Читать книгу Das Tor nach Andoran - Hubert Mergili - Страница 7

Kapitel 5

Оглавление

Die schwarze Festung

Gespenstischer von Blitzen durchzuckter Nebel hüllte Gallan ein, als sich das Tor hinter ihm schloss. Allmählich und zögernd lösten sich die wabernden Nebelschleier auf. Gallan wartete, bis sie sich ganz legten, dann sah er sich suchend um. Er war auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, der ihm verriet, in welche Welt die Mutter ihre Tochter vor ihm zu verstecken suchte.

Jedes Wesen das sich in diesem Zwischenraum bewegte hinterließ eine Spur, das Problem war nur diese zu erkennen. Die Spur des Einhorns musste noch frisch sein, daher glaubte Gallan, sie leicht zu finden. Angestrengt suchten seine Augen in dem diffusen Licht, das der Dunkelheit gewichen war, nach einem Anzeichen.

Jarduk spielte nervös mit den Ohren und versuchte sich auf der Hinterhand zu drehen, da gewahrte Gallan die blassblauen Schemen, die nur von der Aura des Einhorns herrühren konnten. Das war die Spur, nach der er suchte.

Gallan hob seine Hand mit dem Ring an. Ein dünner roter Faden verließ den Ring und strebte rasch auf den dunstigen sich in Auflösung beginnenden Schemen zu, umfing ihn und hielt ihn fest. Gallan triumphierte und gab Jarduk die Sporen, nun war es ihn ein Leichtes, das Junge aufzuspüren.

In einem sich wild drehenden Durcheinander aus Farben, die von zartem Weiß über satt leuchtendem Gelb bis hin zum dunkelsten schwarz reichten, nahm Gallan rasant Fahrt auf. Nur gehalten durch die Verbindung seines Ringes zu der Aura des Einhorns, stürzte er an ungezählte Welten vorbei, die als verschwommene Schemen in sein Gesichtsfeld kamen und wieder verschwanden. Plötzlich bemerkte Gallan, wie seine Fahrt gebremst wurde. Die Farbenpfeile, die an ihm vorüber rasten, verloren sich und wurden zu dicken ineinander laufenden Klecksen, bis sich eine in allen regenbogenfarben schillernde Kuppel über ihm ausbreitete und langsam verblasste.

Gallan war am Ziel seiner Verfolgungsjagd angekommen und mit einem donnernden Knall, spuckte ihn die Zwischenebene aus, um das Tor sofort hinter ihm wieder zu verschließen. Gallan saß hoch aufgerichtet im Sattel und sah sich aufmerksam um.

Vor sich erkannte er ein kleines Wäldchen im dämmrigen Licht des beginnenden Tages. Wie Gallan erkannte, stand er mitten auf einem Talgrund, an dessen Seiten sich steile Berghänge erhoben. Von irgendwoher vernahm er das Blöcken von Schafen, doch seine ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf die mentalen Schwingungen des Einhorns.

Lange musste Gallan nicht suchen, denn bei dem nahe gelegenen Gehölz wurde er fündig. Schwach aber dennoch deutlich erkennbar strömten die Schwingungen auf ihn ein. Hämisch grinsend stieg er von seinem Pferd.

*Wenn die Mutter wüsste, dass er ihr Junges trotz ihrer Bemühungen gefunden hatte.* Ungewollt dachte er über die Stute und ihren vergeblichen Bemühungen nach, ihr Junges vor ihm zu schützen.

Aufrecht lief Gallan die wenigen Schritte bis zum ersten Stamm eines Ahorns hinüber und erstarrte zur Bewegungslosigkeit. Ein Schatten trat dahinter hervor und schrie ihn an. »Halt, stehen bleiben.«

Gallan konnte im Zwielicht des Morgens einen jungen Mann erkennen, der ihm drohend ein großes Jagdmesser entgegenhielt. Gedankenschnell hob Gallan seine Hand mit dem Ring, aus dem ein feiner roter Lichtstrahl die Brust der Gestalt vor ihm traf. Leblos sackte der Junge in sich zusammen und schlug hart auf dem Boden auf.

*Dieser Narr, dachte der Junge etwa Gallan würde sich von ihm einschüchtern und aufhalten lasen?* Gallan setzte unbeirrt seinen Weg fort.

Wachsam stieg er über den Jungen hinweg und drang tiefer in das Gehölz ein. *Wo steckte das verdammte Einhorn nur?* Hier drinnen war es dunkel wie in einem Pferdearsch. Die dicht zusammengewachsenen Wipfel der Bäume verhinderten das durchdringen des schwachen Morgenlichts bis auf den Waldboden.

Verstärkt durch seinen Ring, spürte er ganz deutlich die Ausstrahlung des Einhorns. Jäh blieb Gallan stehen. Die zarte Gestalt eines Mädchens mit langen weißen Haaren löste sich aus dem Schatten der Bäume. Mit in Panik geweiteten Augen starrte ihn das Mädchen an und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Es warf sich herum und wollte vor ihm fliehen. Schlagartig verstand er die Worte ihrer Mutter.

Er verdankte es dem Ring, der die Ausstrahlung des Einhorns noch wahrnahm. Ohne ihn hätte er das Mädchen nicht weiter beachtet. Am allerwenigsten aber wäre es ihm eingefallen nach etwas anderem zu suchen als nach einem Einhorn. Es war ein Glück für ihn, weil die Suche nicht allzu lange dauerte, sonst könnte selbst der Ring die Schwingungen nicht mehr orten.

Ein kaum wahrnehmbares Rascheln in seinem Rücken verursachte das Schrillen sämtlicher Alarmglocken in Gallans Kopf. Noch ehe er sich instinktiv mit einem Satz nach vorne in Sicherheit bringen konnte, explodierte in seinem Kopf ein Feuerwerk, das von schlagartiger Dunkelheit abgelöst wurde.

*Verdammt,* war der letzte Gedanke Gallans, ehe er ohnmächtig im Gras aufschlug.

Gallan bemerkte nicht, wie er im Sturz die Jagdtasche mit den kostbaren Hörnern verlor, die in einem weiten Bogen vor ihm auf dem Boden landete.

Hämmernde Schmerzen, so als benütze jemand seinen Schädel als Amboss, ließen Gallan wieder zu sich kommen. Er benötigte lange Zeit, bis er halbwegs klar denken konnte. Langsam kam die Erinnerung an den Schlag auf seinem Hinterkopf und dem rasenden Schmerz der darauf folgte wieder zurück.

Gallan atmete tief durch und versuchte die Augen zu öffnen, aber es dauerte noch einige Zeit bis sein Bewusstsein die tiefe Dunkelheit, die ihn einhüllte, begriff.

*Wo befand er sich warum war es dunkle Nacht um ihn herum? Wie lange war er bewusstlos gewesen?*

Anfangs konnte er sich das kratzende Gefühl auf seinem Gesicht nicht erklären. Langsam wurde ihm klar, dass es die raue Innenseite seines Ledermantels sein musste, die bei jeder Bewegung über sein Gesicht schabte.

Mit schmerzverzerrtem Mund rollte er sich auf den Rücken, wischte mit einer fahrigen Bewegung den Mantel zur Seite und schloss geblendet seine Augen. Wie scharfe spitze Messer peinigten die Sonnenstrahlen seine Sehnerven. Es war heller Tag und die Sonne stand über ihm im Zenit. Beim zweiten Versuch seine Augen zu öffnen war Gallan darauf vorbereitet und nach einiger Zeit sah er das Blau des Himmels über sich. Langsam erinnerte sich Gallan an das Geschehene und schalt sich einen Narren so arglos in die Falle des Jungen gestolpert zu sein. *Aber wo war der Junge,* fragte er sich, während er sich mit zusammengebissenen Zähnen aufzurichten versuchte.

Er musste ziemlich lange bewusstlos gewesen sein, wenn die Sonne schon so hoch stand. Beim zweiten Versuch gelang es ihm, auf die Beine zu kommen. Gallans verschwommener von Schmerzen gepeinigter Blick suchte die Umgebung nach dem Jungen ab, der ihn hinterlistig überrumpelt hatte. Er musste noch irgendwo in der Nähe sein, da fiel sein Blick auf etwas, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Gallan glaubte seinen Augen nicht trauen zu können, als er den Kadaver des Einhorns neben sich im Gras liegen sah, das er vor wenigen Stunden eigenhändig tötete.

Gallan schloss die Augen, um sie wenige Augenblicke später wieder zu öffnen. Insgeheim hoffte er das Bild wäre verschwunden und die steilen Bergflanken träten an seine Stelle. Er konnte immer noch nicht glauben, was er sah. Rings um ihn verstreut lagen die Leichen der Einhörner mit den abgeschlagenen Hörnern.

*Er befand sich wieder an seinem Ausgangspunkt, aber wie kam er hierher?*

Unsicher sah sich Gallan um. Er erkannte die kleine Mulde, in der er seine Opfer gestellt hatte, und fragte sich, wie er hierher kam. Hastig tastete Gallan nach dem Ring an seinem Finger und eisiger Schrecken griff nach seinem Herzen. Der Ring des Barons war verschunden. Sein zweiter Gedanke galt der Jagdtasche, in der er die Hörner verstaut hatte. Noch ehe seine Hand danach suchte, wusste er, dass auch sie fehlte.

Wie betäubt stand Gallan auf und schwankte von den Tierleichen weg. Schwer atmend setzte er sich auf einen Stein, der aus dem Boden ragte. Fieberhaft jagten sich seine Gedanken, um die Zusammenhänge zu begreifen.

*War es einem anderen Sucher gelungen ihm unbemerkt zu folgen und hatte der ihn niedergeschlagen, um ihn des Ringes und der Tasche zu berauben?*

Sofort verwarf Gallan diesen Gedanken wieder, weil er den Knall des Übertritts sicher wahrgenommen hätte. *Es gab sicher eine andere Erklärung.*

Je länger Gallan darüber nachdachte, umso deutlicher erkannte er, welchen Fehler er begangen hatte. Der Junge war nicht alleine gewesen. Außer dem Mädchen gab es einen weiteren in diesem Spiel, der zwischen den Stämmen auf eine günstige Gelegenheit lauerte, um ihm eins über den Schädel zu ziehen. Seine Überheblichkeit war ihm zum Verhängnis geworden. Er hatte es versäumt, die Umgebung sorgfältig nach weiteren Personen abzusuchen.

Seinem schmerzenden Schädel und der Beule nach zu urteilen, die Gallan vorsichtig betastete, musste der Unbekannte ein Mann gewesen sein, da war sich der Sucher sicher. So schlug nur ein Mann zu. Gallan hielt seinen Kopf mit beiden Händen fest und stützte seine Ellenbogen auf den Knien ab. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, dem Übelkeitsgefühl das seinen Magen rebellieren ließ, nicht nachzugeben und einen klaren Kopf zu behalten.

*Der Ring und die Jagdtasche. Ohne sie konnte er sich ebenso gut von der höchsten Zinne der schwarzen Festung stürzen. Gallan kannte den Baron und er hatte seine Grausamkeiten miterlebt. Kisho würde seine Leute ausschicken, um ihn zu jagen und was geschah, wenn sie ihn fanden, daran wollte er lieber nicht denken.*

Gallan bemerkte nicht, dass die Sonne sich dem Horizont näherte und die Hügel in orangefarbenes Licht tauchte. Erst als er schwerfällig seinen Kopf hob, um nach seinem Rappen zu sehen, wurde ihm bewusst, wie viel Zeit inzwischen vergangen war. *Wo war Jarduk, hatte er auch ihn verloren?*

Mit zusammengebissenen Zähnen erhob sich Gallan von dem Stein. Jede noch so kleine Bewegung schien in seinem Kopf eine Explosion von Schmerzen auszulösen, die seinen Körper peinigten. Schwer atmend stand Gallan da und wartete ab, dass der Schmerz nachließ, dann rief er nach Jarduk, der ihm mit einem leisen Wiehern in seinem Rücken antwortet. Gallan atmete erleichtert auf.

»Jarduk du alter Halunke komm her zu mir,« rief Gallan erlöst, dem sich nähernden Hengst zu.

Es wurde Zeit von hier zu verschwinden. Sicher ließ der Baron schon nach ihm suchen und es war nicht gerade ratsam noch länger hier zu bleiben.

Während Gallan sich unter höllischen Qualen in den Sattel zog, dachte er über ein geeignetes Versteck nach. Er hatte nicht die Absicht aufzugeben. Aber er benötigte Zeit, bis ihm eine Möglichkeit einfiel, wie er seine Tasche mit den Hörnern und den Ring wieder in seinen Besitz bringen konnte.

Auf dem schaukelnden Rücken des Pferdes fiel es Gallan schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, dennoch wandte er sich nach Osten. Dort in den Hügeln wusste er eine Stelle, die ihm als geeignetes Versteck erschien und wo er abwarten konnte, bis sein schmerzender Schädel sich beruhigte.

Schon nach einer kurzen Strecke wurde Gallan bewusst, dass er nicht weit kommen würde. Sein Kopf schien zu explodieren und sein Magen entleerte sich zum zweiten Mal.

*Der verdammte Unbekannte hatte ihm eine ordentliche Gehirnerschütterung verpasst, aber er musste durchhalten, wenn er nicht in den Kerkern der schwarzen Festung landen wollte.*

Alles drehte sich vor seinen Augen im Kreis und sein Wahrnehmungsvermögen trübten schwarze undurchdringliche Wolken, die ihm die Sicht raubten. Gallan drohte jeden Moment das Bewusstsein zu verlieren. Um nicht aus dem Sattel zu fallen, legte sich Gallan auf den Hals von Jarduk und umschloss ihn mit den Armen. Plötzlich überfiel ihn der Gedanke an die Jäger und er fragte sich, wo sie sein mochten.

*Hetzten sie mit ihren Hundebiestern auf seiner Fährte hinter ihm her, oder hatte sie Kisho noch gar nicht losgeschickt?*

Eines war ihm trotz seines getrübten Verstandes klar. Bei dem Tempo, das er vorlegte, war es für seine Verfolger ein Leichtes ihn einzuholen. In der Ferne glaubte Gallan schon, das Jaulen der Hunde und die schnellen Schritte der krummbeinigen Jäger zu hören. Er konnte nicht unterscheiden, ob ihm seine Wahrnehmung einen Streich spielte, daher biss er schmerzerfüllt die Zähne zusammen und gab Jarduk die Sporen.

Die dröhnenden Kopfschmerzen und die zunehmende Dunkelheit raubten dem Sucher die Sicht. Jarduk kam in der Dunkelheit immer öfter ins Stolpern und Gallan kam zu der Einsicht anzuhalten, um sich und seinem Pferd Ruhe zu gönnen. Unter einem Baum dessen Zweige bis auf den Boden reichten stieg Gallan ab. Er lockerte Jarduk den Sattelgurt, gab ihm einen Klaps auf den Hals und taumelte mehr besinnungslos als wach zum Stamm. Dort lehnte er sich erschöpft mit dem Rücken dagegen und rutschte an ihm herab, bis er auf dem Boden saß. Augenblicklich drehte sich alles vor seinen Augen. Unversehens rutschte er seitlich am Stamm ab und fiel zur Seite, wo er hart mit dem Kopf am Boden aufschlug und bewegungslos liegen blieb.

Eine tiefe Ohnmacht umfing ihn aus der er sich am nächsten Morgen ins Bewusstsein zurückkämpfte. Im ersten Moment wusste er nicht, wo er sich befand, schrak aber zusammen, als er in das bärtige Gesicht eines Wurrlers blickte, der ihn hämisch angrinste.

Wut und Enttäuschung flammten in seinem Inneren auf. Sie hatten ihn doch gefunden. Gallan sah den Schlag mit dem Knüppel noch kommen, aber er reagierte zu langsam, um ausweichen zu können. Der Knüppel traf seine Stirn, worauf Gallan abermals bodenlose Finsternis umfing.

»Er kommt wieder zu sich.«

Gallan hatte das Gefühl sein Gehöhr sei mit Watte verstopft, als die Worte in sein Bewusstsein drangen und ihn elektrisierten.

*Wo befand er sich?* schlagartig kam die Erinnerung an die grinsende Grimasse des Wurrlers zurück, da hörte er eine Stimme, die er unter Tausenden herausgekannt hätte, im befehlenden Ton sagen.

»Dann sieh zu, dass er ganz wach wird.« Die Stimme gehörte keinem Anderen als Kisho dem schwarzen Baron. Gallan bemerkte den eisigen Schwall Wassers, der sich über ihn ergoss. Als er ausweichen wollte, hielt ihn etwas fest und es dauerte lange, bis er begriff was. Er war gefesselt.

Gallan mühte sich verzweifelt seine Augen zu öffnen und als es ihm gelang erkannte er die verschwommenen Gesichtszüge des Barons, der ihn finster anstarrte. Allmählich klärte sich Gallans Blick.

Der schwarze Baron musterte ihn lauernd, wobei sich ein grausames Lächeln in seinen Mundwinkeln eingenistet hatte. Die tückischen Augen mit dem rötlichen Schimmer blitzten ihn wütend und gehässig an. Die grüngraue Haut mit unzähligen schwarzen Pusteln übersät spannte sich glatt über Kishos Gesicht in dem die platte breite Nase mit dem wulstigen Lippen, neben den Augen hervor stachen. Als sich der Mund des Barons öffnete, kamen schwarze verfaulte Zahnstummel zum Vorschein, begleitet von einem Schwall fauligen Atems, der Gallans Gesicht streifte.

Gallan wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war, aber es mussten Tage vergangen sein, an die er keine Erinnerung hatte. Zweifellos hatten die Wurrler ihn aufs Pferd gepackt und zur schwarzen Festung gebracht.

Inzwischen hatte sich Gallans Wahrnehmung so weit stabilisiert, dass er seine Umgebung deutlich erkennen konnte und was er sah, gefiel ihm ganz und gar nicht.

Gallan erkannte den Raum, in dem er sich befand. Die langen Bücherreihen, die sich bis unter die Decke erstreckten, der alles beherrschende rote Glanz, der wie Gallan wusste von dem Rubin in der Mitte des kleinen Saals ausging, ließ ihn erschaudern. Man hatte ihn in Kishos Allerheiligstes gebracht. Diesen Raum, das wusste Gallan würde er nicht lebend verlassen. Es hieß auch: der Raum der tausend Qualen. Gallan wusste von Folterungen, die er miterlebte und ausnahmslos mit dem Tod der armen Teufel endeten. Was Kisho machte das führte er gründlich aus. Eiskaltes Entsetzen packte Gallan als Kisho ihn mit gespielter Gleichgültigkeit den Kopf herumdrehte und fast freundlich zur sprechen begann.

»Gallan … Gallan, wie mir scheint, bist du in letzter Zeit nicht gerade vom Glück verfolgt worden.« Die Stimme des Barons triefte vor Bosheit, als er weitersprach. »Ich hielt dich für alles Andere als einen Versager Gallan. Dir gehörte mein ganzes Vertrauen, aber du hast mich aufs Schwerste enttäuscht. Ich meine der Auftrag, den ich dir gab, stellte keine große Herausforderung dar und du versaust alles.«

Kisho machte eine Pause, in der er Gallan bewusst ignorierte. In seinen schwarzen Umhang gehüllt sah er wie ein bedrohlicher großer Aasgeier aus, der seine Kreise über seinem Opfer drehte. Demonstrativ spielte Kisho mit einem Stilett, dessen silbernen Griff er geschickt um seine Finger wirbeln ließ.

»Ich weiß alles mein lieber Gallan. Während deiner Ohnmacht hab ich mir erlaubt, ein wenig in deinem Gedächtnis herumzustöbern. Zuerst entkommt dir das junge Einhorn, dann lässt du dir auch noch den Ring und die wertvollen Hörner abnehmen, nur wo sich das Junge befindet, konntest du vor mir verbergen.«

Das Gefühl aufkommender Panik kroch in Gallan hoch, die er nur mit äußerster Willensanstrengung unterdrücken konnte. Er wusste, was diese vorgetäuschte Freundlichkeit bedeutete. Er selbst hatte es schon einige Male erlebt, wie Kisho mit Genuss seinen Sadismus auslebte.

Nur heute saß er auf dem Stuhl der Qualen, wie Kisho den Sessel in seinem kleinen Saal nannte. Der Baron spielte sich mit ihm und weidete sich an seiner Angst, die seinen Körper zu lähmen drohte. Gallan bäumte sich auf und wollte sich von den Fesseln die ihn am Stuhl hielten losreißen. Sofort waren zwei Leibwächter von Kisho zur Stelle und drückten ihn unsanft an die Lehne zurück.

»Du kannst dir viel Ärger ersparen Gallan. Gib mir den Ort preis, wo sich das Einhorn aufhält und ich werde dir einen schnellen Tod gewähren, andernfalls wirst du in den Genuss der Sonderbehandlung für Versager kommen.«

Kishos scheinbare Freundlichkeit war mit einem Schlag wie weggeblasen und sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze, als er zu brüllen begann. »Sag mir endlich, wo sich das Einhorn aufhält,« dabei kam die Spitze des kleinen Dolches, mit dem sich Kisho spielte seinen Augen bedrohlich nahe.

Gallan presste die Lippen zusammen und heftete seinen Blick auf den Baron, blieb aber stumm. Gallan wusste, dass der bevorstehend Augenblick über sein Leben entscheiden würde. Solange der Baron nichts über das Einhorn herausfand, blieb ihm noch eine verschwindend geringe Chance und die wollte er nutzen.

»Na schön, wenn du es nicht anders willst,« brummte Kisho ärgerlich. Mit unglaublich brutaler Gewalt drang Kisho in Gallans Gedanken ein, die ihn beinahe überrascht hätte. Mit all seiner Kraft, die ihm blieb, wehrte er sich gegen den Angriff des Barons.

Augenblicklich kehrten die rasenden Kopfschmerzen zurück und Gallan hatte das Gefühl, sein Schädel explodierte. Gallan erkannte seine Chance.

Die Schmerzen errichteten einen undurchdringlichen Wall, der sich um seine Gedanken herum aufbaute und es dem Baron unmöglich machte ihn zu durchdringen und er kämpfte nicht dagegen an.

Gallan wusste nicht, wie lange er sich in dem Ozean aus Schmerzen und bunten Farben die vor seinen Augen tanzten, aufgehalten hatte, aber plötzlich ebbten sie ab. Durch den Schleier, der seine Wahrnehmung trübte, erkannte Gallan, Kishos wutverzerrtes Gesicht, das sein Blickfeld ausfüllte. Schleppend lichtete sich der Nebel.

Das Gesicht wich etwas zurück und Gallan sah die schwarze Gestalt Kishos nachdenklich vor ihm auf und ab gehen. Die Stimme Kishos nahm wieder den einschmeichelnden Tonfall an mit dem Er vor seinem Wutanfall gesprochen hatte.

»Gallan sei nicht so stur, ich bekomme doch heraus was ich erfahren will. Also sag mir, in welcher Welt sich das Einhorn befindet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich es herausbekomme und du ersparst dir viel Schmerzen, wenn du jetzt redest. Gallan du kennst mich, ich bekomme immer was ich will, also gib schon auf und ich verspreche dir, dich nicht leiden zu lassen.«

Kishos plaudernder Tonfall erweckte den Eindruck, als spräche er mit einem Freund über das Wetter, doch Gallan ließ sich nicht täuschen. Er kannte Kishos Heimtücke. Der Baron lauerte nur auf eine Schwäche von ihm, um dann umso erbarmungsloser zuzuschlagen. Gallan blieb auf der Hut und tatsächlich. Gerade als Gallan versuchte seine Erinnerung in den Tiefen seines Bewusstseins zu verstecken, schlug Kisho erneut zu, aber diesmal konnte er ihn nicht überraschen. Gallan ließ sich ohne Gegenwehr von dem einsetzenden Schmerz überfluten, was es Kisho unmöglich machte bis in seine Erinnerungen vorzudringen. »Ich will den Auftrag, den Ihr mir gabt, zu Ende führen,« presste Gallan zwischen den Zähnen hervor. Gebt mir einen Ring und ich enttäusche Euch nicht noch einmal. Ich bringe das Einhorn auf die Festung.«

Inzwischen stabilisierte sich Gallans Wahrnehmungsfähigkeit so weit, dass er das fleischige von Pusteln übersäte Gesicht Kishos ganz deutlich und gestochen scharf beobachten konnte. Die kleinen stechenden Augen des Barons glitzerten heimtückisch, als er höhnisch bemerkte.

»Du verkennst deine Lage Gallan, ich bin es der hier die Bedingungen stellt, aber ich gebe dir eine letzte Chance. Sag mir, wo sich das Junge aufhält.«

Gallan schwieg und hielt dem hypnotischen Blick des Barons stand. Mit einem enttäuschten Laut, wandte sich Kisho von dem Stuhl ab an dem Gallan festgebunden war und lief mit nachdenklich gesenktem Kopf im Raum auf und ab.

Innerlich bereitete sich Gallan auf die Folter vor, die nun unausweichlich folgen musste. Einmal war er bei einer dieser Sitzungen, wie Kisho sie nannte anwesend und er wusste was nun folgen würde. Gallan gab sich keiner Illusion hin. Auf ihn warteten unerträgliche Schmerzen bis zum Tod und das trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn.

Ruckartig blieb Kisho stehen und drehte sich zu ihm um. Satanisches Grinsen huschte über Kishos Gesichtszüge, als er Gallan anherrschte. »Du willst es also nicht anders. Nun dann betrachte die Kerker als dein neues Zuhause. Ich werde mich später um dich kümmern und glaub mir du wirst, noch darum flehen mir alles zu sagen, was du weißt.«

Ohne jeden Übergang veränderte sich Kishos Gesichtsausdruck und verfinsterte sich. »Wir werden uns bald wiedersehen Gallan, bis dahin genieße deinen Aufenthalt.«

Kisho hob etwas den Kopf und befahl den Wachen, die hinter dem Stuhl standen. »Bringt ihn in den Kerker, und geht nicht zu grob mit ihm um, ich brauche ihn noch.« Gallan wurde von klobigen Händen gepackt, von den Fesseln befreit und aus dem Saal gezerrt. Mit einem lauten Knall fiel die Türe ins Schloss und Kisho war alleine mit seinen Gedanken.

Wütend warf er sich in einen stabilen aus Eichenholz gefertigten Sessel mit hohem Rückenteil, der mit lautem Knarren gegen diese Behandlung protestierte. In Kishos Innerem tobte ein Sturm der Gefühle. Er befand sich so nahe dem Ziel seiner Begierde, aber Gallan hatte alles versaut. Kisho war außer sich vor Zorn, weil es ihm nicht gelungen war, durch die Barriere der Schmerzen an Gallans Gedanken zu gelangen, um so an die Informationen zu kommen, die er haben wollte.

*Wie schaffte es der Sucher, seine Gedanken vor ihm zu verbergen? Ihm war es trotz intensiver Kraftanstrengung nicht gelungen, sie zu durchbrechen. Nun blieb ihm nichts anderes übrig als auf die ausgeschickten Sucher zu warten. Vielleicht gelang es ja ihnen, eine Spur des Einhorns zu finden. Dann war Gallan überflüssig, wenn nicht, würde er unter der Folter schon noch reden. Er würde ihn anbetteln alles zu sagen, was er wusste.*

Kisho erhob seinen massigen Körper aus dem Sessel und wanderte in Gedanken versunken durch den Raum. Längs der Wand der großen Halle, die auf der Bergseite entlang führte, schritt er an den Artefakten vorbei. In den aus den Fels gearbeiteten Regalen befanden sich seine Kostbarkeiten.

Hier ein aus Bergkristall gefertigter Totenschädel, der ihn aus zwei smaragdenen Augen anstarrte, deren dunkelgrünes Feuer jeden Betrachter in seinen Bann zog. Man sagte diesem Schädel nach, jedem Geschöpf den Willen seines Besitzers aufzwingen zu können. Aber ……, Kisho seufzte verhalten, bis jetzt war er noch nicht dahinter gekommen, wie man den Schädel und seine Kräfte belebte.

Daneben lag ein kurzer knöcherner Stab, in dem seltsame Zeichen eingeschnitzt waren, die er noch nicht entziffern konnte. Schädelknochen von menschenähnlichen Wesen, die mit eigenartigen Kreisen, die ineinander liefen bemalt worden waren und vieles mehr. Alle Dinge in diesem steinernen Regal besaßen magische Kräfte, die es zu nutzen galt.

Zusammen mit den Hörnern würde seine Kraft ausreichen, um sein Schreckensreich zu gründen und Andoran in das dunkle Zeitalter zu stürzen, von dem er schon lange träumte.

Der Rubin der Mydaren hatte es ihm ermöglicht, Wesen aus einer Zwischenwelt nach Andoran zu holen. Diese kleinen stinkenden Jäger, die Wurrler. Kisho wusste von unzähligen Wesen, die sich in der Zwischenwelt aufhielten und nur darauf warteten, ihm zu Diensten zu sein. Jedoch seine jetzige magische Kraft reichte nicht dazu aus, Heerscharen dieser Wesen herbeizurufen.

Nachdenklich schritt der Baron auf die Stirnfront des Saales zu, in denen Unmengen von Büchern über Magie untergebracht waren. Die Bücher nahmen über viele Reihen die gesamte Wand ein und Kisho machte in der Mitte halt. Er hob seine Hand, murmelte ein paar Worte, bis sich ein dicker Foliant aus ihr löste und als hätte er Flügel, langsam zum Lesetisch schwebte.

Bedächtig folgte Kisho dem schwebenden Buch. Er hasste sein Aussehen. Die grünlich graue Haut, die schwarzen schwärenden Pusteln, die er am ganzen dicklichen aufgedunsenen Körper hatte. All das verachtete er und er fragte sich noch heute nach so vielen Jahren, was bei der Transformation schiefgelaufen war. Kisho wusste nur eines: Die Hörner und das junge Einhorn waren der Schlüssel zu einem erträglichen gesunden Körper, nach dem er sich so sehnte. Erst wenn er dies schaffte, war das Martyrium eines verpfuschten Zaubers für ihn zu Ende. Seine Zauberkräfte reichten trotz der zahlreichen Artefakte nicht aus, diese Umwandlung rückgängig zu machen.

Kisho hielt vor dem Lesepult an, auf dem das Buch sanft gelandet war, und schlug es mit einer leichten Handbewegung auf. Seine Augen überflogen die aufgeschlagene Seite, dann las er murmelnd die Zeilen, denen er mit seinen Fingern folgte. Schon nach wenigen Worten, die er im singenden Tonfall vortrug, ging an der Wand in der die Artefakte untergebracht waren eine Veränderung vor. Der Fels begann durchscheinend zu werden und gab den Blick auf eine Halle frei, die angefüllt war mit langen Reihen bewegungslos verharrender Wurrlern und deren grässlichen Hunden. Kisho wartete, bis die Wand völlig verschwand und betrat mit einem teuflischen Grinsen die geheime Halle.

Erneut begann Kisho, im hohen singenden Ton Worte zu rezitieren, welche die kleinen Gestalten zum Leben erwachen ließ, sobald er an ihnen vorüberging. Als er seiner Meinung nach genügend der Kreaturen aufgeweckt hatte, begab er sich an seinen Ausgangspunkt zurück. Anschließend öffnete sich im Felsen eine kleine Öffnung. Dahinter erschien ein langer niedriger Tunnel, der ins Freie führte.

»Geht Kinder des Schattenreichs und verbreitet Schrecken und Verwüstung,« rief Kisho kichernd und hob die Arme ausgebreitet in die Höhe. Als hätten sie nur auf diesen Befehl gewartet setzten sich die erwachten Wurrler mit ihren Hunden in Bewegung, drängte durch das Tor und verschwanden im Tunnel.

Als der Letzte die Halle verlassen hatte, schloss sich die Öffnung wieder so lautlos, wie sie erschienen war. Zufrieden blickte Kisho auf die verbliebenen Wurrler. Dieser kleinen Armee hatte er andere Aufgaben zugedacht, die sie schon bald erfüllen sollten. Kisho ging ans Lesepult zurück. Aus dem Buch rezitierte er eine weitere Formel, worauf die Wandseite mit den Artefakten in den Regalen wieder materialisierte.

Mit einer Fingerbewegung schloss er das Buch und schickte es an seinen Platz, wo es gestanden hatte. Als alles an seinem angestammten Platz stand, rief er herrisch nach der Wache, die er draußen vor der Tür wusste, damit sie Kashim, den Fürsten und Anführer der Zentaren zu ihm brachten.

Wenige Augenblicke später erschien Kashim mit angelegter Rüstung und verbeugte sich vor dem schwarzen Baron.

»Herr Ihr habt mich rufen lassen.«

Kishos massige Gestalt wirkte in dem rötlichen Licht, das den Saal erleuchtet, wie ein Dämon der aus der Unterwelt entsprungen schien. Kashim erschauderte beim Anblick des Despoten. Verstärkt wurde dieser Eindruck von dem hohen aufgestellten Kragen seines Umhangs, der mit allerlei magischen Formeln bestickt war.

»Ist das Heer, das ich dir aufzustellen befahl, bereit?,« schnarrte Kisho den Zentaren an, der den Kopf gesenkt hielt. »Es steht vor den Mauern der Festung und wartet nur auf Euren Befehl Herr,« gab Kashim ruhig zur Antwort. Kashims scheinbar ruhige Gelassenheit entsprach nicht den Gefühlen, die er für seinen Erpresser hegte.

Wäre sein Sohn Kashima nicht gewesen, der sich in den Fängen Kishos befand, so hätte er sich auf ihn gestürzt und ihn für die Demütigungen, die ihn dieser ertragen ließ, den Kopf abgerissen. Dazu wäre er jederzeit in der Lage gewesen, denn er überragte den Baron um mindestens drei Köpfe. Um das Leben seines Sohnes zu schützen, blieb ihm keine andere Wahl, als die Befehle seines Gegenübers zu befolgen.

Wie oft hatte er die nächtliche Festung auf der Suche nach Kashima durchstreift, in der Hoffnung den Ort herauszufinden, wo Kisho ihn gefangen hielt, bis zum heutigen Tage jedoch, ohne den kleinsten Hinweis zu finden.

»Worauf wartest du dann noch, setz dein Heer in Bewegung und befolge meine Anordnungen.«

»Ja Herr,« antwortete er knapp. Kashim drehte sich auf dem Absatz um und verschwand durch die große schwere aus Eisenholz gefertigte Türe, vor der zwei Wachen von seinen Leuten standen. Seine Krieger salutierten vor ihm aber das bemerkte Kashim nicht mehr. In Gedanken versunken suchte er verzweifelt nach einem Weg um seinen Sohn zu befreien. Wenn dieser Feldzug vorüber war, das schwor sich Kashim, wollte er seinen Sohn in die Arme schließen und Kishos fadenscheinige Ausflüchte, würde er nicht länger gelten lassen.

Nachdem Kashim den Saal verlassen hatte, machte Kisho es sich in seinem Sessel mit der hohen Rückenlehne bequem und dachte über sein weiteres Vorgehen mach. Wenn Andoran westlich des Dengro unterworfen war, dann würde der Süden folgen. Seine Armee von Wurrlern sollte sich am Unterlauf des großen Flusses mit den Zentaren vereinen und die dort lebenden Völker unterwerfen.

Wenn alles so lief, wie er sich das dachte, gab es in wenigen Monaten im Westen und Süden keinen Landstich mehr, den seine Truppen nicht kontrollierten.

Blieb nur noch das Problem mit dem Einhorn und dem verpfuschten Einsatz von Gallan, aber darum wollte er sich Morgen kümmern. Kisho gähnte herzhaft. Die Anstrengungen der letzten Tage machten sich bemerkbar und er wollte nur noch schlafen. Seine letzten Gedanken galten dem Heer der Wurrler, die er Morgen aus der Schattenwelt herbeirufen wollte. Natürlich galten sie auch Gallan, für den er sich die grausamsten Martern ausdachte, wenn dieser nicht bereit war, sein Geheimnis zu verraten.

Das Tor nach Andoran

Подняться наверх