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Fünftes Kapitel Wissen die Jenseitigen von einem Gott?

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Im vorigen Kapitel sahen wir schon: Die Verstorbenen und auch die Lebenden mit Nahtoderlebnissen begegneten keinem Gott, der über sie Gericht hielt, der sie strafte oder belohnte. Die Hauptfrage des jetzigen Kapitels lautet: Sind die Betreffenden vielleicht auf irgendeine andere Weise Gott begegnet? Zeigte sich ihnen Gott vielleicht als unendliche Liebe und Güte in Person? Erfuhren sie Gottes Nähe, empfanden sie seine Anwesenheit in irgendeiner Form? Wir sahen ja auch: Den Jenseitigen bzw. manchen Wiederbelebten erscheint ein Lichtwesen, bisweilen sogar mehrere Geist-Wesen. Mitunter sprechen diese Menschen von der göttlichen Schönheit und Güte dieses Lichtwesens.

Aber natürlich »sieht« schon deshalb keiner von ihnen Gott, weil Gott keine Gestalt haben kann und mit den Gottesbildern und Gottesbegriffen der Diesseitigen kaum etwas gemein hätte. Was die Verstorbenen und die Menschen mit Nahtoderfahrungen sahen, ist dieses Lichtwesen. Und es vermittelt ihnen ein höheres Bewusstsein, das sich dann als Teil eines unendlichen „göttlichen“ Bewusstseins empfindet. Der Verstorbene bzw. der ein Nahtoderlebnis Habende gelangt im Rahmen seiner außerkörperlichen Erfahrung auf eine höhere Bewusstseinsebene, auf der er sich als Teil eines Universalbewusstseins, eines alles liebend umfassenden, grenzenlosen Geistes versteht. Er fühlt sich demgemäß selber nicht mehr räumlich oder zeitlich lokalisiert und determiniert, auch nicht durch die Grenze des Todes irgendwie behindert oder eingeschränkt.

Es ist interessant, dass trotz dieses Teil- oder Tropfen-Daseins im Meer eines universalen Bewusstseins oder vielleicht gerade deswegen der Verstorbene oder der eine »Out-of-body-experience« (OBE, außerkörperliche Erfahrung) habende Diesseitige sich seiner vollen und eigentlichen Identität bewusst und gewiss wird. Als Teil eines alles umfassenden, alles bergenden und liebenden Bewusstseins ist man auf dieser Ebene offenbar mehr bei sich und eigentlicher als in seiner individualistischen Separatheit hier auf Erden.

Die ungeheure Bewusstseinserweiterung, ermöglicht durch das mit keinem irdischen Lichtstrahl vergleichbare überirdische, visionäre Licht, bewirkt, dass der Betreffende jetzt die tiefe und innige Verbundenheit von allem mit allem, mit allen Lebewesen und Dingen erlebt, dass er sich in Allem selbst begegnet bei gleichzeitig bleibender Bewusstheit seiner unwiederholbaren Einzigartigkeit. Er sieht eine wunderbare Welt voller herrlicher Farben, die er in dieser Intensität, Frische und Lebendigkeit auf Erden nie erlebt hat. Er nimmt grandiose, auf Erden nie gesehene, immer neue Landschaften, Tier- und Pflanzenwelten wahr. Er glaubt, unendlich viel, ja alles zu wissen, weil er Teil des unendlichen Bewusstseins ist.

Menschen, die nach einer OBE in den normalen Diesseits-Status zurückkehren, können dann nie mehr vergessen, dass ein göttlicher Funken den tiefsten Kern ihres Wesens ausmacht, dass sie als geistbegabte Lebewesen Teil eines höheren, alle Universen und alle Seinsebenen umfassenden Bewusstseins sind. Ein junger Mann schildert das so: „Als ich mit 17 fast im Meer ertrank, sah ich mein ganzes Leben im Licht … Damals lernte ich, dass die Zeit so, wie wir sie uns vorstellen, nicht existiert, ebenso wenig wie die Trennung zwischen uns … Es war eigentlich fast so, als würde es >den Anderen< gar nicht geben. Ich sage fast, weil ich mir meiner selbst bewusst war, aber gleichzeitig auch wusste, dass meine Bewusstheit innerhalb einer feinen Struktur lebte, die ewig und überall existieıt.“90

Menschen mit OBE wissen hernach mit höchster Gewissheit, dass ihre wahre Identität nicht im Körper, im Körperlichen, im Sexuellen, sondern im Geistigen, im Geist liegt. Sie wissen, dass der Mensch Geist ist und dass dieser die Wurzel der Identität auch seines Körpers ist, der durch den Geist zum »Leib« hinaufgeadelt, veredelt, aufgewertet wird. Es geschieht hier die Wandlung, die Transmutation eines durch Zeit und Raum, durch seine Körperlichkeit eingeschlossenen engen Bewusstseins zu einem grenzenlosen, daher als »göttlich« empfundenen Bewusstsein. Plötzlich verstehen die Menschen mit OBE in glasklarer Intuition und Vision Sinn, Bedeutung und Grund der terrestrischen und kosmischen Evolution mit Einschluss der Menschheitsgeschichte. Wir wissen durch ihre Berichte wie durch die medial ermöglichten Reporte der Jenseitigen eine Menge über das wunderbare Panorama der jenseitigen Welten. Eine Frau, die mehrere Nahtoderfahrungen (NTE) gemacht hatte, berichtet: Nun „wusste ich, es gibt ein Leben nach dem Tod und eine spirituelle Dimension, die wir alle durchlaufen. Liebe und Mitgefühl nahmen beträchtlich zu. Übersinnliche Fähigkeiten wie außerkörperliche Erfahrungen, wie Präkognition, Hellsehen usw. stellten sich ein. Ich fühle mit allen Lebewesen und Dingen, und bin mir der Verbundenheit und Einheit von allem bewusst“.91

Begegnen in alledem die Jenseitigen, die sich durch ein Medium den Diesseitigen zu erkennen geben, bzw. die durch Nahtoderlebnisse zutiefst Verwandelten einem Gott? Die wohl beste Antwort im Rahmen der überbordenden Literatur zur Thematik des Fortlebens nach dem Tod gibt Raymond A. Moody: „Nach dem Zusammentreffen mit mehreren lichtdurchfluteten Wesen begegnet die Person gewöhnlich einem höheren Lichtwesen. Menschen mit christlicher Überzeugung nennen es oft >Gott< oder >Jesus<, Angehörige anderer Religionen würden vielleicht von >Buddha< oder >Allah< sprechen. Manche meinten allerdings, es handele sich weder um Gott noch um Jesus, aber dennoch um jemand Hochheiliges. Wer immer es auch sein mag, dieses Wesen strahlt grenzenlose Liebe und Verständnis aus – so sehr, dass die meisten immer in seiner Nähe bleiben möchten.“92

Auf dieses in einem unvergleichlichen Licht strahlende grenzenlose Bewusstsein, das den Jenseitigen oder den eine NTE Habenden umfängt, und auf die ebenso grenzenlose Liebe, die er im selben Atemzug verspürt, kommt es hier an. Alle Namen, die diesen überdimensionalen Größen gegeben werden, sind Schall und Rauch. »Licht-Bewusstsein – Liebe« – dieses Dreigestirn verbietet jede weitere Benennung oder Kategorialisierung. Mit Recht sagt der Sterbeforscher Bernard Jakoby: „Die freundliche Stimme in jenem Licht widerspricht den meisten menschlichen Gottesbildern und führt sie ad absurdum. Das helle klare Licht wird als Liebe geschildert … Subjektiv gibt es unterschiedliche kulturelle Abweichungen hinsichtlich der religiösen Deutung des Ereignisses … Objektiv aber wird das Lichtwesen als reine bedingungslose Liebe dargestellt. Es handelt sich um die größtmögliche Liebesenergie überhaupt. Unabhängig von der Interpretation der Lichtgestalt wird diese dem Verstandesmenschen kaum zugängliche Liebe mit Verständnis, Ruhe, Geborgenheit, Frieden, Harmonie oder Heimat assoziiert.“93

Wie sehr traditionell-religiöser Milieueinfluss einerseits und Durchbruch zum objektiven Gehalt des Lichtereignisses andererseits sich in einer einzigen NTE abwechseln können, beschreibt Mellen Thomas Benedict: „Ich unterhielt mich mit dem Licht. Es nahm dabei ständig eine andere Gestalt an, die von Jesus, Buddha, Krishna, von Mandalas, archetypischen Bildern und Zeichen. Ich fragte das Licht: ,was geht hier vor?‘ Das Licht antwortete: , ... dass der jeweilige Glaube die Art von Feedback bestimmt, die man von dem Licht bekommt. Wenn man buddhistisch, katholisch oder fundamentalistisch orientiert war, bekommt man seine eigenen Sachen zurückgespiegelt ...“94

In allen Nahtoderfahrungen ebenso wie in den von entsprechenden Medien durchgegebenen Berichten Verstorbener müssen wir also die Spreu vom Weizen, d.h. den objektiven Erlebnisinhalt von seiner Schale, seiner Benennung und sprachlichen Umkleidung, trennen. Dann können auch wir, d.h. die über solche Erfahrungen nicht Verfügenden, die faszinierenden Berichte unabhängig von Religion, Konfession und Weltanschauung unvoreingenommen auf uns wirken lassen. Man muss einfach davon absehen, dass die- oder derjenige vor seiner NTE oder seinem Erlebnis im Jenseits weltanschaulich oder kirchlich vorprogrammiert war. Da erinnert sich z.B. eine Frau: „Ich ging direkt in das wunderbarste goldene Licht ein. Wirklich wahre Liebe! Solch ein Friede, Geborgenheit, Ruhe … Mein wunderbares goldenes Licht war überall um mich herum, es durchdrang mich! … Heute noch spüre ich das Licht in mir und fühle mich davon umgeben“. Es sah aus „wie das hellste blau-weiße Licht, das man sich vorstellen kann, und das noch um das Zehntausendfache vervielfacht … ich wusste auch sofort, dass das nicht einfach nur ein Licht war, sondern dass es lebte! Es hatte einen Charakter und war eine Intelligenz jenseits allen Begreifens. Ich wusste, dieses Licht war ein Wesen …“ Aber leider belässt es die Zeugin dieses überirdischen Lichts nicht dabei, sie muss es in ihren Begriffsschatz einordnen. Deshalb fährt sie fort: „... und ich wusste, dass dieses Lichtwesen Gott war und kein Geschlecht hatte.“95

Wichtig aber ist doch nur jenseits aller Benennungen, dass durch die Erfahrung, durch das Erleben eines unvergleichlich strahlenden und zugleich wärmenden Lichts der Eindruck einer absoluten Liebe und Weisheit vermittelt wird, mit der man verschmelzen möchte.

Es empfiehlt sich, diese grandiose Liebe und Weisheit nicht »Gott« zu nennen, weil dieser Name mit allzu vielen, nicht nur positiven Assoziationen belastet ist, zudem von verschiedenen Religionen und Kirchen mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt und oft monopolistisch abgrenzend und abstoßend verwendet und missbraucht wird. Selbst die aus derselben Wurzel stammenden drei großen monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – stimmen ja im Bedeutungsgehalt ihres »Jahwe« bzw. »Allah« bzw. »christlichen Vatergottes« nicht in allem überein, haben auch die negativen und grausamen Aspekte ihrer jeweiligen Gottheit nicht völlig ausmerzen können.

Daher ist es im Rahmen der jetzigen Thematik zweifellos angemessener, statt mit dem Gottesbegriff lieber und genauer mit dem Seinsbegriff zu operieren. Schon eine nüchtern philosophische Betrachtung der Dinge durch unsere Vernunft zeigt uns ja: Wir alle – Menschen, Tiere, Pflanzen, Bäume, Steine usw. – sind Seiende, die am Sein, dem geheimnisvollen, wirklichsten und doch nur in den Seienden in Erscheinung tretenden Urquell und Urzentrum allen Lebens, allen Vorhandenseins teilhaben. Jedes Seiende hat teil am Wunder des Wirklichseins. Alles, was existiert, partizipiert am Wunder des Seins. Jedes Naturding, jedes Seiende hält sich im Sein, in der Wirklichkeit durch seine Kraft, die zugleich – tiefer gesehen – die hervorbringende Kraft des Seins selbst ist, die sich in jedem Seienden vereinzelt, ausdrückt, ausprägt. Sichtbar ist, wie gesagt, immer nur das Seiende, das Hervorgebrachte, aber es ist durch tausend Fäden mit dem geheimnisvoll-unsichtbaren Sein verbunden, es existiert nur durch die hervorbringende Kraft dieses Seins. Die Seinswertigkeit und Seinsmächtigkeit jedes einzelnen Seienden ist ein Teil der unendlichen Macht und Wertigkeit des Seinsgrundes als des hervorbringenden Prinzips.

Ganz genau stimmt mit dieser philosophischen Analyse überein, was uns Menschen mit Nahtod-Erfahrung und Verstorbene durch ihre Medien schildern: Sie spüren die Anwesenheit, die Nähe einer Wirklichkeit von unendlicher Macht, Energie, Kraft, die zugleich grenzenlose Liebe ausströmt. Von „der unendlich guten Macht, die alles in Liebe lenkt und leitet“, spricht der hier schon mehrfach zu Wort gekommene Psychiater Dr. Nowotny aus dem Jenseits, von einer überwältigenden Übermächtigkeit dieses Seins, das er mit den Worten „unendliche Allmacht“, „göttliche Allmacht“ umschreibt. Aber er sieht sie nicht »von Angesicht zu Angesicht«, gibt zu: „Wir hier wissen auch nicht, wie Gott aussieht“, weil es vom Sein, das in allem Seienden lebt und wirkt, gar kein Bild, gar keine Erscheinung geben kann. Nowotny täuscht sich, weil er vom Gottesbegriff ausgeht und daher glaubt, er werde einmal Gott zu sehen bekommen: „Wir haben noch nicht die Höhe erreicht und können noch nicht so hoch sehen, dass wir erkennen könnten, wo Gott wohnt und wie wir ihn uns vorstellen sollen“.96 Nowotny wird sich auch in alle Ewigkeit damit begnügen müssen, im Licht und in der Urkraft des Seins zu existieren, seiner Anwesenheit und intimsten Nähe sicher und gewiss zu sein, ohne seiner ansichtig zu werden. Er sieht zwar das strahlende helle Lichtwesen wie andere Jenseitige auch, und es wird ihm zum Inbegriff absoluter Weisheit, Macht und Liebe, aber die anthromorphe kindliche Vorstellung, Gott von (menschlicher) Person zu (göttlicher) Person zu begegnen, wird er schlussendlich fallen lassen müssen. Das Lichtwesen ist nicht Gott, sondern ein hohes Geistwesen, ein erhabener Engel oder dergleichen.

Viel näher kommt der Sache einer, der seine NTE folgendermaßen charakterisiert: „Diese Helligkeit war keine Person oder Raum. Es war die absolute Liebe, das, was man sich immer gewünscht hat, ein warmes Leuchten, wie ein liebevolles Warten auf mich … Alles in mir war nun darauf aus, in dieses Licht hineinzuschweben, sich darin aufzulösen … Dieses Hinstreben war so stark und so ein intensives Gefühl in mir, wie ich es in meinem Leben nie empfunden habe.“97

Man muss das Ganze, um das es sich hier dreht, eher mit impersonalen, fast möchte ich sagen: pantheistischen Begriffen umschreiben. Es handelt sich um eine höchst intensive Liebesenergie, die in ein Seiendes einströmt, um ein hochenergetisches Bewusstseinsfeld, von dem der Sterbende oder der Jenseitige umfasst und durchdrungen wird, um das Eintauchen in eine All-Liebe, in der sich alle Dissonanzen auflösen, um einen Energieaustausch zwischen Sein und Seiendem, ja eine Verschmelzung der beiden und damit um die zur Gewissheit gewordene Erkenntnis, dass man immer schon Teil des Ewigen war und immer bleiben wird. Auch die großen Mystiker aller Zeiten und Zonen kamen ja zu solchen Verschmelzungs- und Einheitserfahrungen mit dem universalen Sein!

Der bereits zitierte Dr. Yates, vor seinem Tod Methodistenprediger, bringt das Gemeinte durch sein Medium besonders treffend zum Ausdruck: „Ich wünschte, Ihr lerntet Gott recht begreifen, nicht als eine Person, wohl aber als das Leben im gesamten Weltall, und es würde Euch zur klaren Gewissheit, dass es ohne Gott kein Leben geben kann. Er ist das Göttliche in jedem Ding … Man soll in sich selber die Kraft Gottes entfalten … die Kraft der Liebe … Gott ist Alles in Allem. Jeder von uns ist ein Teil seines großen Werkes. Auch die Blumen … nicht minder als die Tiere … Wir stehen doch allenthalben mitten in Ihm drin“.98 (Hervorhebungen von mir).

Zwar benutzt auch Dr. Yates noch das traditionelle Wort Gott, aber seine ganzen Ausführungen sind eine anschauliche Illustration und Demonstration des in jedem Seienden anwesenden, lebenden und wirkenden All-Seins. Dass es nicht um den Namen Gott geht, obwohl ihn die meisten Verstorbenen und den Nahtod Erfahrenden weiterhin aus Tradition und Gewohnheit gebrauchen, sondern um das »Universale Sein«, zeigen auch die weiteren Aussagen dieser Menschen. Der verstorbene Dr. Adams erklärt durch sein Medium: Die Prediger im Diesseits sollten „das wahre Evangelium“ verkündigen, „nicht das Erlösertum, sondern den Ewigen, der das Leben ist in jedem von uns“.99 Eine verstorbene Frau Lackmund: „Der Duft einer schönen Blume ist Gott“.100 Eine Eskimo-Frau: „Wir Eskimos glauben an den Großen Geist der Liebe, Weisheit und Allwissenheit und betrachten uns als Teile dieses Großen Geistes … Der Medizinmann kennt die Geheimnisse des Weltalls, der Liebe, Erkenntnis, Weisheit und Wahrheit. In dem großen Geiste leben wir … Wir lieben den Geist der Liebe, den Geist der Wahrheit, mit einem Wort Den Großen Geist … Für uns ist das nicht bloß ein Glauben, sondern ein sicheres Wissen. Wir kennen die Wahrheit und wissen, dass wir ein Teil jenes Göttlichen Geistes sind, welcher in uns ist … Einige Missionare, die zu uns kommen, behaupten, Christus sei für unsere Sünden gestorben. – Liebe Freunde, wir haben keine Sünden, für die Christus hätte sterben müssen, denn Gott ist Liebe und Kraft; Er ist Weisheit, Allwissenheit und Wahrheit. Wir alle sind ein Teil dieses wunderbaren Wesens. Und wenn wir ein Teil dieses wunderbaren Geistes sind, wie können wir dann voller Sünden sein? Wir können gar nicht von ihm abfallen, eben weil wir ein Teil von ihm sind. In Ihm leben wir und sind Teile von Ihm. Wir könnten Ihm ja auch gar nicht ausweichen, denn Er ist ja überall. Er ist das ganze All, die ganze Liebe, das Leben in jedem einzelnen Ding … Stellt euch ein großes Licht vor, ich meine eine Kerze, die auf einem Leuchter steht. Um sie herum stehen kleinere Kerzen, aber sie sind alle aus demselben Stoff wie die große. Ihr nehmt nun die kleinen Kerzen und steckt sie an der großen an. Dann habt ihr den Lebensfunken … Ihr alle hier seid Teilchen jenes All-Lichtes und habt Eure Flamme von diesem einen großen Lichte.“101

Der in anderem Zusammenhang bereits zitierte Dr. Root: „Jeder Mensch ist ein Teil Gottes … Darum hat auch jeder menschliche Gedanke Schöpferkraft.“102

Sehr interessant ist, was zwei große Heilige der katholischen Kirche aus dem Jenseits durch ein Medium kundtun.103 Es handelt sich um Hildegard von Bingen und um Theresia von Avila. Ich zitiere im Folgenden das von ihnen medial Durchgegebene, weil diese beiden Frauen bis zum heutigen Tag als Säulen ihrer Kirche gelten, während sie doch aus dem Jenseits ihre entschiedene Distanzierung von Kirche und kirchenamtlichem Gottesbegriff offenbaren. So beklagt sich Hildegard von Bingen (1098-1179) vor ihrem Medium: „Ich, Hildegard, war eine Seherin, musste aber, da ich dem christlichen Glauben angehörte und eine Nonne, später Äbtissin war, den schmalen Pfad wandeln, den die Kirche uns befahl. Ich hasste ihn, durfte ihn aber nicht verlassen; er war der einzig mögliche Weg zum Herzen meiner Mitmenschen. Einen anderen gab es damals eben nicht. Es war bitter für uns alle (nein, ich war nicht die einzige, die so empfand), uns auf eine Weise fügen zu müssen, die dem diametral entgegenstand, was unsere Visionen verkündeten … ich war … gezwungen, die Wahrheit zu verheimlichen. Das war bitter, sehr, sehr bitter für mich und Gleichgesinnte"“ Es hätten zu ihr während ihres Erdenlebens „göttliche Wesenheiten“ gesprochen. Aber „ich schrieb diese Dinge nicht auf, aus Angst, man könne sie finden. Ich schrieb … Bücher – aber nur solche, die die Kirche, diese übelste von allen Unterdrückern der Wahrheit, duldete. Ich hasse sie heute noch. – Doch, auch wir hassen das, was dem Göttlichen entgegenhandelt, die Menschen zu Lügnern macht, sie verbrennt – Nein, ich darf an all das gar nicht denken … Ich darf das nicht tun, denn ich empfinde Hass, anstatt lediglich kühl etwas Schädliches zu verurteilen … Es gibt einen heiligen Zorn – aber meiner ist immer noch zu sehr eine persönliche Sache“. In meinen Schriften „versuchte ich mich hindurchzuwinden, so gut ich vermochte … ich habe an mich halten müssen und ständig bedenken, ob dieses oder jenes gestattet sei in den Augen der Kirche“. In meinem Weltbild damals „ist sogar sehr vieles falsch“, denn „ich war im Schatten. Ich hätte die Fähigkeit gehabt, ein umfassendes richtiges Weltbild zu geben … aber es war mir verwehrt … die Kirche hat mir Grenzen gesetzt, mich eingedämmt in einer Weise, die mich unglaublich behinderte innerlich – aber außerdem war ich im Schatten. Mein ganzes damaliges Leben war im Schatten. Da aber in der Tiefe meiner Seele wahres Wissen verborgen war, das nicht ans Licht sollte, mir aber eine starke Auffassungs- und Gestaltungsgabe gegeben war, äußerte sie sich in der Schilderung eines unrichtig gesehenen Universums. Einiges davon war noch richtig – aber außer seiner Größe hat jenes Weltbild nicht das Verdienst, ein naturgetreues zu sein … ein Jammer, denn mit einer näher an die Wahrheit herankommenden Darstellung … hätte ich es schon zu meiner Zeit vermocht, der Welt ein nahezu richtiges Bild des Weltalls zu geben. Doch gestattete dies weder mein Karma noch das der damaligen Epoche“. Die Arbeiten, die im Laufe der letzten 800 Jahre über sie geschrieben wurden, so Hildegard, „sind nur von geringem Wert: Professorenarbeiten, weiter nichts.“

Entgegen der amtskirchlichen Lehre, die seit dem Konzil von Konstantinopel (553) die Wiedergeburt ablehnt, betont dann Hildegard gegenüber ihrem Medium: „Ich bin eine uralte Seele, älter als du ahnst, und Hildegard von Bingen war eine geringe Inkarnation; beinahe eine Strafe. Es war mir nicht vergönnt, aus dem Born meiner Erleuchtung zu schöpfen in meinem letzten Leben, aber ich bin eine jener Seelen, die des Öfteren betraut war damit, eine führende Rolle zu spielen.“

„Gott, wenn du es so nennen willst“, sagt Hildegard zu ihrem Medium, ist die „Sphäre des reinen, makellosen Lichtes, zu stark für uns alle; des Lichtes, das gleichzeitig schrankenlose Liebe ist“; zugleich „Vollkommenheit, lückenloses und allumfassendes Wissen. Und mehr als das“.

Die andere große Heilige der katholischen Kirche erklärt zunächst ihrem Medium, dass sie mit dieser Kirche gar nichts zu tun haben wolle: „Ich, Teresa von Avila, auch bekannt als Teresa de Jesus, und als eine der großen Heiligen der katholischen Kirche angesehen, wünsche bekannt zu geben, dass ich mich schon lange von einer Religion losgesagt habe, die mir durch Umstände aufgezwungen war, über die ich keine Gewalt hatte. Schon während meines Erdenlebens war ich mir der ungeheuren Unstimmigkeiten bewusst geworden, die in völligem Widerspruch zu dem standen, was Jesus gelehrt hatte … Dogmen … schnüren den Geist und schüchtern den Suchenden ein … Hildegard und ich … litten während unseres Erdendaseins beide intensiv, weil eine autokratische Kirche uns selbstherrlich einen Glauben zudiktiert hatte, der in keiner Weise mit dem Inhalt unserer Visionen und Gesichte in Einklang zu bringen war … Hildegard und ich – beide waren wir Nonnen – fielen diesen autokratischen Zuständen umso mehr zum Opfer, als uns ein getreulich eingehaltenes Gehorsamkeitsgelübde ein Leben aufzwang, das in gar keiner Weise zu unseren Überzeugungen stimmte; es unterjochte dazu noch unseren Geist – heute würde man das Gehirnwäsche nennen. So vollkommen wurde unser Geist unterjocht, dass wir unser eigenes Wissen anzweifelten und uns die bittersten Selbstvorwürfe machten, die umso schrecklicher waren, als ein Konflikt zwischen tief innerer Gewissheit und aufgezwungenem Dogma unser Herz zerriss. Mit Hilfe der Demut … mit dieser von der Kirche zum Zweck einer gänzlichen Unterwerfung uns anerzogenen Demut wurde auch der letzte Rest an Unbefangenheit und freiem Denken in den Staub getreten. Man brachte uns dahin, unsere außersinnlichen Wahrnehmungen, die für uns viel wirklicher waren als unser trostloser Tagesablauf, als Teufelswerk anzusehen und mit obszönen Worten und Gesten unseren himmlischen Besuchern zu begegnen, die aus Sphären entsandt waren, welche schließlich – obwohl wir es zutiefst besser wussten – dem Himmel und der Hölle des Mittelalters in all ihrer naiven und grauenvollen Großartigkeit glichen. Man wollte uns weismachen, wir seien verloren und ewiger Verdammnis verfallen, wir befolgten dann genauestens, was unsere geistlichen Berater uns zu tun auftrugen, nämlich dumme und entwürdigende Handlungen, deren widerliche Einzelheiten wir uns selbst nach Jahrhunderten noch zu enthüllen scheuen.“

Es war vor allem Theresias Beichtvater, der sie in unwürdigster Weise behandelte: „Furchtbar war es, was mich mein Beichtvater zwang zu tun.“ Er habe alle ihre Visionen, in denen ihr auch Jesus erschien, für Einbildung gehalten.104 Deshalb habe er ihr befohlen, im Moment, wo Jesus ihr erscheine, die »Feige« zu machen, d.h. eine obszöne Geste, mit der sie Jesus bzw. die Einbildung von ihm vertreiben sollte. Theresia wörtlich dazu: „Die >Feige<, ja! Eine Herabwürdigung ohnegleichen, die da von mir verlangt wurde!“ Der Beichtvater sei „ein bornierter Mann, verblendet und ungut“ gewesen. Er sei „noch heute in der Hölle, leider. Diese Art von Engherzigkeit führt stracks in die Hölle – und Rechthaberei sorgt dafür, dass so ein Mann drinbleibt. Noch heute pocht er darauf, dass er recht gehandelt hat, obwohl ich mich ihm gezeigt habe und versucht habe, ihn eines Besseren zu belehren. Rechthaberei – wieviel Opfer sie fordert; es ist gar nicht zu glauben! Ja, sie sollte als die achte Todsünde gelten. So verbockt sind solche Männer manchmal, dass sie jahrhundertelang lieber leiden als ihre Fehler einzusehen.“

Im eben Gesagten scheint es so, als ob Theresia von Avila die Hölle, in der sich ihr zufolge ihr Beichtvater befindet, schon wieder im Sinne des kirchlichen Dogmas auffasst. Sie beeilt sich deshalb, dem sofort entgegenzutreten: „Hildegard und ich lernten auch das kennen, was man >Hölle< nennen mag, obwohl auch das nicht im Geringsten unseren Vorstellungen entsprach. Weder war >Hölle< ein Ort, noch sah man dort Peiniger – es war kalt, nicht heiß. Die Hölle war eiskalt, finster und stank – und sie bestand aus nichts als dem Geisteszustand ihrer Bewohner. Und nicht einmal das stimmt genau: die Bewohner der Hölle, die einen inneren Zustand nach außen hin darstellen, sind dieser Zustand selbst, der gleiche Stoff, dicht im Vergleich mit uns, in gewisser Weise durchorganisiert und – wie alles in diesem Universum – einem ihm innewohnenden Gesetz folgend … Die Herren der Hölle peinigen nur sehr indirekt, indem sie als Brennpunkte und führende Elemente schwarzer Kräfte dienen. Sie sehen zu, dass in ihrem Reiche alles auf Trab bleibt, denn die Befriedigung ihrer perversen Lüste verlangt einen gewissen Kraftaufwand. Selbst in der Hölle muss man arbeiten, nicht für den Lebensunterhalt, sondern um die allem normalen Empfinden spottenden Sehnsüchte jener Kreaturen zu stillen.“

Aber diese Hölle, so Theresia aus dem Jenseits, ist niemals und in keinem einzigen Fall ewig, obwohl doch genau dies die kirchenamtliche Dogmatik proklamiert: „Nichts“, so Theresia, „das einer tut oder zu tun unterlässt, verdient ewige Strafen oder ewige Seligkeit … Menschen können ungeachtet ihres Geburtsortes oder Glaubensbekenntnisses der ewigen Seligkeit teilhaftig werden, wie übrigens auch die ungetauft verstorbenen Kinder … ihr Willkommen im Himmel hängt nicht an ein paar Tropfen von heilig gesprochenem Wasser“.

Aber kommen wir nun endlich zum »Problem Gott«, wie es Hildegard von Bingen und Theresia von Avila in der jenseitigen Dimension sehen. Sie müssten ja schon tief in diese Problematik eingedrungen sein, da sie sich als bereits auf den höchsten Stufen jenseitiger Vervollkommnung und Erkenntnis befindlich bezeichnen. O-Ton Theresia: „Wir stehen nicht auf der gleichen Stufe: Hildegard ist auf der 7. der VI., ich wäre auf der l. der VII., wenn es das gäbe. Aber von der VII. ab rechnen wir nicht mehr Stufen, da von der VII. ab eine Auflösung der eigentlichen Persönlichkeit beginnt.“ Theresia druckst hier gegenüber ihrem Medium ein wenig herum, aber ihre Aussage geht in die Richtung, dass auf oder nach der VII. Stufe die menschliche Seele im Universal-Sein, im unendlichen Seinsgrund total aufgeht.

Dieses Sein ist nach Theresia und Hildegard auch kein Schöpfer im Sinne der kirchlichen Dogmatik: „Beginnen wir“, so erstere, „mit dem anfangslosen Beginn. Die Vorstellung von einer Schöpfung, wie die Bibel sie schildert, ist nämlich das Erzeugnis einer beschränkten Denkart, die nicht fähig ist, das zu begreifen, was nur eine unbegrenzte Denkart begreift“. Sie, Hildegard und Theresia, hätten dagegen „ein uneingeschränktes Erfassen und eine im wahren Sinne des Wortes unbegrenzte Übersicht und Bewusstwerdung eines Alls“ gewonnen, „das in seinem ureigenen Licht erstrahlt.“ Was sie damit sagen wollen, ist offenbar: Das All selbst ist Gott. Die ganze Wirklichkeit, alles, was ist, ist vom Seinsgrund durchdrungen und durchstrahlt, ihm zugehörig, auch wenn die Erscheinungsweisen dieser Gesamtwirklichkeit (im buddhistisch-hinduistischen Sinn: die Maya) so ungöttlich, ja oft so grausam sind.

Dieses ewige Sein, von dem man nach Hildegard und Theresia genauer und lieber als von Gott sprechen sollte, ist aber kein statisches. Vielmehr „setzt sich das Sein jeweils erneut in Gang. Wir wissen nur, dass sich ein unveräußerlicher Rhythmus, eine allen Dingen innewohnende Ordnung manifestiert, ihr eigener Herr, Meister-Mechaniker, Schöpfer – falls etwas Anfangsloses als Schöpfung bezeichnet werden kann. Und ebenso unveräußerlich sind andere Eigenschaften: Gerechtigkeit und Vollkommenheit.“ „Wir“, Hildegard und Theresia, „sahen auf einmal die Vergangenheit bis dorthin zurückgehen, wo unsere Erde nichts war als ein bloßer Gedanke, dem allmählich Eigenschaften zuwuchsen, aus denen dann Materie entstand und wir begriffen: eines Tages wird diese Materie zerfallen und in anderen Gegenden unseres Universums werden neue Verdichtungen entstehen. Es war ein Weltall, das zu atmen, sich zu wandeln und sich schließlich aufzulösen schien, dessen Auflösung aber die Gewissheit einer Wiedergeburt in sich schloss – allerdings erst nach so endlos langen Zeitläufen, dass keinerlei Vergleich ihre Dauer auch nur anzudeuten vermöchte.“ Fast ist man, wenn man die beiden hl. Frauen so reden hört, an Nietzsches Idee der ewigen Wiederkehr erinnert. Tatsächlich sprechen die beiden Heiligen in aller Form auch vom „Reich der freudigen Immerwiederkehr“.

Der Betrachtung der Diesseitigen erscheint das All fremd, ja feindselig, ein sinnloses Tohuwabohu entstehender und vergehender Sterne und ganzer Sternsysteme. Dieser Eindruck täuscht, der tiefste, aber auf alles ausstrahlende Kern des Universums ist Liebe. O-Ton Theresia: „Es gibt eine Eigenschaft … die dem Wesen des Universums … unabdingbar [ist], etwas Unaussprechliches und doch mit dem abgegriffensten aller Namen ausgestattet: die Liebe. Was die meisten darunter verstehen, ist dem, was wir beschreiben möchten, kaum oder überhaupt nicht ähnlich. Die erste Erschütterung nämlich ist Erstaunen, dass dir so Köstliches und Lebenspendendes, etwas so jedes Bedürfnis Übersteigendes gewährt werden könnte. Liebe ist ewig neu. Jedes Gran Liebe ist ein neues Erlebnis, ständig wachsend, beschenkend, sich nie wiederholend, stetig sich steigernd, welches dich mit so viel Licht umfließt, dass es dich dein Ich vergessen macht, dessen Grenzen es auslöscht und dich in der Liebe eigenste Süße verwandelt, die in dir zunimmt, ein sanftes ständiges Übermaß.“

Den Diesseitigen, ge- und befangen in ihrer kleinen irdischen Welt, erscheine ein solches Universum, das noch dazu von unendlicher Liebe durchstrahlt sein soll, völlig abwegig. Aber das sei nur unsere enge terrestrische Perspektive: „Eure Welt steckt noch in ihren Anfängen. Sie ist primitiv, gebärdet sich ungeschlacht, sie ist unreif und lernfaul. Ihr habt also einen sehr langen Weg vor euch. Eure technischen Leistungen waren in – heute dem Gedächtnis der Menschheit wieder entfallenen – Epochen bereits überholt. Ihr seid lediglich im Begriff, sie zurückzugewinnen und seid unmäßig stolz auf sie. Wir hier erinnern uns ungleich fortgeschrittenerer Zivilisationen, fortgeschrittener besonders im Hinblick auf die Wissenschaft vom höchsten Wissen … In eurem gegenwärtigen Stadium (wir nannten es >primitiv<) könnt und sollt ihr Verbesserungen erwarten … Deshalb seid ihr ja auch, wo ihr seid, sozusagen in der Schule, womöglich sogar in der Reformschule“. (Man ist hier erinnert an Goethes Aussage, die Erde sei eine „Pflanzschule des Geistes“). Jedenfalls, so Theresia weiter: „Wo ihr jetzt seid, das ist nicht eure wahre Heimat. Ihr habt eine bestimmte Sendung, die ihr erfüllt oder verfehlt. Das liegt ganz an euch. Begreift bitte das Wesen eurer Heimat, in die ihr immer wieder zurückkehrt: sie ist nicht Ort, sondern Zustand.“ Die Probleme eurer Welt sind „Kindergarten-Probleme, ernst zu nehmen freilich, weil ihr ja in diesem Kindergarten lebt – immerhin aber nur Kindergarten-Probleme“. Befreit euch „von den Theorien und Dogmen, die euch von allen Seiten einengen; von der Froschperspektive eurer Anschauungen; von der Hörigkeit alles Verlangens, das euch nur tiefer in das verstrickt, was euch die Sicht ohnehin schon verstellt. Doch rufen wir nur die ganz wenigen dazu bereiten Menschen zur Askese auf – aber wie viele sind das schon? Was wir euch aber mitgeben möchten, ist ein gleichsam vorweggenommener Blick auf eine sehr große Wirklichkeit, eine größere, als sich die meisten von euch träumen lassen“.

Der Blick auf diese größere, das ganze All umfassende wahre Wirklichkeit wird auch von falschen Theorien und Dogmen verstellt, wie wir hörten. Zu diesen falschen Dogmen gehört nach den beiden Frauen die kirchliche Sicht Jesu. Auch sie selbst seien ja in dieser Sicht eingesperrt gewesen. Deshalb seien sie so erstaunt gewesen, dass nach dem Tod „alles anders war, als wir es erwartet hatten. In welch einer seltsamen Welt befanden wir uns eigentlich und weshalb empfing uns Jesus nicht? Wer war das strahlende Wesen, das uns beide bei unserer Heimkehr willkommen hieß? Warum glich es von Angesicht nicht ihm, den wir zu sehen gehofft hatten? All dies war sehr verwirrend, wenn auch nicht wirklich beunruhigend. Es war eher erstaunlich als erschreckend, und wir, der Bande noch nicht ledig, in denen unser Gemüt so lange gefangen gelegen hatte, ließen uns treiben, immer in der Hoffnung, den versprochenen Himmel noch zu finden. Zunächst einmal gab es keine Engel, nur herrliche flügellose Wesen, die von innen her leuchteten. Und wir begriffen sehr bald, dass uns keinerlei Gericht bevorstand. Wir waren bereits gerichtet und befanden uns in Sphären von unbeschreiblicher Schönheit. Da gab es Wesenheiten … die nicht unserem Glauben angehörten, der unseres Wissens doch der alleinseligmachende war. Sie waren offensichtlich keine Christen, strahlten aber dennoch etwas aus, das viel tröstlicher war, als was von jenen ausging, die sich noch immer und mit Mühe einer überwältigenden neuen Realität anpassen mussten“.

Überhaupt „entspricht der Christus, den sich das Christentum angeeignet hat, keinerlei Realität, eine Heilige Dreifaltigkeit z.B. gibt es nicht; das ist eine der vielen Erfindungen des Christentums“. Zwar gebe es ein „höchstes Individuum“, das aus dem universalen Zentralsein emaniert sei, dieses Individuum könne man natürlich auch Jesus, Krishna oder sonst wie nennen, aber in Wirklichkeit „gehört es keiner Religion ausschließlich an“. Was den historischen Jesus betreffe, so ist nach Theresia von Avila „die Substanz seiner Lehren schon so entstellt, dass sie in den Händen einer Clique zu einem starken Druckmittel geworden ist, womit man die Wenigen, die tapfer genug waren, selbstständig zu denken, und zugleich die Vielen, die zu ihrer Verteidigung weder Witz noch Waffen besaßen, erfolgreich terrorisierte.“

Auch der Gott, den die Kirche verkünde, ist tot. Der „tote Gott“ der Kirche habe „sich in eine Dreifaltigkeit verwandelt und eine Welt beherrscht, der alles abging, was man im Namen von Barmherzigkeit, Logik und gesundem Menschenverstand hätte erwarten dürfen“. Die Kirche verkünde eine Lehre, „die Mensch und Universum zu einer Art Episode reduziert hatte, die zwar plötzlich beginnt, sich dann aber in alle Ewigkeit fortsetzen sollte“. Einem „reiferen Denken“ ist der „Gedanke eines plötzlichen Beginns recht fremd“.

Soweit die Botschaften der beiden Heiligen aus dem Jenseits.105 Sie bestätigen im Großen und Ganzen die Grundaussagen dieses Kapitels und die Verfehltheit aller Gottesbilder.

Kann dieses Gottes- und Weltbild, wie es sich hier aufgrund der Aussagen Jenseitiger oder von Menschen mit Nah-Tod-Erfahrung herauskristallisiert hat, vor dem Forum kritisch-philosophischer Vernunft Bestand haben? Ich versuche im Folgenden anzuskizzieren, was den Kriterien dieser Vernunft zumindest nicht zuwiderläuft:

Am Anfang war nicht Gott, am Anfang war auch nicht das Wort (wie es das Johannesevangelium behauptet), am Anfang war aber auch nicht das Nichts. Vielmehr war am Anfang, genauer: seit Ewigkeit das anfangslose Sein, ein unentfaltetes, unentwíckeltes Etwas, das aber potentiell alles enthielt, was entstehen und werden sollte: Geist und Materie, Intelligenz und Schönheit, Güte und Würde, jedoch auch alle Möglichkeiten zum Bösen, zu Hochmut und Aggression, Rivalität und brutalem Existenzkampf, zu Zerstörungswut und Vernichtungssucht. Mit der Zeit schälten sich aus dieser »Ursuppe« aller verwirklichbaren Möglichkeiten Götter, Geister und Dämonen heraus, schließlich auch biologische, materiebehaftete Lebewesen, die auf unserem Planeten eine Evolution, einen mutations-selektions-bedingten Aufstieg zu immer höheren Daseinsformen, bis schließlich zum Menschen durchmachten.

Nur ein solches universal-evolutionäres Weltbild, wie ich es hier andeutungsweise umrissen habe, kann das Übel im Universum erklären: die Tatsache, dass neben Perfektem, das in wunderbarer Vielfalt in ihm ausgebreitet ist, auch Imperfektes, Wertwidriges und Sinnloses zur Realisierung gelangte; dass es das evolutionäre Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens, den überaus grausamen Daseinskampf aller gegen alle gibt als Gegenstück zu all den herrlichen positiven Phänomenen in Pflanzen- und Tierwelt, wie es die kommunikativen. sympathetischen, symbiotischen, ästhetischen Einrichtungen und Erscheinungen bilden.“106

Ein von vornherein allmächtiger, allwissender, allgütiger Gott vermag das Problem des Übels in der Welt, des unendlich grausamen Leidens seiner Geschöpfe nicht zu lösen. Er ist entweder allmächtig, dann ist er grausam, wenn er dieses Leid bewirkt oder zulässt (wobei solches Zulassen angesichts seiner Allmacht und universalen Erstursächlichkeit auch eine Art von Bewirken wäre); oder er ist allgütig, dann ist er nicht allmächtig, weil er in und trotz seiner Güte nicht die Macht hat, das Übel zu verhindern. An diesem Theodizee-Problem, dem Problem der Unvereinbarkeit von Gottes Allmacht mit dem Übel in der Welt, scheitern alle monotheistischen Gottesbilder. Einen allmächtigen Gott als anfangslosen Anfang allen Weltgeschehens kann es schon deshalb nicht geben, weil auch er sich nicht aus dem Nichts ins Dasein katapultieren könnte, somit sich also quasi zufällig vorfände, seinen eigenen Ursprung nicht im Griff hätte. 107

In gewisser Weise „allmächtig“ ist nur der alle Potenzen des Weiteren Welt-Verlaufs enthaltende »Urnebel«, jenes anfangslose Seinspotential, das in langsam-allmählicher Fortentwicklung alles individuelle Seiende aus sich emanierte und eben auch unsere Unsterblichkeit ermöglicht, weil sie von vornherein in diesem Ursein angelegt ist und wir ein Teil von ihm sind.

Jenseits der Todesschwelle

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