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Kapitel 7
ОглавлениеEin herzlicher Empfang?
Gallan ritt von Belgan aus zum Ufer des Dengro, wo er dem Flusslauf folgte und auf den Fahrweg einbog, der in die Stadt führte.
Es hatte wieder zu regnen begonnen und es wunderte ihn nicht, dass er niemanden auf den Feldern sah, die die Ufer säumten. Nur gelegentlich sah er einen einsamen Hirten, der in Regenzeug gehüllt die Schafe hütete. Aus einer Senke, in der sich das Wasser der letzten Regentage zu sammeln begann, ritt Gallan auf den Kamm des Hügels, von dem aus er die kleine Stadt erblickte, in der er aufgewachsen war.
Schon von Weitem sah er die Befestigungsmauer, die Ituma umgab und die einsame Wache, die im Torbogen Schutz vor dem Regen suchte. Gallan ritt langsam auf das Stadttor zu. Als er noch fünfzig Schritte davon entfernt war, trat die Wache aus dem Torbogen heraus und rief ihn an. »Halt. Wer seid ihr und was wollt ihr hier?«
Gallan zügelte Jarduk und antwortete. »Ich bin Gallan, Sohn des Garan und ich will zu meinem Vater.«
Misstrauisch hielt ihm der Krieger die Lanze entgegen und musterte Gallan eingehend, ehe er nach hinten rief. »Da will einer zu Garan und behauptet er wäre sein Sohn, soll ich ihn durchlassen?«
Aus dem Schatten des Torbogens löste sich eine Gestalt, die zu der Wache lief und sich flüsternd mit ihr unterhielt. Nach der kurzen Unterhaltung näherte sich die hünenhafte Gestalt Gallan.
Gallan hätte diese hünenhafte Gestalt unter Tausenden herausgekannt. Vor ihm stand ausgerechnet Arteo, mit dem er schon als Junge diverse Streiche ausgeheckt hatte, doch Arteo sah ihn nur feindlich an. »Was willst du hier Verräter, keiner will dich sehen. Am wenigsten dein Vater. Verschwinde und kehr dorthin zurück, von wo du kamst.«
Arteo trug einen weiten Mantel aus gefettetem Leder, an dem der Regen abperlte. Seine dunkle Mähne lugte unter dem breitkrempigen Hut hervor und Arteos dunkle Augen blickten ihn unfreundlich an.
Gallan seufzte, aber er hatte mit dieser Reaktion gerechnet. Die Leute seines Stamms nahmen es ihm übel, dass er in die Dienste von Kisho getreten war. »Ich komme mit einer Botschaft von Belgan an den Rat der Stadt,« knurrte Gallan genauso unfreundlich zurück und wollte Jarduk antreiben. Arteo aber wich keinen Zoll zur Seite, sondern langte ihm in die Zügel.
»Ich hoffe du verschwindest bald wieder, es ist kein Platz für einen Verräter in Ituma,« zischte er, dann gab er den Weg frei. Im Umdrehen rief er zum Tor. »Lasst ihn durch.«
Gallan ritt auf das Tor zu, das sich nur so weit öffnete, dass sein Pferd hindurch kam. Neben den aus dicken Eichenbohlen mit eisernen Beschlägen verstärktem Tor standen zwei Krieger, die ihn unbehaglich anstarrten. Gallan schenkte ihnen keine Beachtung und hörte sie noch hinter seinem Rücken tuscheln, als er an ihnen vorbei ritt.
Auf der Straße, die menschenleer vor ihm dalag, ritt Gallan weiter zu dem Haus seiner Eltern. Die Stadt wirkte im herabprasselnden Regen trostlos und grau, aber er bemerkte auch, dass sich einzelne Häuser in einem schlechten fast baufälligen Zustand befanden. *Was war während seiner Abwesenheit geschehen?,* fragte sich Gallan und ritt mit einem unguten Gefühl weiter. Nur vereinzelt bemerkte er einen neugierigen Bewohner, der hinter dem Fenster auf die Straße schaute, und fühlte deren Blicke wie Feuer in seinem Rücken brennen. Er hatte gehofft nach all den Jahren, die inzwischen vergangen waren, hätten die Bewohner vergessen, aber dem schien nicht so zu sein.
Vor dem Haus seiner Eltern stieg Gallan ab und führte Jarduk in den kleinen Stall, der sich daneben befand. Er rieb Jarduk trocken, führte ihn in eine leere Box und schaufelte aus der Raufe nebenan etwas Heu, dann wandte er sich dem Durchgang zu der direkt ins Haus führte. Leise schob Gallan die Tür auf und spähte durch den Spalt in die Küche.
Am Tisch sah er eine schlanke Frau mit schwarzen Haaren sitzen, die im Nacken von einer breiten Silberspange zusammengehalten wurden. Über eine Schüssel aus Ton gebeugt sang sie leise eine Melodie, die Gallan an seine Kindheit erinnerte.
Leise knarrte die Tür als Gallan sie weiter aufschob. Die Frau am Tisch blickte von der Schüssel auf und in seine Richtung. Einige Sekunden vergingen, ehe die Frau ungläubig fragte. »Gallan …?«
Gallan schob die Tür vollends auf und trat in die Küche. Mit einem freudigen Aufschrei erhob sich seine Mutter vom Tisch und stürmte mit weit ausgebreiteten Armen auf ihren Sohn zu. Gallan fand gerade noch Zeit die Arme auszubreiten, und sie aufzufangen. »Mutter,« seufzte Gallan, während er die zierliche Frau fest an sich drückte.
»Ich wusste du würdest irgendwann heimkommen,« schluchzte sie und küsste ihrem Sohn auf die Wangen und die Stirn. Gallan sah die Tränen, die seiner Mutter über die Wangen liefen und ein beklemmendes Gefühl der Scham überkam ihn. Behutsam entfernte Gallan die Tränen von ihren Wangen, während er ergriffen sagte. »Ich hab dich auch vermisst Mutter.«
Nachdem ihre Freudentränen versiegten, sah Lesena ihren Sohn vorwurfsvoll an und fragte erstaunt.
»Aber warum schleichst du dich wie ein Dieb in das Haus deines Vaters?« Der vorwurfsvolle Blick ihrer von Freudentränen feuchten Augen berührte seine Seele.
*Wie musste sie um ihren ältesten Sohn gebangt haben, als er in einem Anfall von Trotz die Familie ohne Abschied verlassen hatte?*
Gallan kam sich in diesem Augenblick gemein und schäbig vor und versuchte ihrem Blick auszuweichen.
»Egal, du bist wieder zu Hause,« seufzte Lesena glücklich, »zieh erst mal deine nassen Sachen aus, du musst ja halb erfroren sein. Bei diesem Wetter jagt man nicht einmal seinen Hund vor die Tür.«
Gallan sah auf seine Mutter herab. Sie war in den Jahren seiner Abwesenheit kleiner geworden, so kam es ihm jedenfalls vor. Seine Mutter reichte ihm gerade noch bis zu den Schultern. In ihrem ernsten Gesicht gruben sich die ersten tiefen Falten des Alters ein und ihre einst ebenholzschwarzen Haare durchzogen graue Strähnen. In Ihren dunkelbraunen Augen spiegelte sich ein Hauch von Wehmut und Trauer, der von Gallan Besitz zu ergreifen drohte, darum küsste er Lesena auf die Stirne und fragte.
»Wo ist Vater, ich hab eine dringende Nachricht von Belgan an ihn und die Räte der Stadt.« Das von der Aufregung gerötete Gesicht seiner Mutter verwandelte sich in einen nachdenklichen Ausdruck. »Garan sitz mit Sertan zusammen und berät mit ihm, welche Ursachen und Folgen die ungewöhnliche Witterung für den Stamm haben kann. Sie befürchten, wenn das Wetter nicht besser wird, sind die Ernten in Gefahr und es droht eine Hungersnot.«
Lesena nahm Gallan bei der Hand und führte ihn durch die Küche über einen kurzen Gang zu Garans Arbeitszimmer. Von drinnen hörte Gallan gedämpfte Stimmen, als seine Mutter die Hand hob, um anzuklopfen. Gallan hielt die Hand seiner Mutter zurück. »Ich glaube er wird nicht erfreut sein mich zu sehen.«
»Ach Quatsch,« widersprach Lesena energisch. »Er wird dich schon nicht fressen und im Grunde seines Herzens wird er glücklich sein dich zu sehen,« antwortete sie ihm und klopfte an die Tür. Mit sanfter Gewalt schob sie ihren Sohn durch die Tür ins Arbeitszimmer und schloss sie hinter ihm wieder.
Gallans Augen mussten sich erst dem herrschenden Dämmerlicht anpassen, um seinen Vater auszumachen. Er saß aufrecht mit dem Rücken zu ihm, während er gestenreich auf sein Gegenüber einredete. »Warte noch mit dem Essen Lesena, wir sind noch nicht fertig.«
Garan unterbrach das Gespräch und drehte sich zu Gallan um. Der Gesprächspartner seines Vaters sah Gallan wie einen Geist an und blinzelte verdutzt. Noch bevor Sertan etwas sagen konnte, grüßte Gallan.
»Möge dir Frieden beschert sein Sertan und der große Geist dich schützen.« Gallan fand die Begrüßung anhand der Botschaft die er überbringen sollte für absurd, dennoch ließ er sich im Augenblick nichts anmerken und begrüßte auch seinen Vater mit dieser üblichen Grußformel. »Auch dir wünsche ich Frieden und den Schutz des Geistes Vater.«
Garan erhob sich langsam aus seinem Stuhl und schien nicht glauben zu können, wer ihm gegenüberstand. Er hob die rechte Hand, sodass Gallan die Handfläche sehen konnte, und erwiderte den Gruß.
»Sei gegrüßt mein Sohn, es ist lange her, seit du das Dorf verlassen hast, auch ich wünsche dir den Schutz des großen Geistes.«
Sertan folgte dem Beispiel und grüßte Gallan mit versteinertem Gesicht. Seine Haut glänzte über den Backenknochen und mit zusammengepresstem Mund musterte er Gallan, wobei seine rauchgrauen Augen ihn zu durchdringen schienen. Sertan trug die traditionelle Kleidung der Nayati, die aus ledernen Beinkleidern und einer prächtig bestickten Jacke aus demselben Material gefertigt war. Sein langes ergrautes Haar wurde im Nacken von einem Lederband zusammengehalten.
Er repräsentierte den höchsten der vier Räte der Stadt, zu denen auch sein Vater gehörte.
Gallan ging auf seinen Vater zu, der mit erhobener Hand abwartend dastand. »Was führt dich nach Ituma zurück mein Sohn?,« fragte er distanziert, senkte die Hand und bot ihm Platz an seiner Seite an.
Gallan wartete ab bis Garan und Sertan wieder saßen, ehe er selbst auf dem angebotenen Stuhl Platz nahm. Er wusste nicht, wie er beginnen sollte, um die Nachricht des Schamanen zu überbringen. Zumal ihn Sertan mit versteinertem Gesichtsausdruck wortlos musterte und keinen Zweifel offen ließen, was er von ihm, dem angeblich Abtrünnigen hielt. Gallan entschloss sich, ohne Umschweife über seine Beobachtungen während des Ritts und den Visionen Belgans zu berichten.
»Der schwarze Baron hat die westlichen Stämme mit seiner Armee überfallen. Auf meinem Ritt sah ich zahlreiche Rauchsäulen entlang meiner Route aus ihren Städten und Dörfern aufsteigen. Dangerar brannte als erste Stadt, dann folgten Ester und Sihora. Belgans Vision legt nahe, dass sie auch über die östlichen Städte und Dörfer herfallen werden.«
Erstaunt sahen ihn die beiden Räte an und sein Vater fragte überrascht. »Du warst bei Belgan?«
Gallan nickte. »Auf meinem Ritt kam ich als Erstes bei ihm vorbei.« Gallan wollte weder seinem Vater noch Sertan von dem Einhorn und Belgans Vorwürfen erzählen und ließ es daher aus.
»Ich wusste schon immer, dass man diesem Scheusal nicht vertrauen kann, aber warum warnst du uns? Du stehst doch selbst in seinen Diensten,« fragte Sertan mit schneidender Stimme und sein Vater beobachtete Gallan mit fragendem Blick.
Gallan lachte herb auf, um darauf verbittert zu antworten. »Ich kann es dir nicht verdenken Sertan, dass du mir nicht vertraust, aber es ist nicht so, wie du denkst. Ich stehe nicht mehr in seinen Diensten. Ich habe erkannt, welche Bestie in Wirklichkeit Kisho ist.«
Der oberste Rat und sein Vater wechselten einen vielsagenden Blick, ehe Sertan hektisch fragte. »Wie viel Zeit bleibt uns noch bis Kishos Horden hier sein werden?«
Er stellte die Vision Belgans mit keinem Wort infrage. Seine Prophezeiungen waren zutreffend und man konnte sich auf sie verlassen. Gallan zuckte mit den Schultern. »Belgan vermutet sechs bis sieben Tage, wenn die angeschwollenen Flüsse sie nicht länger aufhalten. Ihr müsst Späher ausschicken, die euch rechtzeitig vor einem Angriff warnen. Schicke Boten in alle Dörfer, um sie vor der Gefahr zu warnen. Macht ihnen klar, dass sie nur im Schutz von Ituma halbwegs sicher sind und wir nur gemeinsam eine Chance gegen die Armee des Barons haben.«
Garan und Sertan hörten konzentriert den Worten Gallans zu, und als dieser geendet hatte, erhob sich Sertan von seinem Stuhl.
»Gallan hat recht, ich schicke sofort einen Spähtrupp und Boten los, welche unsere Brüder warnen zudem berufe ich hiermit den Kriegsrat ein.« Bevor Sertan aus dem Zimmer ging, wandte er sich Gallan zu.
»Du weißt ich habe deine Entscheidung nie akzeptiert und für gut geheißen, aber ich bin nie dein Feind gewesen.«
Gallan, der die angebotene Hand Sertans ergriff, fühlte dessen festen Händedruck. »Du bist ein Sohn unseres Volkes, deshalb fordere ich dich auf, dem Kriegsrat beizuwohnen.« Sertan drehte sich um und verlies den Raum. Gallan sah dem Rat gedankenvoll nach.
Zum Kriegsrat kam jeder Krieger in das Versammlungshaus, das im Großen und Ganzen dem Erdhaus glich das Belgan draußen vor der Stadt bewohnte. Der Schamane hatte sich nie mit der städtischen Bauweise anfreunden können, die sich in Gallans Jugend durchzusetzen begann. Damals beschlossen die Räte eine Stadt nach dem Vorbild Shihoras zu errichten, weil sich die Erdhäuser weit verstreut über die Ebene erstreckten, und es so jedem Feind ein Leichtes war, die übergroßen Dörfer zu überfallen und zu plündern. Es wurde einfach unmöglich ein derart auswucherndes Dorf wirkungsvoll zu schützen und so entschloss man sich, hinter dem Schutz einer Stadtmauer zu leben. Im Notfall und bei drohender Gefahr konnten die beharrlichen Nayati die es vorzogen weiterhin in ihren kleine Siedlungen und Dörfern nach der althergebrachten Tradition in der Ebene zu leben, hinter diese Mauern flüchten.
In Erinnerung an die alte Lebensweise beschloss man, das Versammlungshaus im Stil eines Erdhauses zu errichten, nur um ein Vielfaches größer.
Gallan beobachtete seinen Vater, nachdem Sertan gegangen war. Die Jahre hatten ihre Spuren auf dem braunen Gesicht seines Vaters hinterlassen, aber sein langes Haar, glänzte immer noch schwarz. Schlank, hochgewachsen und aufrecht stand der alte Mann in seinem Lederhemd und seiner Leinenhose vor ihm. Prüfend betrachteten seine dunklen Augen Gallan, als er die Arme ausbreitete und seinen verloren geglaubten Sohn mit ihnen umschloss.
»Ich bin glücklich, dass du wieder einer von uns bist, Sohn. Ich habe lange auf diesen Augenblick warten müssen, aber nun ist er endlich gekommen.«
Gallan sah keinen Vorwurf in den Augen seines Vaters, dafür aber Erleichterung. Verwundert bemerkte er den wässrigen Glanz, der sich in den Augen Garans widerspiegelte. Gallan gelang es nicht, auch nicht mit äußerte Willenskraft, seine Tränen zurückzuhalten.
»Es war mein Fehler Vater,« stammelte er tränenerstickt und verbarg sein Gesicht an der Schulter seines Vaters. Gallan fühlte den Druck den Garans Arme ausübten, als dieser ihn umarmte und mit bebender Stimme sprach. »Schon gut mein Junge jetzt wird alles gut. Hauptsache du bist wieder zu Hause. Deine Mutter hat jeden Tag vor dem Hausaltar gestanden und zum großen Geist gesprochen, dass er dich beschützt und eines Tages nach Hause bringt,« hörte Gallan ihn sagen. »Aber jetzt gibt es Wichtigeres zu tun, als zu heulen. Komm mit zum Kriegsrat, dort wartet man bestimmt schon auf dich.«
Garan klopfte Gallan ermutigend auf die Schulter, dann löste er die Umarmung. Verstohlen wischte sich Gallan seine Tränen aus den Augen. Es tat ihm gut keine Vorwürfe von seinem Vater wegen seiner Eigensinnigkeit zu hören aber ihn beschlich ein mulmiges Gefühl, als er daran dachte vor den Kriegsrat zu treten, und die Botschaft Belgans zu überbringen.
In vielen Augen war er ein Verräter, der sich in die Dienste des Schwarzen gestellt hatte und so sein Volk verraten hatte. Es blieb dahingestellt ob Sertans Autorität ausreichte, um die anderen beiden Räte und die Krieger zu überzeugen. Die Blicke der Wachen und Arteos Verhalten bewiesen ihm, dass sie noch nichts vergessen hatten.
»Sie werden mir nicht vertrauen,« protestierte Gallan, doch all seine Einwände nützten ihm nichts. Garan schob den widerstrebenden Gallan mit sanfter Gewalt zum Versammlungshaus.
»Hast du dich in den Jahren so verändert mein Sohn? Der Gallan, den ich kannte, wäre erhobenen Hauptes vor den Rat getreten und hätte nicht versucht, sich zu verstecken.«
Diese Worte trafen Gallan bei seiner Ehre und mit einem innerlichen Ruck, folgte er mit weit ausholenden Schritten seinem Vater zum Versammlungsgebäude. Schon von Weitem sahen sie die Männer, die dem Aufruf gefolgt waren. Dicht gedrängt standen sie vor dem Eingang und warteten darauf, dass sich die Tore öffneten. Selbst Belgan den Schamanen brachte man auf einer Schleppbahre, die ein Pferd zog zu diesem Ereignis.
Durch die sich bildende Gasse betrat Garan mit seinem Sohn die kreisrunde Halle im Versammlungshaus. Vor ihnen, gestützt auf zwei kräftige Männer wurde Belgan der blinde Schamane an seinen Platz geführt. Dieser befand sich neben der kleinen Erhöhung, auf der die Räte saßen.
Mit einem leisen Stöhnen ließ sich der Schamane auf seinen Platz sinken. In der Mitte der Halle hatte man einen runden Platz freigelassen, in der sichtbar für jeden Anwesenden die Mitglieder des Stammes sprechen konnten. Belgans blinde Augen musterten die Räte eindringlich der Reihe nach, die auf ihrer erhöhten Sitzreihe heftig diskutierten.
Gallan wusste von früher, dass Belgan sich ganz auf sein Gehör konzentrierte, um die Stimmung, die unter den Räten und den Anwesenden herrschte, einzuschätzen. Ihn überkam mit einem Mal das Gefühl, in dem Schamanen einen Freund und Beschützer zu haben.
Nicht umsonst hatte er es Gallan überlassen, die Nachricht von dem bevorstehenden Angriff zu überbringen. Er kannte seine Stammesbrüder gut genug, um zu wissen, welches Misstrauen ihm entgegenschlagen würde.
Sein Vater führte ihn an den Bänken vorbei zu dem erhöhten Platz, wo die Räte saßen und bot Gallan einen Platz an. Unverhohlen voll Argwohn beäugten sie ihn und steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.
Besorgt und nervös blicke Sertan von ihnen zu Gallan und wieder zurück. Er machte sich große Sorgen um sein Volk, das noch nie einer derartigen Bedrohung ausgesetzt war.
Gewiss, es gab in der Vergangenheit kleinere kriegerische Auseinandersetzungen mit den benachbarten Stämmen. Aber noch nie sahen sich die Nayati einem Eroberungsfeldzug gegenüber, wie ihn Kisho plante. Meistens handelte es sich bei diesen Reibereien um Viehdiebstahl oder um den Raub junger Mädchen, die von den Kriegern eines anderen Stammes entführt wurden.
Sertan benötigte einen Mann, der in der Lage war ihnen die Bedrohung vor Augen zu führen und die Stämme zum gemeinsamen Kampf gegen den schwarzen Baron aufzurufen. Diesen Mann sah er in Gallan, der die Kampfstärke der Zentaren, aber auch ihre Schwächen kannte.
Langsam füllte sich das Haus mit den hereinströmenden Kämpfern und Sertan wartete, bis auch der letzte Platz genommen hatte. Schlagartig erlosch das brausende Geräusch unzähliger Stimmen und machte angespannter Aufmerksamkeit Platz. Sertan trat in die Mitte der Arena, hob die Arme hoch und begann zu sprechen.
»Ich habe den Kriegsrat einberufen, weil sich aus dem Westen eine Bedrohung unserem Volk nähert, der wir nicht alleine gewachsen sind. Gallan, ein Sohn unseres Stammes ist der Überbringer dieser Nachricht. Viele von euch kennen Gallan, der als junger Mann fortging, um in die Dienste des Mannes zu treten, der uns heute unterwerfen will.«
Lautstarke Zwischenrufe unterbrachen Sertans Rede, dem wildes Durcheinanderreden folgte und viele der Anwesenden sprangen von ihren Bänken hoch, um ihrer Empörung Luft zu machen.
Sertan versuchte mit beschwichtigenden Handbewegungen die Ruhe wieder herzustellen doch seine Bemühungen wurden ignoriert. Hitzig redeten die Anwesenden aufeinander ein, bis sich ein älterer Mann vom Podium der Räte erhob, um sich durch lautes Rufen und gestikulieren Gehöhr zu verschaffen.
»Ich, Songao kenne Gallan, als er noch von seiner Mutter getragen wurde. Ich kenne ihn auch als jungen Krieger, der sich von unserem Volk abwandte, um in die Dienste des schwarzen Barons einzutreten. Wer sagt, dass wir ihm vertrauen können und er uns nicht gegen den Baron ausspielt?«
Zustimmendes Gemurmel brandete auf, wobei Gallan der still auf seinem Platz saß seinen Vater ansah, als wollte er sagen. *Ich hab‘s ja gewusst, sie werden mir nie verzeihen.*
Garan jedoch schüttelte den Kopf und gab seinem Sohn ein Zeichen Ruhe zu bewahren.
Immer heftiger wurden die Diskussionen bei der sich abzeichnete, dass sich zwei Lager bildeten. Die eine Partei unter Sertan sprach sich für Gallan aus, während die andere Partei, der Songao angehörte, Stellung bezog, ihm keinen Glauben zu schenken.
Der Schamane saß ruhig auf seinem Platz und lauschte mit zur Seite geneigtem Kopf dem Stimmengewirr, das seiner Meinung nach dem aufgeregten Gegacker aufgescheuchter Hühner glich. Doch als es nicht verebben wollte, stand er auf und starrte mit seinen blinden Augen in die Runde.
»Ruhe, der Schamane hat etwas zu sagen,« schrie Sertan in die Halle um Belgan Gehör zu verschaffen. Langsam klang das Stimmengewirr ab und Belgan wartete, bis er sich sicher sein konnte, dass auch der Letzte ihm zuhörte.
»Ich war es der Gallan den Auftrag gab den Stamm der Nayati von dem bevorstehenden Überfall zu informieren. Glaubt ihr, ich hätte das getan, wenn ich Gallan nicht vertrauen würde,« fragte Belgan mit donnernder Stimme.
Er drehte sich mit erhobenen Armen um die eigene Achse, damit ihn jeder in der Halle sehen konnte. Seine dünnen Arme ragten wie zwei verdorrte Äste aus den Ärmeln seines Umhangs, deren rechte Hand seinen Stab in die Höhe hielt.
»Ruhe ich bin noch nicht am Ende meiner Rede,« rief Belgan dem aufgeregten Gemurmel entgegen, das schlagartig einsetzte. »Meine Visionen zeigten mir den Weg, den dieser junge Mann zu gehen hat. Dieser Weg ist eng mit dem Schicksal des Stammes und den Bewohnern dieses Landes verwoben. Ihr solltet ihn anhören, was er über die Krieger zu berichten hat, die uns bedrohen und ihm nicht mit Misstrauen begegnen.«
Belgan machte eine Handbewegung die Gallan aufforderte in die Manege zu treten, um zu seinem Stamm zu sprechen. Verwundert sah Gallan zuerst seinen Vater dann Belgan an, folgte aber der Aufforderung und begab sich in die Arena. Sein Pulsschlag raste und das Rauschen des Blutes in seinen Ohren übertönte für kurze Zeit das Stimmengewirr der Anwesenden. Stockend begann Gallan, zu sprechen. Er wusste nicht, wie er beginnen sollte und so überließ er es seiner Intuition.
»Die Zentaren sind ein wildes kriegerisches Volk, das den Befehlen des Barons blindlings folgt, um den Sohn ihres Anführers Kashim nicht in Gefahr zu bringen. Kashims Sohn wird von Kisho als Unterpfand gefangen gehalten, damit sein Vater dem Baron gehorcht.«
Je länger Gallan sprach umso sicherer und eindringlicher wurde seine Stimme, die nun klar unter der Kuppel erschallte. »Die Wurrler, obwohl von geringer Größe sind nicht minder gefährlich. Ihre Ausdauer und ihre schon fast tierische Treue zu Kisho kann nur ihr Tod stoppen. Sie kämpfen ohne Rücksicht auf das eigene Leben, was den Wurrlern den Ruf der Gnadenlosen einbrachte.«
Gallan unterbrach seine Rede, um seine Worte auf die Anwesenden einwirken zu lassen. Da erhob sich Lewaneo, einer der vier Anführer des Stammes und trat zu Gallan in die Arena.
Lewaneo ein alter weiser und in vielen Kämpfen bewährtes Ratsmitglied hob die Hand zum Zeichen, dass er sprechen wolle. Sogleich trat wieder Ruhe in die Halle ein und Lewaneo fasste in der ihm eigenen schleppenden Sprechweise seine Besorgnis in Worte.
»Wie viele von den Kriegern, von denen du berichtest, werden kommen und welche Möglichkeiten bleiben uns sich ihrer zu erwehren. Wir können nicht einfach Ituma verlassen und vor ihnen flüchten, also was schlägst du vor Gallan, der du behauptest, die Krieger zu kennen?«
Gallan hörte die besorgten von Angst um das Wohl seines Volkes gesprochenen Worte Lewaneos und erkannte plötzlich den Sinn von Belgans Worten, die von seinem Weg sprachen. Er Gallan würde sein ganzes Wissen einsetzten, um zu verhindern, dass sein Volk unterworfen und ausgelöscht wurde.
Als Gallan antwortete, herrschten bedrücktes Schweigen und absolute Stille in der Halle und selbst die Zwischenrufer, die ihn des Verrats bezichtigten schwiegen.
»Sie werden glauben leichtes Spiel zu haben, da sie bis jetzt anscheinend auf keinen nennenswerten Widerstand gestoßen sind. Der Rat sollte Boten zu den anderen Stämmen schicken, um sie vor der nahenden Gefahr zu warnen,« schlug Gallan dem Rat vor. Dabei sah er erwartungsvoll zu den anderen Führern, die ihre Köpfe zusammengesteckt hatten und sich berieten.
Lewaneo blickte zu den anderen Räten, um ihre Reaktion auf Gallans Worte abzuwarten. Nun erhob sich Garan von seinem Platz und begab sich an die Seite seines Sohnes.
Er hob die Hand, um zu sprechen, doch er wurde von Sangao einem alten Querulanten davon abgehalten, gerade als er seinen Mund öffnen wollte. Gallan konnte sich erinnern, dass Sangao keinen guten Ruf besaß, stellte er doch alles infrage, um sich bei seinen Anhängern als oberster Rat aufzuspielen. Nur zu gerne hätte er Sertan gestürzt und seine Stelle eingenommen.
»Das ist alles Gewäsch, ich vertraue Gallan nicht,« schrie er hitzköpfig dazwischen. »Das Volk der Nayati war immer Gefahren ausgesetzt und es ist mit Feinden fertig geworden, die ihm zahlenmäßig überlegen waren. Weshalb auch nicht dieses Mal? Ich bin gegen Gallan und seine Vorschläge, ich möchte sie nicht einmal hören. Der Rat kann selbst beraten, wie wir mit den Angreifern fertig werden und sie besiegen.« Sangao sah sich mit fanatisch glänzenden Augen in der Halle um, dabei hob er die Arme und schwenkte sie herausfordernd.
Die angespannte Stille in der Halle wich augenblicklich tumultartigem Lärm, in dem jeder gegen jeden redete und sich die Stimmung zu überschlagen drohte. Hitzige Wortgefechte der Parteien, welche verschiedene Meinungen vertraten, drohten in Handgreiflichkeiten auszuarten. Belgan erhob sich von Neuem und schrie mit wutentbrannter Stimme, die sogar den Lärm übertönte. Selbst Gallan wunderte sich, woher der Schamane die Energie bezog, die ihm dies ermöglichte. Augenblicklich trat wieder Stille in der Halle ein.
»Seid ihr denn von Sinnen. Der Feind steht vor unserer Tür und ihr habt nichts anderes zu tun als euch zu streiten,« sprach er dann mit vorwurfsvoller Stimme weiter. »Vergesst, dass Gallan für Kisho arbeitete und erinnert euch daran, wen ihr vor euch habt. Einen Sohn des Volkes, der mit seinem Wissen dazu beitragen kann, den Überfall abzuwenden. Stimmt endlich ab ob ihr Gallans Vorschläge anhören wollt.«
Betreten sahen die Räte sich an, nur Sangao versuchte, die Stimmung zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Voller Verachtung rief er den Räten auf ihren Sitzen zu.
»Entscheidet euch und handelt im Sinne des Stammes, wie es von euch verlangt wird, und hört nicht auf Gallan.«
Lewaneo, der bei Garan und Sangao in der Arena stand, hob seine Hand und sagte so laut, dass es jeder der Anwesenden hören konnte. »Ich schließe mich dem Rat des Schamanen an und gedenke Gallans Empfehlungen anzuhören. Es kann nur von Vorteil sein jemand in unseren Reihen zu haben, der den Gegner kennt.«
Ein unterdrücktes Zischen kam über Sangaos Lippen, aus dem Gallan ganz deutlich das Wort „Verräter“ hörte und Lewanao galt. Lauter und mit sich fast überschlagender Stimme schrie Sangao in die Menge der Versammelten.
»Ich stimme dagegen, weil ich Gallan nicht vertrau, er könnte uns im Auftrag seines Herrn gegeneinander ausspielen.«
Erneut brandeten zustimmende Zurufe und Argumente der Partei Sangaos auf, welchen von der Seite die Gallan vertraute heftig widersprochen wurden. Belgan erhob sich abermals von seinem Sitz und begann mit eindringlicher Stimme zu sprechen.
»Gallan ist ein Sohn der Nayati, auch wenn er in den Diensten des Barons stand, vertraue ich ihm. Ich habe seinen Entschluss von damals nie für gut befunden, aber er musste diesen Weg gehen, um heute den Nayati zu helfen. Wer gegen Gallan stimmt, der stimmt gegen sein Volk, bedenkt das. In meinen Visionen sah ich die Horden Kishos die näher kommen und es ist nicht die Zeit dafür Streitereien auszutragen. Stimmt endlich ab, damit wir gerüstet sind, wenn der Feind auftaucht.«
Garan trat neben seinen Sohn und hob die Hand zum Zeichen, seiner Zustimmung für die Worte des Schamanen. »Belgan hat recht, Kisho hat gewonnen, sobald wir uns uneinig sind. Er wird diesen Umstand gnadenlos ausnützen, daher bin ich dafür Gallans Wissen zu nutzen.«
Lewaneo nickte und erhob ebenfalls seine Hand.
»Ich schließe mich den Worten Garans an,« was ihm ein weiteres Mal eine abfällige Bemerkung von Sangao einbrachte. Nun war Sertan an der Reihe seine Stimme abzugeben, und obwohl er noch zögerte, war sich Garan sicher, dass er für Gallan stimmte. Bei Sangao löste Sertans Zögern einen letzten Hoffnungsfunken aus, der aber wie eine reife Frucht zerplatzte, als Sertan zustimmend bekannt gab.
»Ich stimme ebenfalls zu, Gallan anzuhören. Damit ist es entschieden,« erklärte Sertan, der die letzte und gewichtigste Stimme zu vergeben hatte.
»Was also schlägst du vor Sohn des Garan, wir sind neugierig was du zu sagen hast.« Gallan überlegte kurz, ehe er mit lauter Stimme sprach.
»Die Krieger der Zentaren sind gefürchtet für ihre Brutalität und ihren absoluten Gehorsam. Die Nayati können sie alleine nicht besiegen, wie Sangao euch glauben machen will. Schickt Boten zu den Stämmen der Hawarda, der Hidata und den anderen, die auf der Ebene leben und unterrichtet sie von der Gefahr. Schickt Kundschafter aus, die jede Bewegung des Feindes beobachten und seine Stärke melden. Stellt Meldereiter bereit, damit die Räte immer unterrichtet sind.«
Sertan winkte einen großen Krieger zu sich heran und Gallan erkannte in ihm Surjur seinen Sohn. Leise sprachen sie kurz miteinander, dann eilte Surjur zum Ausgang der Halle. Auf dem Weg aus der Halle nickte er einzelnen Kriegern zu, die sich wortlos erhoben und ihm folgten.
»Das sind die Späher Gallan. Mein Sohn wird sie anführen und uns über den Feind unterrichten, wen aber schicken wir zu den Stämmen in der Ebene, um die Botschaft zu verbreiten?« Sertan sah sich suchend um.
»Ich werde mit Gallan aufbrechen« bot sich Garan zur Überraschung seines Sohnes an.
»Das wird aber nicht genügen,« meldete sich Sertan zu Wort. »Es sind viele Stämme in alle Richtungen verstreut und es wird euch beiden nicht gelingen, alle zu verständigen. Ich schließe mich an.«
Lewaneo schüttelte abwehrend den Kopf. »Du bist der Kriegsrat, dein Platz ist im Dorf, aber du hast recht es sollten einige von uns Garan und Gallan unterstützen.« Sertan blickte über die noch anwesenden Krieger, die auf ihren Plätzen saßen. Sie diskutierten immer noch heftig über die Abstimmung. Dann befahl er sieben von den Kriegern zu sich. Mit wenigen Worten erklärte er ihnen ihre Aufgabe. »Jeder von euch nimmt sich zwei Männer. Eure Angelegenheit wird es sein, die Stämme zu unterrichten. Reitet schnell, an euch liegt es ihre Führer zu überreden sich uns anzuschließen. Macht ihnen mit allem Nachdruck den Ernst der Lage klar.«
Die Krieger, die Sertan ausgesucht hatte verließen ohne ein weiteres Wort das Versammlungshaus um sofort, mit ihren Vorbereitungen für ihren Aufbruch zu beginnen.
»Und du Sangao,« fuhr Sertan fast im selben Atemzug fort, »kümmerst dich um die Verteidigung Itumas. Lass tiefe Gräben um die Mauer ziehen und überprüfe sie auf schadhafte Stellen. Ich will, dass du unsere Verteidigung organisierst. Sag den Waffenschmieden, sie sollen jedem Krieger genügend Lanzen, Schwerter und Pfeile bereitstellen, und notfalls Tag und Nacht arbeiten. Wir wollen gerüstet sein, falls der Feind früher vor unsere Stadt steht als Belgan es vermutet. Du bist der erfahrenste Krieger von uns und erinnerst dich an die Zeiten in denen die Nayati zahlenmäßig überlegene Feinde schlugen.«
Gallan konnte sich bei diesem Seitenhieb das Grinsen nicht verbeißen, wurde aber sofort wieder ernst, als er den missbilligenden Blick seines Vaters bemerkte.
»Komm Sohn,« wir haben noch einiges vorzubereiten, wenn wir beim Morgengrauen aufbrechen wollen.«
Als Vater und Sohn ins Freie traten, senkte sich bereits die Dämmerung über die Stadt. Viele Einwohner standen trotz des strömenden Regens vor dem Versammlungshaus und warteten auf Neuigkeiten. Es hatte sich bereits herumgesprochen, dass sich eine feindliche Armee auf Ituma zubewegte und aus den Gesichtern der Umstehenden sprachen Besorgnis und Angst.
Sofort wurden Gallan und Garan von ihnen bestürmt, um von ihnen Neuigkeiten zu erfahren, doch Garan zog seinen Sohn wortlos weiter. Sie schritten durch die sich öffnende Gasse der Frauen und Kinder, ohne die eindringlichen Fragen zu beantworten.
»Was ist, haben die Leute kein Recht zu erfahren, was auf sie zukommt?« Garan zog seinen Sohn weiter, und erst als sie die Menschen hinter sich gelassen hatten, antwortete er. »Sie erfahren es noch früh genug, dafür wird schon Sangao sorgen. Er hat dir nie verziehen, dass du Kishos Helfer wurdest, deshalb wird er dich sabotieren, wo er nur kann. Du hast es ja soeben miterlebt.«
Gallan nickte und sah dabei seinen Vater eindringlich an.
»Was ist mit dir? Ich bin dein Sohn und handelte gegen deinen Willen, hast du mir je verziehen?«
Garan schüttelte ungeduldig sein Haupt, aber er gab keine Antwort, sondern drängte zum Weitergehen. »Es gilt eine lange Reise vorzubereiten und wir haben nur wenig Zeit dazu. Wir müssen noch mit Sertan reden, der nach dem Rat zu uns kommen wird.«
»Eine lange Reise,« fragte Gallan verwundert. »Die Stämme sind nicht so weit entfernt, dass wir große Vorbereitungen treffen müssten. Was hast du vor Vater?«
»Später, mein Sohn konzentrieren wir uns lieber auf die Aufgabe, die vor uns liegt.« Garan schlug den Weg zum Lagerhaus des Stammes ein, wo sich die beiden Krieger mit Proviant und anderen Dingen für ihre Reise eindeckten. Schwer bepackt verließen sie das Lager und wandten sich den Gemeinschaftsställen zu.
»Du wirst ein Pack und ein Reservepferd benötigen,« meinte Garan, als sie den Stall betraten. Schon als sie das Tor öffneten, wieherte ihnen Jarduk freudig entgegen und stampfte aufgeregt mit den Hufen auf den Boden. Irgendwer musste ihn in der Zwischenzeit aus dem kleinen Stall am Haus hierher gebracht haben.
»Sag mir, was du planst Vater.« Gallan streichelte den Hals Jarduks, der seinen Kopf an Gallans Schulter rieb. Er bemerkte, wie sich sein Vater umsah, als befürchte er es könnte jemand lauschen.
»Wir reiten nicht zu den nächstgelegenen Stämmen, das werden die Boten erledigen. Wir suchen die zahlenmäßig kleineren weiter entfernten Brüder auf, die viele Tagesreisen von hier entfernt sind.«
Gallan betrachtete seinen Vater als sähe er einen Geist. »Du meinst die Daghari und Hawarda. Aber die leben in den Wäldern von Dagam und selbst Kisho wagt es nicht, sie anzugreifen. Warum glaubst du, dass sie uns helfen werden?«
Garan machte eine ungeduldige Handbewegung, ehe er sich den Pferden im Stall zuwandte. »Such deine Pferde aus, alles andere besprechen wir, wenn Sertan kommt. Nun mach schon, wir haben nicht ewig Zeit.«
Gallan suchte sich eine kräftige braune Stute aus, der er seine Ausrüstung auflegte und einen Apfelschimmel als Ersatzpferd. Während er Jarduk den Sattel auflegte und den Sattelgurt leicht zuzog, beschäftigten sich seine Gedanken mit seines Vaters Absichten.
*Glaubte Garan wirklich, die Daghari und die Hawarda zum Kampf gegen die Kishos Armee zu gewinnen?*
Gallan führte seine Pferde an den Zügeln aus dem Stall, vor dem sein Vater bereits auf ihn wartete. Gemeinsam schlugen sie die Richtung zu ihrem Haus ein. Überall in den Straßen des Dorfes herrschte nun aufgeregtes Treiben und so kamen sie nur langsam voran. Von Weitem hörten sie Sangao seine Anweisungen brüllen, der umgeben von einigen Kriegern die Arbeiten an der Mauer beaufsichtigte, obwohl es zunehmend dunkler wurde.
»Bringt mehr Fackeln, wir brauchen mehr Licht,« schrie er und stolzierte wie ein Pfau umher. Gallan bemerkte, wie sein Vater abfällig schnaubte. »Er führt sich auf als wäre er der Herrscher über die Nayati. Ich hoffe Sertan kann ihn in seine Schranken weisen.«
Sie stellten ihre Pferde im Anbau der neben dem Haus stand unter, dann betraten sie gemeinsam das Haus. Im Haus wartete bereits Sertan mit bekümmertem Gesicht und begrüßte sie.
Gallan und sein Vater nahmen gegenüber von Sertan Platz und berieten über Garans Plan.
Spät in der Nacht verließ Sertan das Haus weitaus zuversichtlicher als er es betreten hatte. Lesena kramte, während die Männer sich berieten, in dem Abstellraum des Hauses in einer Kiste. Als Sertan gegangen war, kam sie mit einem Bündel auf den Armen zurück.
»Hier mein Junge, erkennst du ihn wieder?« Natürlich erkannte Gallan seinen Jagdanzug wieder, den seine Mutter kurz vor seinem Abschied fertiggestellt hatte.
»Zieh ihn an Gallan. Die Krieger der anderen Stämme sollen dich nicht für einen Sucher halten,« riet ihm seine Mutter und reichte den Anzug ihrem Sohn. Währen Gallan sich der schwarzen Kleidung des Barons entledigte, erklärte Garan seinem Sohn mit sichtlichem Stolz.
»Deine Mutter hat immer an deine Rückkehr geglaubt und deine Sachen aufgehoben.«
Gallan erfuhr, als er noch bis kurz vor Mitternacht mit seinen Eltern beisammensaß, wie es seinem Bruder und seinen beiden Schwestern ging. Sein Bruder Sogan lebte noch in der Stadt, nur seine Schwestern Kaya und Dena waren zu Männern in den umliegenden Dörfern gezogen.
»Wo ist Sogan, ich sah ihn weder bei der Versammlung noch im Dorf,« fragte Gallan seine Eltern. Garan erklärte ihm, dass Sogan mit einem Jagdtrupp ausgezogen war, der erst in einigen Tagen zurück erwartet wurde.
Als Gallan alle Neuigkeiten die seine Familie betrafen erfahren hatte, richtete Lesena für Gallan ein Schlaflager zurecht. Augenblicklich schlief Gallan, müde von seiner Reise ein. Er erwachte erst am nächsten Morgen, als sein Vater ihn weit vor Sonnenaufgang weckte.
Noch vor Sonnenaufgang bestiegen Garan und sein Sohn ihre Pferde und ritten durch das Tor auf die Ebene hinaus.
Nach einiger Zeit verschwanden die beiden hinter den leichten Bodenwellen am Horizont.