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uf meinen außergewöhnlich vielen Reisen zu Wasser und zu Land bin ich mit Menschen bekannt geworden, über deren Leben sich Romane schreiben ließen, und manche haben durch ihre Schicksale oder Charaktere unauslöschliche Eindrücke in mir hinterlassen.

Über allen andern steht aber ein Menschenbild vor meiner Erinnerung — außerordentlich, rätselhaft — gleich einer wolkenstreifenden Kathedrale inmitten niederer, von Alltagsleuten bewohnter Strohhütten.

Oft, wenn ich jetzt in stillen, betrachtenden Stunden an jenen seltsamen Mann im groben, geflickten Arbeitskittel denke, wenn ich mir seine Gestalt, seine Worte, Blicke, Bewegungen so recht lebhaft wieder ins Gedächtnis zurückrufe, da überkommt mich der Wahn, als schwebe sein Wesen in der Luft; ich atme es ein; ich fühle es um meine Stirne fächeln; ich höre des längst Verstorbenen Stimme mahnend und prophetisch in meine Ohren tönen; ich schauere unter dem Seherblick seiner Augen, die unwiderstehlich aus den Grund der Seele tauchen, alle Regungen darin lesend wie ein aufgeschlagenes Buch.

Und mehr noch sehe ich: hinter diesem Menschen erblicke ich die Menschheit. Myriadenköpfig starrt sie über seine Schultern weg und mir ins Gesicht. Myriadenstimmig spricht sie die Worte nach, die er gesprochen; klagt und tröstet sich wie er; lacht und weint, irrt, sucht, fällt und rafft sich wieder auf, hofft, glaubt, sehnt. Sein Gedankenschatz ist die Philosophie der Menschheit von ihrem ersten Heraustreten aus dem Dschungelsumpf „Barbarei“ ins Ackerland der Zivilisation; vom ersten, ängstlichen Tasten am Rätselhaften bis zum kühnen Griff, der den Schleier reißt vom dichtverhüllten Bilde „Wahrheit“; vom naiven Kindesträumen (jenem Blumengärtchen hinterm Elternhaus) zum Denken (der selbstgewählten Straße in die Fremde), zum Zweifeln (dem Irren und Verirren in der Fremde), zum Atheismus, Pessimismus (diesem Absturz in die bodenlose Tiefe), zur lichten, bejahenden Erkenntnis (diesem Gipfelsteigen der glücklichsten, beneidenswertesten aller Pilger). Und immer und immer höre ich dann des Toten Mahnen, seine ostgesprochenen Worte: „Freund! Bruder! Verlass dieses Erdenleben nicht mit unserm Geheimnis belastet. Trag es in jedes Menschen Herz, das du erreichen kannst. Die Not ist groß; Zweifel und Verzweiflung schreiten seelenwürgend durch die Welt, und der Menschheit Ideale siechen hin. Ja, trag sie weiter, die Religion der lichten, bejahenden Weltanschauung — Millionen dürften danach.“

Wie manche Stunde hat er so zu mir geredet; wie manche halbe, ganze Nacht am Wachfeuer im Urwald, ringsherum die starren, schneebehangenen Felsen der Wildnis, und über uns des stillen Raumes stille Sterne.

Hin und wieder richtete er sich auf und warf frisches Holz in die prasselnden Flammen, und Funkengarben brennender Fichtennadeln sprühten aus der Lohe. Hin und wieder schritt er — eine imposante Gestalt — in die Finsternis hinaus, oder umkreiste, die Hände auf dem Rücken und die Augen himmelwärts, das Lagerfeuer. Dann schien es mir, als bildeten die Sterne dort oben, die feuerspritzenden Fichtennadeln, die Reflexe des gefrorenen Schnees am zackigen Klippengehänge einen Glorienschein um seinen Scheitel.

Jahre sind seither verstrichen; stürmische Jahre für mich, stille, unsäglich stille für ihn, denn mein teurer, teurer Freund und Lehrer liegt tot, begraben, vermodert im fernen Land; und nichts ist geblieben von ihm als die süßschmerzliche Erinnerung an sein Bild und seine mahnenden Worte.

Als ich das letztemal den Grabhügel besuchte — es war eine Maiennacht mit allen Zaubern des auferstehenden Lebens; der Vollmond schüttete sein bläulich Feuer regengleich durch schwarze Tannenriesen auf den Rasen; Sterne schauten aus jeder Öffnung der überhängenden Zweige in die Finsternis herab; der Nachtwind rüttelte die schlummernde Wildnis aus dem Träumen, und der Urwald begann zu rauschen wie ein Geisterchor; der dicht vorüberflutende Bach murmelte, nach langem Winterschlaf, wieder sein melodisch Lied; Harz- und Blütendüfte, des Waldes bittersüße Grüße, hauchten himmelwärts — — als ich damals kniete vor dem frischen, noch mit keiner Gabe der allesbeschenkenden Natur geschmückten Grab, und laut weinend wie ein Kind Abschied nahm von der heiligen Stätte, Abschied nahm auf Nimmer Wiederkehr von dem Tal, dem Wald, der Wildnis, die mir trotz ihrer Schrecken, Leiden und Entbehrungen liebgeworden, da gelobte ich dem Toten: der Welt sein Wesen und sein Denken zu schildern, sozusagen sein Apostel zu werden, wenn ich auch nicht auf alle Worte dieses Meisters schwöre.

Er sagt gewiss nicht das letzte Wort — wer wird das je sagen? — er hat gewähnt und geirrt wie wir alle; aber ich glaube, er hat neues Licht gesehn.

Und er war ein verwunderlich großer Mensch.

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Bob, der Sonderling

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