Der Anfang war nicht einfach gewesen. Sie hatten schwer gearbeitet, und die Frau war ihm tüchtig zur Hand gegangen. Sie hatte sich nicht geschont. Er erinnerte sich noch an das Gefühl von Glück, als sie zum ersten Mal in der neu erbauten Hütte vor dem Feuer gesessen waren.

„Sieh nur", hatte sie immer wieder gesagt, „wie schön es brennt und wie gut der Kamin zieht."

Er hatte sie zärtlich in den Arm genommen und hätte gerne die Zeit angehalten.

Der Acker war nun zur Hälfte gepflügt. Er lag auf einer Lichtung mitten im Wald. Ramram hatte viele Bäume gefällt, um Platz für ihn zu schaffen. Nun wischte er sich den Schweiß von der Stirn, streckte sich und sah sich um. Irgendetwas hatte sich in der letzten halben Stunde verändert. Doch er wusste nicht, was es war. Trotz des grellen Tageslichts war der heiße, friedliche Nachmittag unheimlich geworden. Ramram schauderte es.

Plötzlich erkannte er, was anders war. Eine erdrückende Stille hatte sich über das Land gelegt. Kein Vogel war mehr zu hören, kein Lüftchen bewegte ein Blatt. Kein Hase hoppelte über den Acker. Nichts mehr war zu hören. Nur sein Herz konnte Ramram vernehmen. Es schlug schnell und laut. Er meinte, das Pochen müsste die ganze Lichtung erschüttern.

„Dummes Herz, sei ruhig!" sagte er, „du wirst mir doch jetzt keine Schwierigkeiten machen!"

Aber sein Herz hörte nicht auf ihn, sondern schlug noch schneller und noch lauter, während die Sonne unbeeindruckt vom Himmel brannte. Ramram wusste plötzlich, dass er fliehen musste und ihm dazu nicht mehr viel Zeit blieb. Er ließ Pflug und Ochsen stehen und rannte los. Er lief quer über die frisch aufgeworfene Erde und war schon nach wenigen Schritten schweißnass und außer Atem. Immer wieder rutschte er auf dem staubigen, trockenen Boden aus, taumelte, fing sich wieder und rannte weiter. Seine Angst legte sich bleiern auf seine Glieder und hemmte seinen Lauf.

Ramram war noch nicht weit gekommen, als er plötzlich zusammenbrach. Fünf schwarze Pfeile hatten seine Brust und seinen Rücken durchbohrt. Das letzte, was er sah, war ein Berg, der sich vor ihm auftürmte. Er lag in einer Furche, die er selbst geschaffen hatte.


Die schwarzen Gestalten, die ihn getötet hatten, kümmerten sich nicht um den Bauern. Sie ließen ihn dort liegen, wo er zusammengebrochen war, und würdigten ihn keines weiteren Blickes. Irgendein Bauer war gestorben, jemand, nach dem kein Hahn krähen würde. Die Welt würde dadurch nicht verändert werden. Wer würde an so einen unbedeutenden Vorfall einen Gedanken verschwenden! Sie zogen vorüber, schweigend und grausam. Man hatte sie geschickt. Sie waren Teil eines großen Planes. Sie wussten, dass sie die Welt verändern würden, und sie waren stolz darauf.

Eine kleine Gestalt, tief verborgen im Dickicht des Waldes, hatte das grausame Geschehen aufmerksam verfolgt. Als die wilde Horde weitergezogen war, trat sie aus ihrem Versteck hervor und ging zu dem zusammengebrochenen Bauern. Zart schloss sie ihm die Augen. Ramram bekam ein Grab unter einer großen Buche.

Nachdenklich sah der Beobachter schließlich auf die tönerne Flasche. Die schwarzen Gestalten hatten sie mit ihren schweren Stiefeln zerbrochen. Dann hatte er einen Entschluss gefasst. Centratur brauchte dringend Hilfe, und er wollte sie holen.


Im Heimland


Ein wunderschöner Sommer, dem sich ein kurzer Herbst angeschlossen hatte, war vergangen, und nun stand der Winter vor der Tür. Die Bauern hatten eine reiche Ernte eingefahren. Die schweren Ähren des goldgelben Getreides lagen in den Scheuern und warteten darauf gedroschen zu werden. Abgeerntet waren auch die Äste der Apfel- und Birnbäume, die sich unter der Last der Früchte bis zum Boden gebeugt hatten und gestützt werden mussten. Die Beeren in Wald und Feld waren gezupft und eingemacht, der weiße Kohl in großen Fässern gestampft. Kammern, Keller und Scheuern waren bis zum Bersten gefüllt. Sogar das Bier schmeckte ausgezeichnet.

Die Zeit des Großen Krieges war seit einem halben Jahrhundert vorbei und die Leute im Heimland mit der Entwicklung zufrieden. Sie nannten sich Erits und waren Menschen von geringer Körpergröße. Die wenigsten der großen Leute hatten je einen Erit getroffen, und man interessierte sich auch nicht für sie. In der Welt galten sie als scheu und feige. Konnte man von kleinen Leuten überhaupt Mut verlangen? Aber wenn vom Großen Krieg erzählt wurde, gab es einige Alte, die behaupteten, den endgültigen Sieg habe man der Beherztheit und dem Einsatz von Erits zu verdanken. Dies konnte natürlich nicht stimmen, und man schmunzelte immer wieder über diese seltsamen Legenden.

Überhaupt war dieser Große Krieg schon so lange her, dass sich nur noch wenige an ihn erinnerten. Er war inzwischen Geschichte geworden und diente als Quelle für Geschichten. Auch Ormor, den dämonischen Führer, der diese Kriege angezettelt hatten, sah man eher als legendäre Sagengestalt denn als eine reale Figur.




Die Tage wurden nun im Heimland merklich kürzer, und die Erits bereiteten sich auf die kalte Jahreszeit vor.

Der alte Mog blickte zufrieden auf den großen Stapel Brennholz, den er unter einem kleinen Dach neben seinem Haus, das er Gutruh nannte, aufgestapelt hatte. Mog war Gärtner und hatte es mit seiner Frau Ev zu bescheidenem Wohlstand gebracht. Sie hatten vier Kinder, von denen inzwischen die Älteste, Almira, einem braven Erit ihre Hand gegeben hatte und nach Weststadt gezogen war. Til, der älteste Sohn, war seit zwei Jahren außer Haus. Man hatte ihn nach Nordhausen verdingt, damit er dort das ehrbare Schmiedehandwerk erlerne. Der junge Erit hatte starke Muskeln, und seine Eltern waren stolz auf ihn. Er liebte die Mutter über alles, deshalb war ihm der Abschied vom Elternhaus sehr schwer gefallen. Aber der Vater hatte auf der Abreise bestanden. Er wollte den Sohn von den Rockschößen der Mutter lösen. Der Wind der weiten Welt sollte ihm ein wenig um die Nase wehen. Außerdem galt der Schmied in Nordhausen als der beste im ganzen Heimland. Es war eine Ehre von Meister Schwarzfuß ausgebildet zu werden. Noch immer schrieb Til regelmäßig jede Woche drei Briefe an die Mutter, die jedoch immer kürzer wurden, seit er ein Mädchen namens Kirschlocke kennen gelernt hatte.

Marc und Pet wohnten noch daheim. Marc war unstet und streifte oft tagelang durchs Heimland, aber Mog mochte seinen Sohn und ließ ihn gewähren.

Pet, der Jüngste, war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und erlernte die Gärtnerei. Er war ein lustiger Bursche, aber häufig krank.


Der Sommer und die Ernte waren im Heimland gut gewesen. Das konnte man von den Nachrichten, die von außen ins Land kamen, nicht behaupten. Im fernen Whyten war der König gestorben. Überall in Centratur und an den Grenzen war Aufruhr ausgebrochen. Es hieß, längst vergessene Gestalten, die man bereits ins Reich der Fabel verwiesen hatte, seien wieder aufgetaucht. Sogar von Orokòr war die Rede. Noch war im Heimland wenig davon zu merken, und so behandelte man die Gerüchte als spannende, wenn auch etwas gruselige Abwechslung im gleichförmigen Alltag. Aber die Alten, die sich noch an die schlimmen Zeiten des Großen Krieges erinnerten, hoben mahnend ihre Finger.


Im ‚Hirsch’, der alten Gaststätte an der Mühlendorfer Straße, wurde wie an jedem Abend heiß debattiert. Da schlugen die Gäste mit den Fäusten auf die Tische, dass das Bier überschwappte, und riefen, die Strolche sollten nur kommen, denen werde man es schon zeigen. Man habe keine Angst vor den großen Leuten. Im Heimland gebe es schließlich noch Männer. Andere beklagten sich, dass sich alles zum Schlechten verändere; früher sei alles viel besser gewesen. Nun sei man im Heimland seines Lebens nicht mehr sicher. Dagegen müsse etwas unternommen werden. An allem seien, sagten Dritte, nur die Fremden Schuld, die man jetzt aller Orten antreffe. Besonders die Flüchtlinge sollten besser schon an der Grenze abgefangen und zurückgeschickt werden. Die Behörden müssten sofort und härter durchgreifen. Furcht vor irgendwelchen Feinden, darin waren sich alle einig, habe man natürlich nicht. Die Eritmänner hätten in aller Welt einen so abschreckenden Ruf, dass sich Schurken nicht über die Grenzen des Heimlands wagen würden.

Mog saß nachdenklich in der Ecke neben dem Kamin, trank sein Bier und schüttelte hin und wieder unwillig den Kopf über das wirre Gerede. Ihn störten nicht die Widersprüche und auch nicht die Angebereien, aber er wusste aus eigener Erfahrung um die Gefahren, die jenseits der Grenzen lauerten. Dort gab es Wesen, die so mächtig waren, dass es sich diese Zecher nicht einmal vorstellen konnten.

Zu allem Unglück war das Heimland in diesen unsicheren Zeiten ohne Schutz. Die beiden vom König eingesetzten Herren waren zu den Beerdigungsfeierlichkeiten ins ferne Whyten gezogen. Sie hatten das Heimland ohne Sorgen verlassen, denn es war abgelegen und schien ihnen deshalb sicher. Im Vertrauen darauf hatten sie Vorsorge für unnötig gehalten und niemanden ausdrücklich mit der Verteidigung des Landes beauftragt. So waren die Grenzen unbewacht. Die zurückgebliebenen Soldaten der Grafen, die besten hatten sie mit auf die Reise nach Whyten genommen, waren ohne Führung kaum zu gebrauchen. Die Bürger des Landes blieben auf sich selbst gestellt.

Mog war froh, dass er handfeste Söhne hatte, auf die er sich verlassen konnte. Zudem gab es noch den alten Schmalried, der in Blumendorf wohnte. Er war ein Freund und hatte das Herz auf dem rechten Fleck. Hin und wieder besuchte ihn dieser auf Gutruh. Dann saßen die beiden in dem kleinen Zimmer mit dem großen Kamin. Sie schauten durch das Fenster in den Garten, der noch immer der schönste im ganzen Heimland war, und erzählten von alten Zeiten. Wenn die Rede auf seine alten Freunde Til und Aramar kam, traten Mog regelmäßig die Tränen in die Augen. Er sehnte sich nach den Gefährten früherer Jahre. Bei Sonnenuntergang holte Mog in der Regel einen Krug Wein aus dem Keller, den sie genüsslich tranken. Spät in der Nacht setzte sich Schmalried dann auf seinen Wagen und kutschierte über einen dunklen Hohlweg nach Hause. Das Pferd musste dabei den Weg alleine finden.

Auf Schmalried konnte man zwar zählen, dachte sich Mog, aber er war vom Alter gezeichnet. Er würde nicht mehr zu Knüppel und Lanze greifen, selbst wenn Not am Mann war.


Der Bauer Pflugmann, der werktags wie sonntags in seiner alten Arbeitshose und mit lehmigen Schuhen herumlief, ergriff das Wort. Sein Hof lag östlich von Gutruh in der Nähe der Mühle. Gewöhnlich erzählte er jedem, wie schlecht die Zeiten und die Ernten waren, und dass ein armer Bauer einfach kein Auskommen mehr hatte, mochte er auch noch so viel arbeiten. Seltsamerweise widersprach ihm niemand, obwohl alle wussten, dass diese Klage nicht wahr sein konnte. Pflugmann kaufte Jahr für Jahr ein Stück Land nach dem anderen zu seinem Besitz dazu.

Heute erhob er nicht die Stimme, um zu jammern, sondern sagte aufgebracht: „Was kümmert es uns, dass der König tot ist? Hat er sich denn je um uns gekümmert? Keiner der hohen Herren hat mir meinen Acker gepflügt oder mein Korn gedroschen. Nur Abgaben und Steuern wollen sie haben. Die können mir gestohlen bleiben mit ihrem Schutz, von dem immer die Rede ist.

Der König ist tot, na und? Was Besseres, das sage ich euch, kommt nicht nach. Also lasst mich in Ruhe mit eurem Lamentieren. Wenn man seine Arbeit macht, niemandem etwas wegnimmt und niemandem etwas tut, dann hat man keine Feinde und muss sich nicht fürchten. Dann braucht man auch keinen Schutz und keinen König und keine Herren. Die ziehen einen doch nur in ihre Streitereien mit hinein. Wir müssen den Kopf hinhalten und die Suppe auslöffeln, auch dann noch, wenn die da oben sich längst wieder vertragen."

Bei diesen Worten musste Mog an den König von Whyten denken, den er gut gekannt hatte, und Trauer erfüllte sein Herz. Er stellte seinen Krug mit einem lauten Knall auf den Tisch und sagte langsam: „Ohne den König Meliodas könntest du nicht hier sitzen, Bauer Pflugmann. Du redest so, weil du es nicht besser weißt. Hast du nichts von den Kämpfen gehört, die er gegen Ormor und seine wilden Horden gefochten hat, und die uns allen erst die Freiheit gebracht haben? Möchtest du von Ormor versklavt sein? Das wärst du nämlich, wenn es diesen König nicht gegeben hätte.

Wer hat all die Jahre die Grenzen des Heimlandes in schlimmen wie in guten Zeiten geschützt? Was glaubst du denn, wem du den Frieden verdankst, indem du ein Feld nach dem anderen aufkaufen kannst? Du solltest deine Zunge etwas hüten!"

Da sich der alte Mog selten in die Gespräche einmischte, hatten alle in der Stube aufgehört zu reden und aufmerksam zugehört. Nun war einen Moment lang betretenes und erstauntes Schweigen. Auch der Bauer Pflugmann war kurze Zeit sprachlos. Dann aber nahm er einen tüchtigen Schluck Bier und wandte sich der Kaminecke zu, wo der unerwartete Widersacher saß.

„Ich weiß nicht, was du mit diesem Ormor hast, Mog? Immer erzählst du von ihm und seinem Land Darken, wie machthungrig er gewesen war und was für einen heldenhaften Kampf ihr damals gefochten habt. Aber keiner von uns weiß, ob das alles nicht nur pure Angeberei ist. Ob du dich vielleicht nur selbst zum Helden machst? Von deinem viel beschworenen Krieg haben wir alle hier recht wenig mitbekommen. Sicher, es mag zu Kämpfen gekommen sein, aber ihr Alten übertreibt doch immer. Wer sagt uns denn, dass es diese Orokòr, von denen immer die Rede ist, überhaupt gibt? Ich habe sie noch nicht gesehen und kenne auch keinen, der sie mir wirklich beschreiben könnte. Vielleicht existieren sie nur in Geschichten, die den Kindern Angst machen sollen? Vielleicht bist du nie weiter als nach Weiler gekommen. Vielleicht haben deine Abenteuer nur in deinem Kopf stattgefunden, nachdem du zu viel Bier im ‘Blauen Krug’ getrunken hast?"

Diese Worte waren eine offensichtliche Gemeinheit. Jedermann war bekannt, dass sich Mog im Großen Krieg große Verdienste erworben hatte. Sein Name stand auf der Ehrenliste, in der alle Helden aufgeführt waren. Ja, sein beherztes Eingreifen soll für den Sieg sogar ausschlaggebend gewesen sein. Aber Mog schwieg, und weil Widerspruch ausblieb, kam Bauer Pflugmann immer mehr in Fahrt.

Gehässig fuhr er fort: „Wenn ich das schon höre: Heldentum! Helden sind entweder Dummköpfe oder Wichtigtuer. In der Regel wird das Heldentum von denen da oben nur gepriesen, um uns klein zu halten und uns für ihre Kämpfe gefügig zu machen. Und dann immer dieses Gerede von den Abenteuern. Abenteuer sind Geschichten aus Büchern. Wir geben sie unseren Kindern zum Lesen, solange sie vom wirklichen Leben noch nichts verstehen. Das Abenteuer von uns großen Leuten ist die tägliche Arbeit. Unsere Gefahren sind zu viel Regen für unser Getreide und zu viel Sonne für unsere Rüben.

Ich möchte diesen Kinderkram von Grenzen-Bewachen und Kämpfe-Ausfechten nicht noch abends in meinem Wirtshaus hören. Dort will ich mich nach einem Tag voll harter Arbeit entspannen. Ich muss für mein tägliches Brot ganz schön schwitzen. Nur wenn man keine Sorgen im Alltag hat, kann man sich leisten, von Gefahren und Abenteuern zu träumen und anderen Leuten damit auf die Nerven zu gehen."

Das war starker Tobak, und Mog saß mit bleichem Gesicht auf seiner Bank. Am liebsten wäre er diesem unverschämten Kerl an die Gurgel gesprungen. Aber er beherrschte sich.

„Du redest so, weil du es nicht besser weißt", antwortete er zähneknirschend. „Es würde mich interessieren, ob du den Markgrafen unseres Landes und den Grafen von Waldmar auch so unverschämt anreden würdest? Die können nämlich alles bestätigen, was ich je erzählt habe."

„Das habe ich mir beinahe gedacht, dass du jetzt mit deiner noblen Bekanntschaft auftrumpfst. Aber die Herren sind nicht hier, sondern irgendwo in der Welt. Es steht auch gar nicht fest, ob sie dein Geschwätz auch beglaubigen würden. Ist es nicht seltsam, dass diese hohen Herrschaften so wenig von dir wissen wollen, obgleich du dich ihnen angebiedert und sogar deine Kinder nach ihnen genannt hast? Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen, hä?"

Bei so viel gemeinem Spott blieb Mog nichts übrig als aufzustehen, eine Münze auf den Tisch zu werfen und wortlos zu gehen. Als er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, hörte er wie in der Wirtsstube auf einmal alle durcheinanderredeten. Verdrossen machte er sich auf den Heimweg.

Bauer Pflugmann hatte einen wunden Punkt in Mogs Leben angesprochen. Dieser war Mogs Beziehung zu seinen ehemaligen Gefährten, Marc und Pet. Zusammen hatten sie große Abenteuer und Gefahren bestanden und waren weit in der Welt herumgekommen. Im Großen Krieg hatten sie das ihre zum Sieg der guten Sache beigetragen. Gemeinsam waren sie schließlich zurückgekehrt. Mog hatte zwei seiner Kinder nach ihnen benannt, und sie waren bereit gewesen, die Gevatternschaft zu übernehmen. Aber, und das wurde Mog nun schmerzlich bewusst, die ehemaligen Weggenossen wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben.

Pflugmann hatte mit seinem Spott recht gehabt, so wie auch in vielem von dem, was er sonst noch gesagt hatte, ein Körnchen Wahrheit lag.


Marrham, den man nur Marc nannte, und Pet von Hagen, die beiden fröhlichen Freunde, mit denen Mog in der Vergangenheit so viele Abenteuer erlebt hatte, waren nicht nur in Whyten und Equan, sondern auch im Heimland angesehene Männer geworden.

Marc, der heutige Graf von Waldmar, über dessen Späße selbst König Meliodas gelacht hatte, war braungebrannt und selbstbewusst aus dem Krieg in die Heimat zurückgekehrt. Seine große Familie wählte ihn, der nun berühmt war, zum neuen Oberhaupt. Von nun an nannte er sich nicht mehr Marc, sondern Marrham. Er wurde ernster und gesetzter. Bald machte er sich daran und baute das alte Schloss, den Stammsitz seiner Familie, weiter aus. Waldmar lag jenseits des großen Flusses und war ein kleines, aber selbstständiges Land. Es war vom Heimland durch den Erfstrom getrennt. Schon vor vielen Generationen hatten Marrhams Vorfahren Teile des Wilden Waldes gerodet. Es mussten mutige und abenteuerliche Leute gewesen sein, die es gewagt hatten, das sichere Heimland zu verlassen.

Marrham war ein Ritter Equans im Großen Krieg geworden, und irgendwann verlieh ihm der ferne König, zu dem Marc weiterhin gute Verbindungen unterhielt, auch den Titel eines Grafen. Waldmar gedieh unter seiner Führung und blühte noch mehr auf, als schon unter seinen Vorfahren. Die Leute in Waldmar waren stolz auf die Entwicklung, die ihr Land genommen hatte. Sie begannen, ‘ihren’ Grafen zu verehren.

Graf Marrham residierte im Schloss und richtete sich in einem Jagdhaus, das er Waldlust nannte, noch einen zweiten Wohnsitz ein. Dorthin zog er sich zurück, wenn er sich von seinen Herrscherpflichten ausruhen wollte. Im fünften Jahr seiner Erhebung zum Grafen hatte Marrham geheiratet. Er nahm die Tochter einer angesehenen Familie aus Nadelholz zur Frau. Sie hieß Rosana, war eine gute Partie, sehr schön und sehr vornehm. Nach zwei Jahren wurde eine Tochter geboren, der sie den Namen Akandra gaben. Sie liebten und hüteten sie sehr.

Der zweite Sohn von Mog trug den Vornamen des Grafen und hatte ihn zum Gevatter. Jedes Jahr im Sommer wurde er für vierzehn Tage auf Waldlust empfangen. Der Herr fragte ihn dann nach dem Stand seiner Ausbildung und gab ihm ein kleines Geschenk. Die Gabe fiel nie üppig aus, denn sie sollte dem Patensohn nicht zu Kopfe steigen und ihn nicht über seinen Stand hinaus erhöhen. Aber zusätzlich erhielt Mogs Sohn viele gute Ratschläge, die in den Augen des Grafen Marrham das Wertvollste waren, was er geben konnte.

Akandra von Waldmar war eine schöne junge Dame. Sie hatte zierliche Füße, weiches, seidiges Haar und eine entzückende Stupsnase. Dazu war sie klug und von gewinnendem Wesen. Die Augen ihres Vaters ruhten mit Wohlgefallen auf ihr. Sie kannte ihre Vorzüge und ihre gesellschaftliche Stellung und wusste, dass sie sich von gemeinen Menschen fernzuhalten hatte. Der alljährliche Besuch des Gärtnersohns, der sogar mit ihnen zusammen am großen Tisch im Schloss speisen durfte, war ihr ein Dorn im Auge. Wenn Marc in seinen besten Sonntagskleidern erschien, hatte Akandra stets nur einen geringschätzigen Blick für ihn übrig. Auch wenn ihn seine Eltern noch so sehr herausputzten, er blieb ein Gärtnersohn. Vielleicht, so dachte sie sich, wenn er sich ordentlich verhielte und noch ein paar Manieren lernte, würde er ihr einmal den Garten pflegen dürfen.

Marc fühlte sich bei seinem hochherrschaftlichen Paten nicht wohl und kam Jahr um Jahr seiner Besucherpflicht mit größerem Widerwillen nach. Akandra hielt er für geziert und albern, ihr Gehabe amüsierte ihn. Er war ein hübscher Junge, der sich am Abend mit den Mädchen des Dorfes am alten Brunnen traf. Dort wurde viel gelacht und gesungen. In Waldlust hörte er niemals Singen. Wenn ihm sein Vater erzählte, was für ein fröhlicher Geselle sein Namenspatron doch früher gewesen war, so konnte er es kaum glauben.


Auch der Sohn Pet hatte einen im Heimland äußerst angesehenen Namenspatron. Pet von Hagen war der zweite noble Herr, mit dem Mog aus dem Großen Krieg zurückgekehrt war. Beiden Begleitern galt im ganzen Land der höchste Respekt. Im Zusammenhang mit dem Großen Krieg fiel auch manchmal der Name von Mog. Dann wurde gerätselt, weshalb die beiden Helden, Pet und Marrham, damals so einfache Leute wie Mog und Til auf ihre Abenteuerfahrt mitgenommen hatten.

Pet, aus der Familie der Hagen, so sagte man, soll sogar die rechte Hand des großen Königs gewesen sein. Dieses Gerücht schien der Wahrheit zu entsprechen, denn Pet wurde bald nach seiner Rückkehr der Titel eines Markgrafen und das ganze Heimland vom König als Lehen verliehen. Wie wäre sonst diese große Auszeichnung zu erklären? Alle Heimländer waren von da an seine Untertanen, und sie waren stolz, dass sie einen Ritter zum Herrn hatten. Der Markgraf legte sich ein Wappen zu. Es zeigte ein Einhorn zwischen drei Bäumen, umgeben von einem Kranz von Sternen.

Mog wusste natürlich, dass Pet im Großen Krieg nur eine unbedeutende Rolle gespielt hatte. Aber er war mit den Mächtigen zusammen gewesen, und die hatten den freundlichen und stets fröhlichen Erit liebgewonnen. In wirkliche Kämpfe war Pet nie verwickelt worden. Als es später darum ging, im Heimland eine ordentliche Verwaltung aufzubauen und eine dem Königshaus verpflichtete Autorität einzusetzen, erinnerte man sich an den netten Gesellen aus alten Tagen. Der König schlug Pet zum Ritter und machte ihn zum Markgrafen über das kleine, abgelegene Land.

Der frisch gebackene Markgraf heiratete eine vornehme Frau mit Namen Ludmilla. Sie bekam vier Kinder, drei Mädchen und einen Jungen, der als Stammhalter besonders gefeiert wurde.

Der Markgraf war ein nobler und ein guter Herr. Niemand musste sich über ihn beklagen. Nur seine Töchter fanden keine Ehemänner, weil unter den Erits des Landes keiner standesgemäß genug für eine Heirat war. Sie blieben deshalb, obgleich sie längst das heiratsfähige Alter überschritten hatten, in dem prächtigen Schloss wohnen, das sich Pet in Hochhag, mitten in den Windbergen gebaut hatte.

Völlig aus der Art geschlagen war des Markgrafen Sohn. Er hieß Horsa und streifte oft allein in den Wäldern umher. Auch las er Bücher, die von den alten Zeiten handelten. Seine Eltern sahen diese Lektüre nicht gern. Der Sohn war ihnen zu verträumt. Er sollte schließlich einmal die Herrschaft übernehmen und hatte sich beizeiten darauf vorzubereiten.

Horsa traf regelmäßig die Kinder von Mog und tollte mit ihnen durch die Auen und über die Felder. Sie wanderten gemeinsam durch die Nacht und erkundeten das Land vom großen Strom im Süden bis zu den Bergen im Norden. Dass sich ein Markgrafensohn für seinen Besitz interessierte und das Heimland genau kennen lernen wollte, war in Ordnung. Die Kinder von Mog jedoch, da herrschte Einigkeit bei seinen Eltern, waren kein Umgang für einen angehenden Herrscher. Auch die übrigen Leute schüttelten den Kopf über diese seltsamen Freundschaften. Klar war auf jeden Fall, dass Horsa eines Tages Akandra von Waldmar heiraten würde. Sie war für ihn die einzige akzeptable Partie im ganzen Heimland. Noch hatten die beiden Herrscherkinder nicht für einander Feuer gefangen, aber dies, da waren sich alle sicher, würde schon noch kommen.

Mog erinnerte sich an eine seltsame Episode, die seine Söhne ihm einmal erzählt hatten. Gemeinsam mit Horsa hatten sie im Mühlenbach mit Haselnussruten und Regenwürmern, die auf gebogene Nadeln gespießt waren, geangelt. Schon dieser barbarische Akt des Aufspießens hatte Horsa mit Widerwillen erfüllt. Als er dann tatsächlich einen Fisch gefangen hatte, brach der Junge in Tränen aus. Er bestand darauf, dass der Fisch sogleich wieder zurück ins Wasser geworfen wurde.

Die Kinder von Mog mochten Horsa. Aber sie wunderten sich über ihren Freund. Nicht nur sie fragten sich, ob Horsa wohl der rechte Herrscher für das Heimland wäre. Dabei hatte er eine eindrucksvolle Statur. Er war sehr groß gewachsen und glich darin seinem Vater, der ebenso wie Marrham seine Landsleute um Haupteslänge überragte. Aber Kraft und Aussehen allein machten eben noch keinen Markgrafen. Dazu gehörte eine bestimmte Art des Denkens und Handelns, und die ließ der Junge vermissen.


Mog war, obwohl er nur einen Krug Bier getrunken hatte, an diesem Abend etwas unsicher auf den Beinen und brauchte länger als gewöhnlich von der Gastwirtschaft nach Gutruh. Ev war noch auf, sie hatte auf ihn gewartet. Marc und Pet waren bereits schlafen gegangen. In dieser Nacht sprachen die beiden Eheleute noch lange miteinander, bevor sie zu Bett gingen. Mog machte sich große Sorgen um die Zukunft und schüttete Ev sein ganzes Herz aus. Er erzählte ihr auch, was er sich im ‘Hirsch’ hatte gefallen lassen müssen.

„Undank ist der Welt Lohn", sagte seine Frau. „Man hat ganz und gar vergessen, was das Heimland, ja die Welt, dir zu verdanken hat! Wenn der Herr Aramar und all die anderen hier wären, dann würde es keiner wagen, so zu reden. Ganz besonders Herrn Aramar bräuchten wir in diesen schweren Zeiten."

Aber da war keine Hoffnung, dass Aramar jemals wieder nach Centratur zurückkehren würde und schon gar nicht nach Heckendorf.


Ein unerwarteter Besuch


Der Winter verging und auch der Frühling, ohne dass etwas Berichtenswertes vorgekommen wäre. Nur das Wetter beschäftigte wie immer die Gemüter. Dies änderte sich im Juli. Am vierzehnten kurz nach drei Uhr nachmittags schob sich plötzlich ein Schatten vor die Sonne. Es wurde etwa eine Viertelstunde lang so dunkel wie in der Nacht. Alle schauten entgeistert zum Himmel. Manche Erits fielen sogar auf die Knie. Von den Flüchtlingen auf der Oststraße hörte man später, dass sie in Verzweiflungsrufe ausgebrochen und verwirrt und hilflos hin und her gelaufen sein sollen.

In der darauffolgenden Nacht ereignete sich ein weiteres Mirakel. Am wolkenlosen, sternenübersäten Nachthimmel erschien ein großer, heller Stern, der einen Schweif hinter sich herzog. Wie ein Lauffeuer sprach sich diese seltsame Naturerscheinung herum und jedermann lief ins Freie, um das Schauspiel zu bewundern. Während alle in die Nacht starrten, stürzte ein runder, feurig lodernder Ball aus der Unendlichkeit des Universums zur Erde und verschwand am Horizont.

Die Erits waren zu Tode erschrocken. Viele liefen zurück in ihre Häuser, andere warfen sich zu Boden und bedeckten den Kopf mit den Händen. Manche rannten in den Wald und wollten nicht mehr zurück ins Dorf. Noch am nächsten Tag, als alles wie ein böser Traum der vergangenen Nacht erschien, wurde heiß debattiert und die Naturerscheinungen kommentiert. Die Jungen äußerten in diesen Gesprächen viele Vermutungen, wussten aber nichts Genaues. Die Alten hingegen waren in ihrem Element. Aus den reichen Erfahrungen ihres Lebens gaben sie den Grünschnäbeln Hinweise, was sie von den Ereignissen zu halten hatten. Die einen sagten, dass sich durch diese Himmelszeichen ein schlimmes Schicksal ankündige, und dass man sehr auf der Hut sein müsse. Sie sprachen von Pestilenz und Krieg, von Erdbeben und sogar vom Weltuntergang. Andere mit grauen Haaren lachten über den Aberglauben. Derartige Zeichen der Natur hätten sie in ihrem Leben schon häufig gesehen, und nie sei etwas Schlimmes danach passiert. Sie schalten die Mahner und Unheilkünder als Narren und Angstmacher.

Die Leute im Heimland spalteten sich in zwei Lager. Jedes Gespräch, ob im Wirtshaus oder am Gartenzaun, endete in unversöhnlichem Streit. Über die Sonne, den Nachthimmel und die Hitze vergaßen die Erits alles andere, was in der Welt vor sich ging.


Dabei gab es gewiss wichtigere Themen, die zu besprechen gewesen wären. Die Nachrichten aus dem Ausland wurden nämlich immer besorgniserregender. Täglich liefen Zwerge und andere fremdartige Gestalten hastig über die Straßen zu unbekannten Zielen. Bei ihrer kurzen Rast in Gasthöfen oder am Straßenrand berichteten sie über so manche seltsame Begebenheit und verbreiteten mit ihren Erzählungen Angst und Schrecken.

Dazu wuchs der Strom der Flüchtlinge mit jeder Woche an. Lange Trecks durchquerten das Heimland. Den Leuten war nur die armselige Habe geblieben, die sie mit sich schleppen konnten. Auf ihren Gesichtern stand noch immer die Furcht, und ihre Körper waren gezeichnet von den durchgemachten Leiden. Diese Fremden, die nun überall anzutreffen waren, erschreckten die Erits und machten sie gleichzeitig wütend. Was wollten diese Menschen in ihrem schönen Heimland? Brachten sie das Unheil nicht gleichsam mit? Gab es bei den Erits nicht schon Sorgen genug? Kriege sind sicherlich schlimm, doch wen kümmern Kriege jenseits der Grenzen, wenn im eigenen Garten die Pflanzen verdorren?


Das größte Unglück aber war, dass die beiden Grafen, Pet von Hagen und Marrham, von ihrer Fahrt ins ferne Whyten noch immer nicht zurückgekehrt waren. Der Tod des Königs war für alle überraschend gekommen. Nie hätte jemand damit gerechnet, dass Meliodas aus dem Geschlecht der großen Hochkönige sterben könnte. Nun, nachdem das Ungeheuerliche doch eingetreten war, ging der Kontinent einer ungewissen Zukunft entgegen. In den Herbergen und an den Lagerfeuern, von den Küsten bis zum Thaurgebirge wurde gefragt und gerätselt, warum der Friede nach so kurzer Zeit ein so jähes Ende gefunden hatte. Frech und keck krochen die Kreaturen der Dunkelheit aus ihren Schlupflöchern, in denen sie sich versteckt gehalten hatten. Orokòr tauchten auf und überfielen Reisende. Dörfer und Höfe wurden von marodierenden Soldaten geplündert und in Brand gesteckt. Die Straßen waren nicht mehr sicher.

Wer würde nun die Regentschaft übernehmen? Wer die Guten schützen und die Bösen strafen? Die Ehe von Meliodas mit Lunete, der Achajertochter, war kinderlos geblieben. Es gab keinen Erben. Schon meldeten sich Noble, die bereit waren, die Last der Krone zu tragen. Streit entbrannte unter ihnen um die Königswürde. Ein andermal hieß es, Meliodas habe ein Testament hinterlassen. Der Inhalt sei aber nicht bekannt und seine Gültigkeit umstritten. In Wirklichkeit wusste niemand etwas Genaues von den Vorgängen im fernen Whyten.


Es war ein trüber Abend im Herbst. Mog, seine Frau und die Kinder hatten es sich um den großen Kamin in Gutruh bequem gemacht, als es leise an die Tür klopfte. Verwundert blickten alle auf. Man erwartete so spät keine Gäste mehr. Als Pet die Tür öffnete drang dröhnendes Gelächter in die Stube. Es war ein Gelächter, das Mog über all die Jahre nicht vergessen hatte.

„Aramar“, rief er und sprang auf.

Da trat ihm an der Zimmertür schon der Zauberer entgegen. Er hatte Pet einfach beiseitegeschoben. Der große und der kleine Mann lagen sich in den Armen. Kurze Zeit später, der Gast hatte seine nassen Kleider abgelegt und die Stiefel ausgezogen, saßen sie alle behaglich um das warme Kaminfeuer. Während Ev ein spätes Abendessen zubereitete, trank der Alte gemütlich aus einem Krug Bier und fragte Mog, was sich in all den Jahren in Heckendorf getan habe.

Nachdem Mog ausführlich berichtet hatte, wandte er sich an den Zauberer und fragte: „Was führt dich ins Heimland, Aramar?“

Dieser schaute durch Mog hindurch in weite Fernen. Sein Gesicht war plötzlich sehr ernst und sehr alt geworden. Ein eisiger Schrecken legte sich bei diesem Anblick auf Mogs Herz. So hatte er Aramar nur in größter Not gesehen.

Er wies seine beiden Jungen an, ins Bett zu gehen. Als sie gegangen waren, breitete sich tiefes Schweigen im Raum aus.

„Eure Welt“, sagte der Zauberer endlich, „so die Nachrichten, die mir zugekommen sind, steht vor dem Abgrund. Ich musste zurückkommen, obgleich ich mir vorgenommen hatte, dieses Land nie wieder zu betreten. Ihr hattet endlich einen guten und mächtigen König. Ormor war besiegt, und ihr, so meinte ich, solltet ab jetzt eure Probleme ohne uns Zauberer lösen.

Aber ich glaube, für das, was jetzt auf euch zukommt, wird meine Hilfe noch einmal gebraucht. Schlimme Dinge, so hat man mir hinterbracht, sind in der Zwischenzeit geschehen. Aber noch weiß ich zu wenig und bin auf Vermutungen angewiesen. Im Übrigen eignet sich die Nacht nicht für solch düstere Geschichten.“

„Um Himmels willen“, sagte Mog, „du machst mir Angst. Ist die Not denn schon wieder so groß? Wir haben den Feind doch besiegt und all seiner Macht beraubt?“

„Ich weiß selbst noch nichts Genaues, aber das Wenige erschreckt mich sehr. Doch wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren. Vielleicht kommt noch Hilfe, obgleich ich keine Vorstellung habe, wer sie bringen sollte. Auf jeden Fall werden wir kämpfen. Aber nun genug für heute. Bei Tageslicht ist das, was ich zu sagen haben, leichter zu ertragen.“

Trotz der Wiedersehensfreude gingen alle bedrückt zu Bett, und Mog und Ev konnten lange nicht einschlafen.


Am nächsten Tag war die Luft klar und rein. Es versprach, ein schöner Tag zu werden. Mog freute sich herzlich über Aramars Besuch und führte ihn durch seinen Garten und das Haus. Als die beiden Männer auf der schmalen Bank vor der Haustür saßen, begann Mog vorsichtig: „Aramar du hast gestern Abend Andeutungen über die Lage in der Welt gemacht. Darf ich dich nun bei Tageslicht bitten, mir reinen Wein einzuschenken?“

Der Zauberer antwortete nicht sogleich. Nach einer Weile brummte er: „Das ist schon richtig. Du hast ein Recht, alles zu erfahren. Das Dumme ist nur, dass ich selbst bisher recht wenig Konkretes weiß. Also rufen wir uns noch einmal die Geschehnisse der Vergangenheit ins Gedächtnis zurück. Vielleicht sehen wir dann etwas klarer. Mog, erzähl noch einmal die ganze Geschichte, damit wir uns genau erinnern.“

Der Erit nickte. Er erinnerte noch einmal an den Großen Krieg, und wie es dazu gekommen war. Noch einmal kehrten die lange vergangenen Ereignisse in ihre Erinnerung zurück. Wie Ormor, allen Friedensbeteuerungen zum Trotz, eines Tages seine Heere in Darken zusammengezogen hatte und gegen die Länder im Süden ins Feld gezogen war. Wie seine Schergen rücksichtslos alle umgebracht hatten, die sich ihnen in den Weg stellten. Am schlimmsten von allen wüteten die Orokòr. Schwarze, wilde Gestalten mit Raubtierzähnen. Sie mordeten mit Lust. Fleisch aßen sie roh, und manchmal verspeisten sie sogar gefallene Gegner. Sie waren brutal und ohne Erbarmen.

Die Leute von Whyten und Equan leisteten Widerstand. Ormor ließ daraufhin ganze Landstriche verwüsten und alle Siedlungen niederbrennen. Er wollte Unterwerfung und die Anerkennung seiner Herrschaft erzwingen. Längst drohte der Krieg ganz Centratur zu verbrennen. Aber von überall her strömten Leuten nach Whyten, um zu helfen. Es waren keine Soldaten, die ihr Leben dem Kampf gewidmet hatten, sondern Menschen, Zwerge und auch Achajer, die sich bewusst waren, in dem fremden Land auch für die eigene Freiheit zu kämpfen. Die Schlachten waren furchtbar, die Toten unzählig. Die Freiwilligen, im Kämpfen unerfahren, wurden von den geübten Horden aus Darken niedergemäht. Doch sie gingen singend und guten Mutes in den Tod, mit der Gewissheit, ihr Leben für etwas Sinnvolles zu geben.

In dieser Zeit war Aramar in Heckendorf aufgetaucht. Er kam in Begleitung von Meliodas, der aufgebrochen war, die Königswürde zurückzufordern. Seine Familie war vor langer Zeit von einem Usurpator vom Thron vertrieben worden. Der Junge war deshalb in der Wildnis aufgewachsen und hatte das Leben eines Jägers und Fallenstellers geführt. Erst sehr später hatte er von seiner hohen Geburt und seinem königlichen Anspruch erfahren. Damals war die Zeit noch nicht reif gewesen, um den Thron zurück zu erobern. So hielt sich Meliodas in Bereitschaft.

Den Zauberer, in dessen Begleitung Meliodas war, kannten die Heckendorfer. Er war schon in früheren Zeiten durchs Heimland gewandert und im Gasthaus ‘Hirsch’ eingekehrt. Dort saß er nun wieder einmal an einem schönen Tag im Frühsommer zusammen mit seinem Begleiter. Die große Buche spendete erfrischenden Schatten, vor ihnen auf dem blanken Tisch standen große Krüge mit dunklem Bier. Am Nebentisch tafelten drei junge Burschen und ein älterer Mann. Sie tranken und aßen mit Lust und in Mengen, dabei lachten sie und neckten die Fremden, deren düstere Gesichter sich mit der Zeit ein wenig aufheiterten. Dieser Ort, an dem sie rasteten, war so friedlich und das Morden so weit entfernt, dass sie ihre Sorgen für eine Weile vergaßen.

Die jungen Zecher waren Mog, Marc und Pet. Der vierte hieß Til, war viel älter als seine Freunde und feierte an diesem Tag Geburtstag. Aus diesem Anlass hatte er die jungen Leute eingeladen. Man saß also zusammen, und ein Wort gab das andere.

Endlich, der Schatten der Buche wurde bereits länger und die Luft kühler, erinnerten sich die beiden Wanderer wieder an ihre Mission und den Schrecken, der über der Welt lag. Die Heiterkeit gefror auf ihren Gesichtern, und sie machten sich zum Aufbruch bereit. Die Erits waren verwundert über die Wandlung ihrer Zechgenossen und erkundigten sich nach dem Grund. Aramar und Meliodas, die schon aufgestanden waren, blickten unwillig in die Runde und fragten dann ernst, ob man im Heimland nicht wisse, was in der Welt vor sich gehe.

Natürlich habe man von allem Kunde, erwiderte Til stolz.

Er sei Krieg, erklärte der Zauberer, und sie beide seien auf dem Weg in den Kampf. Im Süden würden viele Menschen sterben, damit man im Heimland friedlich vor dem Gasthaus sitzen und dunkles Bier trinken könne.

Aramar hatte diese Provokation bitter hervorgestoßen. Er wollte diese unschuldigen Erits nicht beleidigen, aber die Sorgen, die ihn seit langem begleiteten, machten sich einfach Luft. Die vier Heimländer widersprachen. Bald war ein heftiger Streit unter den bisher friedlichen Zechern ausgebrochen.

Nach weiteren Vorhaltungen stand Mog auf. Er reckte sich zu seiner vollen Größe und sagte, er lasse sich nicht länger der Feigheit bezichtigen. Die Erits seien trotz ihrer geringen Körpergröße ein tapferes Volk. Das wolle er beweisen, indem er mit in den Süden zöge. Auch seine Freunde sprangen bei diesen Worten auf und versprachen mitzukommen.

Meliodas und der Zauberer waren von der Entwicklung überrascht und verwirrt. Sie beschwichtigten, erklärten, sie hätten durch diese lange Rast schon zu viel Zeit verloren und könnten nicht warten, bis die Erits zur Abreise bereit wären. Doch da hatten sie die Rechnung ohne die jungen Burschen gemacht. Die erklärten, dass weitere Vorbereitungen nicht nötig seien. Einem Aufbruch stünde nichts im Wege. In spätestens einer halben Stunde könne der Weg in den Süden beginnen.

Pet und Marc beauftragten den Wirt, ihre Familien zu benachrichtigen, und Mog rannte zu seiner Verlobten Ev und teilte dem entsetzten Mädchen seinen Entschluss mit, in den Krieg zu ziehen. Und wirklich, die halbe Stunde war noch nicht völlig vergangen, da standen vier Erits mit Gesichtern rot vor Aufregung bereit zum Marsch in das größte Abenteuer ihres Lebens.

Auf der langen Reise in den Süden erlebten sie viele Gefahren und gerieten schließlich in den Großen Krieg.


Hier unterbrach Aramar seinen Freund. Er lächelte bei der Erinnerung an die Szene vor dem Wirtshaus und den spontanen Entschluss der Erits.

„Ja“, sagte er, „heute sind wir euch dankbar, dass ihr in diesen Krieg gezogen seid, obgleich ich es damals für eine törichte Bierlaune gehalten habe. Aber ohne euch wäre alles anders gekommen. Am meisten haben wir jedoch dir, Mog, und natürlich auch Til zu verdanken. Ohne euch hätten wir den Krieg nicht gewonnen. Ormor war zu stark und unsere Kräfte zu schwach.“

Mog nickte bedächtig und erinnerte an die Szene, als sie in das Zelt von Meliodas bestellt worden waren.


Noch hatte Meliodas sich damals nicht zum König ausgerufen, aber alle erkannten bereits seine Autorität und seine Herrschaft an. Um den kleinen runden Tisch mit den Landkarten standen die Feldherren. Die Fürsten der Achajer, die Großen der Menschen und Aramar, der Zauberer. Auf allen Gesichtern lag Unruhe, tiefe Besorgnis, wenn nicht sogar Angst. Im Zelt war es kalt. Die Holzkohlen in der kleinen Pfanne, die in der Ecke stand und wärmen sollte, waren lange verglüht und zu Asche zerfallen.

Der künftige König wandte sich an die vier Erits, die schüchtern in dieser vornehmen Runde standen. Ihre Kleider waren von den Anstrengungen und Entbehrungen der letzten Monate zerschlissen und schäbig, aber ihre Körper hart und stark geworden. Meliodas war nicht mehr der freundliche Jäger, der in Heckendorf sein Bier getrunken hatte, sondern ein mächtiger Herrscher, der über Tod und Leben von tausenden Krieger befahl. In seinen Händen lag das Schicksal der Welt.

‚Ich habe euch rufen lassen’, sagte er mit sanfter Stimme, um euch um Hilfe zu bitten.’

Alle die vornehmen und berühmten Männer sahen bei diesen Worten mit Verwunderung auf die kleinen Gestalten. Wie konnten diese unscheinbaren Geschöpfe dem großen König helfen?

Zaghaft und scheu antwortete Til: ‚Was können wir kleinen Leute schon tun? ’

‚Es steht schlecht um unsere Sache. Der Feind steht am Tessenfluss. Bald wird er auf Cantrel marschieren. Eine Vorhut von ihm dringt nach Westen vor. Sie überquert gerade den Aganga, um Hispoltai zu erobern. Boten melden, dass auch Vangart und Bajar eingenommen sind. Ormor will mit dieser Großoffensive die Entscheidung erzwingen. Wir haben diesem Angriff an allen Fronten kaum mehr etwas entgegen zu setzen. Es steht schlecht um Centratur. Wenn nämlich die Länder östlich des Thaurgebirges fallen, dann sind auch die Westreiche nicht mehr zu halten.

Ihr seht, die Lage ist sehr ernst, und wir wissen uns keinen Rat mehr. Unsere Leute haben tapfer und todesmutig gekämpft, aber gegen die Übermacht und Gewalt der feindlichen Truppen müssen sie unterliegen.

Es gibt noch eine letzte, sehr kleine Chance. Ormor glaubt, dass wir ihm alle unsere Kräfte am Tessenfluss entgegenwerfen, um seinen Vormarsch zu stoppen. Wir aber könnten ihn gewähren lassen und, statt die Furt zu verteidigen, die Ruburhöhen östlich umgehen. Wenn es uns gelingt, ihm in den Rücken zu fallen, könnten wir das Blatt vielleicht noch einmal wenden.

Um dieses Wagnis aber einzugehen, brauche ich Informationen. Alle Späher, die ich nach Darken gesandt habe, wurden entdeckt und grausam umgebracht. Man hat sie gepfählt, gevierteilt, und uns ihre Überreste voller Hohn präsentiert. Es hat keinen Sinn, noch mehr der besten Männer zu opfern.

Nun wissen wir, dass es unter den Orokòr eine Rasse von kleinem Wuchs gibt. Ihr seht ihnen ähnlich, wenn wir an eurem Äußeren noch ein wenig arbeiten. Ihr könntet euch vielleicht unbemerkt in die Reihen von Ormor schleichen. Der Feind erwartet Helden als Kundschafter und keine Erits. Natürlich ist diese Mission sehr gefährlich, und eure Chancen lebend zurückzukehren sind gering. Aber wir haben keine andere Wahl. Ohne Nachrichten sind wir verloren.

Ich befehle es nicht, aber ich bitte zwei von euch zu gehen. Wenn ihr nicht gehen wollt, so habt ihr mein Verständnis, und wir werden nie mehr über diese Sache reden. Geht ihr aber, so werden noch unsere Kindeskinder von eurer Heldentat berichten. Vor langer Zeit in Heckendorf habt ihr euch eine halbe Stunde ausbedungen, die gebe ich euch nun wieder, um eine Entscheidung zu fällen. ’

Die großen Männer sahen die kleinen Leute an, und ihre Mienen drückten Zweifel aus. Woher sollten diese schwachen Gestalten den Mut zu solch einem mörderischen Auftrag nehmen? Und jeder fragte sich, ob er wohl selbst ginge und erschauerte. Doch zu aller Erstaunen sagte Til mit fester Stimme: ‚Ich brauche keine Bedenkzeit. Ich werde gehen. ’

Und Mog fügte hinzu: ‚Ich werde dich begleiten. ’

So wurden die beiden verkleidet und für ihren Auftrag gerüstet, während Marc und Pet mit Aramar nach Equan ritten. Dieser wollte dort den Widerstand gegen die Invasion organisieren und den König von Equan beraten.


Mog sah das Bild von damals wieder ganz deutlich vor seinen Augen. Er spürte die Kälte des Herbstes und den Nieselregen, der durch die Kleider bis auf die nackte Haut drang. Er roch den Gestank der Orokòrkleider, die man Toten ausgezogen hatte, und spürte den Händedruck der Freunde und den Schlag auf die Schulter von des Königs Hand. Die Todesangst von damals stieg wieder in ihm hoch, diese wütenden Bauchschmerzen, dieses Gefühl, die Beine würden ihm versagen. Er wollte damals weglaufen, sich verkriechen und doch marschierte er weiter, kroch durch die feindlichen Linien und schließlich zusammen mit Til ins Lager der Orokòr.

Gehetzt und schweißgebadet blickte Mog um sich. Da merkte er, dass er zu Hause in Gutruh war. Die Sonne schien, und er sah in das lächelnde Gesicht des Zauberers. Langsam verschwand die Erinnerung an die Not und das furchtbare Grauen. Er atmete tief durch und war froh, dass alles wie ein böser Alptraum weit hinter ihm lag.


Aramar beschrieb er nun den Vormarsch der Heere des schrecklichen Feldherrn aus Darken.

Wie eine riesige Todeswalze hatten sie sich unaufhaltsam in alle Himmelsrichtungen ausgedehnt. Die Verteidiger mussten endlich eine Entscheidung treffen. Aber von den Spähern kamen keine Nachrichten. Meliodas war unschlüssig, zögerte jeden Befehl hinaus, lief Tag und Nacht unruhig durch das Lager. Hinter seinem Rücken wurde getuschelt. Es sei töricht von ihm gewesen, auf diese kleinen Leute zu hoffen. Er habe ihnen sogar seinen letzten Plan anvertraut, den sie sicherlich bei ihrer Gefangennahme dem Feind verraten hätten. Es stellte sich die Frage, ob dieser Meliodas tatsächlich das Zeug zu einem großen König habe, wenn er derartige Fehlentscheidungen treffe. Man hieß ihn einen Zauderer. Sogar das Wort ‚Feigheit’ wurde gemurmelt.

Dann war es soweit. Die feindlichen Heere stürmten in breiter Front über den Fluss. Die Verteidiger kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Als sie aber die letzten Pfeile verschossen und die schartigen und stumpfen Schwerter weggeworfen hatten, da blieb ihnen nur noch die Flucht. Mit Geheul und blutrünstigem Zähnefletschen folgten die Orokòr und die feindlichen Soldaten aus Darken. Wen immer sie erwischten, machten sie nieder. Da wurden Köpfe gespalten und Arme abgehackt, gebogene Messer fuhren durch die Harnische ins Fleisch. Der Tod hielt eine reiche Ernte. Selbst die Tapferkeit und der Heldenmut der Achajer konnten das Blatt nicht mehr wenden.

Außer Meliodas und Aramar dachte in dieser Situation niemand mehr an die zwei kleinen Gestalten, die auf die schreckliche Mission geschickt worden waren. Es ging nur noch um das eigene Überleben. Was konnten diese Erits aus dem fernen Heimland jetzt noch bewirken?

Doch als das Gemetzel seinen Höhepunkt erreichte, ging ein Ruf durch die feindlichen Linien: ‚Der Herr ist ausgeschaltet. Die Feinde haben Ormor besiegt. Wir sind alle verloren. Lauft, wenn euch euer Leben lieb ist!’

Damit kehrte sich das Blatt. Die Feinde wandten sich zur überstürzten Flucht. Ihre Anführer vermochten sie nicht zurückzuhalten. Die Verbündeten reagierten rasch. Sie wussten zwar nicht, weshalb die bisher siegreichen Truppen flohen, aber sie setzten ihnen nach und nahmen noch vielen das Leben. Dann war die Schlacht geschlagen und der Krieg beendet. Es gab noch einzelne Scharmützel, aber die Macht aus Darken war vernichtet. Friede kehrte in Centratur ein. Erst viel später wurde bekannt, dass die beiden Erits nicht nur ihren Auftrag ausgeführt, sondern im entscheidenden Moment Ormor selbst außer Gefecht gesetzt hatten.


„Ich habe dich noch nie gefragt, wie es euch gelungen ist, Ormor zu besiegen? Euer Auftrag war doch nur zu kundschaften. Ihr habt mehr getan, als alle von euch erwartet hatten.“

„Das ist eine wundersame Geschichte“, antwortete Mog leise. „Jetzt nachdem so viel Zeit vergangen und Til nicht mehr da ist, kann ich darüber sprechen.“

In diesem Moment erschien Ev vor der Haustür. Das Essen sei fertig, sagte sie, und die Herren mögen doch bitte gleich kommen.

Der Zauberer nickte verständig: „Dann musst du mir eben ein andermal erzählen, was sich in Darken zugetragen hat.“

Beim Essen knüpfte Aramar zwischen zwei Bissen versonnen an die bisherige Erzählung an: „Dann kam die Aufbruchsstimmung, die große Hoffnung auf den ewigen Frieden. Meliodas, der letzte Spross aus dem alten Geschlecht der großen Könige übernahm die Krone, und alle Völker unterwarfen sich ihm. Ein gerechter König herrschte nun und brachte den geschundenen Ländern Frieden und Wohlstand.

Mog, du hast für Centratur mehr getan als die meisten Menschen, Achajer und Zwerge zusammen. Die Früchte des Ruhmes aber haben Marc und Pet geerntet. Sie gelten heute als die eigentlichen Helden. Du hast Pech gehabt. Während du die Welt gerettet hast, haben Marc und Pet mit den Mächtigen derselben Welt Freundschaft geschlossen. Sie mussten nicht tapfer sein, sondern lediglich nett und fröhlich. Dich hat man als Helden geehrt, jene aber liebgewonnen. Das macht schon einen Unterschied. Der König hat dich respektiert, aber geliebt hat er deine Gefährten. Mir scheint, die alte Weisheit hat sich wieder einmal bestätigt: Es ist nicht so wichtig, was man tut, sondern vielmehr, was man daraus macht. Die beiden haben sich auch im Heimland geschickt darzustellen gewusst. So sind sie zu wichtigen Persönlichkeiten geworden. Du hingegen hast dich dem Alltag wieder hingegeben und bist Gärtner geblieben. Der Ruhm, der dir gebührt hätte, ist an dir vorübergegangen.“

„Ach, ich wollte gar nicht berühmt werden“, wandte Mog bescheiden ein.

„Das ehrt dich. So habe ich dich auch eingeschätzt, und deshalb mag ich dich. Es wäre vielleicht besser, wenn die Länder mehr von den Bescheidenen regiert würden, die sich nicht nach der Macht und dem Ruhm drängen. Doch da sie eben bescheiden sind, können sie auch nicht an die Macht kommen. In diesem Widerspruch liegt die Tragik der Welt.“


Nach dem Essen, die Söhne waren ins Dorf gegangen, zogen sich die beiden Männer noch einmal zur Beratung zurück. Wieder saßen sie auf der Bank vor dem Haus und sahen in die untergehende Sonne. Mog schnitzte an einem Stock. Scheu sah der Erit, dass der Zauberer sein Gesicht in den Händen geborgen hatte.

Endlich sagte Aramar mehr zu sich selbst: „Ich möchte wissen, wie Meliodas ums Leben gekommen ist."

Mog antwortete ungeduldig: „Nun aber genug des Darumherumredens und der Erinnerung an vergangene Zeiten. Nun sage endlich, was du weißt!“

„Wenig genug! Krieg ist in Centratur, und ich weiß nicht, von wem er ausgeht. Die Orokòr sind wieder aufgetaucht und treiben ihr Unwesen. Der Fürst von Rolos hat seine Krieger mobilisiert und marschiert nach Norden. Aus Darken hört man von starken Truppenkonzentrationen. Selbst im tiefen Süden, in Mykontex, soll man sich auf Kämpfe vorbereiten. Die Straßen sind unsicher, die Menschen fliehen in Strömen nach Westen. Unschuldige Bauern werden umgebracht, Städte verwüstet.“

„Aber warum das alles? Welche Ziele werden verfolgt, und wer steckt dahinter?“

Aramar murmelte: „Mein guter Mog, das ist ja das Problem! Seit Tagen zermartere ich meinen Kopf, von wem die Gefahr ausgehen könnte. Ich kenne aber niemand anderen, der so mächtig wäre, um den Schrecken hervorzurufen, der Centratur jetzt in Atem hält.“ Er machte eine Pause und fuhr dann verwirrt fort: „Niemanden, außer dem Alten. Aber der ist unschädlich gemacht. Er ist in einem Berg gefangen. Vor ihm müssen wir uns nicht fürchten.”

„Kann sich der Alte nicht befreit haben?"

„Wenn Ormor frei ist, dann Gnade uns Gott. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte. Allen Wesen in Centratur bliebe dann nur die Wahl zwischen Unterwerfung und Versklavung oder dem Tod."

Der alte Erit schauderte bei diesen Worten. Er kannte den Zauberer und wusste, dass dieser niemals übertrieb.

Irgendwann brach die Dunkelheit vollends herein. Zusammen mit Ev und den beiden Söhnen saßen sie am Kamin. Die Schrecken des Nachmittags verblassten. Man ging früh zu Bett, denn der nächste Tag würde anstrengend werden. Aramar brauchte Informationen und wollte das Schloss des Markgrafen in Hochhag besuchen. Ein weiter Ritt stand bevor.

Hochhag


Am nächsten Morgen standen alle schon bei Sonnenaufgang auf. Ev machte den Männern ein kräftiges Frühstück und packte ihnen Proviant in die Satteltaschen. Es sollte ein bequemer und angenehmer Ausflug werden.

Auf der Oststraße war schon reger Verkehr. Diese große, gut ausgebaute Straße war eine der wichtigsten Verbindungen in Centratur. Sie begann am Golf von Orex und führte auf dem kürzesten Weg nach Osten zum Thaurgebirge. Dann durchquerte sie die Berge und erreichte Bajar. Dort vereinigte sie sich mit der Alten Oststraße. Von da ging es weiter am Fuß des Grauen Gebirges bis Mintel. In Brunel endlich endete der lange Weg, der Centratur in seiner ganzen Breite verband.

Die Oststraße war gut ausgebaut, so dass sie auch von schweren Karren befahren werden konnte. Aus den alten Zeiten stammten auch noch die gemauerten Unterstände. Sie waren in Abständen von einstündigen Märschen am Straßenrand errichtet und sollten die Reisenden bei Unwettern schützen. Doch wurden sie schon lange nicht mehr benutzt und waren zum großen Teil verfallen. Mäuse, Ratten, Ungeziefer und sogar Schlangen hatten sich die Ziegelbauten zur Heimstatt auserkoren. Zu beiden Seiten der Straße waren hohe Bäume gepflanzt, die wohltuende Schatten spendeten. Zwischen den Baumstämmen wuchsen Ginster und Haselnuss.

Es war ein sonniger Tag, und die beiden Reiter kamen gut voran, obgleich viel Volk auf der Straße unterwegs war. Hauptsächlich begegneten sie Zwergen, die große Bündel schleppten. Dann und wann sahen sie Menschen aus dem Süden mit dunklen Gesichtern. Manche fuhren auf hoch bepackten zweirädrigen Wagen, die von Mauleseln gezogen wurden, andere zerrten schwer beladene Packpferde hinter sich her.

Die Reiter überholten auch Reisekarren. Diese wurden von vier Ponys gezogen und hatten hölzerne Bänke auf ihren Dächern. Dort saßen Reisende, die keine eigenen Pferde hatten und nicht laufen mochten.

Bald darauf sah Mog die ersten Flüchtlinge, von denen an den Stammtischen in Heckendorf und Mühlendorf so viel geredet wurde. Es waren Elendsgestalten, die sich in zerlumpten Kleidern vorwärts quälten. Manche zerrten Handkarren hinter sich her. Andere, wahrscheinlich die Wohlhabenderen, hatten magere Esel vorgespannt. An einigen der Karren war eine Ziege angebunden, die meckernd mitlief. Kleine Kinder bemühten sich Schritt zu halten. Die meisten waren barfuß. Viele der Großen hatten sich Lappen um die Füße gebunden, sie waren schmutzig und blutig. Alte Leute, die nicht mehr laufen konnten, lagen auf den Karren. Die Gesichter, die nackten Arme, die Körper wiesen Geschwüre und Wunden auf. Verzweiflung stand in den Gesichtern. Gestank begleitete die Trecks, der Geruch von Dreck und Angst. Besonders auffallend aber war die lähmende Müdigkeit, die über allen zu liegen schien.

„Das soll der so teuer erkämpfte Frieden in Centratur sein?" fragte Aramar bitter.

Sie gaben den Flüchtlingen ihre Vorräte und machten gegen Mittag eine freudlose Rast im Schatten von drei mächtigen Kastanien. Danach ritten sie weiter und erreichten am späten Nachmittag Weststadt. Dort klopften sie bei Mogs Tochter Almira an. Ihr Mann war auch zu Hause. Das Paar freute sich über den unerwarteten Besuch. Es lebte in einem gemütlichen Haus, bei dessen Kauf ihnen die Eltern mit Geld unter die Arme gegriffen hatten. Es war eng, aber ein Bett für den Vater und seinen Freund fand sich allemal.


Die Sonne lockte die Reisenden am nächsten Morgen schon zu früher Stunde aus dem Haus. Sie machten sich auf zu einem Streifzug durch die Stadt. Weststadt war neben Grünbergen nicht nur einer der größten Orte im Heimland, sondern auch Garnisonsstadt. Der Markgraf hatte bei der Übernahme seines Lehens vom König die Auflage bekommen, fünfhundert Männer ständig unter Waffen zu halten. Mit ihnen sollte er die westlichen Grenzen schützen und dem König bei einem Krieg zu Hilfe kommen. Zwar waren Erits keine großen Krieger, aber die westlichen Grenzen galten als sicher und ungefährlich.

Im Ort herrschte reges Treiben. Auf einem kleinen Platz hatten Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen. Dort wuschen sie Wäsche und kochten in großen Kesseln über offenem Feuer. Die Weststadter sahen die Flüchtlinge ungern. Diese Fremden brachten schließlich kein Geld, sondern nur Unordnung. Zudem musste man sie, ob man wollte oder nicht, unterstützen. Es ging nicht an, dass im Heimland jemand verhungert, und seien es auch nur Flüchtlinge.

Die beiden Männer sahen Gaukler und Schwertschlucker. Bettler saßen vor öffentlichen Gebäuden und sahen sehr leidend aus. Einer fiel Mog besonders auf. Er spielte auf einer winzigen Flöte eine wundersame, bezaubernde Melodie. Dieser Mensch hatte eine seltsam helle, beinahe weiße Hautfarbe. Quer über sein Gesicht zog sich ein feuerrotes Mal. Obgleich er auf dem nackten Boden kauerte, schien er von stattlicher Körpergröße. Als der Zauberer und der Erit vor ihm stehen blieben, sah er auf. Seine Flöte tönte weiter, aber seine Augen blickten klar und stolz. Wie konnte es geschehen, dass solch ein Mann um Almosen betteln musste? Eine Weile kreuzte er die Augen mit Mog. Keiner wandte den Blick ab. Aramar machte dem Duell schließlich ein Ende und warf eine Münze auf das Tuch, das vor diesem seltsamen Menschen lag. Dann nahm er seinen Begleiter am Arm, und sie gingen weiter. Hinter sich vernahmen sie ein Murmeln, das sie als Dankeswort auslegten.

Fremde Händler hatten in den Straßen Stände aufgeschlagen und boten Tuche, Werkzeuge und Waffen aus aller Welt feil. Besonders Zwerge taten sich mit Waren aus dem fernen Osten hervor. Es waren nützliche Dinge von eigenartiger Schönheit, aber auch wundersames Spielzeug, wie es nur Zwerge herzustellen vermögen. Niemand der Einheimischen kümmerte sich noch um all das fremde Volk. Es gehörte zum Alltag und wurde schon lange nicht mehr beachtet.

„Hier hat sich viel verändert", bemerkte Aramar. „Ihr Erits seid doch ein wandlungsfähiges Völkchen. Ist das überhaupt noch das Heimland, das ich kenne?"

Sie kehrten zu Almira und ihrem Mann zurück um sich zu verabschieden. Dann bestiegen Mog und Aramar ihre Pferde und ritten nach Süden.


Das Schloss des Markgrafen war ein imponierender Herrschersitz. Eine weiße Mauer schützte vor Fremden und Neugierigen und versperrte den Blick auf das Privatleben der Grafenfamilie. Das Schloss lag am Rand eines Plateaus, das mit alten Eichen bewachsen war.

Die Familie des Markgrafen hatte sich für ihren Stammsitz bewusst einen abgelegenen Fleck im Heimland ausgesucht. Die Hochebene war nicht nur eine der schönsten Gegenden im ganzen Land, man war auch dort auch so weit entfernt, dass man auf Hochhag nach eigenem Gutdünken leben konnte und sich nicht den Gepflogenheiten des Heimlands anpassen musste.

Hochhag war Anziehungspunkt für zahlreiches Volk, das aus allen Himmelsrichtungen zusammenkam: Antragsteller, Neugierige, Gäste aus fremden Ländern, Verwaltungsleute und natürlich Soldaten. In der Regel wurden Besucher nicht vorgelassen. Man fertigte sie in den Kasernen, Verwaltungsgebäuden oder in den Repräsentationsräumen des Schlosses ab, und nur selten bekam einer ein Mitglied der Familie zu Gesicht.

Diese selbst gewählte Abschirmung brachte auch Nachteile mit sich. Sie ersparte nämlich nicht nur Ärger, sie brachte den Familienmitgliedern auch entsetzliche Langeweile. Wie sehnten sie sich manchmal nach den einfachen Freuden des Volkes, von denen sie ausgeschlossen waren. Für die Frauen war es besonders schwer. Sie wurden behütet und bewacht. Beklagten sie sich und jammerten über ihre männerlose Welt, probten sie gar den Aufstand und verlangten endlich, Erits ‚von unten’ kennen zu lernen, dann hörten sie: „Wollt ihr etwa, dass hier ein gut aussehender Strauchdieb oder etwas noch Schlimmeres einzieht?"

So hatte bisher keine der Markgrafentöchter einen akzeptablen Mann in ihrer Abgeschiedenheit kennen gelernt. Sie blieben ledig und vornehm und hofften weiter auf die große Liebe und eine gute Partie. Ihre Kontakte mit dem anderen Geschlecht beschränkten sich auf kleine Liebeleien mit den Offizieren der Wache. Männer hätte es schon gegeben. Schließlich lebten in Sichtweite ständig drei Dutzend Soldaten. Aber ihnen war jeglicher Kontakt mit der herrschaftlichen Familie verboten. Nur der Hauptmann der Garde machte eine Ausnahme. Er durfte, so oft er wollte, das große Tor in der weißen Mauer durchschreiten und hatte Zugang zu allen Gebäuden und Umgang mit der ganzen Familie. Er nahm sogar an den festlichen Diners des Markgrafen teil. Von seinen Offizieren durften einige Auserwählte mehrmals im Jahr zur Erbauung der Frauen im Schloss ihre Aufwartung machen.


Als die beiden Reitern aus Heckendorf das Plateau erreichten, war alles ruhig und friedlich. Die Soldatenunterkünfte schienen wie ausgestorben, niemand war zu sehen. Aramar ging, sein Pferd hinter sich führend, auf das weiß gestrichene Tor des Schlosses zu und klopfte mit seinem Stock energisch dagegen. Mog war unwohl in seiner Haut. Man konnte doch nicht einfach bei der Familie des Markgrafen hereinschneien! Was sollten diese vornehmen Leute nur denken?

Ein Erit öffnete auf Aramars wiederholtes Pochen eine schmale Pforte im Tor. Der Zauberer lachte schallend, als er ihn sah. Der Diener, ein solcher musste es wohl sein, sah zu komisch aus. Mit steifer Würde trug er eine rote Jacke mit goldenen Knöpfen. In seinem blasierten Gesicht verzog sich keine Miene, als er nach ihrem Begehr fragte.

Auf Aramars Erklärung, er wolle die Gräfin sprechen, kam sofort die Frage, ob die Fremden denn auch angemeldet seien.

Als diese verneinten, hieß es: „Dann wird man Euch nicht empfangen können.“

„Da bin ich anderer Meinung.“

„Die Herrschaften wollen nicht gestört sein. Übrigens“, der Diener sah die Besucher langsam und demonstrativ von oben bis unten an, „sollte man bemüht sein, sein äußeres Erscheinungsbild den Vorstellungen der Herrscherfamilie anzupassen, wenn man empfangen werden will."

„Ich verstehe!" Aramar lächelte. „Mein alter, grauer Mantel, der mir so viele treue Dienste geleistet hat, ist nicht gut und die verwaschenen Hosen von Mog sind nicht fein genug. Nun, wenn du dir die Augen zuhältst, dann siehst du unsere Kleider nicht und dein Schönheitssinn wird nicht beleidigt. Nun mach aber Platz! Ich bin es nicht gewohnt, vor der Tür zu stehen!"

Die letzten Worte waren barsch und duldeten keinen Widerspruch. Er schob den Erit zur Seite und trat ein. Mit rotem Kopf und feuchten Händen folgte ihm Mog. Hinter ihnen hallten Rufe wie: „Aber das geht doch nicht! Ich werde die Wache rufen..."

Die Mauer umschloss einen geräumigen Park, in dessen Mitte das eigentliche Schloss lag. Es war prächtig und hatte große Türen und Fenster. Die Fensterläden waren blau mit roten Streifen. Auf dem freien Platz vor dem Haupteingang plätscherte ein Springbrunnen. Ohne zu zögern schritt Aramar auf diesen Eingang zu und öffnete die mit Kupfer beschlagene Tür. Sie traten ein. Schattiges Halbdunkel umgab sie.

„Bewin", rief in diesem Moment eine schrille Stimme, „wo bleibst du denn? Ich habe schon drei Mal nach dir gerufen."

„Ich komme sofort!"

Aramar ahmte die gezierte Stimme des Dieners täuschend ähnlich nach. Sie betraten das Zimmer, aus dem die Frauenstimme gekommen war. Die füllige Eritfrau schrie empört auf, als sie die Eindringlinge hinter sich bemerkte.

„Was wollt Ihr hier? Macht, dass ihr hinaus kommt! Bewin, wie kommen diese Leute herein?"

Aramar ließ sie zetern und sagte schließlich ruhig: „Wir sind Freunde Eures Mannes."

Daraufhin wurden sie verächtlich gemustert, und die Frau sagte schnippisch: „Mit so etwas wie Euch gibt sich mein Gemahl nicht ab. Ihr vergesst scheinbar, dass er der Markgraf ist, und ich bin die Markgräfin."

Sie machte eine Pause, damit ihre Worte wirken konnten und zischte dann: „Und nun verschwindet! Aber ein bisschen plötzlich!"

Jetzt schaltete sich Mog ein.

„Frau Gräfin", sagte er respektvoll, „Ihr kennt mich als einen alten Gefährten Eures Herrn Gemahl, und das ist Aramar, der Zauberer. Ihr habt sicher schon von ihm gehört. Wir sind von weit hergereist, um Euch unsere Aufwartung zu machen und uns nach dem Herrn Markgrafen zu erkundigen. Auch haben wir wichtige Dinge mit Euch, Frau Gräfin, zu besprechen."

Aber die Frau hatte gar nicht zugehört und fauchte sie weiter an.

Nun verlor Aramar die Geduld.

„Wo ist Pet?" fragte er hastig. „Habt Ihr Nachricht von ihm? Wann wird er zurückkommen? Wer begleitet ihn? Wer führt hier im Heimland die Aufsicht?"

Die Markgräfin antwortete nicht, sondern sah die ungebetenen Besucher nur mit großen Augen an. Deren mangelnder Respekt hatte ihr die Sprache verschlagen. Endlich, wie wenn eine Sturmflut einen Damm durchbricht, fand sie ihre Stimme wieder und stieß einen gellenden, nicht enden wollenden Schrei aus. Im ganzen Haus hörte man Türen schlagen. Von überall eilten Bedienstete herbei.

„Es hat keinen Zweck", sagte der Zauberer. „Es ist besser wir gehen."

Ohne sich um die zusammengeströmten Erits zu kümmern, traten die Besucher wieder hinaus in den Sonnenschein und verließen ruhig den Schlossbereich. Mog war verwirrt und Aramar wütend.

„Wegen dieses Frauenzimmers und ihren eingebildeten Dienern haben wir drei wertvolle Tage verloren“, knurrte er. „Ich hätte Pet bei der Wahl seiner Ehefrau wirklich einen besseren Geschmack zugetraut."

„Jetzt wissen wir genauso viel wie zuvor", bemerkte Mog düster.

„Nein, wir wissen mehr! Mir ist zum Beispiel klar, weshalb zurzeit im Heimland alles drunter und drüber geht."


Da sie im Schloss nicht verköstigt worden waren, beschlossen sie, unter den Bäumen am Waldrand Rast zu machen. Sie hatten sich gerade gemütlich niedergelassen, als Schreie über das Plateau gellten. Hufschlag trommelte durch die Stille. Ein Reiter auf einem weißen Pferd galoppierte in höchster Eile auf das Schloss zu. Hinter ihm jagte eine Meute, die zwölf Köpfe zählte. Das weiße Pferd hinkte. Die Jäger holten mehr und mehr auf und schwärmten schließlich aus. Nun hörte man auch die Stimme des Reiters. Immer wieder rief er in höchster Not, man solle ihm das Tor des Schlosses öffnen. Doch nichts geschah.

„Warum kommen ihm die Leute des Markgrafen nicht zur Hilfe?" rief Mog. „Gleich haben ihn die Verfolger eingeholt!"

Nun zischten Pfeile durch die Luft, aber sie trafen den Reiter nicht, der sich tief über den Hals seines Pferdes geduckt hatte. Er hatte inzwischen das Tor erreicht und trommelte dagegen.

„Der vornehme Diener wird sich sagen, dass man Leute, die so unanständig Einlass begehren, am besten ignoriert", sagte Aramar und dann entschlossen. „Wir müssen eingreifen!"

Eilends bestiegen sie ihre Pferde und ritten so schnell sie konnten in Richtung Schloss.

„Wie wollen wir ohne Waffen helfen?" rief Mog keuchend. „Hast du einen Plan, Aramar?"

„Für diese Schurken braucht man keinen Plan. Kommt Zeit, kommt Rat."

In diesem Augenblick wurden sie von dem Reiter gesehen. Er riss sein Pferd herum und galoppierte auf sie zu. Auch die Meute änderte die Richtung und versuchte ihm den Weg abzuschneiden. Mog stand in den Steigbügeln und trieb sein Pony an. Doch Aramars Pferd übertraf das Pony um ein Vielfaches an Schnelligkeit. Aramar lenkte sein Pferd direkt auf die Jäger zu. Helfer, Jäger und Gejagter verschmolzen zu einem dichten Knäuel. Mog sah aus der Ferne, wie eine Lanze auf den Zauberer gerichtete wurde. Der parierte mit seinem langen Stock und schlug zu. Der Hieb traf den Angreifer seitlich am Kopf, er stürzte zu Boden. Nun kreisten die anderen den alten Mann ein. Pfeile und Speere richteten sich gleichzeitig auf ihn. Ein paar Sekunden später würde er tot sein. In diesem Augenblick flammte ein Blitz auf. Eine Wand aus Feuer trennte Aramar von den Soldaten. Deren Pferde scheuten. Einige warfen ihre Reiter ab, die anderen wandten sich zu wilder Flucht und stoben in alle Richtungen davon. Der Zauberer fasste die Zügel des weißen Pferdes und preschte, so schnell das hinkende Tier es vermochte, zum östlichen Waldrand. Mog folgte ihnen. Gemeinsam suchten sie Schutz unter den Bäumen. Dort hielten sie kurz an, und der alte Erit erkannte den Geretteten. Es war Horsa, der Sohn des Markgrafen.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren", rief Aramar hastig. „Sie können uns jeden Moment einholen."

Sie drangen tiefer ins Dickicht, bis sie auf einen Pfad stießen. Den ritten sie in großer Eile entlang und achteten nicht auf die Zweige, die ihnen ins Gesicht schlugen. Dornen zerrissen ihre Kleider und die Haut. Sie bluteten. Endlich gab der Zauberer das Zeichen zum Halten. Erschöpft glitten die Erits von ihren Pferden und ließen sich in das Gras einer Waldlichtung fallen.

„Das war wirklich Rettung in letzter Sekunde", stöhnte Horsa. „Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätten mich eingeholt und umgebracht."

„Was ist denn geschehen?" fragte Mog. „Wenn ich richtig beobachtet habe, so waren deine Verfolger Soldaten des Markgrafen. Wie kam es, dass sie ausgerechnet dich, den Sohn ihres Herrn, umbringen wollten?"

„Das tut nichts zur Sache“, wehrte der Gefragte ab.

„Da bin ich anderer Meinung“, schaltete sich Aramar ein.

„Nun gut, ich habe da so eine Vermutung. Aber darüber können wir jetzt nicht sprechen."

„Wie kam es denn zu dem Überfall?"

„Ich hatte einen Ausflug zum Tribbelkogel gemacht, ein Berg, an dessen Fuß noch wilde Orchideen wachsen. Zurück musste ich durch den Niederwald, und dort schwirrten mir plötzlich Pfeile um die Ohren. Zum Glück traf keiner. Dann war die Meute hinter mir her. Denen war es ernst, das merkte ich sofort. Die wollten mich töten."

„Weshalb hat man dir das Tor zum Schloss nicht geöffnet?"

„Das weiß ich nicht!" Horsas Stimme klang trotzig.

„Vielleicht hat man dich nicht bemerkt?"

„Nein, das kann es nicht sein. Ich sah einige unserer Diener über die Mauer spähen. Sie haben mich bewusst nicht hereingelassen."

„Hast du in den letzten Tag irgendwelche Veränderungen bei euren Dienern bemerkt?"

„Nein!" dann wütend, „so lasst mich doch in Ruhe“, und schließlich erstaunt, „doch, wer bist du? Dir habe ich meine Rettung zu verdanken!"

„Das ist Aramar, der Zauberer", beeilte sich Mog zu sagen.

„Aramar, der Zauberer?" wiederholte Horsa verwundert und schüttelte den Kopf. „Was für ein seltsamer Tag heute ist. Ich habe schon viel von dir gehört, aber ich zweifelte bisher, dass es dich wirklich gibt. Wenn ich ehrlich sein soll, ich hielt dich für eine Legende."

„Nun, wenn du nachprüfen willst, ob ich aus Fleisch und Blut bin, hier ist meine Hand."

Nun lachte auch Horsa und reichte eine schmale Hand dem Zauberer, der sie mit seinen beiden Händen umschloss und den Markgrafensohn von oben bis unten musterte. Der junge Mann war schlank und hochgewachsen. Er trug einen flotten, grünen Jagdanzug, dessen Kragen mit feinem Pelz besetzt war. Über seine Schuhe hatte er rote Gamaschen gezogen und sein Gürtel war mit kleinen Edelsteinen und Perlen geschmückt.

Mog drängte zum Aufbruch: „Wir müssen weiter! Wenn die Bande ihre Pferde wieder im Zaum hat, wird sie zurückkommen. Aber wohin sollen wir uns wenden?"

Sie kamen zu dem Schluss, dass sie keine Wahl hatten als einen Übergang über die Berge zu suchen. Horsa, der hier aufgewachsen war, kannte eine Passage über den Windspitzpass. Der Pfad schraubte sich in Serpentinen zum Kogelpass hinauf und war bald nicht mehr sichtbar.

Die Pferde kamen nur noch mühsam vorwärts. Immer wieder glitten sie aus, und die Männer, die längst abgestiegen waren, mussten sie mit aller Kraft ziehen und schieben. Irgendwann war es so dunkel, dass das Weiterklettern zu gefährlich wurde. Ständig liefen sie in Gefahr abzustürzen. Schließlich machten sie Halt und bereiteten sich ein Nachtlager. Die Männer waren auf eine Übernachtung im Freien nicht vorbereitet und hatten deshalb weder Decken noch Schlafsäcke dabei. Es war aber um diese Jahreszeit schon ziemlich kalt, ganz besonders in dieser Höhe. Hier gab es so gut wie keinen Schutz vor den beißenden Wind und sie froren erbärmlich.

Horsa war den ganzen Tag schweigsam und bedrückt gewesen. Mog hatte ihn sogar manchmal verstohlen eine Träne aus den Augen wischen sehen. Diese Phasen tiefer Traurigkeit wechselten mit Heiterkeitsausbrüchen, die so überraschend und heftig waren, dass sich seine Begleiter erstaunt anblickten. Mog fragte sich, ob es der Verrat seiner Soldaten war, der dem Markgrafensohn so sehr zu Herzen ging.

„Nun erzähle“, forderte Aramar den jungen Mann auf. „Was ist in den letzten Tagen geschehen? Hast du inzwischen eine Idee, warum man dich umbringen will, und weshalb dir deine Leute im Schloss nicht geholfen haben?"

„Darüber habe ich natürlich die ganze Zeit nachgedacht, und ich glaube, ich habe eine Erklärung. Doch ich möchte nicht darüber reden."

„Was heißt das?"

„Das geht nur mich und meine Familie etwas an."

„Da irrst du dich. Ihr seid nicht irgendein Clan, sondern die Herrscherdynastie. Bei euch gibt es nichts Privates. Alles, was euch betrifft, ist für das gesamte Heimland von Bedeutung. Und nun erzähle. Die Gefahr ist groß, und es gibt keine Entschuldigung für falsche Scham! Ich klettere doch nicht zum Vergnügen durch die Gegend."

Die letzten Worte hatte er barsch gesprochen. Horsa verstummte, und die Dunkelheit verbarg die Tränen, die ihm über die Wangen rannen. Als er sich wieder etwas gefangen hatte, begann er stockend: „Es war vor einer Woche. Ich hatte einen Ausflug geplant, der den ganzen Tag über dauern sollte. Aber Sternkönig, mein Pferd, lahmte plötzlich. Ihr habt es ja selbst gesehen. Immer wenn es stark beansprucht wird, tritt das Übel auf. Also kehrte ich frühzeitig nach Hause zurück. Das Tor stand offen, und ich gelangte ins Schloss, ohne dass ein Diener aufmerksam geworden wäre. Ich war erhitzt und erregt und wollte Mutter meine Rückkehr mitteilen. So stürmte ich in ihr Zimmer. Wahrscheinlich habe ich das Anklopfen vergessen. Da sah ich etwas Furchtbares. Sie stand in inniger Umarmung mit dem Hauptmann der Garde. Natürlich zog ich mich sofort zurück. Doch die beiden hatten mich gehört und waren auseinandergefahren. Ihr könnt euch meine Verwirrung und mein Entsetzen vorstellen. Mit meiner Mutter habe ich über diesen Vorfall nie gesprochen. Sie ging mir von da an aus dem Weg, und ich hielt mich so wenig wie möglich im Schloss auf."

Aramar war sehr nachdenklich.

„Das erklärt vieles. Man wollte dich also als unliebsamen Zeugen aus dem Weg schaffen. Vielleicht hat man Angst, du könntest deinem Vater, wenn er zurückkommt, etwas berichten? Vielleicht weiß deine Mutter aber auch gar nichts von dem Komplott? Vielleicht wird sie von diesem Hauptmann, der wahrscheinlich die Herrschaft über das Heimland an sich reißen will, nur benutzt. Wenn er diese Absichten hat, so stehst nur du ihm noch im Weg. Wie auch immer, du bist in größter Gefahr. Doch was ist mit deinen Schwestern?"

„Meine Mutter will mir nichts Böses. Da bin ich mir sicher. Dieser Schurke nutzt sie nur aus. Glaubt mir, sie weiß nichts von dem geplanten Verbrechen an mir. Wäre ihr die Wahrheit bekannt, sie würde die Soldaten sofort zur Ordnung rufen. Doch im Moment ist sie den Lügen des Hauptmanns ausgeliefert. Sie glaubt ihm, und ich kann nicht zu ihr, um sie aufzuklären. Meine Schwestern sind nicht in Gefahr, da bin ich mir sicher. Sie sind für die Aufrührer nicht von Interesse. Warum auch, außer für Kleider haben sie sich bisher nur für Tändeleien mit Soldaten interessiert."

„Zumindest brauchen wir uns um deine Familie keine Gedanken zu machen“, sagte Mog. „Ich war schon voller Sorge und wollte vorschlagen, dass wir zurückkehren, um ihr zu helfen."

„Nein, mein guter Mog. Horsas Familie wird zumindest in der nächsten Zeit nichts geschehen. Aber ihn müssen wir retten. Wenn er dieser Soldateska in die Hände fällt, ist er verloren und mit ihm das Heimland. Die Aufrührer wissen, so lange der Sohn des Herrschers am Leben ist, wird es Widerstand geben."

„Aramar“, Horsas Stimme war zaghaft, „erlaube mir bitte eine Frage? Ich kann nicht begreifen, weshalb wir vor diesen Banditen davonlaufen. Du bist ein großer Zauberer. Es müsste dir ein Leichtes sein, diese Soldaten das Fürchten zu lehren. Stattdessen verkriechen wir uns und hoffen nicht entdeckt zu werden."

„Diese Frage habe ich schon lange erwartet. Aber ich muss dich enttäuschen. Zaubern ist keine Beschäftigung im Alltag, der man sich nach Belieben bedienen kann. Jeder Zauber ist ein kleines und manchmal ein großes Wunder. Kein Sterblicher kann aus eigener Kraft zaubern. Ihm wird diese Fähigkeit aus einer anderen Welt gegeben."

„Doch wie kommt man in den Genuss dieser Kraft?"

„Es gibt zwei Möglichkeiten dieser Gnade teilhaftig zu werden. Man kann seine Seele an das Böse verkaufen. Also einen Handel machen. Das Böse ist dem Handelspartner dann hier auf Erden mit all seinen Zauberkräften dienstbar. Irgendwann kommt aber die Zeit, und es fordert den Lohn für seine Dienste ein."

„Das hast du doch nicht etwa getan?" fragte Mog erschrocken.

„Nein, mein guter Mog. Obgleich für viele diese Vorstellung verführerisch ist, habe ich niemals daran gedacht, mit dem Bösen einen Pakt einzugehen. Ich bin den anderen Weg gegangen. Ich habe versucht, mir die Kraft zu verdienen. Wenn ich zaubere, so wird mir ein wirkliches Geschenk zuteil. Es wird ein Wunsch von mir erfüllt. Im Gegensatz zum ersten Weg, bei dem man seine Seele verkauft, muss mir die andere Welt aber nicht zu Diensten sein. Sie tut es freiwillig. Zwar gelang mir bisher jeder Zauber. Das bedeutet, ich wurde nie abgewiesen. Aber Zaubern ist dennoch eine Gnade, die ich nicht zu oft fordern darf.

Bedenke, Horsa, wenn dir jemand seine Hilfe anbietet, so wirst du versuchen, die Gunst des anderen nicht allzu sehr zu strapazieren. So ist es auch hier. Ich bin dankbar für die Macht, die mir verliehen wurde. Aber ich bin auch demütig genug, um zu wissen, dass sie nicht mein Verdienst ist. Deshalb nutze ich sie so selten wie möglich.

Dies bedeutet für uns, wir müssen uns mit eigener Kraft durchschlagen und können keine höheren Mächte zu Hilfe rufen. Meine Zauberei kann uns höchstens aus größter Not erretten. Was wir brauchen, ist deshalb Wachsamkeit, Schlauheit, Mut, und, wenn es sein muss, Entschlossenheit und Kraft. Das sind unsere Waffen und nicht irgendwelche Zaubersprüche."

„Wer verleiht die Kraft, von der du gesprochen hast?" fragte Horsa. „Oder noch einfacher, wer zaubert denn nun?"

Da lächelte Aramar und sagte nach einer langen Pause: „Darüber kann ich nicht so sprechen, dass ihr es verstehen würdet."

Nach einer Weile des Schweigens redeten sie über ihre Lage. Zuerst galt es, Horsa in Sicherheit zu bringen. Die Soldaten würden im ganzen Heimland nach ihm suchten. Sie kamen nach langer Beratung zu dem Schluss, dass das beste Versteck für den Grafensohn wohl Gutruh sei. Doch dorthin mussten sie aber erst einmal gelangen. Ein gefährlicher Weg lag vor ihnen. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Sicher wurden alle Straßen bewacht und mussten deshalb gemieden werden.

Sie machten es sich dann auf dem harten Boden so bequem wie möglich und dösten bis zum Morgen.


Endlich nach einer langen Nacht schickte die Sonne ihre ersten Strahlen durch die Wolken und enthüllte strahlendes Weiß, das die Berge überzogen hatte. Die kleine Gesellschaft brach sogleich auf. Von den Verfolgern war nichts zu sehen und zu hören. Doch Aramar warnte. Wahrscheinlich waren inzwischen schon berittene Boten im ganzen Land unterwegs, die zur Hatz auf den Grafensohn aufriefen. Irgendeine gemeine Lüge würde man sich schon zur Rechtfertigung ausgedacht haben.

Irgendwann erreichten die Drei die Ebene und verließen das kleine Wäldchen, das sie zuletzt durchquert hatten. Vor ihnen breitete sich eine weite Aue aus, in deren Mitte der Fluss Rentnitz floss. Brache Felder und abgemähte Wiesen wechselten sich ab, soweit das Auge reichte. Es war im Sommer ein blühendes Land, das reichen Bauern gehörte. Ihre Höfe lagen als Weiler verstreut. Vor sich sahen sie ein Gehöft mit roten Dächern, auf das sie zu ritten.


Der Bauernhof


Es war inzwischen Nachmittag, als sie endlich vor dem Tor eines großen Bauernhofs standen. Es roch nach Mist und Tieren. Ein Hund schlug an. Horsa war auf seinen Streifzügen durch die Grafschaft hin und wieder hier vorbeigekommen, hatte die Bauersleute bisher aber nicht kennen gelernt. Er erklärte seinen Begleitern, dass sie vor dem Gerstenhof standen.

Ohne zu zögern traten sie durch das breite Tor, überquerten den großen Hof und gingen zielstrebig auf eine offenstehende Tür an der Längsseite des Gebäudes zu. Da schallte die hohe Stimme einer Frau über den Hof: „Was wollt ihr hier?“

Sie trat aus dem Stall. Ihre fleckige Kittelschürze war so ausgewaschen, dass man das große Blumenmuster kaum noch erkennen konnte. Aufgeregt ruderte sie mit den Armen, um die Fremden vom Hof zu weisen.

„Wir haben Hunger“, rief Aramar. „Bitte gebt uns eine Brotzeit. Wir werden auch bezahlen.“

„Wir verkaufen nichts!“

„Dann macht doch einmal eine Ausnahme.“

„Ach, lasst mich in Ruhe und verschwindet.“ Die Stimme der Bäuerin klang ärgerlich.

„Brot, Butter und ein Glas Milch werden wir übrighaben, Bäuerin“, sagte plötzlich eine ruhige Stimme.

Der Bauer war aufgetaucht und beruhigte seine Frau. Mit einer Handbewegung wies er den Fremden den Weg in die Küche und hieß sie, sich an dem grob gezimmerten Tisch setzen. Dann holte er wortlos Brot, kaltes Fleisch und einen großen Krug mit kühler Milch aus der Speisekammer. Als seine Gäste versorgt waren, setzte er sich zu ihnen und fragte neugierig: „Was führt euch in unsere einsame Gegend?“

„Wir kommen aus den Bergen. Dort haben wir uns verirrt“, antwortete Horsa.

„Und was wolltet ihr in den Bergen?“ fragte der Bauer misstrauisch. „Ihr macht mir nicht den Eindruck, als würdet ihr zum Vergnügen Bergsteigen gehen. Ausgerüstet für derartige Unternehmungen seid ihr übrigens auch nicht, wie ich sehe.“

Nun begannen alle drei Besucher gleichzeitig mit weitschweifigen Erklärungen. Dabei verwickelten sie sich vor dem schweigenden Bauern so sehr in Widersprüche, dass Aramar schließlich die Gefährten mit einer Handbewegung zur Ruhe brachte und sagte: „Es ist wohl besser, wir sagen die Wahrheit. Wir sind auf der Flucht vor den Soldaten.“

„Das habe ich mir gedacht.“

„Wie kommst du darauf?“

„Heute Morgen waren Reiter in Uniform hier. Sie ritten von Hof zu Hof und fragten, ob drei Landstreicher hier durchgekommen wären.“

„Was hast du geantwortet?“

„Die Wahrheit natürlich, nämlich nein. Aber man trug uns auf, Boten zur Oststraße zu schicken, wenn jemand auftauchen sollte. Dort wären stets Patrouillen anzutreffen. Doch nun heraus mit der Sprache, wer seid ihr und weshalb werdet ihr gesucht?“

„Mein Name ist, äh“, mischte sich nun Mog räuspernd ein, „mein Name ist Bilg, Bilg aus Weststadt. Und dieser alte Mann heißt Bruchhagen und kommt aus dem Osten.“

Er wollte gerade auch Horsa mit einem falschen Namen vorstellen, da sagte dieser rasch: „Ich habe es nicht nötig, mich zu verleugnen.“

Er stand auf und reckte sich zu seiner vollen Größe. Seine vornehme Herkunft war nun für jedermann erkennbar. Dann erklärte er stolz: „Mein Name ist Horsa. Mein Vater, Pet aus der Familie der Hagen, ist der Markgraf vom Heimland. So und nun kannst du die Schergen rufen!“

„Warum sollte ich jemanden rufen?“ fragte der Bauer und lächelte verschmitzt. „Aber zuerst einmal heiße ich euch unter diesen neuen Umständen noch einmal und umso herzlicher willkommen.“ Dann wurde sein Gesicht ernst. „Ich glaube, ich habe keine guten Nachrichten für euch. Vor zwei Wochen kam hier ein verwundeter Reiter an. Er trug die Rüstung der markgräflichen Soldaten. Mitten auf dem Hof stürzte er von seinem Pony. Das einzige was er sagen konnte, war: ‚Abtrünnige haben mich überfallen. Ich bitte euch, verbergt mich.'

Wir trugen ihn auf den Heuboden und machten ihm ein Bett. Dort liegt er noch immer in tiefer Ohnmacht. Ich weiß nicht, ob er überleben wird. Meine Frau kümmert sich Tag und Nacht um ihn. Ständig hat sie Angst, er könnte entdeckt und fortgeschleppt werden. Sie erschrickt über jeden Fremden, der auf unseren Hof kommt. Deshalb war sie auch so abweisend zu euch."

„Hat der Reiter irgendetwas über meinen Vater gesagt?" fragte Horsa hastig.

„Nein, aber er hatte ein Bündel bei sich, das er an seiner Brust barg, und das er noch krampfhaft umklammerte, als er längst ohnmächtig geworden war. Wir haben es ihm vorsichtig entwunden, aber bisher nicht geöffnet. Es trägt das markgräfliche Siegel. Wir wussten nicht, ob wir es untersuchen durften. Aber Ihr seid aus der Familie unseres Herrn. Für Euch ist das Siegel kein Hindernis."

Der Bauer stand auf und ging hinaus. Als er zurückkam, legte er vorsichtig ein seltsames Päckchen auf den Tisch. Es war ein blaues Tuch, dessen vier Enden verknotet waren. Der Stoff war verblasst und schmutzig und auf einer Seite von Blut befleckt. Deutlich konnte man noch das gestickte Wappen erkennen. Der Knoten war mit einer dünnen Schnur umschlungen, die ein rotes Siegel trug. Vorsichtig nahm Horsa das Bündel, brach das Siegel und löste den Knoten. Tränen standen ihm in den Augen. Zum Vorschein kamen zwei goldene Uniformlitzen, ein Ring, ein seltsames metallenes Ding, das golden glitzerte, und ein eng zusammengefaltetes Stück Papier. Vorsichtig nahm Horsa den Ring und sah ihn lange an.

„Es ist der Ring meines Vaters“, sagte er.

Dann untersuchte er die goldenen Schulterklappen. Auch bei ihnen bestätigte er, dass sie dem Markgrafen gehört hatten. Schließlich entfaltete er vorsichtig das Papier und las laut vor:


„Diese Gegenstände sind meinem Sohn Horsa zu übergeben. Er ist von nun an der rechtmäßige Herrscher über das Heimland. Ich gebe hiermit das vom König empfangene Lehen, das ich nach meinen besten Kräften und mit lauteren Absichten verwaltet habe, an meinen Sohn weiter. Möge der Segen des Himmels auf ihm ruhen, möge er walten zum Wohl des Heimlands und seiner braven Bewohner. Möge er geschützt sein vor allen Unbilden, Gefahren, Lug und Trug."


Horsa konnte nicht weiterlesen. Tränen rannen ihm über die Wangen, und die Stimme versagte ihm. Endlich nahm er das Papier wieder auf und las weiter.


„Mein lieber Sohn,

wenn du diese Zeilen in den Händen hältst, so bin ich sicher nicht mehr am Leben. Ich muss dir gestehen, dass ich nach Whyten nicht nur aufgebrochen bin, um Meliodas die letzte Ehre zu erweisen. Ich habe auch versucht, das wird mir nun immer klarer, vor den Problemen in unserer Familie davonzulaufen. Erspare mir bitte, dich einzuweihen. Die Kenntnis all der widerlichen Begebenheiten der letzten Monate würde dich nur allzu sehr belasten.

Aber es gab noch einen anderen Grund für diese Reise. Nun, da das Alter mich bereits zu zeichnen begonnen hat, wollte ich zurück an die Stätten der großen Zeit meines Lebens. Zu den Orten, wo ich einmal wirklich Mut gezeigt und mir Freundschaft verdient hatte. Nie mehr bin ich später so glücklich gewesen wie damals in all dem Leid, der Angst und der Gefahr. Doch man kann das Vergangene nicht zurückholen, und so stand unsere Fahrt unter keinem guten Stern.

Zunächst ritten Marrham und ich mit unserem Gefolge den Tabakweg hinab. Noch bei der Welmfurt, der Brücke über den Erfstrom, schien alles friedlich. Aber in Rudia hatten die Bewohner alle Tore der Stadt geschlossen und verwehrten uns den Eintritt. Wir rasteten zwei Tage vor Rudia, und obgleich wir wirklich keinen Anlass zu irgendeinem Misstrauen gaben, öffneten sich die Tore zu keinem Zeitpunkt. Auch, und dies war besonders seltsam, bekamen wir keinen der Bewohner zu Gesicht. Auf der Alten Südstraße wollten wir das Paradland durchqueren.

Dort gerieten wir in einen Hinterhalt. Wir hatten in einem kleinen Wäldchen nach langem Suchen eine Quelle gefunden und unser Lager aufgeschlagen. In der Nacht wurden wir angegriffen. Die meisten unserer Wachen hat man hinterrücks ermordet. Bevor wir alle erwacht und kampfbereit in Stellung gehen konnten, war bereits die Hälfte unserer Männer gestorben. Nun sind wir nur noch ein kleiner Haufe. Marc ist verschwunden. Ich glaube er ist tot. Wahrscheinlich wird keiner von uns dieses Gefecht lebend überstehen. Es sind Orokòr, die uns aufgelauert haben. Die finsteren Geschöpfe sind wieder auf Mord aus. Meliodas hat sie bisher im Zaum gehalten, aber nach seinem Tod haben sie freie Bahn. Ja, Meliodas ist tot, man merkt es aller Orten, wenn man durch das Land reist. Der arme Freund! Ich habe ihn geliebt.

Mein lieber Sohn, wir sind noch fünfzehn Mann und werden nicht mehr lange Stand halten können. Ich suche den von meinen Männern aus, der am wenigsten verwundet ist und schicke ihn zu dir. Ich weiß, du bist noch jung und hast dich bisher für die Herrscheraufgaben nur wenig interessiert. Aber du wirst das Heimland regieren, wenn es nötig ist. Verhindere, so gut du kannst, dass das Böse über die Grenzen flutet. Sei auf der Hut, auch vor deiner Familie, und zeige den Soldaten eine starke Hand. Meine Hand war bei ihrer Auswahl nicht immer glücklich, das weiß ich jetzt.

Ich weiß aber auch, dass viele Männer unserem Haus noch immer treu ergeben sind. Mein Segen ist bei dir, aber mein Herz ist voller Sorge. Ich habe lange an dir gezweifelt, doch nun bist du meine einzige Hoffnung. Lasse dich von der Last der Verantwortung nicht erdrücken, zeige Härte! Nur mit Entschiedenheit und der festen Entschlossenheit, auch Leid zuzufügen, kannst du etwas für das Glück der dir Anvertrauten tun. Härte ist manchmal Barmherzigkeit. Mein Bote muss durchkommen, denn ich sterbe leichter, wenn ich das Heimland in deinen Händen weiß.

Lebe wohl, mein Sohn und sei dem Himmel und dir selbst treu.

Dein Vater.


Horsa legte schweigend den Brief zurück auf den Tisch und verließ den Raum. Drei Männer blieben mit ernsten Gesichtern zurück. Aramar griff nach dem Papier und las es sorgfältig noch einmal Zeile für Zeile. Dann untersuchte er es auch auf der unbeschriebenen Seite genau. Schließlich packte er das Bündel sorgfältig wieder zusammen.

„Wir müssen mit dem Boten sprechen", sagte er zu dem Bauern. „Mog, geh hinaus und suche Horsa!"

Gemeinsam kletterten sie die Leiter zum Heuboden hinauf. Oben kam ihnen die Bauersfrau entgegen. Sie war trotz der Erklärungen ihres Mannes noch immer misstrauisch. Widerwillig trat sie zur Seite und ließ die Fremden zu ihrem Schützling.

„Zum Glück sind meine Kinder alle auf dem Feld, sonst käme ich mit dem Erklären überhaupt nicht mehr nach", seufzte der Bauer.

Auf einem Bett aus Heu und Stroh lag ein großer, bärtiger Erit. Sein Kopf war mit Leinenstreifen verbunden. Blut sickerte durch den Verband, obgleich die Verwundung nun schon mehrere Tage zurückliegen musste. Die Augen des Kranken waren geschlossen, sein Gesicht bleich und beinahe blutleer, die Nase spitz. Die Hände ruhten kraftlos neben seinem ausgemergelten Körper auf dem Lager. Es war offensichtlich, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Aramar setzte sich neben ihn, fühlte den Puls und hob eines der geschlossenen Lider, um dem Verwundeten ins Auge zu sehen.

„Ich brauche heißes Wasser", sagte er.

Dann griff er in seinen Umhang und zog ein kleines Fläschchen hervor, von dem er dem Sterbenden ein paar Tropfen auf die Lippen träufelte.

„Was hast du ihm gegeben?" flüsterte die Frau.

„Es waren Heilpflanzen, die man verbrannt, und deren Asche man in Weingeist aufgelöst hat“, sagte der Zauberer, während er mit seinem Fingernagel einen Punkt in der Oberlippe des Verwundeten direkt unter der Nase massierte.

Da öffnete der Kranke die Augen und sah den Zauberer an. Inzwischen hatte die Frau heißes Wasser geholt, und nun begann ein zähes Ringen um das Leben des Soldaten, das bis spät in die Nacht dauerte und schließlich siegreich endete. Es war bereits nach Mitternacht als der Kranke wieder schlief. Aber es war keine Ohnmacht mehr, sondern ein Genesungsschlaf. Die letzte Stunde war Aramar mit ihm allein gewesen. Er hatte alle anderen fortgeschickt. Nun stieg er müde die Leiter zum Hof hinab und ging hinüber in die Küche. Dort saßen jetzt auch die beiden Söhne und die Tochter der Bauersleute. Man hatte ihnen eine glaubhafte Geschichte über die Anwesenheit der Fremden erzählt.

„Er braucht noch viel Schlaf", sagte Aramar, nachdem er ein Glas Milch getrunken hatte. „Aber er ist über dem Berg. Vierzehn Tage muss er bestimmt noch liegen. Kann er so lange bei euch bleiben?"

„Aber sicher", versicherten alle wie aus einem Munde.

Die jungen Bauersleute gingen irgendwann ins Bett. Dann wurde es Zeit zum Aufbruch. Doch wie sollten sie an den Soldaten, die auf allen Straßen patrouillierten, vorbeikommen? Nach langen Beratungen fassten sie einen Plan. Weil nach drei Flüchtigen Ausschau gehalten wurde, durften eben keine drei Personen zusammen über die Straßen reiten. Das bedeutete, sie mussten sich trennen. Mog und Horsa, jener etwas widerstrebend, zogen alte Kleider des Bauern an und machten sich nach Norden auf den Weg. Man würde sie für Leute vom Land halten. Die Pferde ließen sie auf dem Hof zurück, da auch nach ihnen gesucht wurde. Nur der Zauberer behielt sein Ross.

„Wohin wirst du reiten?" fragte Horsa beim Abschied.

„Erst einmal nach Whyten und dort nach dem Rechten sehen."

„Wie willst ohne Ausrüstung den weiten Weg bewältigen?" fragte Mog besorgt.

Aramar lachte. „Lass mich nur machen. Ich bin schon weiter gereist, als du dir vorstellen kannst."

Sie reichten sich die Hände, und den beiden Erits war es bang ums Herz.

„Wann sehen wir uns wieder?" fragte Mog.

„Sobald es geht, komme ich nach Gutruh", antwortete der Zauberer, stieg aufs Pferd und ward nach wenigen Augenblicken nicht mehr gesehen.


Kurz nach ihm brachen auch Mog und Horsa auf. Sie waren kaum ein paar Minuten gegangen, da fiel Horsa etwas ein. Er eilte zurück, ließ sich seine bisherigen Kleider geben und kramte in deren Taschen. Befriedigt verstaute er etwas in der Bauerntracht, die er nun trug. Dann kehrte er zu Mog zurück. Erits können sich lautlos in der Nacht bewegen, und so waren sie in den dunklen Bauernkleidern bald darauf verschwunden.

Erst als der Morgen graute, machten sie Rast auf einer kleinen Lichtung und aßen die Wegzehrung, die ihnen die Bauern mitgegeben hatten. Bei Tageslicht wurde das Fortkommen gefährlicher, dennoch bogen sie schließlich auf die Landstraße nach Grünbergen ein. Bisher war alles gut gegangen. Da hörten sie Pferdegetrappel. Vier Reiter kamen von Norden die Landstraße herab. Ein Ausweichen war nicht möglich. Die Gegend war hier flach und ohne Deckung. So blieb den beiden Wanderern nichts, als tapfer der Straße zu folgen und so unbefangen wie möglich auszusehen. Es waren Soldaten, die ihnen entgegenkamen. Sie kreisten die vermeintlichen Bauern sofort mit ihren Ponys ein. Die Pferde waren struppig und ungepflegt. Man sah, dass sie seit Tagen nicht mehr gestriegelt worden waren. Auch ihre Herren waren schmutzig. Sie trugen heruntergekommene und zerrissene Uniformen.

„Wer seid ihr?" brüllte ihr Anführer.

„Zwei Knechte, die zur großen Straße wollen“, antwortete Mog tapfer.

„Woher kommt ihr und was wollt ihr da?"

„Wir kommen vom Südweiler und wollen etwas Verdächtiges den Herrn Soldaten auf der großen Straße melden."

„So vom Südweiler kommt ihr? Dort waren wir gestern. Wie kommt es, dass ich euch nicht gesehen habe?"

„Wir waren auf dem Feld gewesen. Nun hat uns der Bauer losgeschickt."

„So, der Bauer hat euch losgeschickt? Was habt ihr denn zu vermelden?"

„Wir sollen berichten, dass drei verdächtige Individuen am Hof vorbei geschlichen sind."

„Ja, und der eine war kein Erit“, mischte sich nun Horsa eifrig ein, „sondern ein alter Mensch."

„So, so ein alter Mensch“, wiederholte der Soldat.

„Ja, ein alter Mensch mit weißem Bart."

„Einen weißen Bart hatte er also auch?"

„Ja, und Stiefel!"

„Da habt ihr aber genau hingesehen“, sagte der Soldat misstrauisch. „Wie nahe seid ihr den verdächtigen Individuen denn gekommen?"

„Fünf Fuß von mir entfernt kamen sie vorüber. Ich war gerade dabei das Hoftor zu schließen, da kamen sie. Einer von ihnen hinkte. Aber ich habe mich hinter dem Tor versteckt. Sie sahen zum Fürchten aus."

„Und wohin gingen sie?"

Die Frage klang lauernd. Mog wurde mulmig zumute. Er mischte sich ein und sprach beruhigend: „Ich hab' sie auch gesehen. Sie sind nach Westen gelaufen."

„Nach Westen also“, der Soldat pfiff durch die Zähne. „Das muss sofort der Hauptmann erfahren. Wir drei sind zu schwach, um sie zu verfolgen. Wir wären ihnen wahrscheinlich unterlegen. Das sollen ganz üble Burschen sein."

Mog wollte schon aufatmen. Da richtete sich Horsa hoch auf und rief stolz: „Nun wisst ihr alles! Geht aus dem Weg und haltet friedliche Bürger nicht auf. Der Markgraf sagte immer, seine Soldaten sollen die Leute beschützen und nicht beherrschen."

Der Anführer war einen Moment sprachlos. Dann sagte er tückisch: „Holla, Bürschchen! Was sind das für Töne. Wo hast du die gelernt? Ihr beiden kommt mit. Ich traue euch nicht."

Die Reiter nahmen die zwei in die Mitte und schlugen ein flottes Tempo an, dem die erschöpften Erits kaum zu folgen vermochten. Aber wenn sie zurückblieben, erhielten sie einen Stoß. Deshalb beeilten sie sich, Schritt zu halten. Der Marsch wurde zur Tortur.

„Entschuldige, Mog“, murmelte Horsa. „Meine Nerven sind mit mir durchgegangen. Ich konnte die Unverschämtheit der Burschen nicht länger ertragen. Nun habe ich uns in einen großen Schlamassel hineingeritten."

„Ruhe!" brüllte da der Reiter rechts von ihnen. „Hier wird nicht getuschelt. Benutzt euren Atem zum Laufen. Reden müsst ihr später vor dem Major noch genug."

Alle lachten und trieben ihre Pferde zu noch schnellerem Trab an. Endlich erreichten sie den Dreieichenhof. Er hatte seinen Namen nach drei mächtigen Bäumen, in deren Schatten zuerst die windschiefe Hütte eines Schäfers gestanden hatte. Dann war sie durch einen Fachwerkschuppen ersetzt worden, und schließlich bauten die Vorfahren des heutigen Bauern ein Steinhaus mit Stall und begannen mit der Landwirtschaft. Die Benennung nach den Bäumen aber war geblieben. Nicht erklären konnte man jedoch die Bezeichnung 'Eichen', denn die drei Bäume waren Linden.

Dies alles ging Mog durch den Kopf, als sie sich dem Weiler näherten. Er kannte nämlich den Bauern von seinen Streifzügen durch das Heimland, auf denen er häufig bei ihm eingekehrt war.

„Der Dreieichenbauer kennt mich“, flüsterte er seinem Begleiter warnend zu. „Hoffentlich geht das gut!"

„Und mich kennt der Offizier, der dort mitten auf dem Hof steht. Das kann ja heiter werden“, antwortete Horsa leise.

Sie waren inzwischen so weit herangekommen, dass sie das Treiben auf dem Gehöft überblicken konnten. Dort herrschte ein wildes Durcheinander. Soldaten liefen scheinbar ziellos über den Hof, andere ritten wie im Irrsinn um die Häuser. Vieh wurde herumgeführt, aus den Ställen blökten Kühe, die gemolken werden wollten, Hühner flatterten aufgescheucht durch die Gegend, Ziegen mit prall gefüllten, entzündeten Eutern grasten am Wegrain, und in der Mitte dieses Tohuwabohus stand ein kleiner, dicker Erit in Uniform, fuchtelte mit den Armen und brüllte ununterbrochen Befehle.

„Das ist Major Graulocke“, flüsterte Horsa. „Er ist dumm und ein Idiot, und solange ich zurückdenken kann, haben alle über ihn gelacht. Er war so blöd, dass er nicht einmal merkte, dass sie über ihn lachten und hat belustigt mitgemacht. Als mein Vater abreiste, hat er alle guten Leute mitgenommen und diesem Trottel in Ermangelung eines besseren Mannes das westliche Heimland unterstellt. Graulocke war häufig bei uns zu Hause. Wenn er mich sieht, ist alles aus."

„Er darf dich eben nicht sehen“, antwortete Mog ebenso leise.

Dann rannte er plötzlich los, überholte ihre Eskorte, eilte auf den Major zu und warf sich vor ihm zu Boden.

„Herr General“, rief er so laut er konnte, „Herr General, endlich treffe ich jemanden, dem ich die ganze Wahrheit sagen kann."

Graulocke war schon älter, und seine Uniform war im Gegensatz zu der seiner Soldaten korrekt und gepflegt. Auf der linken Brust trug er Orden, die ihm der Markgraf, wer weiß wofür, verliehen hatte. Verwundert sah er diesen Bauerntölpel an, der vor ihm im Staub lag.

„Was willst du? Steh auf!" herrschte er ihn an.

„Herr, ich habe ein Geheimnis, das ich nur Euch anvertrauen darf“, brüllte Mog aus ganzer Kehle.

„Was sollte das für ein Geheimnis sein? Rede!"

„Ich habe den Markgrafen getroffen."

Mit einem Schlag war Stille auf dem Hof. Das Durcheinanderrennen hatte aufgehört, alle waren stehen geblieben und sahen auf den alten Mog in seinen abgetragenen Kleidern.

Das Gesicht des Majors war bleich, als er fragte: "Wo hast du ihn getroffen?"

„Nicht weit von hier, Herr General. Er sagte, ich solle mich zur Oststraße durchschlagen und mich nicht sehen lassen. Dort sollen Truppen sein, die ihm noch treu ergeben sind. Was bin ich froh, dass ich Euch gefunden habe und meinen Auftrag ausführen kann."

Der Soldat war bemüht mit ruhiger Stimme zu sprechen, aber das Zittern in ihr war nicht zu überhören: „Es ist gut, du bist ein braver Bursche. Nun musst du uns nur noch erklären, wo er ist, damit wir ihm zu Hilfe eilen können."

„Er wartet südlich vom Wimmerweiler in der Nähe der Straße nach Dorstadt. Dort ist im Schatten eines großen Felsens eine Quelle. Ihr könnt ihn gar nicht verfehlen."

„Hat er seine Leute bei sich?"

„Nein, er ist ganz allein."

Mog hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, da rief der Major auch schon: „Alles sammeln und aufsitzen! Volle Bewaffnung!" Zu Mog sagte er: „Du hast uns einen großen Dienst erwiesen. Das will ich dir entlohnen. Du bleibst hier, bis ich wieder da bin! Hast du mich verstanden?"

Der alte Erit nickte und wenige Minuten später war der Bauernhof von Soldaten leergefegt. Niemand hatte Horsa beachtet, der nun strahlend auf seinen Begleiter zu trat.

„Das hast du gut gemacht, Mog“, sagte er. „Ich wusste gar nicht, dass du so gut lügen kannst."

Der lächelte verschmitzt. „Ich habe nur ein klein wenig die Unwahrheit gesagt. Lediglich der Aufenthaltsort des Markgrafen stimmte nicht."

„Aber Mog, du hast meinen Vater doch schon lange nicht mehr gesehen!"

„Habe ich von deinem Vater gesprochen? Ich sagte, ich hätte den Markgrafen getroffen, und das ist die Wahrheit. Schließlich bist du jetzt der neue Regent des Heimlandes. Dein Vater hat die Herrschaft an dich weitergegeben."

Betroffen schwieg Horsa. Die Bauern vom Dreieichenhof und ihre Knechte waren inzwischen aus den Winkeln, in denen sie sich versteckt hatten, hervorgekommen. Einige eilten in den Stall, um endlich das Vieh zu melken, zu füttern und zu tränken. Der Dreieichenbauer kam auf die Fremden zu.

„Dich kenn' ich doch“, sagte er, „du bist doch der Mog, der so manches Glas Milch bei mir getrunken hat. Ich bin verdammt froh, dass diese Bande endlich vom Hof ist."

„Sie werden wiederkommen“, sagte Horsa. „Dann müsst ihr mit eurem Vieh weg sein, wenn euch euer Leben lieb ist."

„Das geht doch nicht. Was soll aus dem Hof werden?"

„Wichtig ist, dass du und deine Leute am Leben bleiben. Häuser kann man wiederaufbauen."

„Aber warum sollten sie uns etwas antun? Wir sind unschuldig. Ich weiß nicht einmal, um was es geht."

Die Bäuerin war auch herangekommen und hatte zugehört.

„Die beiden haben recht“, sagte sie. „Es war schon schlimm genug, wie sich die Bande bisher aufgeführt hat. Ich habe um mein Leben und die Unschuld meiner Mägde gezittert. Wenn sie zurückkommt, muss man mit dem Schlimmsten rechnen."

„Aber dieser Hof ist schon seit Jahrhunderten im Besitz meiner Familie. Wir hängen daran. Schon meine Vorfahren haben all ihre Arbeit und Mühe in ihn gesteckt. Ich kann doch nicht einfach alles im Stich lassen!"

„Die Verhältnisse werden nicht immer so bleiben“, tröstete Horsa. „Dann könnt ihr wiederkommen und alles in Ordnung bringen. Die Bürger des Heimlands und auch der Markgraf werden euch dabei helfen."

„Wohin sollen wir gehen?" jammerte der Bauer.

„Zuerst einmal nach Osten und dann über die Rentnitz nach Süden zum Fuß der Windspitzberge. Wenn ihr am Gerstenhof vorbeikommt, erzählt, was euch zugestoßen ist. Ich könnte mir vorstellen, dass man euch dort hilft. Doch nun macht voran. Die Soldaten bleiben nicht ewig weg, und ihr müsst noch das Notwendigste packen."

Nachdem die Entscheidung gefallen war, hatten es alle sehr eilig. Niemand kümmerte sich mehr um Mog und Horsa, die sich schleunigst auf den Weg machten. Gegen Mittag hatten sie den Azbach erreicht. Sie bogen vom Weg ab und näherten sich vorsichtig über die Felder der Brücke. Geduckt hinter Büschen hielten sie Ausschau nach Wachen. Aber weit und breit war niemand zu sehen. Die Brücke war völlig leer. Wie ausgestorben lag sie da. Die Erits fassten sich ein Herz und überquerten sie so rasch sie konnten. Auf der anderen Seite eilten sie quer über Wiesen und Felder nach Nordwesten. Unterwegs waren sie oft stehen geblieben, um nach Verfolgern Ausschau zu halten. Einmal hatte Horsa gemeint, eine große Rauchwolke zu sehen, dort wo der Dreieichenhof lag. Aber er hatte Mog nichts davon gesagt.

Die Nacht verbrachten sie in ihre Mäntel gehüllt in einem kleinen Wald. Am nächsten Tag galt es noch die Oststraße zu überqueren. Doch nicht einmal Flüchtlinge oder Händler waren auf ihr unterwegs. Mühlendorf umgingen sie östlich und Heckendorf im Süden. Auf einem Baumstamm balancierten sie über den Nordbach. Dann erklommen sie den Hügel zu Gutruh und waren endlich am frühen Abend zu Hause.


Aufbruch


Die beiden Männer schliefen nach all den Strapazen weit in den nächsten Tag hinein. Ev hatten sie natürlich von ihren Abenteuern zwar berichtet und sie mit diesen Nachrichten gehörig erschreckt. Sicher, es schmeichelte ihr, dass eine so bedeutende Persönlichkeit wie der Sohn des Markgrafen, der nun sogar selbst Graf sein sollte, unter ihrem Dach weilte. Aber sie hätte auf diese Ehre gerne verzichtet, wenn dafür ihr Leben seinen gewohnten Gang behalten hätte.


Die Tage vergingen, während man auf Aramar wartete und die Anwesenheit von Horsa war schon bald nichts Besonderes mehr. Er gehörte inzwischen zur Familie. Zwar durfte sich der junge Markgraf nicht auf der Straße sehen lassen, aber dies war ihm nur recht. Er lebte in sich gekehrt und lief oft stundenlang im Garten herum.

Die zweite Woche verging, und noch immer hatte sich nichts getan. Deshalb beschloss Mog, Nachrichten von den Geschehnissen außerhalb der Grenzen zu besorgen. Er ging in den ‘Hirsch’ an der Mühlendorferstraße und bestellte einen Krug Bier, den er mit größtem Behagen trank. Der seltene Gast auf der Ofenbank wurde kaum beachtet, es gab nämlich viel zu berichten und zu diskutieren. Die wichtigste Nachricht war der Brand des Dreieichenhofes. Niemand wusste, was mit dem Bauer und seinen Leuten geschehen war. Man hatte nichts mehr von ihnen gehört und auch ihr Vieh war weg. So etwas, da waren sich alle einig, hatte es im Heimland noch nie gegeben. Es roch beinahe nach einem Kriminalfall. Mog nickte befriedigt. Die Flucht der Bauersleute war also gelungen.

Über die Zustände im Heimland gab es nur Gerüchte. Niemand wusste etwas Genaues. Die einen sagten, die Soldaten hätten die Herrschaft an sich gerissen, die anderen wiederum erzählten von revolutionären Bauern und Tagelöhner, die die Macht ergreifen wollten. Auch hieß es, der alte Markgraf sei schwer verwundet zurückgekehrt und liege auf seinem Schloss im Sterben. Hinter vorgehaltener Hand wurde sogar von der bevorstehenden Invasion fremder Mächte geraunt. Düster hing der Name ‘Orokòr’ in der Luft. Doch im Grund wusste niemand etwas Rechtes, das wurde Mog rasch klar.


An diesem Abend saßen Mog und die Seinen mit Horsa noch lange zusammen und berieten sich. Sie kamen endlich zu dem Schluss, dass die Lage zwar unübersichtlich, aber auf jeden Fall gefährlich war. Man musste davon ausgehen, dass von außen Feinde ins Land drängten, und im Heimland selbst hatten wild gewordene Soldaten die Herrschaft an sich gerissen und terrorisierten ihre Mitbürger. Gefährlich waren auch die Revolutionäre, die überall auftauchten. Es waren Bauern und Tagelöhner, die sich zusammengeschlossen hatten, um die Herrschaft des Markgrafen abschütteln. Das sonst so friedliche Heimland drohte auf einmal im Chaos zu versinken und Aramar, der einzige, der helfen konnte, war weit weg.

In ihrer Verzweiflung fiel Horsa an eine Garnison im Norden ein. In der Nähe des Ortes Steinbruch am Fuß des Bustergebirges war General Weißbart mit seinen Leuten stationiert. Er galt dem Herrscherhaus als besonders treu ergeben. Deshalb hatte es sein Vater auch gewagt, ihn so weit entfernt einzusetzen. Zu diesem Major wollte sich Horsa durchschlagen, um mit der Hilfe seiner Truppen das Land zurück zu erobern. Schon am nächsten Tag wollte er aufbrechen.

Nun meldete sich auch Mogs Sohn, Marc, zu Wort. Er erinnerte an seinen Paten und dessen Familie in Waldmar. Zum einen musste man die Leute dort warnen. Wahrscheinlich hatten sie von der Gefahr, in der das ganze Land schwebte, noch nichts mitbekommen. Zum anderen konnte man vielleicht auch von dort Hilfe erhalten. Sie kamen deshalb überein, dass sich Marc am nächsten Tag auf den Weg nach Waldmar machen sollte.

In diesen unsicheren Zeiten konnten dies gefährliche Reisen werden. Deshalb suchte man sorgfältig die Ausrüstungen für die beiden jungen Leute zusammen. Neben Essen für eine Woche erhielten Horsa und Marc dunkle Kleider und der Graf Mogs Schwert.

Der Aufbruch der beiden Erits war für den nächsten Morgen vorgesehen. Ev machte sich große Sorgen um ihren Sohn. Aber sie war auch sehr stolz auf ihn und fuhr ihm, als es niemand sah, zärtlich durch sein langes Haar.

Centratur - zwei Bände in einer Edition

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