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Kapitel 3

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Der Weltenwächter

Verden

Irgendetwas hatte ihn geweckt. Gandulf schreckte von der strohgefüllten Unterlage seiner Schlafstatt hoch und versuchte sich in der Dunkelheit, die in seinem Zimmer herrschte zu orientieren. Sein Kopf dröhnte von dem Donnerhall, der sein Innerstes zum Schwingen gebracht hatte.

Gandulf wusste, was dieses „Geräusch“ bedeutete.

Ein Wesen aus einer anderen Sphäre hatte die Grenze in diese Welt überschritten. Bei diesem Vorgang öffnete sich eine Membran, die sich mit lautem Knall wieder schloss. Der Donner entstand beim Schließen der Membrane und war für ihn das Zeichen sich auf die Suche nach diesem Wesen zu begeben.

Nur ein „Wächter“ vernahm diese Detonation.

Sie glich keinem Donnerschlag, wie jener, der ein Gewitter begleitete. Vielmehr brachte die Erschütterung der Membrane sein Innerstes zum Vibrieren. Normalen Menschen blieb dieses Phänomen verborgen, denn ihnen fehlte das Wissen und das Gespür für einen solchen Vorgang.

Diese unsichtbare Außenhaut, wenn man so wollte, hielt die unzähligen Welten, welche auf verschiedenen Ebenen nebeneinander existierten, davon ab sich zu überschneiden oder zu kollidieren.

Eine kleine Schar Weltenwächter, die diese Gabe besaßen, wachte darüber, dass kein Lebewesen aus einer anderen Welt das Gleichgewicht dieses Lebensbereichs gefährdete. Es geschah aber dennoch, dass sich Bewohner anderer Welten verirrten und nicht mehr zurück fanden, oder einfach nicht mehr in ihren Lebensraum wollten.

Dann wurden die Weltenwächter aktiv.

Es wäre zum Beispiel ein prekärer Umstand, für die Bewohner dieser Welt, wenn ein rot geschuppter Feuerdrache von Vulkan hier auftauchte.

Er würde ohne lange zu zögern alles in Schutt und Asche legen. Glücklicherweise gab es nur wenige magische Wesen, die mit ihren Fähigkeiten dazu in der Lage waren. Viel öfter geschah es jedoch, dass sich irgendeins gerade zufällig an den Schnittpunkten zweier Welten befand und sie unbewusst überschritt.

Gandulfs Aufgabe, oder die der anderen „Wächter“ bestand dann darin diese Wesen in ihre Welt zurückzuführen, was freilich nicht immer eine leichte Angelegenheit darstellte.

Mühsam, noch schlaftrunken schälte sich Gandulf aus der Decke, die ihn gegen die nächtliche Kälte schützte und schlüpfte in seine Stiefel. Durch das kleine Fenster seiner Schlafkammer fiel ein schmaler Streifen Mondlicht an sein Bett, der ihm half, sich zurechtzufinden.

Gandulf stand vom Bett auf und ging zur Tür. Wenig später stützte er sich auf dem Geländer der Veranda ab, und blickte zu einem sternenklaren Himmel auf, an dem die volle Scheibe des Mondes sein Licht über die Wolfshügel ergoss.

Als schwarzer Schatten zeichnete sich die schlanke Gestalt des Wächters gegen den Mondschein ab, als er seine linke Hand hob und den Ring, den er trug betrachtete. Der Stärke der Schwingungen nach zu urteilen, musste der ungebetene Gast in der näheren Umgebung in diese Welt gekommen sein.

Schwach glühte der Smaragd in der Fassung des Ringes auf, als ihn Gandulf anhob. Diesen Ring bekam Gandulf von seinem Lehrer Orwin, der ihn an ihn weitergab, nachdem er ihn zu seinem Nachfolger bestimmte.

Dieser Ring, so berichtete Orwin, sei mit den ersten Wächtern, vor langer, sehr langer Zeit auf diese Welt gekommen und seither vom Lehrer auf den Schüler übertragen worden. Dieser Ring weise ihm stets die Richtung, in der er nach dem Eindringling zu suchen hatte.

Gandulf vollführte mit der Hand eine geschwungene Bewegung, indem er sie von Süd nach Nord schwenkte. Je weiter der Ring nach Norden zeigte, umso intensiver begann der Stein des Rings, zu glühen.

*Nordost*, stellte Gandulf befriedigt fest. Nach einer letzten Überprüfung der Richtung, in der das Wesen aus der anderen Welt zu finden war, überlegte er, ob es sinnvoll war in dieser Nacht noch danach zu suchen. Nach einigem Abwägen kam er zu dem Schluss, es trotzdem zu versuchen. Je eher er sich aufmachte um so frischer war die Spur.

Der Mond stand etwa eine Handbreit über den Ausläufern der Hügel im Osten und überschüttete die Landschaft mit silbrigem Licht. Die Sterne des schwarzen Nachthimmels glänzten wie Diamanten in den verschiedensten Größen, und funkelten in voller Pracht. Alles schien ruhig und friedlich, nur das gelegentliche Schnauben oder Scharren eines Pferdes auf der Koppel klang hin und wieder zu ihm herüber.

Gandulf begab sich ins Haus zurück, nachdem er einen letzten prüfenden Blick in die Richtung warf, in die er reiten wollte. Er nahm vom Haken, der in der Wand neben der Türe steckte seinen Bogen mit dem Köcher, den er sich über die Schulter warf. Anschließend holte er die Satteltaschen und legte den Gürtel mit dem Jagdmesser um.

Ohne Eile packte er in der Küche etwas Proviant in die Taschen und machte sich auf den Weg zum Stall. Dort suchte er sich ein weißbraun geflecktes Pony aus, sattelte es und führte es hinaus auf den Hof. Das Licht des Mondes reichte aus, um ohne Gefahr losreiten zu können. Wenn er Glück hatte, lag das Wesen noch in dem Schockzustand, der den Übertritt begleitete. Dies war eine der Nebenwirkungen, die dabei auftraten.

Je nach der körperlichen Verfassung des Wesens, das hier eingedrungen war, konnten Stunden vergehen, bis es sich davon erholte.

Gandulf blickte noch einmal zum Haus, das im dunklen Schatten der Scheune lag, dann saß er auf und ritt im Schritt vom Hof. An den Bienenstöcken bei den alten Eichen vorbei lenkte Gandulf seine Stute nach Nordosten, direkt auf die Hügel zu. Je weiter er sich von der Farm entfernte, um so deutlicher spürte er die Ausstrahlung des Wesens, das in diese Welt eingedrungen war. Mit halb geschlossenen Augen ritt er weiter, die Stute nur mit den Füßen lenkend.

Nebenbei kreisten seine Gedanken um die Frage, welchem Lebewesen es diesmal gelungen sein mochte die Grenzen seiner Welt zu überschreiten, und hier zu landen. Handelte es sich dabei um ein intelligentes Wesen, welches Magie verwendete, oder um eines das die Grenze unabsichtlich überschritten hatte? Meistens kamen sie den Abgrenzungen, ohne es zu ahnen zu nahe und fanden sich unversehens in einer anderen Welt wieder.

Dabei musste Gandulf unwillkürlich an die riesenhafte Raupe denken, mit der er es vor vielen Jahren zu tun bekam. Mit einem Donnerschlag, der Gandulf wochenlange Kopfschmerzen einbrachte, landete diese Kreatur nahe bei Panderan, einer großen Stadt in der Tiefebene nahe dem Meer. Kaum ließ der Schock des Übertritts bei der Raupe nach, machte sie sich über die Felder und Obstgärten der Bauern her. Eine breite Spur der Verwüstung begleitete die Spur dieses unersättlichen Monstrums, das eine Länge von zwei Wagengespannen und zehn Schritte im Durchmesser hatte.

Nur gut, dass die Raupe sich nicht schnell fortbewegte, sonst wären auch Menschen zu Schaden gekommen. Dieses Wesen schützte ein Chitinpanzer, den selbst die schwersten Katapultspeere nicht durchdringen konnten und es so praktisch unverwundbar machte. Die lächerlichen Versuche einiger Ritter, der Raupe mit ihren Turnierlanzen und Schwertern beizukommen, störten die Raupe nicht im Geringsten.

Bald setzten sie sich dem Gelächter der Zuschauer aus, die ihnen bei ihren verbissenen Bemühungen zusahen, dem Ungeheuer beizukommen. Binnen Kurzem jedoch machte sich Verzweiflung über die Plage breit, die wie einige Priester behaupteten, von den Göttern geschickt wurde, um die Menschen zu strafen.

Gandulf, der sich die Bemühungen der Ritter und Bauern die Raupe zu töten oder zu vertreiben aus sicherer Entfernung ansah, wartete einen günstigen Augenblick ab.

Eines Abends, als Gandulf keine Beobachter befürchten musste, beförderte er die Kreatur in seine Welt zurück. Es blieb den Menschen ein Rätsel, wohin das gefräßige Tier verschwunden war. Noch heute geisterte die Raupe als Lindwurm durch die Geschichten und Sagen dieser Gegend. Gandulf erledigte seine Aufgabe im Geheimen und jeder der ihn kannte hielt ihn für den harmlosen Pferdezüchter aus den Wolfshügeln. Aber es gab auch andere Zeitgenossen, die eine größere Gefahr für diese Welt und ihre Bewohner darstellten.

Gandulf musste dabei an die beiden Blutsauger denken, die vor gar nicht so langer Zeit die Najim, ein Wüstenvolk terrorisierten und unzählige Leichen hinterließen. Gandulf traf eine Woche nach der Ankunft der Blutsauger in der Wüstenstadt Na-Talim ein.

Diese unbedeutende Stadt lag am Rande der großen Salzwüste, deren Lehmgebäude sich unter der unerträglichen Hitze der alles versengenden Sonne dicht gedrängt zusammen quetschten. Argwöhnisch folgten Gandulf die Blicke der Bewohner, die sich Najim nannten, als er die einzige Straße die durch die Stadt führte ritt und vor einer kleinen Herberge abstieg. Nachdem Gandulf sein Pferd versorgt wusste, machte er sich vorsichtig daran die Wesen aus der anderen Welt zu suchen, stieß bei den Bewohnern aber auf eine Mauer des Schweigens.

Der Wirt der Herberge, ein mürrischer alter Mann, der keinen Hehl aus seiner Abneigung Gandulf gegenüber machte, knurrte auf jede Frage, die Gandulf ihm stellte, stets ein undeutliches, »keine Ahnung«.

Gandulf wusste, dass sich das Wesen in der Nähe aufhalten musste, weil er ganz schwach seine Schwingungen empfing.

Undeutlich und verschwommen so kamen sie bei ihm an, als wolle das Wesen nicht, dass es entdeckt werden konnte. Gandulf kam zu der Überzeugung, hier ein vernunftbegabtes Wesen zu suchen, das sich vor ihm verbarg.

*Warum zeigte sich das Wesen nicht, oder besser gefragt, was führte es im Schilde?* Um das herauszufinden, benötigte er Hilfe, aber er wusste nicht, woher die kommen sollte, bis ihm eines Tages der Zufall zu Hilfe kam. Oft genug bekam Gandulf zu hören, er solle verschwinden und sich um seine Sachen kümmern und nicht die Nase in fremde Angelegenheiten stecken. Die Najim wollten niemanden der herumschnüffelte und Staub aufwirbelte.

Eines Nachts, Gandulf lag im Bett seiner Herberge und versuchte zu schlafen, als ihn ein leises Geräusch aufmerksam werden ließ. Aus halb geöffneten Augen beobachtete er einen Schatten, der fast lautlos durch das Fenster gekrochen kam. Nur das leise schabende Geräusch seiner Kleidung hatte ihn verraten. Vorsichtig näherte sich der Schatten seinem Sattel in der Ecke des Raumes und machte sich an den Taschen zu schaffen.

Dieser dreiste Dieb versuchte tatsächlich, ihn auszurauben. Unwillkürlich spannte Gandulf seine Muskeln und wartete auf einen günstigen Augenblick. Als sich der Dieb wieder zum Fenster begab und ihm den Rücken zudrehte, sprang Gandulf vom Bett auf und den Dieb an.

»Hab ich dich du Halunke,« rief er aufgebracht und krallte sich mit festem Griff in dessen Kleidung fest. Zu seiner Verwunderung hatte Gandulf einen halb verhungerten hageren Jungen gepackt, der sofort zu schreien begann und sich loszureißen versuchte. »Loslassen … Hilfe … Hilfe.«

Gandulf packte etwas härter zu und schüttelte den Dieb durch. Er hielt den Jungen mit eisernem Griff fest, und als der noch immer zappelte und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien sagte Gandulf ruhig. »Ich kann dich auch zu den Wachen schleppen, wenn dir das lieber ist.«

Sofort verstummte der Junge. »So ist es schon besser,« stellte Gandulf zufrieden fest und lockerte seinen Griff, ohne loszulassen. Er drehte den Jungen herum, um sich dessen Gesicht im Mondschein, der durchs Fenster fiel, genauer zu betrachten. Gandulf blickte in ein schmales von Dreck verschmiertes Gesicht, aus dem ihn zwei dunkle glänzende Augen trotzig ansahen.

Im fahlen Licht, das durchs Fenster fiel, erkannte Gandulf, dass der Dieb vielleicht zehn oder zwölf Jahre sein mochte und einen verwahrlosten Eindruck machte. Der Junge war spindeldürr und sicher hatte er in der letzten Zeit nichts Richtiges zu essen bekommen. Eine Idee nahm in Gandulf Gehirn Gestalt an und er sagte zu dem Jungen, der ihn mit bockigem Gesichtsausdruck musterte.

»Hör zu junger Mann. Willst du für mich arbeiten? Du kannst dir bei mir etwas verdienen, damit du nicht mehr bei fremden Leuten durch die Fenster steigen musst, um sie zu bestehlen.«

Plötzlich tat ihm der Junge leid der ihn sichtlich verwirrt und misstrauisch anblickte. Mit dieser Wendung hatte er bestimmt nicht gerechnet. Ungläubig sah der kleine Dieb Gandulf an und fragte mit verhaltener Stimme.

»Was muss ich dafür tun?«

Gandulf lachte gedämpft und meinte. »Nicht viel, du sollst nur Augen und Ohren für mich offenhalten. Berichte mir einfach von den ungewöhnlichen Vorgängen, die sich in letzter Zeit in eurer Stadt ereignet haben, oder noch geschehen werden.« Es dauerte nicht lange, bis der Junge mit dem Namen Harun zu ihm Vertrauen fasste. Die Aussicht auf geregelte Mahlzeiten und etwas Geld überzeugten Harun für Gandulf zu arbeiten. »Was wollt ihr wissen? Ich kenne Na-Talim wie meine Hosentasche.«

Gandulf erklärte Harun, auf was er sein besonderes Augenmerk richten sollte, als Harun ihn unterbrach. »Vor einiger Zeit sind zwei Fremde aus dem Nichts aufgetaucht und über Nacht wieder verschwunden.« Gandulf hörte angespannt zu, was der Junge ihm zu berichten hatte.

»Niemand hat gesehen, woher sie kamen oder wohin sie gingen. Am nächsten Tag fand man Kinderleichen völlig blutleer und schrecklich verstümmelt. Ihnen wurden die Kehlen aufgerissen und nirgends wurde ein Tropfen Blut gefunden. Die aufgebrachten Leute durchsuchten die ganze Stadt nach den merkwürdigen Fremden, denen man diese Untat zuschrieb. Jedes Haus wurde durchsucht, sogar die verfallenen die sich am Stadtrand befinden, aber die Suche blieb ergebnislos. Seither werden fast jeden Morgen Menschen mit aufgerissener Kehle und völlig blutleer aufgefunden. Es geht das Gerücht um die Fremden wären Geister und daher nicht zu fangen. Die Najim haben schreckliche Angst vor ihnen und bei Einbruch der Dunkelheit wagt es keine Menschenseele mehr sich auf der Straße, schon gar nicht in den dunklen und engen Gassen aufzuhalten.«

Jetzt begriff Gandulf das Misstrauen der Einwohner und verstand, weshalb sich die meisten der Bewohner, an die er Fragen stellte, in ihre Häuser flüchteten. Von Harun erfuhr Gandulf weiter, dass erwachsene Opfer entweder Bettler ohne Dach über dem Kopf, oder hilflose Betrunkene gewesen sind.

Eines Tages, Gandulfs Hoffnung hinter den Aufenthaltsort der blutrünstigen Wesen zu kommen war gegen null gesunken, kam Harun außer sich geraten in seine Kammer.

»Herr in der Taverne von Terek stellt ein Fremder dieselben Fragen wie ihr. Ich glaube es dauert nicht mehr lange, bis ihn Terek oder einer der anderen Betrunkenen aus der Stadt jagen will.«

Gandulf wartete bis der Junge wieder zu Atem kam dann fragte er ihn. »Welche Fragen,« wollte Gandulf wissen, dessen Interesse geweckt war. Harun blickte Gandulf verschmitzt an. »Wie ihr fragt, er nach Fremden und ungewöhnlichen Ereignissen,« antwortete der Junge, »wenn ihr wollt, bringe ich euch zur Taverne.«

Gandulf warf sich seinen Staubmantel über und folgte Harun. Durch enge schmutzige Gassen folgte Gandulf dem Jungen, der sich in diesem Gewirr von verwinkelten Durchgängen bestens auskannte in die Unterstadt. In den ansonsten vom Lärm der fliegenden Händler und geschäftigen Trubel erfüllten Gassen herrschte eine angespannte Stimmung und argwöhnische Blicke folgten seinem Weg. Bald stand Gandulf vor einem niedrigen Haus, über dessen Eingang ein Schild auf eine Taverne aufmerksam machte. Harun zeigte darauf und Gandulf betrat die Schenke.

Das Innere des Wirtshauses lag im schummrigen Licht, welches durch die schmalen Fester ins Innere fiel. Gandulf nahm sofort die knisternde Spannung wahr, welche im Schankraum in der Luft lag.

Die Einheimischen umringten den Wirt hinter dem Tresen, der mit gebärdenreicher Sprache auf sie einredete. Manchmal blickte einer von ihnen verstohlen zu einer Nische in der Gandulf einen undeutlichen Schatten wahrnahm. Harun zupfte ihn am Ärmel seiner Jacke und flüsterte. »Dort in der Nische sitz der Mann, kann ich jetzt gehen?«

Gandulf nickte. »Warte vor der Taverne auf mich Harun, ich glaube hier drinnen herrsch dicke Luft.« Harun lief zum Eingang, der nichts weiter als dicht beieinander hängende Perlenschnüre waren, und verschwand nach draußen. Gandulf trat von den Blicken der Gäste verfolgt an den Tisch des Fremden und fragte, ob es ihn störe, wenn er sich zu ihm setzte.

Der Fremde tat Gandulfs Frage mit einem Achselzucken ab, und wies auf einen leeren Stuhl am Tisch. »Mein Name ist Gandulf,« sagte er, als er dem Fremden gegenübersaß.«

Der Fremden nickte nur leicht mit seinem Kopf und trank von seinem Becher. »Ihr scheint eine Menge Fragen auf dem Herzen zu haben,« sagte der Fremde als Gandulf saß. Gandulf versuchte unter dem alten speckigen Hut aus Ziegenleder, die Augen des Fremden auszumachen.

»Und Ihr scheint eine Menge Fragen zu stellen, die den Najim unangenehm sind,« entgegnete Gandulf schlagfertig. Ein breites Grinsen war die Antwort auf Gandulfs Äußerung, wobei der Fremde Gandulf lange musterte. »Ich denke wir beide sind aus demselben Grund in dieses verkommene Nest gekommen.

»Ich bin Jannik aus Burgas,« stellte er sich vor, »und genau wie Ihr auf der Suche nach dem Wesen, das hier nichts zu suchen hat. Ich erkenne einen Weltenwächter, wenn ich ihn sehe,« flüsterte der Fremde, als er sich zu Gandulf über den Tisch beugte.

Jannik schob seinen Hut etwas nach hinten, sodass Gandulf sein wettergegerbtes Gesicht mit dem leicht ergrauten Haar und den eisgrauen Augen betrachten konnte. Um Janniks Kinn kräuselten sich Tage alte Bartstoppeln, und als er den Mund öffnete, entblößt er zwei Reihen schneeweißer Zähne. Gandulf blieb vor Überraschung der Mund offen stehen und stotternd stellte er sich nun vor. »Ich …… ich bin Gandulf aus den Wolfshügeln, nahe bei Elveen.

»Freut mich Euch kennenzulernen Gandulf. Wie lange seid Ihr schon in diesem Nest,« fragte Jannik den immer noch verdutzten Gandulf, der nicht sogleich antwortete. Gandulfs Gedanken suchten nach einer Erklärung für Janniks Erscheinen. Es kam hin und wieder vor, dass zwei Wächter an der gleichen Aufgabe arbeiteten, wenn es sich um mehrere Wesen handelte, die die Grenze überschritten.

*Harun sprach von zwei Fremden. War das der Grund für Janniks Erscheinen?*

»Was hat Euch in dieses, wie ihr es nennt Nest verschlagen, nach was sucht ihr denn?«

Jannik seufzte. »So kommen wir nicht weiter Mann aus den Wolfshügeln. Ich bin ein Weltenwächter wie Ihr und es ist schon schwer genug, hier gegen diese Mauer des Misstrauens und des Schweigens anzurennen. Was habt Ihr bis jetzt herausgefunden?« Gandulf zuckte nichtssagend mit den Schultern.

»Eigentlich nur, was mir der Junge an Gerüchten zugetragen hat. Danach sollen Geister umgehen, die den Menschen das Blut aussaugen und sie wie Abfall liegen lassen.«

Jannik blickte Gandulf aus seinen eisgrauen Augen nachdenklich an, dann nickte er verstehend. »Genau soweit bin ich auch, daher glaube ich wird es das Beste sein, wenn wir in Zukunft zusammenarbeiten. Was haltet Ihr davon?« Gandulf überlegte eine Weile. Er musste zugeben, dass er bei seinen Nachforschungen gegen die Verschwiegenheit der Einwohner von Na-Talim vergebens angelaufen war. Dabei hatte er nicht das Geringste herausfinden können. Er versuchte bis jetzt erfolglos einen Blick auf eine der Leichen zu werfen, die wie ihm Harun berichtete jeden Morgen aufgefunden wurden. Jedes Mal wiesen ihn die Wachen oder der Magistrat von Na-Talim ab. Vielleicht gelang es ihnen zu zweit mit dem Jungen als Auskundschafter mehr herauszufinden und die Bestien aus der anderen Welt dorthin zurückzuschicken, wo sie herkam.

»Einverstanden Jannik aus Burgas, damit wären wir schon zwei gegen zwei. Wie mir der Junge versichert sind zwei Fremde vor Wochen unvermittelt aufgetaucht und wieder ebenso spurlos verschwunden. Sie verstehen es sehr geschickt sich vor den Najim und uns zu verbergen.«

Mit einem Blick schielte Gandulf zu den Männern, die an dem Tresen standen und sich leise aber hitzig unterhielten. Die Stimmung schien sich langsam aber sicher aufzuheizen, deshalb riet er Jannik. »Lass uns von hier verschwinden, ehe sie auf uns losgehen. Wie es aussieht, sind wir hier nicht erwünscht.«

Es vergingen noch vier Tage in denen Gandulf und Jannik ziellos die Stadt nach dem Wesen durchsuchten, als ihnen Harun eine Nachricht vom Wächter des Friedhofs überbrachte.

»Arnam der Friedhofswächter meint ihr solltet Euch in der Nacht einmal auf dem Friedhof umsehen, denn dort soll es nach seiner Meinung spuken und nicht mit rechten Dingen zugehen.«

In dieser Nacht gelang es Gandulf und Jannik, was sie schon nicht mehr für möglich gehalten hatten.

Gandulf und Jannik schlichen mit äußerster Vorsicht durch die Reihen der Grabstätten, als sie das Knarren einer Türe alarmierte. Mit einem Sprung hinter einem frisch aufgeworfenen Erdhügel gingen die beiden in Deckung. Sie sahen zwei dunkle Gestalten, die ein halb verfallenes Mausoleum verließen und im Schutz der Dunkelheit untertauchten. »Ich glaube jetzt wissen wir, wo sich die Kreaturen verkriechen. Kein Wunder, dass keiner sie entdeckt hat. Wer geht schon des Nachts auf einen Friedhof?,« flüsterte Gandulf Jannik zu.

»Was machen wir jetzt,« fragte dieser zurück. Gandulf sah zu dem Mausoleum hinüber und dachte kurz nach. »Wir warten und sehen ob sie zurückkommen, dann machen wir das, weswegen wir hier sind. Wir schicken sie zurück.

Jannik warf Gandulf einen belustigten Blick zu, als er sagte. »Du glaubst doch nicht, dass sie freiwillig abziehen werden, oder? Hier gibt es ausreichend leichte Beute für sie, die nicht schwer zu erlegen ist.«

»Wir werden sie zwingen,« gab Gandulf entschlossen zurück. Der neue Tag zeichnete sich bereits als dünner grauer Streifen am Horizont ab, als die Blutsauger im beginnenden Grau des Morgens auftauchten und sich in ihr Versteck begaben. Wie Schatten huschten die Gestalten durch die knarrende Pforte des Grabmals und verschwanden im Mausoleum.

Gandulf gab Jannik das Zeichen zum Rückzug. Erst als sie sich weit genug von dem Friedhof entfernt hatten, legte Jannik seine Hand auf die Schulter Gandulfs, der überrascht stehen blieb. »Was ist,« wollte er wissen und bemerkte, dass Janniks Gesicht einen verärgerten Ausdruck hatte.

»Wir sind doch keine Feiglinge, oder? Weshalb sind wir nicht ins Mausoleum gegangen und haben die Blutsauger getötet?« Jannik zeigte mit dem Arm den Weg, den sie gekommen waren und bedeutete Gandulf umzukehren, der aber schüttelte den Kopf.

»Wir sind unvorbereitet Jannik und es hätte keinen Sinn sie im Mausoleum zu stellen, dort wären sie im Vorteil. Ich möchte sichergehen, dass wir sie ein für alle Mal aus dieser Welt schaffen. Verstehst du? Heute Nacht sind wir vorbereitet und gewappnet.«

Den ganzen Tag verbrachten die Weltenwächter damit einen Plan zu entwerfen, der die besten Chancen auf Erfolg versprach. Zu diesem Zweck kehrten sie auf den Friedhof zurück und prägten sich die Umgebung des Mausoleums ein und spielten alle Eventualitäten durch. Sie wollten die Kreaturen beim Verlassen ihres Verstecks stellen und sie überwältigen, um sie anschließend gefesselt in ihre Welt zurückzusenden.

Bevor die Abenddämmerung sich über die Na-Talim legte, bezogen Gandulf und Jannik ihren Posten nahe des Grabmals und warteten angespannt auf das erscheinen der Blutsauger.

Das Warten zerrte an den Nerven der Wächter und Jannik wollte schon ungeduldig geworden auf das Mausoleum zustürmen, doch Gandulf hielt ihn zurück.

»Warte, sie müssten bald herauskommen,« warnte er Jannik.

Das leise Knarren der Pforte ertönte in der sich ausbreitenden Dunkelheit und Stille, wie ein Signal. Kurz darauf stand die verschwommene Gestalt eines Blutsaugers im Türbogen und sah sich sichernd nach allen Seiten um. Auf sein kurzes Zeichen hin erschien die zweite Gestalt.

Auf einen Wink von Gandulf pirschten sich die Wächter näher an das Grabmal heran. Die Kreaturen mussten über ein ausgezeichnetes Gehöhr verfügen, denn noch ehe Gandulf und Jannik bei ihnen ankamen, hörten sie ein zischendes Fauchen, dem ein Warnruf folgte.

Mit einem unterdrückten Schrei sprang Jannik auf und lief von Gandulf gefolgt auf die Blutsauger zu. Ohne lange zu zögern, stellten sich die Eindringlinge den Weltenwächtern entgegen und gingen zum Angriff über.

Die Stärke und die Verbissenheit, mit der die Eindringlinge kämpften, zeugte von ihrer Absicht nicht freiwillig ihre Jagdgründe aufgeben zu wollen. Verbissen verteidigten sich Gandulf und Jannik deren Plan die Eindringlinge zu fesseln und unschädlich zu machen in weite Ferne rückte.

Stunde um Stunde wogte der ausgeglichene Kampf auf dem Friedhof hin und her. Gandulf begann sich schon Sorgen zu machen, dass er und Jannik womöglich in diesem Kampf unterliegen konnten.

Die Eindringlinge zeigten keinerlei Anzeichen von Ermüdung, während die Bewegungen der Weltenwächter allmählich langsamer und schwächer wurden. Da geschah etwas völlig Unerwartetes.

Von den Kämpfern unbemerkt schob sich die aufgehende Sonne über den Horizont und schickte ihre Strahlen auf den Schauplatz des Kampfes.

Der erste Strahl, der die Haut eines der Blutsauger berührte, brachte die von Gandulf lang ersehnte Entscheidung. Die blasse Haut des Blutsaugers begann sich in erschreckender Weise, zu verändern. Schwarze Flecken erschienen, wo die Strahlen auftrafen und die Haut platzte auf, ehe sie sich in sekundenschnelle aufzulösen anfing. Das darunterliegende Fleisch zerfiel zu Staub.

Schrill vor Schmerzen aufschreiend wälzte sich die Kreatur auf dem Boden und versuchte kriechend den Sonnenstrahlen zu entkommen.

In Bruchteilen von Sekunden begriffen Gandulf und Jannik, welch tödliche Wirkung das Sonnenlicht auf die Kreaturen hatte und von da an war es ein Leichtes, sie zu vernichten. Sie trieben sie ins Licht zurück, wo die Wesen aus der anderen Welt zu Staub zerfielen.

Zu Tode erschöpft aber glücklich über den Ausgang des Kampfes, begaben sich die beiden zurück in die Stadt, wo Harun vor der Herberge auf sie wartete. Wissbegierig empfing er sie. Auf sein Drängen gab Jannik eine kurze Beschreibung über die Ereignisse der Nacht. Dann folgte er Gandulf auf das Zimmer, wo er sich ohne zu entkleiden aufs Bett warf und einschlief.

Harun sorgte in der darauf folgenden Zeit dafür, dass die Einwohner der Stadt einen von ihm selbst mit schauerlichen Einzelheiten ausgeschmückten Bericht zu hören bekamen, der sich rasend schnell verbreitete.

Nachdem einige Tage vergangen waren, in denen keine weiteren Opfer der Blutsauger aufgefunden wurden, luden die Najim Gandulf Jannik und Harun zu einem Fest, das drei Tage dauern sollte.

Zur großen Freude Gandulfs erklärte sich eine Familie, die ihren Sohn durch die Blutsauger verloren hatte, bereit, Harun bei sich aufzunehmen und wie ihren eigenen Sohn zu behandeln.

Jannik und Gandulf, als Ehrengäste eingeladen, erlebten die Gastfreundschaft der Najim, die nun ohne die Bedrohung durch Wesen aus einer anderen Welt ihre wahre Mentalität zeigten.

Vier Tage später kam für Gandulf der Zeitpunkt des Abschieds von Harun den Najim und Jannik.

»Wenn du jemals wieder Probleme mit irgendwelchen Grenzgängern hast, so zögere nicht mich aufzusuchen,« sagte Jannik zum Abschied. Daraufhin erklärte er Gandulf, wo er anzutreffen sei und erklärte ihm den Weg.

Gandulf wurde jählings aus seinen Gedanken gerissen. Sein Pferds hielt unvermittelt an, schnaubte unwillig und stampfte mit den Vorderbeinen in den Boden. Es schüttelte unwillig seine Mähne und peitschte mit seinem Schwanz. Gandulf öffnete seine Augen und sah das Gatter vor sich, welches der Stute den Weg versperrte.

»Ruhig es muss nicht gleich jeder wissen, dass wir kommen,« beschwichtigte er sein Pferd, wobei er es am Hals tätschelte. Steifbeinig stieg Gandulf ab und vertrat sich die Füße, dabei sah er sich aufmerksam um. Das Geschöpf aus der anderen Welt schien ganz nahe zu sein, denn er konnte seine unverwechselbare Ausstrahlung fühlen. Die anhaltenden Schwingungen der Außenhaut dieser Erde verursachten in Gandulfs Kopf einen leichten Schmerz, von dem er hoffte, dass er nicht stärker wurde.

»Du bleibst hier,« befahl er seiner Stute und machte sich daran das Gatter zu übersteigen. Der Mond beleuchtete den Talboden, in dessen silbrigem Licht er deutlich vereinzelt Bäume als dunkle Schatten stehen sehen konnte. Leise wie ein Schatten schlich Gandulf weiter. Bei einer Baumgruppe glaubte er eine Bewegung auszumachen und verharrte wie erstarrt im Schatten eines einzeln stehenden Ahorns.

Leises Blöken wehte zu ihm herüber und erneut entdeckte er eine schemenhafte Bewegung im Gras.

*Schafe,* dachte sich Gandulf. *Wo Schafe sind, da sind Hunde nicht fern.* An ihnen unbemerkt vorbeizukommen würde schwierig werden.* Erneut sah sich Gandulf um. Er entschloss sich einen Bogen zu schlagen, um in der Nähe der Hangwand entlang, von hinten an die Baumgruppe heranzukommen.

Jetzt, da Gandulf wusste, dass Hunde in der Nähe waren, bewegte er sich noch vorsichtiger, um kein Geräusch zu verursachen, welches die Hunde alarmierte. Als er die Hangwand erreichte, tauchte er in deren Schatten unter und gelangte bald an die hintere Seite der Baumgruppe. Geduckt spähte er hinüber.

Zwischen den Bäumen gewahrte er eine kleine windschiefe Hütte, die dem Schäfer als Behausung diente. Vorsichtig lief Gandulf mit schnellen fließenden Bewegungen auf den ersten Baum zu und ging hinter dessen Stamm in Deckung. Durch die Stämme hindurch sah er schwachen Lichtschein aus den Ritzen der Hütte fallen, dann hörte er undeutlich Stimmen.

*War es der Schäfer, der da sprach, aber mit wem? Etwa mit dem Wesen aus der anderen Welt, oder vielleicht mit seinem Hund, oder gar mit sich selbst?* Es gab viele Möglichkeiten, aber um das herauszufinden, musste er näher an die Hütte heran.

Möglich, dass es zwei Schäfer waren, die sich nach einem langen Tag unterhielten. Geduckt, geräuschlos und jede Deckung ausnützend, schlich sich Gandulf näher an die Hütte heran. Als er die Rückwand der Hütte erreicht hatte, lauschte er angespannt in sie hinein. Inzwischen war das Vibrieren der Membrane so weit abgeklungen, dass es seine Konzentration nicht mehr stören konnte, dafür empfing er die Schwingungen des Wesens umso deutlicher. *Es befand sich in der Hütte.*

Vorsichtig schob sich Gandulf um die Rückwand der Hütte herum und schlich an der Seite auf ein winziges Fenster zu. Plötzlich knackte ein trockener Ast, der sich im Gras verborgen hatte, unter seinen Füßen. Starr wie eine Statue blieb Gandulf bewegungslos stehen und wartete ab, was geschehen würde. Das Knacken war nicht laut gewesen, aber in der nächtlichen Stille kam es Gandulf wie eine Explosion vor.

Unvermittelt bog ein grauer Schatten um die Ecke der Hütte und sprang Gandulf an. Das Gewicht des Angreifers warf ihn nach hinten und im selben Augenblick fühlte er dessen Zähne an seiner Kehle.

Ein grollendes Knurren ließ es Gandulf klug erscheinen sich nicht zu bewegen.

»Gut gemacht Trina, du hast deinen ersten Viehdieb gestellt,« vernahm er eine jugendliche Stimme. Dann erkannte er eine schlaksige Gestalt gegen den Nachthimmel, die Pfeil und Bogen auf ihn richtete.

Das Tor nach Andoran

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