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Kapitel 2
ОглавлениеRiana
Andoran
Das donnernde Grollen der Hufe ließ die Erde erzittern und in einer Staubwolke tauchte eine Herde Einhörner auf, die im rasenden Galopp über den Hügel hinwegfegte. Die Herde hielt auf eine bewaldete Erhebung zu, die ihnen Schutz vor ihren Verfolgern versprach. Abgekämpft und erschöpft lief Riana, eine junge Stute neben ihrer Mutter Servina her.
Servina machte sich Sorgen um ihre Tochter und die Gefährten der Herde, denn lange konnten sie dieses Tempo nicht mehr halten. Ihre Tochter und die anderen brauchten unbedingt eine Ruhepause, sonst würden sie alle vor Erschöpfung zusammenbrechen.
Servinas Lungen brannten bei jedem Atemzug, den sie tat, und sie konnte sich vorstellen, was ihre Tochter durchmachte bei dem mörderischen Tempo, das sie seit fast zwei Tagen hielten. Servina geriet ins Straucheln, fing sich jedoch sofort wieder. Die Wunde, die ihr einer der Hunde bei dem Überfall beibrachte, schmerzte, beeinträchtigte und schwächte sie.
An jenem Nachmittag vor zwei Tagen schlichen sich finstere Kreaturen unbemerkt von ihnen an die friedlich grasende Herde heran und fielen mit ihren furchterregenden Hunden über sie her. Nur mit Glück gelang es der Herde von Servina geführt, diesem Überfall zu entgehen.
Die kleinen bärtigen, in schwarzes Leder gekleideten Kreaturen gaben aber nicht auf und verfolgten sie unerbittlich. Es grenzte an Magie, dass sie der Herde überhaupt folgen konnten. Ihre pockennarbigen Gesichter zu Fratzen verzerrt jagten sie die Herde, bis an den Rand der Erschöpfung. Einmal gelang es den Kreaturen nahe genug an die Herde heranzukommen, dass Servina ihren abstoßenden Gestank den sie verbreiteten wahrnehmen konnte. Sie rochen nach Verwesung, Leder und Fäulnis.
Den meisten Schrecken unter der Herde verbreiteten die Hunde, welche die Kreaturen bei ihrer Jagd mit sich führten. Sie waren groß wie ein neugeborenes Fohlen und aus ihrem Maul, das mit einem furchterregenden Gebiss ausgestattet war, rann der Geifer über ihre Schnauzen.
Das erstaunliche Tempo, welches die Hunde bei der Verfolgung der Herde halten konnten, hinderte die Jäger nicht im Geringsten. Spielend liefen sie mit ihren zu kurz geratenen Beinen hinter den Hunden her, ohne das geringste Zeichen der Erschöpfung zu zeigen.
Die bewaldete Erhöhung tauchte vor ihnen auf und Servina verringerte ihre Geschwindigkeit, um ihre Herde vorbeizulassen. Mit argwöhnischen Blicken beobachtete sie die wellige Landschaft, um nach den Verfolgern Ausschau zu halten. Nur wenige Büsche und Bäume wuchsen in der weiten Savanne, die hinter ihr lag und so hatte sie einen freien Blick um die Verfolger rechtzeitig zu erspähen.
Erst als Servina sich sicher war, dass keine der Kreaturen zu sehen war, tauchte sie in den lichten Wald ein und suchte nach ihrer Tochter.
Servina lebte mit der Herde in einer parallelen Welt, die sie vor den Nachstellungen der anderen Bewohner Andorans schützte. Es gab nur einen der wusste, wie man das magische Tor in ihre Welt öffnete. „Kisho“
*Machte er seine Drohung war?* Servina durchlief ein Zittern, das nicht von der Erschöpfung der tagelangen Flucht herrührte, sondern von dem eisigen Schauer hervorgerufen wurde, der ihr Herz zu lähmen drohte. Kisho einst selbst Mitglied der Herde wurde ausgeschlossen und vertrieben, nachdem er die abscheulichste Tat begangen hatte, die ein Einhorn tun konnte. Er tötete einen gleichaltrigen Hengst, der ihn wegen seines rabenschwarzen Fells gehänselt hatte. Daraufhin versammelte sich die Herde und beschloss einstimmig Kishos Verbannung.
Vor seinem Abzug sprach Kisho jedoch eine Drohung aus, die sich nun zu erfüllen schien. »Das werdet ihr bereuen. Der Tag wird kommen, an dem ihr um euer Leben zittern müsst. Ich werde euch alle töten.«
Kisho verließ die Welt der Einhörner durch das magische Tor und geriet in Vergessenheit, was Servina nachträglich für einen großen Fehler hielt.
Die Bösartigkeit des Überfalls und die tagelange Verfolgung ließen nur diesen Schluss zu. Nur Kisho wusste, wie man einem Einhorn seine magische Kraft raubte, um es gefahrlos zu töten. Ihrer Verhaltungsweise nach wussten auch die kleinen Kreaturen, die sie jagten um diesen Umstand.
Ein erschöpftes Einhorn verlor seine magischen Kräfte und Servina musste nicht ihre Fantasie bemühen, um zu wissen, dass ihnen nur eine kurze Atempause vergönnt war. Servinas Ziel lag in den Bergen, wo die Herde in der Grotte der tausend Lichter in Sicherheit vor den Kreaturen war. Diesen Ort kannte nur sie. Hier gab es Magie, die es ihr ermöglichte die Verfolger zu täuschen und in die Irre zu führen.
Auf der Suche nach Riana sah Servina die anderen Mitglieder der Herde ausgepumpt und apathisch im Gras liegen. Servinas Herz krampfte sich zusammen und die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. *Wir werden alle sterben. Was wir dringend nötig haben, ist eine längere Rast, damit wir wieder zu Kräften kommen. Aber diese Gelegenheit werden wir nicht bekommen.*
So sehr es Servina auch schmerzte, aber es gab nur eine Möglichkeit, um wenigstens Riana vor dem unabwendbaren Schicksal zu bewahren.
*Ich muss meine Tochter vor Kisho schützen und in Sicherheit bringen.*
Servina fand Riana in einer kleinen Senke abseits der anderen erschöpft im Gras liegen. Rianas Atem ging keuchend und stoßartig und sie hatte ihre Augen geschlossen.
»Du musst trinken meine Tochter,« gebot Servina und deutete auf das durch die Senke fließende Bächlein, aber Riana bewegte sich nicht.
Servina stieß Riana mit ihren Nüstern aufmunternd an, doch Riana hatte nicht die Kraft aufzustehen. Servina legte sich neben Riana ins Gras. Sie wusste, sie musste sich schnell entscheiden, denn wenn die Kreaturen mit den Hunden sie erst fanden, blieb keine Zeit mehr zu überlegen. Noch zögerte sie, aber es musste sein.
»Höre mir gut zu Tochter, was ich dir zu sagen habe. Bald reichen meine Kräfte nicht mehr und ich will, dass du dir jedes meiner Worte einprägst,« hörte Riana die eindringliche Stimme ihre Mutter sagen.
»Sie werden uns alle töten,« vernahm Riana die leise Stimme Servinas,« doch ich werde es nicht zulassen, dass die Kreaturen des Barons auch dich töten.« Servina schnaubte verhalten, als sie der gehetzte Blick ihre Tochter streifte, die sie ängstlich fragte. »Wer sind diese Männer warum tun sie das? Weshalb wollen sie uns alle töten, wir haben ihnen doch nichts getan.« Leise, fast unverständlich antwortete Servina. »Diese Kreaturen sind die Helfer des schwarzen Barons, welcher sich der uns innewohnenden Magie bemächtigen will. Er wird nicht eher ruhen, bis er auch das Letzte von uns getötet hat, oder was noch schlimmer ist, in seiner Festung gefangen gehalten wird. Warum glaubst du lässt er uns von seinen Leuten so hetzen? Ein erschöpftes Einhorn kann seine Magie nicht mehr einsetzen, weil es sie sonst umbringen würde.«
Riana bebte am ganzen Körper bei der Vorstellung an das Schicksal, das ihrer Herde drohte. Währenddessen sprach Servina weiter, um Riana vom schwarzen Baron zu berichten.
»Der Baron ist eine grausame machtbesessene Kreatur. Vor langer Zeit war er einer von uns, daher kennt er jede unserer Stärken, aber leider auch unsere Schwächen. Doch ich werde nicht zulassen, dass er dich in seine Fänge bekommt.«
Servinas Stimme vibrierte, als sie fortfuhr.
»Kisho wurde in unserer Herde geboren, doch sein pechschwarzes Fell machte ihn zu einem Außenseiter. Selbst sein Vater Alron brachte ihm keine Liebe entgegen, weil Welina seine Mutter bei seiner Geburt ins jenseitige Reich einging. Sein schwarzes Fell gab immer wieder Anlass zu Reibereien unter den Jungtieren, die ihn ständig deswegen hänselten. Eines Tages geriet Kisho so in Wut, dass er ein Mitglied der Herde tötete. Nach langer Beratung mit den Ältesten sprach der Anführer das Urteil über Kisho, der wegen seiner abscheulichen Tat aus der Herde ausgestoßen wurde. Bevor Kisho jedoch die Herde verließ, sprach er eine tödliche Drohung aus in der er ankündigte, alle Einhörner zu vernichten.« Servina machte eine kurze Pause um ihre Worte auf Riana wirken zu lassen, dann beschrieb sie die vergangenen Ereignisse weiter.
»Kisho ging in die Welt der Menschen hinaus und nahm deren Gestalt an. Einhörner können für einen bestimmten Zeitraum jede beliebige Gestalt annehmen, je nach ihrer magischen Stärke. Doch irgendwann müssen sie wieder ihre wahre Form annehmen. Kishos Stärke scheint sehr groß zu sein, denn er nahm auf Dauer das Aussehen eines Menschen an.«
Servina stupste Riana sachte in die Flanke. »Steh auf Tochter uns bleibt nicht mehr viel Zeit,« befahl sie eindringlich und Riana erhob sich mit zitternden Beinen.
Riana folgte Servina, die sich an den Rand der kleinen Senke begab. Dort stieß ihre Mutter einen lang gezogenen Pfiff aus, der die ruhenden Einhörner aufschreckte. Die Mitglieder der Herde hoben ihre Köpfe und sahen ihre Führerin an. »Brüder, Schwestern bündeln wir die uns verbliebene Kraft, um Riana vor diesen Kreaturen zu retten,« rief sie ihnen zu.
Mühsam erhoben sich die Einhörner und näherten sich Mutter und Tochter.
»Was hast du vor Mutter,« fragte Riana ängstlich, die bemerkte, wie die Mitglieder der Herde einen Kreis um sie zu bilden begannen.
»Ich bringe dich an einen Ort, wo du vor den Jägern des Barons sicher bist. An diesem Ort gibt es Menschen, in deren Legenden wir vorkommen. Sei vorsichtig im Umgang mit ihnen und halte dich nach Möglichkeit fern von ihnen. Auch unter ihnen gibt es welche, die nach magischem Wissen hecheln, wie die Hunde der Jäger nach ihrer Beute. Aber die größte Gefahr droht dir von den Suchern des Barons. Sie könnten dir dorthin folgen. Die Sucher sind Kishos beste Männer, was das Auffinden und Verfolgen betrifft. Sie werden nicht eher ruhen, bis sie dich aufgespürt und in Fesseln vor Kisho zerren können. Aber keine Angst meine kleine Riana, ich sorge dafür, dass dich nicht jeder gleich erkennt.«
Über Riana bildete sich ein kuppelförmiger Lichtbogen, der sich auf das junge Einhorn herabzusenken begann. Riana von einer rätselhaften Beklemmnis befallen sträubte sich gegen die Entscheidung, die ihre Mutter zu treffen im Begriff war und Riana rief flehend Servina zu.
»Mutter ich will bei dir bleiben.«
Die Antwort Servinas kam als leises Flüstern durch die heller erstrahlende Erscheinung, die nun den Boden berührte.
»Du bist alles was wir noch haben, unsere letzte Hoffnung, und ich sorge dafür, dass du überlebst. Selbst wenn ich sterbe, werde ich immer bei dir sein und über dich wachen. Kehre erst zurück, wenn der schwarze Baron dir nicht mehr schaden kann. Sei stark meine Tochter.«
Verzweifelt versuchte Riana den Lichtbogen zu verlassen, doch ihre Beine ließen sich nicht bewegen. Sie schien auf der Stelle festzukleben. Riana erfasste ein ungeheuer Sog, der sie von ihrer Mutter wegzureißen drohte, obwohl sie sich mit aller Macht dagegenstemmte.
Die Strömung nahm an Stärke zu, und um Riana begann sich schwarze Nacht, auszubreiten. Grell leuchtende Lichtpunkte, die in einem verwirrenden Muster umher tanzten, blendeten sie. Riana fühlte eine undeutliche Veränderung an sich vorgehen, die sie sich nicht erklären konnte und ehe sie in tiefe Bewusstlosigkeit stürzte, vernahm sie einen ohrenbetäubenden Knall.
Riana sah nicht mehr den Speer, der die Flanke Servinas traf und sie sah auch nicht die grausamen Kreaturen, die mit ihren Hunden über ihre Herde herfiel. Ihr blieb auch der Sucher verborgen, der ihr mit einem gewaltigen Sprung in den magischen Wirbel zu folgen versuchte, fühlte aber auf unerklärliche Weise seine Anwesenheit.
Als wäre der Sucher gegen eine undurchdringliche Wand gelaufen, prallte er von der wirbelnden Erscheinung ab und stürzte zu Boden. Benommen blieb er neben Servina minutenlang bewegungslos liegen und wartete darauf, dass die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Körper nachließen.
»Du hast versagt Sucher, meine Tochter wirst du nicht bekommen. Sie ist vor dir und dem Baron sicher,« vernahm Gallan der Sucher die schwache Stimme Servinas. »Du wirst Riana nicht finden, denn sie befindet sich an einem sicheren Ort, den nur ich kenne, und ich sterbe lieber, als ihn preiszugeben.«
Servinas Atem ging röchelnd und Gallan wusste, dass ihm keine Zeit blieb, dem tödlich verletzten Einhorn sein Geheimnis zu entreißen.
Gallans Gedanken überschlugen sich. Mit letzter Kraft war es der Herde gelungen, ihr jüngstes Mitglied vor ihm in Sicherheit zu bringen, was die Sache erschwerte. Der Befehl des Barons ließ keinen Spielraum für Entschuldigungen und Gallan sah sich unvermittelt in der Rolle des Versagers.
Wütend sprang er auf die Beine, packte den Speer der Servina getroffen hatte. Mit einem Ruck riss er ihn aus ihrem Körper und schrie seine Wut hinaus.
»Sag mir, wo du deine Tochter hingebracht hast.«
Silbrig glänzend trat ein Schwall Blut aus der Wunde und ergoss sich ins Gras. Servina röchelte gequält, doch ihre letzten Worte, fraßen sich wie Feuer in Gallans Seele.
»Kisho hat keine Verwendung für Versager und du weißt, wie er mit ihnen umgeht.«
Servinas letzte Worte versetzten Gallan in Angst. Schwer atmend stand Gallan der Sucher auf seinen Speer gestützt da und überlegte fieberhaft. Dem Einhorn war es tatsächlich gelungen, ihn zu verunsichern.
*Sicher er wusste nicht, wohin das Junge durch die Magie der Einhörner geschickt wurde, aber das schien ihm sein kleinstes Problem zu sein.* Die Stute traf mit ihren letzten Worten eine tief verwurzelte Angst vor der Grausamkeit seines Herrn.
Dessen Befehl war bestimmt und klar. »Tötet die Herde, das Jüngste bringe mir aber lebend auf die Festung.«
Gallan fröstelte bei dem Gedanken und in seiner Erinnerung zogen Bilder herauf, die er am liebsten vergessen hätte. Kisho ließ eines Tages die Sucher in dem weiten Hof der Festung antreten, um sie Zeuge werden zu lassen, wie er auf Versagen reagierte.
Vor ihren Augen bestrafte er einen verdienten, dem Baron treu ergebenen Sucher aufs Grausamste. Ihm war es nicht gelungen das goldene Horn der wilden Reiternomaden, die weit im Westen Andorans umherzogen zu stehlen. Diesem Horn sagte man magische Kräfte nach, und es sollte jede Krankheit heilen und ewige Jugend schenken können.
Kargon so hieß der Mann, stand vor Kisho und bettelte um eine erneute Chance, doch Kisho lächelte nur grausam. Was dann kam, verfolgte Gallan die folgenden Nächte und stürzte ihn in wilde Albträume. Kisho hob leicht seine Hand, aus der ein roter Lichtfaden auf Kargon zu glitt. Kargon schien fest mit dem Boden verwachsen zu sein, als sich sein Körper von den Beinen her zu verflüssigen begann. Seine Schreie um Gnade und die Beteuerung alles zu tun um seinen Herrn zufrieden zustellen halfen ihm nichts.
Gallan schüttelte sich, wenn er nur daran dachte, wie er zusehen musste, als Kargon im Boden des Hofes zu versinken begann. Eine Pfütze Flüssigkeit breitete sich gemächlich um den Körper des Unglücklichen aus, dessen von Irrsinn gezeichneter Blick die Umstehenden Hilfe suchend ansah.
Als Gallan sich von dem Schauspiel abwandte, sahen nur noch die Brust und der Kopf des Unglücklichen aus dem Boden, dessen Schreie inzwischen in Wimmern übergingen, bis sie ganz verstummten. Nur die nasse Kleidung und ein feuchter Fleck blieben von Kargon übrig.
Noch ehe sich die versammelten Sucher von ihrem Schrecken erholen konnten, donnerte die Stimme Kishos über sie hinweg. »So ergeht es jedem der es wagt, mich mit billigen Ausreden zu vertrösten. Ich hoffe ihr habt verstanden, was mit denen geschieht, die versagen.«
Noch Tage nach diesem Ereignis gelang es Gallan nicht seinen rebellierenden Magen zu beruhigen, der sich stets dann meldete, wenn die Bilder der Hinrichtung vor seinem geistigen Auge auftauchten. Sogar jetzt spürte er Übelkeit.
»Hier sind die Hörner, wie ihr befohlen habt.« Die schnarrende Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.
Ein Jäger trat in sein Blickfeld. Gallans Magen zog sich zusammen je näher die Gestalt kam. Sie stanken widerlich nach Verwesung, Exkrementen und Tod diese Kreaturen, von denen Gallan nicht wusste, wo sie herkamen. Im Auftrag des Barons hatte er schon fast ganz Andoran bereist, aber noch nie einen von ihnen gesehen oder davon gehört. Selbst auf seinen Reisen in ferne Welten, die er auf Kishos Anordnung hin unternahm, war er keinem wie ihnen begegnet.
Plötzlich und wie aus dem Nichts tauchten die gnomenhaften Wesen, die Kisho Wurrler nannte auf. Anfangs sah Gallan nur wenige von ihnen, doch mit jedem Tag wurden sie mehr, bis sich die Kreaturen in der ganzen Festung aufhielten.
Sie besaßen eine dunkle fast schwarze Haut von denen sich ihr feuerrotes Haupt und Barthaar wie Flammenzeichen abhob. Ihre stechenden hellen Augen jagten jedem, der in sie sah, einen kalten Schauer des Entsetzens über den Rücken. Gekleidet waren die Wurrler ganz in schwarzes Leder, das stank, als hätten sie erst gestern einem erlegten Tier die Haut abgezogen.
Die Wurrler bewegten sich flink, sodass ein normales Auge ihren Bewegungen kaum folgen konnte und sie waren unerschrocken und mutig. Sie besaßen noch eine Eigenschaft, die sie für Gallan bedrohlich erscheinen ließen. Die Wurrler waren unsagbar grausame Geschöpfe.
Gallan beobachtete einmal, wie sie einen Troll aus dem hohen Norden, der gut und gerne drei Meter groß war und sicher fünfhundert Pfund wog langsam zu Tode quälten.
Den Troll hielt sich Kisho zur allgemeinen Belustigung und als Objekt für seine grausamen Späße. An die Grundmauern der Festung gekettet fristete er sein trauriges Leben bis Kisho eines Tages seiner überdrüssig war. Er ließ fünf von den Kreaturen gegen den von seinen Fesseln befreiten Troll antreten und versprach ihm sogar die Freiheit, wenn es ihm gelänge, die Wurrler zu besiegen. Es wurde ein ungleicher Kampf. Die fünf flinken wendigen Wurrler hatten Speere, die sie geschickt gegen den Troll einsetzten und ihm so unzählige Wunden zufügten.
Der Troll dagegen konnte sich nach der langen Gefangenschaft und den Schmerzen, die sie ihm zufügten, kaum bewegen. Nach mehr als acht Stunden lag der Troll verblutet im Sand des Vorhofes und wurde von den Hunden der Wurrler zerfleischt.
Der Wurrler reichte Gallan die abgeschlagenen mit silbernen blutverschmierten Hörner der Tiere, welche er mit angehaltenem Atem entgegen nahm. Wortlos steckte Gallan sie in seine Jagdtasche, die er um die Schulter hängen hatte.
Der erste Teil des Auftrags verlief glatt und ohne Schwierigkeiten. Aber wie erklärte er seinem Herrn, sein Versagen bei der anscheinend wichtigsten Einzelheit, auf die der Baron unbedingt bestand?
»Eure Aufgabe ist erledigt,« sagte er gepresst. »Ich brauche euch nicht mehr,« fügte er im barschen befehlsgewohnten Ton hinzu. Dabei machte er eine Handbewegung, die den Jäger verscheuchte. Kurz darauf hörte er wie die Jäger mit ihren Hundemonstern die Senke verließen und er alleine mit seinen Gedanken zurückblieb.
Immer noch auf seinen Speer gestützt stand er da, wobei sein Blick zu der Stelle wanderte, an der die junge Stute verschwunden war. Gallan fiel es schwer angesichts der Umstände einen klaren Gedanken zu fassen, eines aber wusste er sicher: Ohne das junge Einhorn konnte er nicht in die Festung zurück.
Er musste das Einhorn suchen und fangen danach erst konnte er es wagen dem Baron unter die Augen zutreten. Er wollte nicht wie Kargon bestraft werden, was sicherlich geschah, wenn er es nicht schaffte, das Einhorn zu finden. Dabei blieb ihm nicht viel Zeit.
Kisho würde misstrauisch, wenn er nicht innerhalb der nächsten beiden Tage mit den Hörnern auf der schwarzen Festung erschien. Er würde glauben Gallan wolle die Hörner für sich behalten und er würde ihn als Verräter abstempeln, was keinen Unterschied zu einem Versager machte. Das Ende war das Gleiche.
Alle Sucher des Barons, unterstützt von den Wurrler würden ihn jagen. Es gab dann in keiner der vielen Welten einen Ort, an dem er sich sicher vor den Nachstellungen und der Rache des Barons fühlen konnte. So oder so, der Baron würde ihn auf alle Fälle jagen, bis er sein vermeintliches Eigentum zurück bekam.
Eine neue Frage drängte sich Gallan förmlich auf. *Was hatte der Baron mit den Hörnern vor?* Gallan wusste von der Machtgier seines Herrn und er verspürte bei dieser offenen Frage einen kalten Schauer zwischen seinen Schulterblättern.
*Erhoffte sich der Baron durch die Hörner noch mehr magische Macht zu erlangen? Ja …, die Antwort lautete eindeutig ja.*
Seit Gallan in Kishos Dienste trat, handelten sich die meisten Aufträge um magische Artefakte, die er unbedingt in seinen Besitz bringen wollte. Er schickte seine Sucher in die entlegensten Welten, um diese Gegenstände zu stehlen. Zu diesem Zweck trug jeder seiner Sucher einen goldenen Ring mit einem roten Rubin, der mit den richtigen Worten das Tor zu anderen Welten öffnete.
Gallan wusste von einem Kristallschädel, den ein Volk in einer Welt die Jaselon hieß, als ihr Heiligtum verehrte. Kisho wählte zwei Sucher aus, die den Auftrag erhielten den Schädel zu stehlen egal wie. Viele Monate später kam einer der Sucher schwer verletzt und dem Tode nahe zurück.
In einem Leinensack überreichte er unter Aufbietung seiner letzten Kräfte dem Baron den Schädel und brach tot zusammen.
Weder eine würdige Bestattung oder ein Wort der Trauer, fand Kisho für nötig, nein er machte sich sogleich zu seiner Artenfaktenkammer auf und ließ sich vier Tage lang nicht sehen. Gallan und einige Sucher gaben ihrem Kameraden das letzte Geleit und beerdigten ihn außerhalb der Festungsmauern, nahe bei einem Hügel.
Oder der reich verzierte Opferdolch eines Stammes im Westen von Andoran, dem man nachsagte, er hielte die Seelen der geopferten gefangen. Kisho nahm sich selbst der Angelegenheit an und beseitigte so nebenbei den ganzen Stamm, um in den Besitz des Dolches zu kommen.
Es gab noch zahlreiche Beispiele von Kishos Gier nach solchen magischen Gegenständen und jeden, den er in seiner Kammer aufbewahrte, hatte eine Geschichte zu erzählen.
Gallan konzentrierte seine Gedanken wieder auf sein eigenes Dilemma. Selbst wenn er die abgeschlagenen Hörner an einem sicheren Ort versteckte, konnte er den Baron damit nicht unter Druck setzen. Kisho besaß perfide Mittel, um ihn zum Sprechen zu bringen und auch wenn Kisho ihn nicht sofort tötete, sondern in seine Kerker sperrte, kam es im Endeffekt auf dasselbe hinaus.
Mit Schaudern dachte Gallan an die nassen, dreckigen und finsteren Verliese in der Festung des Barons. In sie kam man zwar schnell hinein, aber nicht mehr heraus, solange der Baron nicht damit einverstanden war.
Keine seiner Überlegungen führte zu einem befriedigenden Ergebnis. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als herauszufinden, wo sich die Stute versteckte.
Der Sucher zog seinen Speer aus der Erde und wandte sich um.
Gallan stieß einen lang gezogenen Pfiff aus, dem ein leises Wiehern antwortete. Am Kamm des Hügels erschien ein nachtschwarzer Rappe, der sich im Schritt auf seinen Herrn zubewegte und dann regungslos neben ihm stehen blieb. Der Sucher befestigte seinen Speer mit den dafür vorgesehenen Riemen neben dem Sattel und bestieg mit einem eleganten Schwung sein Pferd.
*Es bleibt dir nichts anderes übrig, als alle erreichbaren Welten nach der Stute abzusuchen,* dachte er sich beim Aufsteigen. »Jarduk alter Junge wir haben noch eine Menge zu erledigen,« sagte er mehr zu sich selbst als zu dem Rappen.
Gallan streifte seinen linken Handschuh ab blickte kurz auf den Ring und sprach die Formel, die den Ring zum Leben erweckte. Der goldene Ring mit dem daumennagelgroßen Rubin glühte blutrot auf.
Ein feiner roter Lichtstrahl verließ den Ring, wanderte über Jarduks Ohren hinweg immer weiter nach vorne, bis er zehn Schritte entfernt plötzlich verharrte. Ein kleiner Kreis entstand, der sich rasch vergrößerte. Die Ränder des Kreises gerieten in eine wirbelnde Bewegung, die schneller und schneller wurde, während sich das Gebilde langsam ausdehnte.
Im Zentrum des wirbelnden Objekts herrschte tiefschwarze Dunkelheit, die allmählich bis auf einen schmalen Rand den Ring ausfüllte. Gallan wartete, bis ihm die Öffnung für Pferd und Reiter groß genug erschien, dann gab er seinem Rappen die Sporen.
Mit einem bemerkenswerten Satz nach vorne verschwanden beide in der von Blitzen erleuchteten wirbelnden Luft. Wie Geister lösten sich Reiter und Pferd in der nebligen Luft auf, als sich der Übergang in die andere Welt schloss. Ein lauter Donner erschütterte die Erde und die Senke mit den verendeten Einhörnern erzitterte.
Gallan sah die kleine Gestalt mit dem grauen Gesicht nicht mehr. Mit tränenfeuchten Augen verfolgte die Gestalt verdeckt vom hohen Gras hinter einem Baum, wie Gallan sich daran machte Riana zu verfolgen.