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Kapitel 2: Donnerstag, 4. Juni

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"Herrjeh, Stefan! Das sieht ja schlimm aus!" Thorsten Romeike, Leiter des LKA 45, hatte gerade Henningsens Büro betreten und fand seinen Mitarbeiter mit Theo Kaufmann in eine Diskussion vertieft. Die Verletzungen waren weithin sichtbar, weil Henningsen die Hemdsärmel bis zum Ellenbogen aufgekrempelt hatte. Die Lichtverhältnisse im Büro waren dazu geeignet, die optische Wirkung in beklemmender Weise zu verstärken.

Oberhalb des Handgelenks erstreckte sich eine 5 cm lange Hautrötung, die von einer glänzenden Schicht abgedeckt war. "Halb so schlimm." - und zeigte dann auch noch seinen rechten Unterarm, den ein 10-Cent-großes rotes Mal zierte, ebenfalls großzügig mit kühlendem Brandgel bestrichen.

"Verbrennungen 1. Grades", kommentierte Theo Kaufmann grinsend. Er saß rittlings auf dem Besucherstuhl, die Unterarme auf der Rückenlehne und sein Kinn auf den Unterarmen abgestützt.

"Und wie passiert?"

"Ich muss mich leider allein versorgen. Iris ist für eine Woche auf einem Seminar, und ich hab' die Wäsche gebügelt und mir 'ne Pizza gebacken."

"Iris ist seine Freundin", erläuterte Kaufmann mit einer Betonung, die ihm böse Blicke einbrachten.

"Und alles an einem Tag passiert?"

"Es gibt eben solche und solche Tage."

Das Gesicht des LKA-Leiters drückte verhaltenes Mitgefühl aus. Als er sich die Verletzungen aus der Nähe ansah, umfing Henningsen der Geruch von Alpecin forte, den Romeikes grauer Bürstenhaarschnitt umströmte.

"Hoffentlich von einem Fachmann begutachtet?"

"Ich bin Fachmann."

Romeike richtete sich auf und blinzelte ihn an. "Nicht, dass sich da ein Schwelbrand gehalten hat und dir über Nacht die Arme abfallen."

Gequältes Lächeln.

"Aber weswegen ich euch eigentlich stören musste….." Romeike war auf der Suche nach einem Tauschpartner für die Rufbereitschaft am Wochenende, weil Pascal Matzel dringend sein Segelboot zu Wasser bringen musste. Nach langem Schweigen war es Theo Kaufmann, der mit den Schultern zuckte und bekundete, dass er nichts Besonders vor hätte.

Nachdem das geklärt war: "Habt ihr schon zu Mittag gegessen?"

"Vor 'ner guten Stunde", log Henningsen. Wegen der Aussicht, dass nur dienstliche Angelegenheiten thematisiert werden, aß niemand gern mit dem Chef zu Mittag. "Es könnte aber schon bald wieder Kaffee und Kuchen geben."

"So macht man weiter." Romeike schaute aufgeräumt in die Runde, wurde jedoch postwendend ernst, als sein Blick über den Schreibtisch und die aufgefächerte Fotodokumentation flog. "Die Bilder gehören zu dem tödlichen Arbeitsunfall von neulich, oder irre ich mich?"

"Wir haben uns gerade den Kopf über die Verantwortlichkeiten zermartert", erklärte Kaufmann und rückte seine unauffällige Brille mit dem schmalen Goldrand gerade.

Es ging - welch' bittere Ironie! - um einen Krankenhaus-Neubau, wo ein Techniker, mit dem Ausmessen der Empfangsverhältnisse für das Internet befasst, in eine Öffnung stürzte, die für die Versorgungsleitungen ausgespart war. Im Fallen drehte er sich so unglücklich, dass er mit Kopf und Genick zuunterst vier Meter tiefer auf einem Gitterrost aufschlug.

Romeike setzte sich an Gregor Pergandes freien Schreibtisch. "Genau, ich erinnere mich. Anfang letzten Monats passiert."

"Ja, vor knapp sechs Wochen", bestätigte Henningsen. "Ermittlungen, Vernehmungen, alles erledigt, aber das reicht leider immer noch nicht für ein abschließendes Statement."

"Lass die deswegen keine grauen Haare wachsen lassen, Stefan. Der Staatsanwalt hat zu Ultimo ein paar Tausender mehr auf seinem Gehaltskonto. Soll der entscheiden."

"Das mit den Haaren finde ich gut", entgegnete Henningsen und fuhr sich mit der Hand über seinen ebenmäßigen Schädel, wo erst etwa ab Kopfmitte millimeterlanger Haarwuchs einsetzte.

"Kläre mich doch bitte nochmal über die Problematik auf."

"Na ja, genau genommen recht simpel: Der Raum mit dem offenen Versorgungsschacht hatte noch keine Tür. Die Gefahrenstelle war mit rot-weißem Plastikband kenntlich gemacht, das wie ein Kreuz diagonal vor die Öffnung geklebt war. Nun kommt der Zimmermann und soll eine Türzarge einpassen, nimmt natürlich das Flatterband weg und macht seinen Job. Befindet sich mit irgendwelchen Vorbereitungen gerade etwas abseits, als wegen der Messungen der Ingenieur erscheint. Er soll gefragt haben, ob man diesen Raum betreten darf. Das sagten der Zimmermann und ein Glaser, der am hinteren Ende der angrenzenden Räumlichkeit beschäftigt war, übereinstimmend aus. Der Zimmermann will aber nun geantwortet haben, nein, noch nicht, da ist ein Loch im Fußboden. Der Glaser will verstanden haben, ja, aber Vorsicht.

Der Raum, gerade mal 4 m² groß, die Hälfte davon Bodenöffnung, und es fiel kein Tageslicht hinein. Tja.....!" Henningsen schob Romeike die Fotos hin, die Unfallort und Unfallopfer abbildeten. "Hinterlässt Ehefrau und zwei Kinder."

Romeike verzog schmerzlich das Gesicht. "Stürze aus vier Metern Höhe sind schon glimpflicher verlaufen."

"Den Verletzungen nach zu urteilen muss er seitlich, ein Bein zunächst noch auf festen Boden, in den Schacht gekippt sein. Er hatte einen Laptop in den Händen und ein Messinstrument um den Hals hängen und fand so nicht schnell genug Halt." Er machte eine Pause, überdachte die Ermittlungen und fügte hinzu: "Der Bauleiter ist aus dem Schneider. Er hatte ein Rundschreiben rausgegeben, wonach jedes Gewerk und jeder Mitarbeiter selbständig auf gute Ausleuchtung und bauliche Veränderungen achten sollte, die in dieser Bauphase täglich vorkamen und unvermeidlich waren."

"Und warum war das Loch nicht einfach abgedeckt, wie auf der darunter liegenden Etage?"

"Ursprünglich sollen Bretter darüber gelegen haben, aber niemand kann sagen, wer sie aus welchem Grunde entfernt hat." Henningsen schüttelte resigniert den Kopf. "Wir haben an die dreißig Bauarbeiter vernommen."

Es klopfte an der Tür, die im selben Moment auch schon aufgedrückt wurde. "Hi, allerseits!"

Drei Augenpaare musterten den eintretenden Besucher. Brian Niemann von der ZD 644, der regionalen Brandermittlung. Sie ist zuständig für Hamburgs Westen, Norden und einen Teil der Innenstadt - wenn sich ein Verfahren als überschaubar erwies und keine Toten zu beklagen waren.

"Sorry, wenn ich störe, aber es ist ja sonst niemand da von euch." Sein Blick irgendwie schräg, das mittelblonde Haar schulterlang, mit dichten Strähnen, die er sich wegen der Sichtbeeinträchtigung fortwährend aus dem schmalen Antlitz streichen musste. Er trug eine enge Lederhose, ein weißes T-Shirt und darüber, aufgeknöpft und leger, ein graues Oberhemd. "Ich habe gerade was zur KTU gebracht und dachte, ich schau' kurz mal bei euch rein."

Romeike entfaltete seine ein Meter neunzig aus dem Schreibtischstuhl, tat ein paar Schritte auf Niemann zu und schüttelte ihm die Hand. "Das ist natürlich sehr nett. Liebe Kollegen haben wir immer gern um uns. Vielleicht hat Christa ja schon den Kaffee fertig. Dann setzt du dich einfach schon mal in unseren Konferenzraum und wir kommen nach, wenn wir mit unserer kleinen Unterredung am Ende sind."

*

Der Konferenzraum strahlte die typische büromäßige Behaglichkeit aus. Kaffeeautomat und Kaffeeutensilien auf einem grauen Sideboard und offen stehende Schiebetüren, die Einblick auf ein Sammelsurium an Geschirr mit Flohmarktcharakter gewährten. Auf dem Fensterbrett liebevoll gepflegte Grünpflanzen, dazwischen ein Gartenzwerg auf einem Motorrad. Den fand Niemann als Biker natürlich besonders entzückend. Und durch das Fenster konnte man von hier aus die Kollegen anderer Dienststellen bei der Arbeit beobachten, die selbst bei Kriminalbeamten mitunter wie Müßiggang anmutet. Schlecht, wenn bei einem Gebäudekomplex mit sternförmigem Grundriss die Büroräume zum Innenhof liegen. Der Polizeipräsident mit seinem Büro in der fünften Etage könnte bestens Kontrolle ausüben, aber wahrscheinlich hatte er Wichtigeres zu tun.

Als Niemann vor ein paar Minuten den Raum betreten hatte, wurde er von betörendem Kaffeeduft eingefangen. Christa war nicht in Sicht. Er setzte sich und blätterte im Polizei-Journal, bis wenige später Romeike, Henningsen und Kaufmann erschienen.

Henningsen holte vier Kaffeebecher hervor und ließ Kaffee hineinlaufen. Er wandte sich Niemann zu. " Milch? Zucker?"

"Schwarz." Niemann sah sich um. "Das ist bei euch so ruhig. Wo sind die anderen alle?"

Henningsen ließ sich auf den Sitz fallen. "Sind unterwegs und haben zu tun." Er grinste. "Bei uns gibt es keinen Leerlauf."

Romeike, der kurz im Nebenraum verschwand, präsentierte eine Tüte mit Waffelgebäck, die er unfachmännisch aufriss und in eine Kristallschale schüttete. "Zur Feier des Tages."

"Und was gibt's zu feiern?" fragte Niemann.

"Dass ein lieber Kollege der ZD den Weg zum großen LKA 45 gefunden hat", stichelte Henningsen.

Romeikes Gesicht erhielt etwas Offizielles. "Nein - ...dass unser Theo die Aufnahmeprüfung zum Ratslehrgang bestanden hat."

"Ist das wahr?" Niemann grinste. "Glückwunsch! Aber dann bist du ja später gar kein richtiger Krimsche mehr."

"Im Gegenteil. Unter meiner Regie als Polizeipräsident wird endlich Schluss sein mit dem organisatorischen Dilettantismus. Die Verbrechensbekämpfung soll endlich wieder in den Vordergrund rücken!"

"Genau so hättest du's bei der Aufnahmeprüfung sagen sollen", kommentierte Romeike hintergründig. Er zog sein taubenblaues Jackett aus, hängte es über die Stuhllehne und setzte sich.

Sie schlürften Kaffee, die Kekse gingen reihum, sie tauschten sich über Neuigkeiten aus und ergingen sich in den üblichen spaßhaften Sticheleien über das große LKA 45 mit den zwar gehaltvollen und leichengespickten, aber zahlenmäßig wenigen Ermittlungsverfahren und die kleine ZD 644 mit haufenweise Containerbränden, vor allem während der Grillsaison im Stadtpark.

Das stimmte so natürlich nicht wirklich. Regional wurde ganze Arbeit geleistet. In der ZD lief eine stattliche Anzahl hochkarätiger Fälle auf, die mit acht Kriminalbeamten mitunter nicht zu bewältigen waren. Viele kleinere Sachverhalte, in denen Ermittlungsansätze zu erkennen sind, mussten sie aus reinem Selbstschutz klein halten. Fielen sie bei der Prüfung der Beweisbarkeit durch, blieben sie eine Unbekannt-Sache.

Sie alle hier wussten aus der Vergangenheit, dass Niemann nicht so war. Sobald sein Bauchgefühl anschlug, konnte er sich in manche Straftat förmlich hinein wühlen. Das hatte zur Folge, dass er die offizielle Bearbeitungsfrist regelmäßig überschritt und in ständigem Clinch mit seinem Vorgesetzten lag. Dabei war der nur ein kleines Licht. Herrin der Ermittlungsverfahren war nun mal die Staatsanwaltschaft und die würdigte detaillierte und exakte Ermittlungsarbeit, auch wenn sie sich mitunter ein halbes Jahr hinzog.

"Und in welcher Angelegenheit warst du bei der KTU?", fragte Romeike, während seine Hand in der Keksschale wühlte.

"Ich war bei Doc Sager, den Brandbeschleuniger analysieren lassen. Im Zusammenhang mit einer versuchten Schweren Brandstiftung im Nernstweg."

"Ah, die Wohnung der alten Dame." Der LKA-Leiter überlegte kurz. "Da gab es in Ottensen doch noch einen zweiten Brandort."

Niemann schmunzelte. "Ja, vor dem Kirchenportal. Mein erster Gedanke war: ein Dummer-Jungen-Streich. Die Lackierung der schweren Eingangstür ist nur oberflächlich angesengt."

"Und dein zweiter Eindruck?"

Das Lächeln verschwand aus Niemanns Gesicht. Ein paar Sekunden ging er in sich und fragte dann: "Ihr übernehmt doch auch Brandserien. Daran hat sich nichts geändert, oder?"

Henningsen lachte. "Nernstweg und Kirche wären aber noch etwas wenig, Brian."

"Klar, weiß ich doch." Seine Hand zwängte sich in die Tasche seiner Lederhose und förderte ein zusammengeknifftes Stück Papier zutage, das, entfaltet, immerhin DIN-a-4-Format annahm. "Ich habe hier aufgelistet, wozu ich euch um eure Einschätzung fragen wollte. Es geht nicht nur um die beiden Fälle von letzter Nacht, sondern eine ganze Reihe weiterer Brände im Raum Ottensen und Bahrenfeld. Auch Altona und Eimsbüttel." Seine Augen tauchten hinter dem Schriftstück auf. "Lacht bitte nicht. Ich krieg das mit!"

"Niemand lacht", ermunterte ihn Romeike. "Lies vor! Welche Brandorte zählst du hinzu?"

"Okay. Erstens: Montag, 16. März 2009 - bis dahin zurück habe ich die alten Akten bis jetzt studiert - zwei Müllcontainer im Innenhof einer türkischen Bäckerei, auch im Nernstweg.

Dann, in der Nacht auf Sonntag, 22. März, Zeitungspapier auf dem Hinterreifen eines Maserati. Wurde rechtzeitig entdeckt, daher geringer Sachschaden."

"Fällt also nicht in unsere Serie an Kfz.-Bränden", konstatierte der Chef.

"Richtig."

"Wo war das mit dem Maserati?", wollte Kaufmann wissen.

"Piependreiherweg. 'Ne Sackgasse mit einem Durchgang zur Bahrenfelder Straße und zur Ottenser Hauptstraße. Drei-, vierhundert Meter vom Nernstweg entfernt. Nur zur Orientierung.

Der nächste dann am Mittwoch, 15. April, eine Kinderkarre im Treppenhaus, vor einer Wohnungstür. Das Ganze in der Abbestraße, Ottensen, einen Häuserblock vom Nernstweg entfernt. Gab eine ziemliche Sauerei in dem Haus, wegen der hohen Kunststoffanteile, die da verbrannten.

Am 24. April, Freitag, Bahrenfelder Steindamm 18a, Kunststoffgegenstände im Treppenraum. So als hätte der Täter Gefallen daran gefunden, dass sich diese schmierigen Verbrennungsprodukte bis in jeden kleinsten Winkel ausbreiten. Kein echter Brandschaden, aber von oben bis unten, alles schwarz.

Dann: Freitag, 8. Mai, vor einer Wohnungstür in der Gaußstraße. Einen mit Leichtbenzin getränkten Brandsatz auf die Fußmatte gelegt. Wer's nicht weiß: In die Gaußstraße mündet unter anderem auch der Nernstweg.

Und eben die Brände von letzter Nacht. Dazu noch einige Kleinfeuer, die aber bisher unklar sind."

Schweigen.

In das Schweigen hinein betrat Sammy Saalfeld den Raum. Turnschuhe, Blue Jeans, schwarzes T-Shirt, schwarzes, lockiges Haar, Drei-Tage-Bart.

"Hey, Leute, hab' ich was verpasst?" Er stellte seinen Alu-Koffer neben das Side-Board und schwenkte prüfend die Kaffeekanne. "Oha, ihr habt noch übriggelassen. Wird positiv vermerkt." Während er seinen Becher füllte, nahm er den Besucher von der ZD wahr. Er ließ seine weißen Zähne aufleuchten. "Brian, alter Spießgeselle!" und erinnerte sich an die stets inspirative Zusammenarbeit mit ihm. "Was treibt dich auf unsere Bühne?"

"Ich will ein paar Akten bei euch versenken, damit ich wieder Luft bekomme." Niemann grinste. "Nein, im Ernst....." Er fasste sein Anliegen noch einmal zusammen und fügte abschließend hinzu: "Ich weiß ja selbst: Viele Kleinfeuer sind Zufallsprodukte von umherstreunenden Alks oder Psychos, aber wenn man sich bei bestimmten Brandorten einfach mal die Mühe macht, die Opfer unter die Lupe zu nehmen, kann man schon einige Überraschungen erleben."

"Du zielst mit deinem Seriengedanken also auf eine Übereinstimmung im Opferstatus ab", hinterfragte Romeike.

"Nicht nur." Niemann schob mit Schwung seinen Haarvorhang zur Seite und wartete, bis Saalfeld sich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

"Was ist mit den Opfern?", wollte Henningsen wissen.

"Sie sind in irgendeiner Weise verhaltensauffällig." Niemann schaute flüchtig auf, als wollte er sich vergewissern, ob nicht doch jemand grinste. "Der Reihe nach: Die Müllcontainer standen im Hofdurchgang zur Bäckerei und gehörten auch zu diesem Betrieb. Der Durchgang ist nachts verschlossen und wird erst geöffnet, wenn die Leute mit ihrer Arbeit beginnen. Gegen den Inhaber lief ein Bußgeldverfahren wegen des Verstoßes gegen Hygienebestimmungen.

Der Maserati gehört einem jungen Türken, der der Zuhälterszene zugerechnet wird. Wurde auch schon im Besitz Harter Drogen angetroffen.

Die Kinderkarre gehört zu einer allein erziehenden Mutter, die als alkoholabhängig gilt. Gegen sie läuft ein Sorgerechtsverfahren. Sie drohte mehrfach, sich und das Kind zu töten, wenn jemand käme, um es ihr wegzunehmen. Die Familienfürsorge versucht seit einigen Wochen einen goldenen Mittelweg zu finden.

Das Objekt Bahrenfelder Steindamm 18a gehört einem Miethai. Vermietet bevorzugt an Wohngemeinschaften und nimmt von jedem Mitglied einen horrenden Mietzins. Gleichzeitig investiert er kaum einen Cent in Erhalt oder Modernisierung der Gebäude.

Gaußstraße: Die Wohnung eines jungen Paares, wo der Mann als gewalttätig gilt und seine Partnerin schon mehrfach grün und blau geschlagen hat. Die Frau hat allerdings nie einen Strafantrag gestellt. Warum wohl nicht?" Niemann verzog gequält das Gesicht. "Und eben letzte Nacht, nochmal im Nernstweg, einen Brandsatz durch den Briefschlitz in die Wohnung der alten Dame geworfen."

".....die als Drogendealerin polizeibekannt ist", mutmaßte Saalfeld augenzwinkernd.

Ein kurzes Lachen brandete auf, aber Niemann wurde sofort wieder ernst. "Die alte Dame, sie ist 84 Jahre alt, passt natürlich nicht so gut in das Opferschema. Da wiederum greift die Begehungsweise, genauso wie bei der Osterkirche." Niemann machte eine Gedankenpause, trank einen Schluck Kaffee und sah wieder auf seinen Zettel. "In diesen und einigen weiteren Fällen setzte der Täter einen selbstgedrehten Fidibus ein. Entweder war er in Brandbeschleuniger getränkt oder mit leicht entflammbarem Material verbunden."

"Es kann aber nie zu einem größeren Schadensereignis gekommen sein", meinte Romeike, "andernfalls wär' es uns doch aufgefallen."

"Ja. Der Brandschaden war in allen Fällen eher gering, mit Ausnahme der Sauerei bei den Kunststoffverbrennungen, wozu ich natürlich auch die Müllcontainer zähle. Und die alte Dame war gestern nicht zu Hause."

"Also kann man in fast allen Fällen von einer versuchten Schweren Brandstiftung ausgehen.....?" Romeikes Blick spiegelte ehrliches Interesse wider.

".....mit Ausnahme des Feuers an der Kirche. Diese Brandlegung wäre absolut nicht geeignet gewesen, die Kirche niederzubrennen."

".....was auch der Täter wusste?" Kaufmann nahm es ganz genau. Er warf den Begriff Täterwille in den Raum.

"Wenn er halbwegs bei normalem Verstand ist."

"Ha!", merkte Henningsen auf. "Das ist bei Zündlern ja schon mal generell die Frage!"

"Du weißt, was ich meine."

Schweigen.

Romeike ließ sich von Niemann den Zettel geben und überflog die Aufstellung. Er tippte auf das knitterige Blatt Papier. "Und was ist mit den anderen Brandorten?"

"Ein Altpapiercontainer fünf Meter vor dem Laden eines türkischen Lebensmittelhändlers - wo das Gesundheitsamt nach anonymer Anzeige auch schon mal kontrolliert, aber nichts Bedenkliches gefunden hat. Ein weiterer Altpapiercontainer auf dem Hinterhof eines Wohnhauses in Eimsbüttel, wobei das Haus auch diesem Miethai gehört."

"Hat dieser Mensch einen Namen?", wollte Henningsen wissen.

"Konrad Pallmann", antwortete Niemann. "Muss ein ziemliches Arschloch sein, denn auch seinen BMW hat es erwischt, als er in der Bahrenfelder Straße im Absoluten Halteverbot stand und den Verkehr behinderte."

"'K.F.'" Romeike sah ihn fragend an. "Was bedeutet das?"

"Kein Feuer. Dafür prangte am Kotflügel ein eingeritztes Hakenkreuz." Er grinste schräg und nach einem Atemzug fügte er hinzu: "Bei Altpapiercontainern sind Fidibusse natürlich nicht klar nachzuweisen. Aber wenn ich mir etwas Zeit nehme, finde ich bestimmt noch mehr Vorgänge."

Romeike sah ihn an, während er mit sich rang, aus diesen Vorgängen eine Brandserie zu konstruieren.

Er kannte Niemann inzwischen sehr gut. Vor einigen Monaten war er mit einer Schweren Brandstiftung befasst, die eine Kfz.-Werkstatt mit hochwertigen Oldtimern betraf. Mit viel Geduld und Engagement deckte er, trotz zunächst dürftiger Beweislage, einen groß angelegten Betrug auf. Seither empfand Romeike Hochachtung vor ihm und seiner Arbeit und seither hatten sie in gegenseitigem Einvernehmen auch das förmliche "Sie" aufgegeben.

Niemann wird den Seriengedanken vermutlich nicht grundlos hegen, auch wenn es schwierig war, ihn mit so wenig Fakten und nicht einem einzigen Täterhinweis zu 'verkaufen'.

"Normalerweise müsste über unser Crime-Programm das Stichwort Fidibus zu recherchieren sein." Romeike rieb sich das Kinn. "Schade, dass Christa gerade nicht da ist."

"Dieses Stichwort taucht leider nicht in allen Vorgängen auf, weil einigen Kollegen bei uns dieser Begriff gar nicht geläufig ist. Da steht dann höchstens etwas von verkohltem Papier oder so. Und thematisieren konnten wir's nicht, weil wir in den Einzelfällen noch nicht über eine Serie nachgedacht hatten."

"Wahrscheinlich sind die Dinger in den wenigsten Fällen erhalten."

"Ein paar. Andere sind fotografisch gesichert oder auf dem Foto an der Form erkennbar. Wer weiß, wie viele beim Löscheinsatz oder beim Herumstochern im Brandschutt zerfallen sind. Schwarz auf Schwarz ergibt ja nun mal keinen guten Kontrast. Da blieb nur der Verbrennungsrückstand von Papier, wo vielleicht kein Papier sein durfte."

Saalfeld beugte sich vor und schob in derselben Bewegung seinen Kaffeebecher zurück. "Sag mal, Brian, das Zeitungspapier, aus dem die Fidibusse gefertigt sind, habt ihr das sicherstellen können?" Er zeigte sich sichtlich interessiert, obwohl die Entscheidung zur Übernahme nicht seine Angelegenheit war.

"Zum Teil, ja."

Henningsen war skeptisch. "Die Fälle mit dem verhassten Hauseigentümer mögen ja zusammenhängen, die Taten können dabei aber auch von verschiedenen Leuten unabhängig voneinander begangen worden sein." Er kippte mit seinem Stuhl zurück und hielt die Balance. "Sollte das gegen ihn zielgerichtet von einer Person oder Personengruppe veranstaltet werden, könnte ich mir das eher in Verbindung mit einem Bekennerschreiben vorstellen." Er grinste erheitert. "Das Hakenkreuz ist in meinen Augen ein Zufallsprodukt. Und die Bäckerei, die alte Dame, die Kinderkarre und den gewalttätigen Ehemann in eine Beziehung zueinander zu setzen, halte ich eher für abenteuerlich."

"Die Fidibusse", erinnerte ihn Kaufmann mit einem verhaltenen Schmunzeln.

"Ich bitte dich!"

"Ich find's ja auch merkwürdig", gestand Niemann ein und langte nach seinem Kaffeebecher. "Womit ich aber wieder auf die negativen Eigenarten meiner Geschädigten komme." Er trank den Becher leer und stellte ihn so behutsam ab, als würde jedes harte Geräusch seine Gedankengänge stören können.

"Auch auf die Idee mit dem Fidibus können mehrere Brandstifter kommen", wandte Henningsen ein.

"Dann bliebe noch der relativ nahe zeitliche und örtliche Zusammenhang. Ottensen, Bahrenfeld, Eimsbüttel."

Henningsen blieb unbeeindruckt. Inzwischen war auch sein Lächeln versiegt. "Das ist keine Serie."

"Bevor wir lange herumreden", begann Saalfeld unvermittelt, "ich würde mich bereit erklären, die Angelegenheit nebenbei zu verfolgen - wenn du damit einverstanden bist, Thorsten.

Brian, du verfügst die einzelnen Vorgänge bei Fälligkeit an die Staatsanwaltschaft ab und verweist darauf, dass eventuelle Serienzusammenhänge noch geprüft werden und dass bei neuen Erkenntnissen 'unaufgefordert nachberichtet wird'."

"Das hört sich eigentlich vernünftig an. Die Idee könnte direkt von mir stammen." Romeike lächelte Niemann in aufkommender Ungeduld an. Er erinnerte sich an sein Tagesgeschäft. "Also keine offizielle Übernahme deiner 'Serie'. Die hochkarätigen Verfahren werden Vorrang haben. Wenn sich herausstellt, dass du richtig liegst, steigen wir natürlich voll ein, mit allen Konsequenzen."

"Ich habe gerade Leerlauf", bekundete Theo Kaufmann, "ich werde Sammy bei seinen Ermittlungen etwas zur Hand gehen."

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