Читать книгу Bob, der Sonderling - Hugo Bertsch - Страница 5

II

Оглавление

u den mannigfaltigen Handwerkszeugen, mit denen ich mir auf meinen Wanderungen das tägliche Brot verdienen musste, gehören auch die Picke und Schaufel. Als Bergmann arbeitete ich in Missouri; am Kanalbau in Kanada; am Eisenbahnbau in Texas, Arkansas, Illinois und den White Mountains.

Der letztere Ort ist der Schauplatz meiner Erzählung.

In Neuyork wurde ich — mit noch etwa fünfzig Mann aller Nationalitäten und Farben — angeworben, auf einem Frachtdampfer nach Portland transportiert und von dort in die White Mountains. Die White Mountains liegen im Herzen der Neu-England-Staaten, halbwegs zwischen dem Meer und der kanadischen Grenze.

White Mountains heißt auf Deutsch: Weiße Berge. Sieben, acht Monate lang — auf den Berggipfeln schier das ganze Jahr — liegt die weiße, kristallene Schneehülle; und wenn drüben in Vermont und drunten in Massachusetts die Frühlingsblumen blühen, die Felder und Wälder sich in Grün kleiden, ist droben in den White Mountains noch alles leichentuchartig; das rechtfertigt wohl die Bezeichnung: Weiße Berge.

Die Yankees geben dem Gebirge auch noch den schmeichelhaften Namen: amerikanische Schweiz; wie sie den Hudsonfluss den amerikanischen Rhein tauften, obwohl weder der Hudson noch die Weißen Berge einen vollen Vergleich mit ihren europäischen Namens-Vettern aushalten können. Immerhin sind die White Mountains ein grimmiges, felsengepanzertes, abgrunddurchfurchtes Gebirg, noch ausgezeichnet durch urwüchsige Wildromantik, schier völlige Unbewohntheit und arktische Winter.

Wie der Rhein den Deutschen, so ist dieses Gebirge den Yankees im Lauf der Zeiten ein nationales Kleinod geworden. Jeder größere Berggipfel trägt heute den Namen eines ihrer Staatsmänner oder ihrer patriotischen Helden. Da ragt der Mount Washington, über sechstausend Fuß hoch, in die Wolken hinauf; daneben steht der Munroe, der Jefferson, Jackson, Adams, Madison, Franklin, Webster, Clinton, Clay, Lafayette.

Zahlreiche Sagen und Mythen umweben die Berge und Täler mit einem feenhaften Schleier und legen sie noch inniger an die Menschenbrust. Schon der Name „Agiocahook“ (Wohnstätte des großen Waldgeistes), den die Indianer ihrer Zeit dem Gebirge gaben, schauert den Touristen an wie Märchenluft.

Vom Winnipiscugee im Süden bis hinauf zum „See in den Wolken“, an jedem Pass und Wasserlauf, an jeder Pfadkrümmung klebt irgendeine Geschichte aus längst verschwundenen Tagen.

In der Franconia-Ranche ist das charakteristische Felsenplateau „Cocorna“. Die Sage erzählt, dass der von Weißen verfolgte und eingefangene Indianerhäuptling Cocorna gezwungen wurde, dort hinab zu springen. „Fluch euch Bleichgesichtern!“ schrie der Verurteilte vor dem tödlichen Sturz in die Tiefe; „mögen Sturm und Winterkälte von diesem Augenblick an meine Heimat zur Wüste machen, dass ihr verhungern müsst wie Wölfe im Schnee. Mögen Felsen und fallende Berge euch, eure Weiber und Kinder und euer Vieh erschlagen!“ — Von der Stunde an verwandelte sich die Franconia-Ranche in eine Steinwüste ohne jede Vegetation; und — der Bergrutsch am „Willey Slide“, der in den Dreißigerjahren eine ganze Ansiedlung mit sämtlichen Insassen begrub, wäre demnach keine bloß zufällige Katastrophe zu nennen.

Am Eingang in die wildeste der Schluchten, in die Crawford Notch mit ihrer Wasserkaskade gegenüber der schwarzblauen Granitwand, die aussieht als hätten Zyklopen versucht eine Mauer in den Himmel zu bauen, schaut „der alte Mann der Berge“ in das Tal herab. Es ist eines jener Naturspiele, vor denen der Mensch staunend und lächelnd zugleich emporschauen muss; ein Felsenvorsprung — tausend Fuß über der Talsohle — zeigt, im Profil betrachtet, ein wundervoll scharfgezeichnetes Gesicht.

Die Sagen von diesem „Steingesicht“ sind verschieden und viele; eine lautet so: Die kriegerischen Mohawks trieben die friedlichen, zum Christentum bekehrten Pennacooks wie zersprengte Schafe vor sich her und in die Berge. Eines Abends, nach furchtbarem Gemetzel, lagerten sich die Wilden in einer bachdurchrauschten, rechts und links von Klippen begrenzten Schlucht. Gegen Mitternacht stieg der Vollmond langsam hinter den Felsen hervor und zeigte vor seiner Scheibe ein so ernstblickendes Riesengesicht, dass die Mohawks „Manitu!“ schrieen (Manitu ist der große Geist, der Hauptgott der Rothäute); „Manitu zürnt, schaut wie er zürnt!“ Und vor Schrecken verwandelten sich die Körper der Mohawks zu Steinen, die in wunderlichem Durcheinander noch heute am Sacobach herumliegen.

Kaum ein anderer Teil der Neuen Welt hat mehr an Bestialität gesehen, wie die Weißen Berge und die Strecke bis zum oberen Hudsonfluss. Die Abenaquis, die einen Teil der White Mountains als Jagdrevier besaßen, schlachteten kurz vor der Revolution sechshundert Ansiedler der umliegenden Kolonien. Sie spießten die Kinder, schändeten die Frauen und marterten die gefangenen Männer zu Tod. Eine Truppe englischer Soldaten, die zur Züchtigung der Rothäute ausgeschickt war, wurde von den vereinigten Stämmen angegriffen, zersprengt und schier aufgerieben. Die Überlebenden verirrten sich in der urwaldfinstern Wildnis und wurden endlich vor Hunger zu Kannibalen an ihren erschöpften Kameraden.

Manchen Abend, wenn ich mutterseelenallein den Sacobach entlang schritt, das Plätschern des Wassers, das Rauschen und Ächzen hörte — —

Doch halt! Im Zickzack den Leser in meine Erzählung hineinzulocken, wäre so unehrlich wie unvorsichtig.

Ich führte damals ein Tagebuch; es enthielt Aufzeichnungen über bemerkenswerte Erlebnisse. Ich schrieb sie auf, um meinen Angehörigen in Deutschland recht lange, inhaltreiche Briefe schreiben zu können. Ich tat es sogar mit dem keimenden Gefühl, später eine Reiseschilderung in Buchform herauszugeben. Das Tagebuch ging mir leider bei der Rückfahrt von Neuseeland nach London verloren; doch in langweiligen Stunden hatte ich das Geschriebene oft gelesen, und mein gottbegnadetes Gedächtnis hilft mir nach, so dass ich jenes Erlebnis in den White Mountains fast wörtlich zu wiederholen vermag.

Hier ist es:

__________

Bob, der Sonderling

Подняться наверх