Читать книгу Niemals aufgeben - Huub Stevens - Страница 7

Оглавление

3

DER FRÜHE TOD MEINES VATERS

Es war am 4. Mai 1971, dieses Datum werde ich nie vergessen. Ich war auf dem Schulhof und spielte gerade Fußball, als mich unsere Mutter rief und mich bat, nach Hause zu kommen. Sie sagte, Vater würde heute erst spät nach Hause kommen und ich solle mich um die Tauben kümmern. Ich bin also nach Hause und habe nach den Tauben gesehen. Kurz darauf hörte ich meine Mutter schreien: „Vater ist tot! Vater ist tot!“ Und sie kam ins Haus gestürmt.

Wir haben Jan gesucht, der irgendwo Fußball spielte, aber er wollte es nicht wahrhaben. Anfangs wollte er noch nicht einmal mitkommen, doch als er sah, dass ich weinte, kam er dann doch.

Mein Vater war seit kurzem Frührentner, er war erst 49 Jahre alt. Er hatte gehört, dass man sich in Deutschland mit Gartenarbeit gut etwas dazuverdienen konnte. Schön draußen im Garten werkeln, jäten und solche Sachen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie er zu meiner Mutter sagte, das sei doch eine schöne Nebenbeschäftigung.

An seinem ersten Arbeitstag ist er mit sieben Mann in einem Bus nach Köln gefahren. Ich war schon früh auf den Beinen und habe mich noch von ihm verabschiedet. Auf dem Rückweg ist offenbar von dem Fahrzeug vor ihnen ein Brett heruntergefallen, sie mussten ausweichen und sind frontal mit einem LKW zusammengestoßen. Fünf von sechs Insassen kamen dabei ums Leben, unter ihnen befand sich mein Vater. Er war noch kerngesund. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hatte er keine Staublunge. Vater hat immer sehr hart gearbeitet, und jetzt schien er es endlich etwas ruhiger angehen zu können. Und dann passierte so etwas …

Mein Bruder Nico hatte es als Erster erfahren und es dann auch meiner Mutter erzählt. Unter den Verunglückten befanden sich Familienangehörige seiner Frau. Er hat Vater identifiziert, ich habe ihn nicht mehr sehen können. Nico hat später erzählt, Vater habe glücklich ausgesehen, so wie wir ihn gekannt haben.

Ich habe meinen Vater in guter Erinnerung. Der Sonntag, der einzige Tag, an dem mein Vater nicht arbeiten musste, war für die Familie da. Bei gutem Wetter fuhr Vater uns alle nach De Peel. Das ist ein Nationalpark mit einem Moorsee bei Roermond. Es waren immer viele Leute dort, und wir hatten viel Spaß. In dem See hat mir Vater auch das Schwimmen beigebracht. Nachdem er uns dort abgesetzt hatte, fuhr Vater wieder nach Hause und hat sich um seine Tauben gekümmert. Das war seine große Leidenschaft. Wenn die Tauben irgendwo losgelassen wurden, musste er zuhause sein, um sie wieder einzufangen. Danach ist er dann wieder nach De Peel gefahren und hat uns eingesammelt. Manchmal sind wir auch in die Ardennen gefahren.

Mein Opa, der Vater meines Vaters, betrieb auch Taubensport. Nach Vaters Tod hat Nico das Hobby übernommen. Sie haben sich dann zum Beispiel über solche Sachen unterhalten, dass man einer Taube ein Schnippchen schlagen müsse. Damit war gemeint, dass man das Männchen von seinem Weibchen trennte, das im Taubenschlag zurückbleiben musste. Das Männchen wurde dann irgendwo freigelassen und wollte möglichst schnell zu seinem Weibchen zurück. Damit hatte man der männlichen Taube ein Schnippchen geschlagen. Es wurden Wetten abgeschlossen. Man setzte auf die Taube, die am schnellsten wieder im Schlag ankam, und konnte damit Geld gewinnen. Das waren keine großen Summen, manchmal nur ein paar Gulden, die gleich wieder in Taubenfutter umgesetzt wurden. Wir hatten etwa 50 oder 60 Tauben, und die fraßen schon einiges weg. Der Taubensport war nie mein Hobby, doch wenn Vater und Mutter die Schule geputzt haben, mussten meine Brüder und ich manchmal den Schlag sauber machen und die Tauben versorgen.

Vater war durchaus streng, zugleich aber auch sehr liebevoll. Falls nötig, setzte er sich auch für uns ein. Wir wollten zum Beispiel einmal Vögel fangen und sie im Käfig halten, Distelfinken und dergleichen, um sie dann zu verkaufen. Wir waren gerade emsig am Vogelfangen, als der Nachbar meinte, wir würden zu sehr in die Nähe seiner Kinder kommen, die ebenfalls Vögel fingen. Jan hat sich mit dem Nachbarn angelegt und eine Ohrfeige kassiert. Es war ungefähr elf Uhr morgens. Unser Vater schlief noch, denn er hatte Nachtschicht gehabt, wurde dann aber von dem Krach draußen geweckt. Er wollte wissen, was denn da los sei, und kam im Schlafanzug und mit bloßen Füßen nach unten, obwohl er fror. Und was machte er? Er gab dem Kerl eine Ohrfeige. Aber so lief das in unserem Viertel. Und der Streit war danach wieder vergessen.

Vater hat zum Glück noch miterlebt, dass ich in die erste Mannschaft von Fortuna Sittard kam. Mein erstes Spiel war am 22. November 1970 gegen Heerenveen. Wir verloren 0:2. Als ich noch in der Jugendmannschaft spielte, stand Vater oft an der Seitenlinie und hat zugeschaut. Zuhause bekam ich dann später zu hören, ich hätte viel zu sehr mit meinen Mitspielern geschimpft. Das war schon sehr früh bei mir so, ich wollte einfach unbedingt gewinnen. Das äußerte sich bei mir in aggressivem Verhalten und harten Worten.

Vater begeisterte sich sehr für den Fußball, aber er war kein echter Fußballkenner. Er war stolz, wenn wir gewannen, aber die Taktik sprach er nie an. Dafür aber unser Verhalten auf dem Feld.

Nach seinem Tod wollte ich die Verantwortung für die Familie übernehmen, mit dem Sinn für Disziplin, den ich von meinen Eltern geerbt hatte. Nico und Jan waren bereits verheiratet und aus dem Haus, aber sie wollten sich dennoch um alles kümmern. Doch ich wollte mich nicht mehr von meinen Brüdern herumkommandieren lassen. Das führte manchmal zu Spannungen. Ich weiß noch immer nicht, woher unsere Mutter die Kraft genommen hat, auch nach dem Tod meines Vaters so gut für uns zu sorgen. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihren Kindern. Sie hatte nach Vaters Tod keine richtige neue Beziehung mehr. Es gab da zwar ab und zu mal jemanden, aber das war meistens sehr bald wieder vorbei.

Sie war sehr stolz auf ihre Kinder. Ich glaube, sie war besonders stolz auf mich, weil ich im Fußball etwas erreicht hatte. Als ich beim Länderspiel der Niederlande gegen Polen am 17. Oktober 1979 in Amsterdam das Tor zum 1:1-Endstand schoss, da saß sie auf der Tribüne. Sie ist 2011 mit 85 Jahren gestorben.

Niemals aufgeben

Подняться наверх