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Montag.

ange vor Tagesgrauen trommelte der Koch drunten im Speisesaal auf dem leeren Blecheimer das Signal zum Aufstehen.

Zwei Dutzend Männer, gleichzeitig aufstehen, nach ihren Kleidern und Stiefeln suchen, sich ankleiden, und das in dem sehr beschränkten, nur von einer rauchenden Laterne beleuchteten Raum, das war ein vielverheißender Anfang von dem Wirrwarr, der noch warten mag.

Nach dem Ankleiden — etliche taten es sogar im Speiseraum, indem sie ihre Sachen am Arm die Leiter hinuntertrugen — ging’s hinaus ins harzduftende Freie. Einen Steinwurf vom Blockhaus entfernt fließt der Bergbach in tiefausgewaschener Schlucht. Bei Regenwetter füllt er sein enges Bett vollständig aus; heute jedoch mussten wir hinabsteigen zu ihm. Wir wuschen uns Gesicht und Hände mit dem schneekalten Nass, und da Handtücher unnötige Luxusartikel sind im Lagerleben, so überließen die rauen Gesellen das Abtrocknen ihrer Haut dem Gutdünken der frischen Morgenluft.

Nach dem Bad ging’s zum Frühstück. Schwarzer Kaffee, weißes, frischgebackenes Brot, Sirup und Schweinefleisch bildeten das Mahl.

Nach dem Frühstück ging’s zur Arbeit. Jedermann hatte drei oder vier Fleischstullen in den Taschen, nebst einer hermetisch verschlossenen Flasche voll Kaffee, was zusammen den Mittagschmaus bedeuten soll. Im Gänsemarsch schritten wir auf zwei querliegenden Baumstämmen über den Bach, dann sofort bergan. Der Sektionsmeister, der vom Willey House, wo er herbergte, heraufgeritten kam, führte (natürlich sein Maultier in der Shanty zurücklassend) die Spitze des Zuges. Steiler und steiler wurde die Bahn. Vom Steigen ging es über zum Klettern, dann zum waghalsigen Klimmen, Rutschen, Kriechen, einer den andern ziehend, hebend.

Mehrere der Leute trugen neues oder Reservematerial (Hämmer, Stahlbohrer, Keile), das sie mit Stricken über ihre Schultern gebunden hatten. Das Anschlagen des Stahls an die Felsen, das Ausrutschen genagelter Stiefelsohlen, das schwere Atmen der Steigenden war das einzige Geräusch: gesprochen wurde nicht.

Noch immer war es ungenügend hell, um deutlich sehen zu können. Im Zwielicht der Tagesdämmerung — der graublaue Himmel als Öffnung über unsern Häuptern; die fürchterliche, tintenschwarze Granitwand der Notch, an der wir hingen wie krabbelnde Käfer; die Tiefe unter uns, phantastisch zerrissen von Fichtenspitzen, Felsenriffen und Schluchten; der herbe, beängstigend fremde Odem des schlafenden Urwalds — — welch ein Siegfried ist der moderne Mensch, dachte ich, diesem dräuenden, gähnenden, felsenschuppigen Ungeheuer dort oben ein Loch zu bohren durch den Bauch!

Oben angelangt, begann die Verteilung der frischen Leute; je drei oder vier der alten bekamen einen „grünen“. Da die Verteilung übrigens schon während des Regentages, in der Shanty unten, in ganz freiheitlicher Weise zwischen den Mannschaften selbst abgemacht worden war, so ließ der Aufseher es gut sein. Dass ich mich dem blonden Jüngling von Cornwall beigesellte, ist wohl selbstverständlich. Allerdings bekam ich dann auch den Trunkenbold, den Jonny, zum Nebenarbeiter. Ein halbes Dutzend (darunter mein Freund, der Yankee) verließen uns mit Werkzeug beladen, um weiter nördlich neue Sprengungen zu machen. Drei Männer (darunter der Schwede) wurden mit Äxten fortgeschickt, um Holz zu fällen für eine später zu erbauende provisorische Brücke über den südlich gelegenen Abgrund. Ein Mann musste mit stumpfen Bohrern an der Halde hinuntersteigen zur Schmiede, wo die Instrumente geschärft und gehärtet werden. Etliche wurden nach einer benachbarten kleinen Höhle beordert, um Pulverkannen, Sand, Zündschnüre und anderes herbeizuschaffen. So blieben schließlich nur ein Dutzend Männer auf dem Platze, die sich wieder in Abteilungen zu je drei auflösten. Nicht sehr eilig schritten wir nun an die Arbeit. Da während der vergangenen Wochen schon tüchtig geschafft worden war, so wussten die Abteilungen ganz genau, wie und was zu tun. Die Felswand stieg unter einem Winkel von fünfundsiebzig Grad aus der Tiefe; die Steilheit nahm jedoch, je weiter nördlich, zu und erreichte bei der eigentlichen Notch ihren Kulminationspunkt im Senkrechten. Die Sprengungen mussten demnach die Form eines Viertel- bis halben Tunnels bilden, und mussten etagenförmig, treppenartig ausgeführt werden. Die oberste Etage war die schmalste, dafür aber die bei weitem gefährlichste für die Arbeiter. Die Hammerschwinger hatten dabei tatsächlich Not, auf irgendeinem Klippenvorsprung Platz für ihre Stiefel zu finden. Die zweite und die dritte Etage waren weniger gefährlich, aber wegen der größeren Breite mit zahlreicheren Bohrlöchern zu bedecken. Die Löcher wurden je nach dem Erfolg der vorhergegangenen Sprengung tief oder weniger tief, senkrecht oder schräg geschlagen. Hässliche Risse im Gestein zerstörten oft die einzuhaltenden Regeln. Zu meiner und gewiss aller Freude war die erste und zweite Etage so weit vorgearbeitet, dass wir wenigstens heute (am blauen Montag) eine Plattform zum Draufstehen hatten.

Das Löcher schlagen ist eigentlich keine sehr schwere Arbeit, wenn der Aufseher nachsichtig mit den Leuten ist, und das war unser alter Mister Elliot. Stundenlang saß er irgendwo auf seinem Strohpolster — sogar mit dem Rücken gegen uns — oder spazierte hin und her. Erst wenn die Löcher eine gewisse Tiefe bekommen hatten und das Laden begann, wurde Mister Elliot energischer und voll Tatkraft; auch war der gewissenhafte Mann immer der letzte, der nach dem Anzünden der Zündschnüre (was bei sämtlichen Minen gleichzeitig geschah) sich in Sicherheit brachte.

Ein unbeschreiblich großartiges Schauspiel erfolgte auf das Explodieren der Minen. Felsblöcke, Groß und Klein, flogen hoch im Bogen hinaus und dann, mit Kondormajestät, hinab in die Tiefe, Tannen spaltend, Rauch und Feuer schlagend aus dem unten liegenden Gestein. Langanhaltendes Echo grollte ringsherum aus den Bergen.

Zu meiner Beschämung erkannte ich, dass Jonny ein mir ebenbürtiger Arbeiter war. Als ich damals in der Shanty äußerte: „Wie kann die Bahngesellschaft dieses Wrack von einem Menschen beschäftigen?“ da erwiderte mir der Blonde: „Jonny tut alles erschöpfend, nichts halb! Säuft er, dann geschieht es bis zur Bewusstlosigkeit. Spielt er Karten, dann spielt er, bis die Bank verkracht oder (leider immer) er. Schläft er, dann können ihn Kanonenschüsse nicht eher merken, als bis seine Zeit des Erwachens kommt. Ißt er, dann frisst er. Flickt er Hosen, so muss auch die kleinste schadhafte Stelle vernäht werden. Bei der Arbeit aber, da sollst du mir einen fleißigeren, waghalsigeren Menschen suchen! Denke dir: mit solcher Nase über dem Pulverfass ladet der Alte die Sprenglöcher!“

„Und steckt mit der Nase die Zündschnur in Brand!“ spottete ich damals.

Jonny saß auf einem Strohbündel und hielt die Bohrstange; der Blonde und ich schlugen drauf mit ziemlich gewichtigen Hämmern. Ein monotones Geschäft war’s

— kling! klang! kling! klang! — Wir konnten während des Hammerschwingens gemütlich schwatzen und wir taten’s auch. Der Mann von Cornwall erzählte mir und ich ihm allerlei Erlebnisse, Anekdoten und Späße.

Jonny redete nie ein Wort; ein Beweis, dass es wahr ist: wenn der Alte arbeitet, dann arbeitet er. Sprechen gehört nicht zur Arbeit.

Jetzt kam der Irländer zum zweiten Mal mit einer Ladung geschärfter Bohrer von der Schmiede zurück. Die drei Holzhacker kamen ebenfalls und brachten je ein Bündel trockenes Reisig. Mister Elliot zog seine Uhr aus der Tasche, dann ein niedliches Pfeifchen, und ließ einen langgedehnten, schrillen Pfiff erschallen als Signal, dass es Mittag sei. Sofort ließen wir das Handwerkszeug fallen und rannten nach unseren Röcken, in deren Taschen die Stullen nebst Kaffeeflaschen aufbewahrt waren. Die Flaschen stellten wir um das flackernde, aus dem Reisig gebildete Feuer. Etliche der Arbeiter steckten das kalte Fleisch ihrer Stullen an Stäbe und rösteten es über den Flammen.

Die nordwärts beschäftigten Leute kamen nun ebenfalls, durch den Pfiff herbeigerufen, und beteiligten sich am „Picknick“. Kameradschaftlich — sogar Mister Elliot lagerte sich mitten unter uns — verspeisten wir das Mittagsmahl.

Plötzlich parlamentierte der Yankee, der zur abkommandierten Gruppe gehörte, mit dem Aufseher: er wollte nicht weiter arbeiten. Anderthalb Dollar den Tag, meinte er, das sei keine Verlockung, das Leben auf der Messerschneide balancieren zu lassen, und keine Entschädigung für einen Abgestürzten, der am jüngsten Tag seine Knochen im ganzen Sacotal zusammensuchen müsse, um sich in Reih und Glied stellen zu können.

Der Blonde, der neben mir saß, flüsterte mir zu, ja nicht aufzuschauen, oder gar dem Mister Elliot in die Augen; sonst möchte er mich wählen, des Amerikaners Platz zu füllen, und die Arbeit sei verdammt gefährlich dort drüben.

Glücklicherweise gelang es dem Aufseher, den „Kicker“ zu überreden, dass er an seinem Platze blieb.

Der Nachmittag verging mit gleichen eintönigen Hammerschlägen — kling! klang! — und mit gleichen Donnern der explodierenden Felsen. Ein prachtvolles Glühen der untergehenden Sonne leuchtete uns abends zum Abstieg in die Shanty.

Mein erster Arbeitstag in den White Mountains war vollbracht.

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Dienstag — bis Samstag.

Jeder Tag gleich dem vorhergegangenen. Selten eine nennenswerte Abwechslung. Am Mittwoch nur hatten wir einen Zwischenfall; wir bauten die provisorische Brücke. Sämtliche Arbeiter marschierten, zwei starke Taue mit sich führend, nach der Schlucht; es war jene, die ich in meinem Sonntagsbericht erwähnte. Oben, wo der Steg gelegt werden sollte, pflanzten wir uns je zehn an jeder Seite auf. Dann zogen wir einen Fichtenstamm, den zwei Männer unten an die Taue gebunden hatten, langsam in die Höhe und legten ihn quer über die Spalte. Der zweite Stamm folgte, jedoch so, dass seine Spitze an das dicke Ende des ersten Balkens kam. Der dritte Stamm wurde wie der erste gelegt; der vierte wie der zweite; der fünfte gleich dem ersten und dritten. Dann wurden Tannenreiser über die Stämme gebreitet, zugedeckt mit einer dünnen Schicht Erde, und die Brücke war fertig.

Am Donnerstag begann ein Trupp Arbeiter von der benachbarten, neu errichteten Shanty Erde zu graben und Felsen zu sprengen neben der Brücke.

Am Freitag hatten wir abermals einen Zwischenfall. Eigentlich hatte ihn nur einer: der Schwede, der mit mir hergereist kam, stürzte beim Nachhause gehen und verletzte sich schwer am Hüftknochen. Der arme Kerl wird etliche Wochen stöhnen müssen, eh’ er wieder schaffen gehen kann, wenn er’s überhaupt je wieder kann.

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Bob, der Sonderling

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