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DIE BESONDERE BEZIEHUNG ZU KEES RIJVERS

Als ich zur PSV kam, da habe ich zu allen aufgesehen. Ganz besonders zu Trainer Kees Rijvers, der bereits eine bekannte Größe war. Ich kannte eigentlich nur Adrie van Kraaij, mit dem ich in der Jugend-Nationalmannschaft gespielt hatte. Jan van Beveren gab sich sofort sehr kollegial, und auch mit den anderen funktionierte es schnell richtig gut.

Rijvers fand ich von Anfang an besonders liebenswürdig und ausgesprochen sozial. Er war zwar auch etwas distanziert, aber gegenüber den jungen Spielern zeigte er dann doch seine Gefühle. Zu den älteren Spielern hat er immer gesagt, sie sollten sich mit den jungen Spielern beschäftigen. Rijvers war immer ganz er selbst.

Er hat mir sofort gefallen, und ich habe zunehmend erkannt, was für ein toller Mensch er ist. Er hatte sechs Töchter, von denen drei an einer ernsthaften Muskelerkrankung litten. Sie saßen im Rollstuhl, doch Rijvers hat sich im Verein nie etwas von seiner Situation zuhause anmerken lassen. Er hat auch nie darüber geredet, aber die anderen haben es mir erzählt. Ich wusste, dass er es schwer hatte, aber er hat es nie gezeigt. Das fand ich wirklich beachtlich.

Seine Situation habe ich zum ersten Mal direkt mitbekommen, als ich ihn zuhause in Knegsel besuchte. Ich habe damals während meiner freien Zeit im Autohaus Van de Ven gearbeitet. Rijvers wollte ein Auto von Van de Ven, und deswegen haben wir uns bei ihm getroffen. Dort sah ich die Kinder dann zum ersten Mal. Rijvers ging wunderbar mit seinen Töchtern um. Die Wärme, die er zuhause ausstrahlte, vermittelte er auch im Verein. Ich glaube, dass der Fußball auch wegen seiner familiären Situation eine Art Ventil für ihn war. In gewisser Weise habe ich das auch bei mir selbst erlebt, als meine Frau schwer krank war.

Seine Frau Annie spielte nicht nur zuhause eine zentrale Rolle, sie war wichtig für die Mannschaft der PSV. Sie war sozusagen die Mutter der Spielerfrauen. Annie hat allerhand organisiert. So konnten zum Beispiel die Frauen zu den Spielen mitkommen, auch ins Ausland. Aber auch in den Niederlanden hat sie alles Mögliche gemacht.

Ich fand die Rolle der Spielerfrauen immer sehr wichtig. Sie haben einen starken Einfluss auf die Fußballer. Deswegen ist es auch besonders wichtig, dass der Verein ihnen viel Aufmerksamkeit entgegenbringt. Da sorgte Annie für. Es war wirklich eine Freude zu sehen, wie nett die Spielerfrauen miteinander umgingen. Als Trainer habe ich später versucht, die Spielerfrauen mit einzubeziehen. Meine Frau war dazu nicht in der Lage, deswegen habe ich nach jemandem Ausschau gehalten, der das übernahm. Das konnte zum Beispiel die Frau von jemandem aus dem Management oder der Vereinsleitung sein.

Besonders bei Roda JC und Schalke 04 haben wir sehr darauf geachtet. Und es hat auch funktioniert. Bei Roda wurde einmal ein Mannschaftsfoto von den Frauen gemacht, und bei Schalke haben sie sogar ein Lied aufgenommen. Solche Sachen eben. Das hatte ich mir von Frau Rijvers abschauen können. Auch heute, wenn ich manchmal mit ihr telefoniere, klingt noch immer ihre warme Herzlichkeit durch.

Rijvers konnte auch hart sein. Ihm war bewusst, dass er nicht immer der liebe, nette Trainer sein durfte. Manchmal hatte auch er seine Launen, aber er war immer fair. Er hat mir zum Beispiel bereits nach einem halben Jahr gesagt, dass es mir an Schnelligkeit mangelte, die ich aber für die erste Mannschaft bräuchte. Später hat er mir manchmal vorgeworfen, ich hätte zu aggressiv und hart gespielt, andererseits wollte er aber auch, dass ich meine Härte in einer positiven Art auf das Team übertrug. Denn er wusste, dass die Gruppe das brauchte.

Rijvers führte zum Beispiel auch keine Strafkasse. Er regelte das auf seine Art. Einmal bin ich mit René van de Kerkhof zusammengerasselt, obwohl ich mich eigentlich sehr gut mit ihm verstand. So etwas kommt einfach mal vor. René hatte beim Training einen Tritt in meine Richtung angedeutet, und plötzlich kämpften wir wie die Stiere. Wir wurden beide vom Platz geschickt, und ich befürchtete schon, dass wir nun eine Geldstrafe aufgebrummt bekämen. Aber als Rijvers später in die Umkleide kam, hat er einfach gesagt: „So, und wenn ihr mir diese Aggression auf positive Art am Samstag auf dem Platz zeigt, reden wir nicht mehr darüber!“ So hat er das gelöst.

Rijvers hatte auch einen trockenen Humor. Er hat das nicht so oft erkennen lassen, aber er besaß ihn durchaus. Als ich mir das Bein gebrochen hatte, bemerkte er zum Beispiel: „Dann kann ich Samstag also nicht mit dir rechnen?“ Wenn wir mal ein Glas Wein zusammen getrunken haben, was er besonders gerne in Frankreich tat, dann konnte er sehr gesellig sein. Einmal waren wir zum Trainingslager im Hotel Boszicht in Breda, als Harry Lubse, Willy van der Kuijlen und ich ein Bier trinken gehen wollten. Wir haben aber nichts gefunden und sind dann wieder zurück zum Hotel gegangen. Da meinte Rijvers: „Jungs, habt ihr Lust auf ein Bier?“ Tja, so war er. Er hat genau gewusst, was die Spieler gerade brauchten.

Wenn wir abends ausgegangen sind, sind wir immer gemeinsam losgezogen, mit einem Großteil der Mannschaft. Aber niemals zwei, drei Tage vor einem Spiel. Rijvers ließ das zu, vertraute uns, aber am nächsten Tag durfte man uns nichts beim Training anmerken.

Zur Vorbereitung auf die Saison 1977/78 spielten wir in Eindhoven ein Freundschaftsspiel gegen Leeds United. Wir hatten keine Chance und verloren 1:3. Leeds hatte einen wunderbaren Mittelstürmer: Joe Jordan. Bei uns war Ralf Edström gerade gegangen, und nach dem Spiel hat Rijvers mich gefragt: „Was hältst du von Jordan?“ Ich habe ihm gesagt, er sei ein guter Mittelstürmer, der ordentlich draufgeht, aber kein Edström.

Mir hat es gefallen, dass Rijvers oft von Knegsel mit dem Fahrrad zum Training gefahren ist. Er fand das herrlich. Rijvers war auch ein guter Taktiker, und er konnte sehr anschaulich erklären. Er vermittelte sehr gut, wie wir zum Beispiel eine Überzahl im Mittelfeld herstellen konnten. Er brauchte dafür schnelle Leute mit einem taktischen Verständnis. Seine Außenverteidiger waren deshalb immer schnell. Wenn ich rechter Außenverteidiger spielte, war das für mich schwieriger. Ich musste mich taktisch sehr genau darauf einstellen und noch schneller abschätzen, in welche Situation ich hineingeraten könnte. Es ist nun einmal so, dass die langsameren Spieler gut antizipieren müssen, um ihr Schnelligkeitsdefizit wettzumachen. Die langsameren Spieler entwickeln dieses Antizipationsvermögen früher und besser. Schnelle Fußballspieler lernen das nicht von Anfang an. Als ich in der Jugendmannschaft von Fortuna vom Stürmer zum Verteidiger wurde, wurde ich damals bereits dazu gezwungen, umzudenken.

Rijvers hat mir insofern den letzten Schliff verpasst. Ich kann mich noch an mein erstes Jahr bei der PSV erinnern, da lief mir in einem Freundschaftsspiel in Frankreich auf einer Strecke von fünfzig Metern ein viel schnellerer Gegner gefühlt zwanzig Meter davon. Die anderen haben mich deswegen gerne aufgezogen. Harry Lubse spricht das noch heute manchmal an. Aber eine solche Situation ist ungemein lehrreich. Man muss lernen, darauf zu achten, wer der Passgeber ist, wie der Laufweg des Gegenspielers ist, um ihn zum Beispiel ins Abseits laufen oder einfach auflaufen zu lassen, und solche Sachen. So kann man möglichst schnell in Ballbesitz kommen, was Rijvers sehr gefiel.

Da fällt mir noch ein schönes Beispiel für Rijvers’ taktisches Gespür ein. Kurz vor Beginn der Saison 1977/78, nach Ralf Edströms Weggang, wollte Rijvers plötzlich, dass Gerrie Deijkers, der immer als linker Außenverteidiger gespielt hatte, es vorne versuchte. Rijvers hat Gerrie auf der neuen Position gegen einen Amateurverein spielen lassen, und es hat bei Gerrie auf Anhieb ausgezeichnet funktioniert. Die ganze Saison über spielte Gerrie dann auf der Position links vorne, wir wurden Meister und gewannen den UEFA-Cup. Doch in derselben Saison erlebten wir noch etwas Eigenartiges. Im Dezember verloren wir in der dritten Runde des KNVB-Pokals zuhause mit 1:6 gegen den FC Wageningen, die damals wohlgemerkt in der zweiten Liga spielten. Bis dahin waren wir seit 18 Spielen unbesiegt gewesen, doch an diesem Abend lief alles schief.

Harry Lubse und ich sind sofort nach dem Match in die Winterferien aufgebrochen. Als ich bei meinen Freunden in Österreich eintraf, fragten sie mich sogleich, wie das Spiel am Abend zuvor gelaufen sei. Ich sagte also 1:6, woraufhin sie mir gratulierten und ich dann eingestehen musste, dass es tatsächlich 6:1 für Wageningen ausgegangen war. Sie konnten es nicht fassen.

Das war die größte Niederlage, die die PSV in Eindhoven jemals erlebt hatte. So etwas konnte unter Rijvers also auch passieren, und das in einem Jahr, in dem ansonsten alles wunderbar lief. Das sind diese unerklärlichen Dinge im Fußball.

Im Verlauf der Saison 1979/80 lebten sich die PSV und Rijvers zunehmend auseinander. Ich meine mich zu erinnern, dass Jan van Beveren ein Gespräch mit Olympique Marseille hatte, über das Rijvers informiert war, die PSV hingegen nicht. Andererseits passierten im Verein Sachen, von denen Rijvers wiederum nichts wusste. Offenbar stimmte die Kommunikation zwischen Vereinsleitung und ihm nicht mehr, und damit haperte es an Vertrauen und Respekt. Dass es nicht mehr so gut zwischen ihm und dem Verein lief, hat Rijvers sehr betrübt.

Wir hatten zum Beispiel viele Verpflichtungen für unseren Namensgeber Philips zu erfüllen, mit denen Rijvers manchmal nicht einverstanden war. Es kam auch vor, dass er bestimmte Spieler holen wollte, was dann gewisse Leute verhindert haben. Rijvers gefiel zum Beispiel Willem van Hanegem, aber die Vereinsleitung stimmte dem Transfer nicht zu, weil Willem nicht zum Image von Philips passen würde. Ich glaube, dass es auch etwas mit dem Wechsel im Management zu tun hatte. Kees Ploegsma war der Nachfolger von Ben van Gelder, mit dem Rijvers ein gutes Team gebildet hatte. Ploegsma hatte andere Vorstellungen. Mit der Mannschaft hatte Rijvers kaum Probleme, aber es gab junge Spieler, die glaubten, dass sie mit einem anderen Trainer weiter kommen würden. Ich war da ganz anderer Ansicht.

Ich weiß noch genau, wie ich zu Rijvers fuhr, er die Tür öffnete und mir gleich erzählte, dass sie ihm gekündigt hätten. Ich war vollkommen überrascht und fragte ihn nach den Gründen. Er sagte mir, dass die Situation nach Auffassung der Leitung nicht mehr zu retten sei. Es gab zu viele Sachen, von denen er nichts wusste, und so war man der Meinung, es sei besser, sich zu trennen. Ihn hat diese Entwicklung hart getroffen. Rijvers ist ein aufrichtiger Mensch, und er hatte das Gefühl, dass man ihn unaufrichtig behandelte. Das hat ihn nach seinem Weggang noch lange beschäftigt. So kam er zum Beispiel längere Zeit nicht mehr zur PSV. Die Trennung hat ihm arg zugesetzt.

Die Mannschaft hat sich kaum zu seinem Weggang geäußert. Das hatte allerdings auch etwas mit dem Respekt vor dem Verein zu tun. Ich glaube aber, dass die meisten es sehr bedauert haben, dass Rijvers gegangen ist. Die Spieler, die nur selten eingesetzt wurden, hofften natürlich auf neue Einsatzchancen unter einem neuen Trainer. So läuft das. Nie haben sich die Spieler mal gefragt, ob sie denn auch genug geleistet hatten.

Ich habe Rijvers noch gefragt, ob ich etwas tun könne, aber er meinte nein. Ich hätte gerne etwas getan, aber der Verein war gemeinsam mit Rijvers nun einmal zu dieser Entscheidung gekommen. Ich habe den Kontakt mit Rijvers bis heute gehalten. Als ich kurz davorstand, bei Roda JC Kerkrade zum ersten Mal Cheftrainer zu werden, habe ich ihn um Rat gefragt. Er empfahl mir, vertraglich alles genau zu regeln, und schickte mir ein Fax mit ein paar Vereinbarungen zwischen dem Trainer und dem Verein. Ich habe sehr viel davon übernommen und mit Roda so vereinbart. Die Aufgabenbeschreibung wurde vom Verein sogar komplett übernommen. Das hatte ich alles Rijvers’ Erfahrung zu verdanken. Zum Glück war später zwischen Rijvers und der PSV wieder alles gut. Er war dort noch als Scout und Berater aktiv und 1994, nach der Entlassung von Aad de Mos, sogar Interimstrainer. Als er bei der PSV Berater war und ich Jugendkoordinator, schaute Rijvers manchmal beim Training zu und erkundigte sich ausführlich über die Spieler. Das fand ich richtig schön.

Während meiner Zeit bei Schalke habe ich mir bei ihm immer wieder mal Rat geholt. Und er ist manchmal zu Schalke-Spielen gekommen. Man kann also sagen, dass Rijvers sehr wichtig für mich war.

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