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Kapitel 6

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Gallan

Andoran

Während Kisho seine Pläne durchdachte und mit einem teuflischen Grinsen einschlief, schleiften Gallans Bewacher ihn durch die verwinkelten und schwach erleuchteten Gänge der Befestigungsanlage. Sein Schädel dröhnte noch von Kishos heimtückischem Angriff auf seinen Geist, aber er nahm seine Umgebung deutlich war. Die Kerker lagen drei Stockwerke unter dem Westflügel der Festung und genau da schleppten ihn die Wachen hin.

Fieberhaft suchte Gallans Hirn nach einem Ausweg oder einer Fluchtmöglichkeit. Schloßen sich die Gitter des Kerkers erst einmal hinter ihm gab es nur noch einen Weg, wie er sein Gefängnis verlassen würde. Die Aufseher des Kerkers würden ihn tot aus der Festung schleifen und ihn an die Hunde der Wurrler verfüttern. Diese Hölle verließ man nur als Toter und Gallan wusste von niemandem dem es gelungen wäre, ihr lebend zu entkommen.

Nicht einmal den Magiern und Hexern die Kisho dort gefangen hielt, gelang es trotz ihrer magischen Fähigkeiten zu entfliehen. Die letzten Worte des Barons aber ließen ihn daran zweifeln, im Kerker vor sich hin zu modern, bis er sein Leben aushauchte. Vielmehr lag die Möglichkeit im Saal, aus dem er gerade kam, grausam zu Tode gefoltert zu werden am höchsten. Während die beiden Wachen ihn durch die Gänge schleiften, zwang sich Gallan zur Ruhe und versuchte einen Ausweg aus seiner misslichen Lage zu finden.

Die Festung erhob sich an den steilen Felsen am Rande des Schwarzsteingebirges. Finster und unheildrohend beherrschte der aus dem schwarzen Felsen herausgehauene Bau mit seinen Erkern Türmen und Zinnen das Bild, das sich einem bot, wenn man sich der Festung näherte. Eine unüberwindliche Zwanzig Schritt dicke und fünfzig Meter hohe Mauer umgab mit zahlreichen Wachtürmen bestückt die Festung, in der es nur ein Tor gab, durch das man auf das weitläufige Areal gelangte.

Einige Holzbauten in denen Ställe, die Unterkünfte für die Wachsoldaten und die Behausungen der Sklaven untergebracht waren, verloren sich auf dem riesigen Hof.

Schwarz düster und Unheil verkündend so kam Kisho zu seinem Beinamen „der Schwarze Baron“.

Niemand auf Andoran wusste genau, wann die Festung erbaut wurde. Sie schien eines Tages aus dem Nichts entstanden zu sein und wurde seither von dem Baron bewohnt, der ebenso geheimnisvoll auftauchte, wie seine Sklaven.

Das Innere der Festung durchzogen unzählige schmale verwinkelte Gänge, in denen sich so mancher Sklave verlaufen hatte und für ewig verschollen blieb. Schon bei ihrem Betreten empfing einen die kalte Düsterheit seines Besitzers und jagte einem Schauer über den Rücken.

Das alles ging Gallan durch den Kopf, während ihn die Wachen Richtung Westflügel schleiften. Alles in seinem Inneren bäumte sich dagegen auf, sang- und klanglos in den Tiefen von Kishos Burg zu verschwinden.

In den Gängen, die seine Bewacher mit ihm passierten, kamen ihnen nur hin und wieder Sklaven entgegen, in deren Gesichtern die Hoffnungslosigkeit und die Qualen eingegraben waren, die sie in ihrer Gefangenschaft erleiden mussten. Erleichtert atmeten die Unglücklichen jedes Mal auf, wenn sie die Wachen mit ihren Gefangenen hinter sich lassen konnten, ohne von ihnen gedemütigt oder geschlagen zu werden. In den von trübem Licht der Fackeln beleuchteten Gängen beobachtete Gallan seine Bewacher aus halb geöffneten Augenlidern. Ihr Ziel war die Treppe im Westflügel, von wo diese hinab zu den Verliesen führte.

Gallans Bewacher, zwei zentarische Krieger stammten aus dem angrenzenden Hochland, das sich im Norden erstreckte, und sie stellten die Leibwache und die Armee Kishos. Sie waren die Soldaten Kashims und diesem treu ergeben, obwohl ihnen bewusst war, dass andrerseits Kashim seine Befehle vom Baron empfing.

Auf diese Truppe mit Kashim an der Spitze konnte sich Kisho verlassen. Kisho hielt den Sohn ihres Fürsten zur Sicherheit gefangen, um sich damit seiner Ergebenheit zu versichern. Kashima, so hieß der Sohn wurde vermutlich in einem der obersten Stockwerke der schwarzen Festung gefangen gehalten, so genau wusste das niemand außer dem Baron selbst. Jeder Versuch den Sohn des Fürsten zu befreien hätte unweigerlich dem Leben des Jungen ein Ende bereitet.

Gallans Gedanken konzentrierten sich auf seine Bewacher. Seine Wärter waren grobschlächtige Kerle mit ungeheueren Kräften, denen kein Mensch auf Andoran gewachsen war. Sie überragten Gallan um mindestens zwei Köpfe, obwohl die Nayati dessen Volk er angehörte, als hochgewachsen galten. Ihre breite Brust und ihre Schädel waren glatt rasiert, nur wenige von ihnen ließen am Hinterkopf ein Büschel Haare stehen, das sie zu einem Zopf zusammen flochten. Die Gesichter abstoßend und unförmig erinnerten sie an unfertige Skulpturen, von denen die wulstigen Lippen und der breite Mund besonders hervor stachen. Ihre an Säulen erinnernden Beine steckten in Hosen aus grob gegerbtem Leder, dessen Gestank sie auf Schritt und Tritt begleitete. Viele von ihnen hatten sich zudem die Köpfe und die Brust mit ornamentartigen Zeichen tätowiert, was ihr Aussehen noch bedrohlicher machte.

Doch trotz ihrer gewaltigen Körperkräfte hatten die Zentaren einen entscheidenden Nachteil. Unter ihren massigen Körpern litt auch ihre Beweglichkeit. Sie bewegten sich plump und behäbig, zudem kannten sie kein eigenständiges Denken und Handeln, sie befolgten einfach nur Befehle. Dieser Umstand machte sie zu grausamen unerbittlichen, aber auch zu verletzbaren Kriegern. Wenn sie erst einmal einen Befehl erhielten, führten sie ihn auch gnadenlos aus, selbst wenn es ihr eigenes Leben kostete.

*Du wirst nur Erfolg haben, wenn es dir gelingt, sie zu überraschen. Du musst schnell sein, nur so hast du eine Chance,* hämmerte sich Gallan ein.

Durch die endlosen Gänge der Festung kamen sie an Ständern mit Schwertern, Morgensternen und anderen Mordwerkzeugen vorbei. Die Gänge lagen wie ausgestorben vor ihnen. Keine anderen Wachen oder Sklaven kamen ihnen entgegen oder folgten der Gruppe.

*Jetzt oder nie,* schoss es Gallan durch den Kopf. Wenn er jetzt nicht handelte, bekam er keine Gelegenheit mehr zu fliehen.

Der Druck der Hände seiner Bewacher hatte inzwischen etwas nachgelassen, weil Gallan, obwohl sein Schädel noch immer dröhnte, mit ihnen Schritt halten konnte. Urplötzlich ließ sich Gallan fallen und trat seinem rechten Bewacher von hinten in die Kniekehlen. Mit einem überraschten Laut ließ dieser seinen Arm los und kippte nach hinten, wo er schwer auf dem Marmorboden aufschlug und benommen liegen blieb. Gallan sah das ungläubige Gesicht seines linken Bewachers, als er ihm den Dolch aus seinem Stiefelschaft in die Brust stieß. Sofort wandte er sich dem anderen zu, der gerade versuchte benommen auf die Beine zu kommen und den Mund zu einem Schrei öffnete.

Mit einem raschen Schritt war er bei ihm und schlug dem Soldaten mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Stöhnend fiel die Wache auf den Boden zurück und Gallan rammte ihr seinen Dolch in die Brust.

Vorsichtig sah er sich nach beiden Seiten des Ganges um, aber es war niemand weit und breit zu sehen oder zu hören. Gallan atmete erleichtert auf.

Jetzt musste er die beiden Leichen verschwinden lassen, damit sie und seine Flucht nicht vorzeitig entdeckt wurden. Gallan sah zu der Türe, die sich zwischen zwei Regalen mit Waffen befand, und fragte sich, was wohl dahinter lag. Geschwind erhob er sich, näherte sich der Türe und drückte sie leise auf, bis er den dahinterliegenden Raum überblicken konnte. Der Raum war leer und diente offenbar als Abstellkammer. Gallan sah nur zwei ausgediente Schränke und eine große Truhe, das ideale Versteck für die Leichen seiner Bewacher. So schnell es ihm möglich war, schleifte er die leblosen Körper in den Raum und verbarg sie hinter den Schränken. Vorsichtig trat er danach wieder auf den Gang hinaus, doch der lag nach wie vor verlassen vor ihm.

Auf dem dunklen Marmorboden des Ganges fielen die Blutspuren seiner Tat nicht weiter auf und so überlegte sich Gallan fieberhaft seinen nächsten Schritt.

Viel Zeit für einen ausgereiften Plan stand ihm nicht zur Verfügung, daher beschloss er ohne lange zu überlegen die Stallungen aufzusuchen und sich ein Pferd zu besorgen.

Wenn er die äußere Mauer der Burg hinter sich gelassen hatte, konnte er sich immer noch überlegen, wie es weiterging. Gallan orientierte sich kurz, nachdem er am Ende des Ganges angelangte. Er befand sich im Westflügel der Burg im ersten Stockwerk. Um zu den Ställen zu gelangen, musste er in den Ostflügel, wo eine Tür direkt zu den Stallungen und den Pferden führte.

Auf diese Etage war es aber zu gefährlich zurückzugehen, denn auf ihr lagen die Gemächer des Barons und der Saal, aus dem er gerade kam. Gallan wandte sich der breiten Treppe des Westflügels zu und stieg wachsam die Stufen hinunter, jederzeit bereit hinter der steinernen Brüstung in Deckung zu gehen.

Als Gallan das Ende der Stufen erreichte, wunderte er sich. Er sah weder Soldaten, die in der Festung ihren Dienst taten, noch Sklaven, die geschäftig umher huschten. Die kleine Halle, in der die Stufen endeten, wirkten wie ausgestorben.

*Was ging in der Festung vor sich? Ansonsten konnte man keinen Schritt machen, ohne nicht auf Soldaten zu treffen, die zu Hunderten ihren Dienst in Kishos Burg versahen.*

Sein Blick fiel auf das Fenster der Halle und er ging sichernd nach allen Seiten darauf zu und drückte sich in die Nische. Von hier aus hatte er einen großartigen Ausblick auf den Vorhof, bis hinüber zu den Stallungen. Vereinzelt sah er Wachsoldaten, die von ihren Unterkünften zu den Wachtürmen strebten, während andere von der Festungsmauer zu den Unterkünften unterwegs waren.

*Wachwechsel,* erkannte Gallan, aber er sah nirgends Hektik, die darauf hindeutete, dass man seinen Fluchtversuch schon entdeckt hatte. Das große Tor in der Mauer stand weit offen, und es patrouillierten nur zwei oder drei Wachen davor auf und ab.

Seltsam fand Gallan, dass so gut wie keine Sklaven zu sehen waren. Ansonsten, das wusste Gallan hielten sie sich vor ihren Hütten auf, wenn sich der Schatten der Burg über die Unterkünfte legte, um an kleinen Kochfeuern ihre kärglichen Mahlzeiten zuzubereiten.

Er sah zum Himmel empor an dem die Sonne nur noch eine Handbreit über den Gipfeln des Kardak - Gebirges stand, das sich bis weit in den Westen erhob.

Gallan erkannte, dass es später Nachmittag war und ihm nicht mehr viel Zeit blieb, wenn er aus der Festung fliehen wollte.

Er hob lauschend den Kopf, als irgendwo aus den Gängen über ihm Stimmen zu hören waren. *Suchte man bereits nach ihm?*

Ein letzter Blick auf den Hof, dann machte sich Gallan auf den Weg zum Ostflügel, von wo aus er ungesehen in die Stallungen gelangen würde, sofern er nicht patrouillierenden Wachen in die Arme lief. Einerseits kam ihm die Leere in den Gängen entgegen aber andrerseits beunruhigte sie Gallan irgendwie. Es konnte nichts Gutes bedeuten, wenn Kisho die Bewachung seiner Festung nur wenigen Soldaten überließ und er fragte sich, wo der Rest von ihnen sein mochte.

Er musste höllisch achtgeben, um sich in dem Gewirr der Gänge nicht zu verlaufen, gelangte aber ohne weitere Schwierigkeiten zum Ostflügel. Dort angekommen schlüpfte er durch die kleine Seitentüre, die zu den Stallungen führte, und atmete erleichtert auf. Der Duft von Pferdedung, Heu und Stroh stieg ihm in die Nase, als er die lang gestreckte Hütte betrat.

Hier würde er alles Nötige für seine Flucht finden. Ein Pferd einen Sattel, und wenn er Glück hatte, auch noch ein wenig Proviant, der ihn sich anderswo zu besorgen eine Gefahr entdeckt zu werden darstellte. Gallan fiel auf, dass er schon seit mehreren Tagen keinen Bissen zu sich genommen hatte, als sein Magen beim Gedanken an Nahrung zu grummeln anfing. Er nahm sich vor, gründlich nach etwas Essbaren zu suchen und hoffte dabei auf die Satteltaschen, die über den Holmen hingen.

Die Stallung war abgesehen von den erbärmlichen Hütten der Sklaven, die zu weit entfernt lagen, die einzige Möglichkeit sich Nahrung zu beschaffen. Kurz überlegte Gallan ob er es nicht doch riskieren sollte in den Behausungen der Sklaven danach zu suchen, verwarf jedoch diesen Gedanken sofort.

Im Stall herrschte gähnende Leere und bis auf einig Pferde in den Boxen war er leer. Gallan rief laut nach den Stallburschen, die sich hier aufhalten mussten, doch auch nach seinem dritten Ruf tauchte keiner von ihnen auf. Er ging die Boxen entlang um sich ein kräftiges und ausdauerndes Pferd auszusuchen, da hörte er ein helles freudiges Wiehern.

Sofort eilte er zu der Box, aus der das Wiehern kam, und sah eigentümlich berührt seinen großen schwarzen Hengst stehen, der ihn freudig begrüßte. Wenigstens Jarduk war ihm geblieben. »Na mein Guter, hast du dich einsam gefühlt?«

Er öffnete den Verschlag und trat neben sein Pferd, das aufgeregt mit seinem Schweif die Luft peitschte, und tätschelte es am Hals. Er legte Jarduk eine Decke auf den Rücken und nahm den Sattel von der Halterung. Nachdem Jarduk gesattelt war, durchsuchte Gallan die Satteltaschen, die über den Querstangen der Boxen hingen.

Vielleicht fand er hier Dinge, die ihm auf der Flucht dienlich sein würden. Bei einer Box stieß er auf einen Sattel, über den ein Pfeilköcher mit Bogen lag und an dessen Knauf ein Kurzschwert mit Scheide und Gürtel hing.

Gallan legte den Gurt mit dem Schwert um, nahm den Köcher mit dem Bogen und befestigte ihn am Sattel. In den übrigen Satteltaschen fand er nur einen harten trockenen Kanten Brot und einige Streifen Trockenfleisch. Dazu nahm er noch eine Decke und einen Mantel mit, die auf einen der Sättel festgeschnallt waren, und befestigte sie an seinem eigenen.

Angespannt öffnete Gallan die Stalltür einen Spaltbreit und spähte vorsichtig hinaus, ehe er tief durchatmete und Jarduk am Zügel aus dem Stall zog und sich auf seinen Rücken schwang.

Im leichten Trab ritt er auf das weit geöffnete Tor zu, wobei seine ganze Aufmerksamkeit den Wachen auf der Mauer und denen, die vor dem Tor patrouillierten, galt.

Beim ersten Anzeichen von Gefahr blieb ihm nichts anderes übrig als seinem Pferd die Sporen zu geben und auf das Tor zuzupreschen, ehe es geschlossen wurde. Zu seiner Beruhigung konnte er jedoch keine Anzeichen von Gefahr erkennen.

Als er bis auf zwanzig Schritte auf das Tor herangekommen war, hob einer von den Soldaten die Hand zum Zeichen, dass er anhalten solle. Gallan zügelte Jarduk und hielt an.

»Wer seid ihr und wo wollt ihr hin,« fragte der Soldat, während er mit einer Hand nach der Trense griff.

Jarduk schüttelte unwillig seinen Kopf und stieß ein warnendes Wiehern aus. »Lasst das, Jarduk hat es nicht gerne, wenn ihn ein Fremder berührt,« warnte Gallan die Wache, die hastig ihre Hand zurückzog.

»Ich bin Gallan der Sucher. Der Baron schickt mich in geheimer Mission nach Dangarar,« antwortete er auf die Frage der Wache, die verstehend nickte und seinen Kameraden das Zeichen gab, dass der Reiter passieren konnte.

Mit gemischten Gefühlen ritt Gallan durch das Tor. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken den Wachen auf der Mauer den Rücken zu zeigen. Mit äußerster Beherrschung gelang es ihm, sich nicht nach den Wachen auf der Mauer umzusehen und somit Verdacht zu erregen.

Gallan ritt mit einem mulmigen Gefühl weiter. Von der Festung führte eine breite von Pferdehufen und Wagenspuren aufgewühlte Spur weg, wie sie nur ein Heer hinterließ. Jetzt erriet Gallan, weshalb sich nur noch wenige Soldaten in der Burg aufhielten.

Gallan jedoch plagten im Augenblick andere Sorgen. Jeden Atemzug erwartete er ein Alarmsignal, das die Wachen von seiner Flucht unterrichtete. *Weiter … weiter,* hämmerte es in seinem Hirn und er lenkte Jarduk der Spur folgend nach Südwesten.

Nach etwa einer Stunde Ritt wagte es Gallan sich nach der Festung umzudrehen und stellte mit Erleichterung fest, dass Kishos Festung sich nur noch als Schemen vom schwarzen Gestein des Gebirges abhob. Er gab sich jedoch nicht der Illusion hin, sich in Sicherheit zu befinden. Sobald seine Flucht bemerkt wurde, ließ Kisho ihn unerbittlich jagen, bis er entweder gefangen oder tot vor seinen Füßen lag.

Er bedauerte nur die armen Teufel, die dem Baron die Nachricht von seiner Flucht überbringen mussten. Ihnen stand ein grausames Schicksal bevor, denn Gallan bezweifelte nicht, dass er seine Wut und Enttäuschung an ihnen ausließ. Er konnte nicht glauben, dass seine Flucht so lange unentdeckt blieb. Er sah weder eine Staubwolke, die auf Verfolger hindeutete, noch vernahm er Signalhörner, die seine Flucht verrieten.

Langsam erreichte der grelle Ball der Sonne die Spitzen des Kardak - Gebirges, hinter dem sie in einer knappen Stunde untergehen würde. Gallan sah sich nach einer geeigneten Stelle um, wo er die Nacht verbringen konnte. Bei einem auf einer flachen Anhöhe stehenden Baum stieg Gallan ab und lockerte den Sattelgurt von Jarduk.

Sitzend mit dem Rücken an den Baum gelehnt, spähte er auf seiner Fährte zurück. Die Festung lag schon lange außerhalb seiner Sichtweite, trotzdem riskierte er es nicht ein Feuer zu entzünden, um nicht eventuelle Verfolger seinen Standort zu verraten.

Eingehüllt in die Satteldecke saß er da und überlegte seinen nächsten Schritt. *Er besaß keinen Ring mehr der ihn in andere Welten bringen konnte und er war auf der Flucht vor Kisho, sollte er deshalb aufgeben? Nur die Sucher, die in Kishos Diensten standen, verfügten über diese Ringe und es würde schwer werden einen von ihnen das magische Schmuckstück zu entwenden.*

Lange dachte er über seine Lage nach. Es schien ihm das Beste zu sein, einige Zeit verstreichen zu lassen, bis er sich daran wagen konnte, einen der Ringe in seinen Besitz zu bringen. Er musste jedoch vorsichtig zu Werke gehen und durfte nicht leichtsinnig werden, denn Kisho würde wachsam bleiben.

Dennoch blieb Gallan entschlossen sich einen Ring zu beschaffen, und das Einhorn zu suchen. Er wollte die Tasche wieder haben und den Mann, der an seiner misslichen Lage die Schuld trug zur Rechenschaft ziehen. Inzwischen musste er aber zusehen nicht von Kishos Jägern aufgespürt zu werden und da fiel ihm im Augenblick nur sein Volk ein, wo er sich sicher fühlen konnte. Bei dieser Gelegenheit dachte er an Belgan, den alten Schamanen seines Volkes. *Wie es ihm wohl ging, lebte der alte Mann noch?*

Als er seine Familie vor vielen Jahren verließ, lebte der Alte in einem Erdhaus nicht weit vor der Stadt, das ihn Gallan und einige Helfer errichteten. Wie alle Erdhäuser bei seinem Volk wurden sie im Rund aus starken Baumstämmen gebaut, über die sich, getragen von Stützbalken das Dach wölbte. In der Mitte gab es eine Öffnung, die Licht hereinließ und gleichzeitig als Rauchabzug diente.

Von einem Stützbalken zum anderen verlief eine Brüstung mit dünneren Stämmen, die dahinter Platz für Vorräte, Brennholz und andere Dinge bot. In strengen Wintern brachte man auch die Tiere hier unter.

Der rechteckige Eingang wies meistens nach Osten, um die Stürme, die oft mit unbändiger Gewalt über die Ebene fegten, aus dem Inneren fernzuhalten. Das Ganze wurde mit Erdreich und Grassoden bedeckt und so gegen die grimmige Winterkälte abisoliert.

*Ob Belgan überhaupt noch lebte?* Er war schon damals als er in Kishos Dienste trat ein alter Mann. Vielleicht konnte der Schamane ihm weiterhelfen, denn Belgan besaß Fähigkeiten, die ihn schon damals verwunderten. Der alte Schamane mochte kein Augenlicht besitzen, mit dem er zu sehen vermochte, doch seine übersinnlichen Augen sahen dafür um so besser.

Gallan erinnerte sich noch ganz genau an den Tag, an dem er Belgan aufsuchte. Sein sehnlichster Wunsch war es von dem Schamanen, den sein Stamm aufs Tiefste verehrte, ausgebildet zu werden.

Damals als er das Erdhaus durch den rechteckigen Eingang betrat, schlug ihm der Geruch nach Kräutern und anderer Dinge entgegen. Der Schamane trocknete gerade seine Kräuter auf einem Gestell, das er neben der Feuerstelle angebracht hatte.

»Du kommst, um dir Rat bei mir zu holen,« empfing ihn der Schamane freundlich. Er saß mit übereinandergeschlagenen Beinen nahe der Feuerstelle und hatte seine Hände zur Seite gestreckt. Der Rauch der würziger Kräuter machte Gallan das Atmen schwer.

»Setz dich zu mir,« forderte ihn Belgan mit ruhiger Stimme auf. Als Gallan dem Schamanen gegenüber Platz genommen hatte, starrten ihn dessen blinde Augen lange an, ehe er etwas sagte. »Du wirst noch einen langen Weg vor dir haben, bevor du deine Bestimmung erkennst Gallan.«

Bei diesen Worten überkam Gallan das Gefühl, der Schamane wisse, worum er ihn bitten wollte, ehe er überhaupt seine Bitte zu äußern vermochte.

»Du bist ein Krieger kein Schamane und der Weg, den du gehen musst, ist dir vorbestimmt.« Die Stimme Belgans nahm eine dunkle Klangfarbe an, als er weitersprach. »Ich kann dich nicht zu einem Schamanen ausbilden Gallan, dein Schicksalspfad sieht das nicht vor.« Gallan zuckte innerlich zusammen. *Wie gelang es Belgan, seine tiefsten Wünsche zu erraten?*

Noch, bevor er seine Frage stellen konnte, hatte dieser sie beantwortet. Sein sehnlichster Wunsch war es ein Schamane, wie Belgan zu werden. Tiefe Enttäuschung machte sich in seinem Inneren breit und plötzlich überkam ihn unbändiger Jähzorn.

»Wenn ich schon ein Krieger sein soll, dann trete ich in die Dienste des Barons. Hier gibt es nichts, was mich hält,« rief Gallan zornig aus und verließ das Erdhaus wieder. Enttäuscht von der Absage und gekränkt in seinem Stolz, machte er kurze Zeit später seine Absicht wahr und stellte sich in die Dienste des Barons.

In kürzester Zeit stieg Gallan dank seiner Fähigkeiten vom einfachen Krieger zum Sucher auf, was er damals als besondere Ehre empfand. Gallan lernte bei den Nayati ein guter Jäger zu werden, der auch noch kaum vorhandene Spuren entdeckte. Zudem vermochte er es sich in seine Beute zu versetzten und vorauszusehen, wie sie handeln würde. Diese Eigenschaft fiel Kisho auf und er nahm Gallan in den erlesenen Kreis der Sucher auf.

Heute dachte er anders darüber. Es war keine Ehre für einen Tyrannen die Drecksarbeit zu erledigen und so zu tun als wäre das Nichts. Heute verstand Gallan die Worte die Belgan ihm nachrief, als er wütend davon lief.

»Du wirst wiederkommen und meinen Rat und meine Hilfe wollen. Denk an meine Worte Gallan, Sohn des Garan.«

Es war eine kleine Ewigkeit her, dass er an seinen Vater und seine Mutter dachte. Sein Vater verwand es nie, seinen Sohn in den Diensten des schwarzen Barons zu sehen.

Er hatte schon lange nicht mehr an seinen Vater oder seine Mutter gedacht, warum gerade jetzt? Mit einem unwilligen Kopfschütteln verscheuchte er diesen Gedanken. Gallan zog die Decke enger um seine Schulter.

Ein eiskalter Wind wehte von Süden herauf und trieb dunkle regenschwere Wolken vor sich her, die den Mond verdeckten und Regen verkündeten. Einige Minuten lauschte Gallan noch den Geräuschen der Nacht und schloss dann beruhigt die Augen.

Es lag noch ein weiter Weg vor ihm, der nicht leicht werden würde angesichts der Bedrohung durch den Baron. Am nächsten Morgen wollte er auf die Jagd gehen, denn das harte Brot in der Satteltasche war alles, was ihm an Proviant zur Verfügung stand.

Am nächsten Morgen ritt Gallan durch den eiskalten prasselnden Regen auf der breiten Spur weiter und hielt Ausschau nach Antilopen oder anderen Tieren, die sich als Jagdbeute eigneten. Nach einigen Stunden gab er seine Bemühungen auf. Nicht ein einziges Tier, nicht einmal ein Hase oder ein Büffel war auszumachen und es schien als hätten die Jäger des Trosses das ganze Wild getötet oder vertrieben.

Mit Besorgnis machte er viele Fährten aus, die aus den Seitentälern zu der Hauptspur der Armee stießen. Kisho bot ein gewaltiges Heer auf, aber was hatte er vor, wen wollte er dieses Mal unterwerfen und knechten?

Gallan folgte der immer breiter werdenden Spur noch zwei Tage, dann schwenkte er nach Südosten ab. Es war noch ein weiter Weg bis zu seinem Volk, dessen kleine Stadt am Ufer des Dengro lag. Noch war er nicht an seinem Ziel. Nach drei weiteren Tagen eintönigen Rittes nur mit seinen Gedanken beschäftigt, riss das helle Wiehern seines Hengstes Gallan aus seiner Lethargie.

Zuerst dachte Gallan an Verfolger und machte sich gewohnheitsmäßig kampfbereit, doch als er sich umsah, konnte er niemanden entdecken. Dafür stiegen weit im Westen Rauchsäulen gegen den Himmel in deren Richtung Dangarar liegen musste.

*Dieser Teufel,* dachte Gallan. *Das ist kein normales Vorgehen, bei dem es nur um Beute ging. Dieses Mal greift er die westlichen Völker der Kokuken an, um sie endgültig zu unterwerfen und zu seinen Sklaven zu machen.*

In den nächsten Tagen sah Gallan entlang des großen Flusses weitere Rauchsäulen aufsteigen. Der Fluss entsprang nicht weit der Festung Kishos auf einer der Hochebenen des Schwarzsteingebirges. Anfangs schlängelte er sich als kleiner Bach durch das Gebirge, wo ihn zahlreiche Zuläufe auf die Größe des Stromes anschwellen ließen, als der er die Ebene durchzog. Entlang seiner fruchtbaren Ufern lagen die Städte Dangarar Sikora und Poligera und genau von dort kamen die Zeichen der Verwüstung und Zerstörung.

Vier Tage ritt Gallan ohne Jarduk und sich selbst nennenswerte Pausen zu gönnen weiter in südöstliche Richtung. Nur hin und wieder hielt er an um sich zu vergewissern, dass ihm keine Wurrler auf seiner Fährte folgten.

Der Himmel schien seine Schleusen geöffnet zu haben und wollte sie anscheinend nicht wieder schließen. Der kalte raue Wind, der auf Südwest gedreht hatte, drang durch Gallans Kleidung, die seit Tagen durchnässt auf seiner Haut klebte. Gallan sehnte sich nach einem trockenen Ort, wo er sich aufwärmen und ausruhen konnte. Bibbernd vor Kälte biss er die Zähne zusammen und ritt weiter.

Drei Tage später sah Gallan in der Ferne das Erdhaus des Schamanen, das sich wie ein verheißungsvoller Ort der Geborgenheit aus der Steppe erhob. Der Regen hatte zeitweise nachgelassen aber Gallan fror bis auf die Knochen und wünschte sich eine warme Mahlzeit. Das Gürteltier, das er zufälligerweise vor zwei Tagen erlegte, reichte gerade aus, um ihn nicht verhungern zu lassen und so war es kein Wunder, dass sein Magen knurrte wie eine hungrige Felskatze.

Vor dem rechteckigen Eingang zum Haus hielt Gallan an und schwang sich aus dem Sattel. Steifbeinig betrat er das Innere von Belgans Behausung. Nachdem sich seine Augen an die Lichtverhältnisse in der Hütte gewöhnt hatten, erkannte er den Schamanen, der in eine Decke gehüllt an der Feuerstelle saß.

»Sei gegrüßt Schamane der Nayati, ich bin es Gallan, der auf deine Gastfreundschaft hofft,« begrüßte er den alten Schamanen.

Belgan hatte sich während seiner Abwesenheit nicht viel verändert, außer dass er noch mehr abgemagert war. Seine langen weißen Haare, die durch ein Stirnband aus dem Gesicht gehalten wurden, fielen fast bis auf den Rücken herab. Sein fahles Gesicht beherrschte noch immer die hakenförmige Nase und der schmallippige Mund verzog sich zu einem melancholischen Lächeln, als er den Besucher erkannte. Belgans starrer Blick aus grauen trüben Augen haftete am Einlass, und obwohl Gallan wusste, dass der Schamane seit seiner Kindheit blind war, hatte er das Gefühl die Augen sahen bis auf seine Seele.

»Ich habe dich schon erwartet Gallan,« begrüßte ihn Belgan mit seiner für ihn typisch rauen Stimme. »Komm setz dich ans Feuer und wärme dich, obwohl ich dich wegen deines Frevels meines Hauses verweisen sollte.«

Gallan zuckte innerlich zusammen. Die Stimme des Schamanen klang ohne jede Färbung von Gefühlen und jagte Gallan einen Schauer über den Rücken. Die blinden Augen folgten jeder seiner Bewegungen, als Gallan sich dem Feuer näherte und sich gegenüber von Belgan setzte.

»Du musst hungrig und halb erfroren sein, nimm dir etwas von der Suppe,« sagte der Schamane, der mit einer Handbewegung auf den kleinen Kessel neben dem Feuer wies. »Danke Belgan ich bin wirklich am verhungern,« bedankte sich Gallan.

Gallan nahm eine Schüssel, die neben dem Kessel stand, und füllte sie voll. Gierig schlang er die heiße Suppe hinunter während Belgans starre Augen ihn musterten. Gallan legte das leere Gefäß neben den Kessel und konnte nicht verhindern, dass er zunehmend unruhiger wurde, als der Schamane beharrlich schwieg. Der vorwurfsvolle Gesichtsausdruck des Schamanen beunruhigte ihn.

Unsicher fragte Gallan den Schamanen. »Von welchem Frevel sprichst du Schamane.« Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des Schamanen, das aber keine Freude, sondern eher Schmerz ausdrückte. Dafür stellte der Schamane Gallan eine Frage, mit der er nicht gerechnet hätte.

»Spürst du den kalten Wind aus dem Süden und den eisigen Regen, der das Land erstarren lässt? Er hat mit deiner Tat zu tun und das ist erst der Anfang. Du hast mit deinem Vorgehen das Gleichgewicht der Magie verändert. Wenn du dich nicht besinnst und umkehrst, wird diese Welt so wie wir sie kennen sterben.«

»Wie …,« wollte Gallan einwenden, doch Belgan schnitt ihm mitten im Satz das Wort ab. »Die Einhörner sind magische Wesen, welche die Natur und alle ihre Geschöpfe im Gleichgewicht halten. Du tötest sie und willst meine Hilfe, um auch noch das letzte der Gier des Barons zu opfern.«

Nun nahm die Stimme des Schamanen einen vorwurfvollen belastenden Ton an, bei dem Gallan das Blut in den Adern zu erstarren drohte. Obwohl Belgan nicht lauter sprach, als er ihn begrüßte, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl.

Diesen sanften weisen Mann hatte er noch nie zuvor in solch einem Ton mit jemand reden hören.

Gallan kannte Belgan seit seiner Kindheit und er fragte sich, wie der alte Mann das alles wissen konnte. Reichten seine Fähigkeiten weiter, als sich Gallan das träumen ließ? Was bedeutete das Gerede vom Gleichgewicht der Natur und vom Sterben dieser Welt?

»Woher weißt du von meinen Taten, lässt du mich heimlich beobachten,« fragte Gallan verunsichert. Doch statt einer Antwort warf der Schamane eine Handvoll Kräuter, die er aus seinem Umhang holte ins Feuer. Sogleich stieg dichter weißer Rauch empor und hüllte sie beide ein.

»Komm ich führe dich auf eine Reise du Unwissender,« hörte Gallan den Schamanen wie aus weiter Ferne sagen. Der weiße Nebel stieg bis zur Decke der Hütte empor, aber irgendwie verließ er sie nicht durch die Öffnung. Obwohl Belgan nur zwei Schritte von ihm entfernt war, konnte Gallan ihn nicht sehen und ihm war, als löse sich Belgans Heim um ihn herum auf. Als sich der Rauch verzog, stand Gallan mitten auf der Ebene. Verwirrt sah er sich um.

Wo war er? Gallan drehte sich um seine eigene Achse, dabei fiel sein Blick auf einen mit vertrocknetem grasbewachsenen Erdhügel, nicht weit von ihm entfernt. *Träumte er oder verabreichte der Schamane ihm eine Droge, die ihm das alles hier vorgaukelte?*

Gallan bewegte sich auf den Hügel zu, da fiel ihm das ausgetrocknete von der Sonne verbrannte Gras unter seinen Füßen auf, das bei jedem Schritt raschelte und zu Staub zerfiel. Nun wurde er sich auch der sengenden Strahlen der Sonne bewusst die von einem an flüssiges Blei erinnernden Himmel herabbrannte und kaum Luft zum Atmen ließ. Erneut fragte er sich. *Wo bin ich gelandet. Auf einer anderen Welt?* Es gab nichts außer dem Erdhaus, das er zu kennen glaubte.

Wenige Schritte vor dem Eingang zur Hütte hörte Gallan unter seinen Schritten ein trockenes Knacken und sah verwundert zu Boden. Vor ihm lag im Staub der bleiche Schädelknochen eines Kaninchens, auf den er getreten war.

Gallan schritt weiter auf den Eingang zu, der je näher er kam, irgendwie anders aussah. Erst beim Näherkommen erkannte er warum. Der Balken, der den Eingang stützte, hing halb herunter und die Seitenpfosten waren gesplittert unter dem Druck des Daches zusammengebrochen. Die unzähligen Löcher im Dach gewährten einen Blick in das mit Erdreich und Staub angefüllte Innere. Vor dem Eingang lagen vom Wind zusammengetriebene rund Büsche, die sich bei jedem Luftzug bewegten.

Gallan schob mit dem Fuß die Büsche zur Seite und zwängte sich nach drinnen. Die Strahlenfinger der Sonne, welche durch das löchrige Dach fielen, tauchten das Innere in ein unwirkliches Licht. Bei jedem Schritt, den er zögernd vorwärtsging, wirbelte feiner Staub auf, der in den Lichtstrahlen tanzte.

Der hintere Teil, der Belgan als Schlafraum diente war einigermaßen gut erhalten. Die Seitenwände aus jungen Baumstämmen wirkten morsch und hatten teilweise schon nachgegeben. Auf dem Bettgestell lag eine zentimeterdicke Schicht Staub, die schon Jahre alt sein musste. Neben dem Bett auf dem festgetretenen Fußboden lagen die bleichen trockenen Knochen Belgans, den er nur an seiner Kleidung wiedererkannte.

*Was war geschehen?, fragte sich Gallan erschüttert. War das Gleichgewicht der Natur wirklich so aus Fugen geraten? Wo war das saftige grüne Gras geblieben? Gallan hatte nichts als ausgedörrte Steppe, in der die Luft vor Hitze flirrte, gesehen. Wo war sein Volk, das ganz in der Nähe des Flusses lebte?*

Mit einem Mal trat Gallan der Schweiß aus sämtlichen Poren der Haut und rann ihm in Bächen über Stirn und Rücken. Ein Gefühl von Unruhe, begleitet von ahnungsvollem Schrecken griff nach seinem Herzen und er stürmte schwer keuchend ins Freie.

An den morschen Seitenpfosten des Eingangs gestützt blickte er suchend hinunter zum Fluss, an dem die kleine Stadt seines Stammes liegen musste. Ohne sich dessen bewusst zu werden, setzte er immer schneller werdend einen Fuß vor den anderen, bis er rannte. Eine verbissene laut dröhnende Stimme in seinem Kopf schrie ihn an. Das ist alles deine Schuld ….. deine Schuld ….. deine Schuld.

Schon von Weitem sah er die zerfallene Festungsmauer, die die kleine Stadt umgab und Gallan stolperte außer Atem auf sie zu. Durch den halb verfallenen Zugang zur Stadt sah er kleine Sandteufel durch die ausgetrockneten Flächen zwischen den einzelnen Behausungen tanzen. Leere nichts als Leere umfing Gallan, wohin er auch sah.

Mit vor Schrecken geweiteten Augen suchte Gallan nach dem Haus seiner Eltern, und als er davor ankam, standen Tränen in seinen Augen. Das eingefallene Dach hatte alles unter sich begraben, was ihn an seine Kinder und Jugendzeit erinnerte. Wie in Trance stolperte Gallan durch die menschenleere Stadt. Seine Augen füllten sich mit Tränen und er torkelte weiter, bis er gegen das ausgebleichte Gerippe eines Rindes stieß, das mit einem hässlichen Knirschen zu Staub zerfiel. Kreischend meldete sich die Stimme in seinem Kopf zurück und wollte nicht verstummen.

*Deine Schuld … deine Schuld.*

Mit zugehaltenen Ohren lief Gallan mehr taumelnd und stolpernd durch den glühenden Staub zum Fluss hinunter, an dessen Ufer er schwer atmend stehen blieb. Nur wenige Schritte vom Ufer entfernt schaute er fassungslos auf das staubige ausgetrocknete Flussbett.

Der Fluss war verschwunden und mit ihm die Lebensader von Ituma seiner Stadt. Ein lang gezogener klagender Schrei entrang sich seiner Brust, der in einem Ächzen endete. Gallan fiel auf die Knie und blickte mit starrem Blick in den Himmel. Ein Windstoß wirbelte vor ihm Sand auf, nahm ihm die durch Tränen getrübte Sicht und hüllte ihn ein.

Er wusste nicht, wie lange er im Sand kniend verbrachte, bis sich sein Blick klärte und die blinden Augen des Schamanen wahrnahm, der ihm kerzengerade gegenübersaß. Seine Kleidung klebte am Körper und in seinem ausgedörrtem Mund glaubte er, noch den Staub zu schmecken.

»Schütze das letzte Einhorn oder die Zukunft sieht so aus, wie du sie eben erlebt hast. Rette es vor dem Baron.«

Gallan saß wie betäubt da und rührte sich nicht, während sich seine Gedanken überschlugen. *Wie hatte der Schamane das zustande gebracht? Alles schien so realistisch bis ins kleinste Detail. Hatte er wirklich eine schreckliche Zukunftsvision gesehen oder wollte ihn Belgan nur von seinem Vorhaben abhalten? Lag die Schuld wirklich bei ihm, wie es ihm die plärrende Stimme weismachen wollte?*

Belgan schien seine Gedanken lesen zu können, denn er unterbrach Gallans Betrachtung mit Fragen, die Peitschenschlägen glichen. »Du glaubst mir nicht? Was ist mit dem Südwind und seiner schneidenden Kälte und dem andauernden Regen der sich, wie Eis anfühlt? Sind das nicht genügend Zeichen für dich?, dann wisse dies. Wenn das letzte Einhorn stirbt, und es wird sterben, wenn es in die Fänge des Barons gelangt, dann sind die Menschen dem Untergang geweiht. Kisho wird diese Katastrophe durch sein Spiel mit Kräften heraufbeschwören, die er nicht beherrschen kann. Du Gallan wirst zu seinem Handlanger, wenn du ihm gibst, was er haben will. Überleg deine nächsten Schritte gut, denn es liegt in deiner Hand.«

Gallan blickte in die blinden Augen seines Gegenübers die dennoch so viel sahen. *Wahrscheinlich wusste er auch von seiner Flucht und kannte sicher seine Absicht in die andere Welt zu gehen, um das Einhorn zu finden. Wusste er auch, dass das Einhorn in einen Menschen verwandelt wurde? Woher sollte er das wissen oder reichten seine Kräfte aus, um auch dort zu sehen, was geschah?*

Die Schreckensbilder seiner Vision wirkten immer noch auf Gallan ein und er sah sein Vorhaben plötzlich in einem ganz anderen Licht. Kisho, davon war er überzeugt würde ihn so oder so töten, schon um sein eigenes Versagen zu verbergen.

»Was soll ich tun,« fragte er und ihm wurde deutlich, dass die Prophezeiung die Belgan aussprach, als er ihn vor Jahren verließ, eintrat. »Du wirst wiederkommen und meinen Rat und meine Hilfe wollen.«

Belgan schloss seine blicklosen Augen, wobei er seinen Kopf schief legte. Er schien einer Stimme zu lauschen, die nur er hören konnte. Unbeweglich saß Belgan ihm gegenüber. Plötzlich riss Belgan seine blinden Augen auf und schrie gequält auf. Keuchend hob und senkte sich sein Brustkorb als bekäme er zu wenig Luft, während sich sein Körper verkrampfte.

»Kisho hat mit den Wurrlern und seinen teuflischen Kriegersklaven den Zentaren die westlichen Stämme überfallen und sie unterworfen. In seiner Gier will er sich damit nicht zufriedengeben und auch die Nayati und die anderen östlichen Stämme unterjochen. Sie sind auf den Weg hierher.«

Gallan erinnerte sich an seine Beobachtungen während des Ritts. Er erinnerte sich an die aufsteigenden Rauchsäulen und seine Vermutungen. Er hatte geglaubt Kisho gäbe sich mit dem westlichen Teil Andorans zufrieden, dessen Grenze der Dengro war. Die Worte des Schamanen trafen ihn wie ein Hieb in den Magen.

Gallan wollte etwas sagen, doch der Schamane kam ihm zuvor.

»Traue nie einem Tyrannen und seinen Versprechen, sie sind wie Wasser, das durch deine Hände rinnt.«

In der Tat hatte Kisho einst versprochen, den Stamm Gallans in Frieden zu lassen und versichert, dass er keinerlei Interesse habe, dem Stamm seines Suchers Schaden zuzufügen. Dieser Wortbruch traf Gallan bis ins Mark.

Er fühlte sich immer noch als Sohn des Stammes, obwohl sein Vater ihm nie verziehen hatte, dass er in die Dienste des Barons getreten war. Bei seinem lang zurückliegenden Besuch schnitten ihn die Einwohner, sahen ihn schief an und tuschelten hinter seinem Rücken.

»Ich werde die Nachricht meinem Vater überbringen,« stieß Gallan hervor, doch plötzlich schien ihn ein letzter Zweifel zu überkommen. »Bist du dir auch ganz sicher Belgan?«

Der Schamane fuhr sich mit der Hand von der Stirne nach unten übers Gesicht. Seine Augen waren geschlossen, als er mit tonloser leiser Stimme antwortete.

»Sie kommen schnell wie der Wind und nur die angeschwollenen Flüsse werden sie für einige Zeit aufhalten können.«

»Wie viel Zeit bleibt uns noch,« wollte er vom Schamanen wissen. Belgan seufzte leise, ehe er Antwort gab. »Sechs … vielleicht sieben Tage.« Gallan erhob sich und wandte sich dem rechteckigen Ausgang zu. Noch bevor er ihn erreichte, hörte er die Frage des Schamanen aus dem Dämmerlicht hinter sich.

»Wie hast du dich entschieden Gallan? Keiner kennt den Baron und die Krieger des Barons besser als du. Wirst du an der Seite deines Volkes kämpfen?«

Gallan drehte sich um und sah durch das düstere Innere hinüber zu Belgan, der noch immer die Augen geschlossen hielt. »Ich werde dieses wortbrüchige Aas bis zum letzten Atemzug bekämpfen,« antwortete er zornig und wollte sich schon umdrehen, als ihn Belgan erneut ansprach.

»Du musst das Einhorn nicht suchen, es wird zu dir kommen. Beschütze es, wie du deinen Stamm beschützen willst.« Es entstand eine kurze Pause, dann sprach der Schamane weiter. »Jetzt geh, die Nayati brauchen deine Hilfe.«

Gallan verließ in Gedanken versunken Belgans Erdhaus, schwang sich in den Sattel von Jarduk und gab ihm die Sporen. Jarduk wieherte protestierend bei der ungewohnten Behandlung auf, doch Gallan achtete nicht darauf. Die letzten Worte des Schamanen gingen ihm nicht aus dem Kopf.

*Was wusste er über das Einhorn und warum sollte es zurückkommen?*

Gallan nahm sich vor, mit dem Schamanen ausführlicher darüber zu reden. Zuerst aber musste er seinen Stamm warnen und es sollten Vorbereitungen getroffen werden, um Ituma zu verteidigen.

Das Tor nach Andoran

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