Читать книгу Wie ein Stein im tiefen Wasser - Ian Malz - Страница 7

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Kapitel III

„Quintus!“ Wie durch einen Schleier sah er seinen Vater an der Hafenmauer stehen und winken. Mit stolzgeschwellter Brust, den Helm mit der roten Haube unter dem rechten Arm, mit der anderen Hand sich an der Takelage festhaltend, stand Quintus an der Reling „seines“ Schiffes. Der Hafen war voll von winkenden Menschen und salutierenden Soldaten. Und zwischendrin sein Vater. Wo war Mutter? War sie nicht auch stolz auf ihren Sohn? Wer stand da bei Vater? Ach ja, das war Julia, die Tochter des Töpfers und daneben die Geschäftsleute, die beim Vater das Öl kauften. „Quintus!“. Sein Vater rief ihm zu. Nun musste Vater es einsehen, dass sein Platz auf dem Schiff war und nicht im Olivenhain. Das würde ein Willkommen sein! Fast gefällig lächelnd schaute er zurück über sein Boot. Seine Soldaten! „Ja, esst nur Oliven! Oliven? Was machen meine Soldaten? Wir laufen gleich in den Hafen ein und ihr sitzt da herum, nur mit euren Unterkleidern bekleidet und esst Oliven!?“ „Quintus!“. Seines Vaters Stimme wurde nun lauter und ungeduldiger. Er schaute zu der Menschenmenge am Kai hinüber, die nur noch einen Steinwurf von ihm entfernt war. Nun sah er das Gesicht seines Vaters deutlicher. Aber er konnte darin keinen Stolz erkennen. Die Augen waren fast zugekniffen. Langsam kam die Hand unter seiner Toga hervor. Nun würde er ihm gleich zuwinken. Sicher blendete die Sonne - darum der finstere Blick! Die Hand des Vaters erhob sich, um weit auszuholen. Mit Wucht schnellte der Arm nach vorne und aus der sich nun öffnenden Hand flogen ihm Oliven entgegen. Starr vor Entsetzen wollte Quintus ausweichen, doch die Beine machten nicht mit. Nur ganz langsam bewegen konnte er sich. Die Oliven trafen ihn mit voller Wucht am Panzer. Es rasselte, als würde Regen auf das Hausdach niedergehen. Nun bemerkte Quintus, dass die Menschenmenge am Hafen gar nicht zu ihm hinüberschaute, sondern mit auffordernden Blicken zum Vater. Auch die Soldaten salutierten dem Vater zu. „Ich komme doch! Ich bin zur See gefahren und habe den Namen Roms in die Welt gebracht und dort, wo man ihn schon kannte, haben wir ihn noch gefestigt.“ Immer wieder prasselten Oliven auf ihn nieder. Die Menschenmassen fingen an, bei jedem Treffer laut zu klatschen und zu jubeln, so wie sie es in den Arenen machten, wenn die Gladiatoren aufeinander zustürzten und sich schlugen! Wie gerne hätte er sich hinter dem Mast versteckt. Schrecklich peinlich war ihm dieser Empfang. „Quintus! Wenn du jetzt nicht aufstehst, dann werde ich alleine nach Rom fahren!“. Vaters Mund bewegte sich nicht. Er merkte nur eine Hand auf seinem Rücken, die ihn fast zärtlich berührte und dabei schüttelte. Trotzdem drehte er sich ruckhaft um und sah in das lächelnde Gesicht seines Vaters. „Ich bin in meinem Zimmer! Ich habe geträumt! Keine Oliven! Keine lachenden Menschen!“ Er merkte noch, wie sein Atem langsam ruhiger wurde. Hatte er sich im Schlaf so aufgeregt? Ach, ja! Da war ein Schiff - Menschen - Soldaten und Oliven! Oliven? Was hatte das eine mir dem anderen zu tun? Schiffe? Oliven? Langsam wurde er wacher. Der Vater hatte sich schon wieder aufgerichtet und wandte sich der Türe zu. Nun verließ ihn auch immer mehr der Gedanke an den Traum. Musste wohl ein Alptraum gewesen sein! Worum ging es denn noch einmal? „Na, weiß nicht!“ Erleichtert sprang Quintus von seinem Lager hoch und räkelte sich genüsslich. „Was hab ich geträumt? Vorbei!“ Sein Vater drehte sich in der Türöffnung um und meinte, dass er sich doch beeilen solle. Seine Geschäfte in Rom erwarteten ihn und es würde Zeit, dass Quintus auch die Kunden in der Stadt persönlich kennen lerne. „Warum hat er mit Oliven geworfen?“ ging es Quintus für einen Moment noch einmal durchs Gehirn. Doch kaltes Wasser über den Kopf und den nach vorne gebeugten Oberkörper ließen die restlichen Erinnerungen an seinen Traum schnell vergessen. Mutter stand in der Nähe des Atriums und hatte ein langes Gewand über dem Arm. Sie sprach noch mit einer Sklavin und gab ihr Anordnungen. Lächelnd kam sie dann auf ihren Sohn zu, warf ihm das Tuch über die Schulter und schlang es ihm um den Leib. Liebevoll gab sie ihm einen Kuss auf die Wange und meinte, dass er heute wohl besonders gut geschlafen habe. Sehe er doch so vergnüglich und frisch aus! Nun merkte Quintus, dass es noch sehr früh am Tage war. Langsam wurde der goldfarbene Streifen am Dach des dem Atrium gegenüberliegenden Gebäudes, immer breiter. Die Sonnenscheibe musste wohl noch hinter dem Hügel des Olivenhains stehen. Quintus schaute zum Himmel empor. Leichte Nebelschleier verflüchtigten sich nach und nach. Dies würde bestimmt wieder ein schöner Tag werden. Auf Rom freute er sich sehr. Das letzte Mal, dass ihn sein Vater zu seinen Geschäftsleuten mitgenommen hatte, war schon lange her. Da lebte noch sein Bruder. Der musste dann auf Quintus aufpassen, wenn Vater seine Geschäfte tätigte. Und nun war sein Bruder tot. Quintus sollte den Betrieb übernehmen. Darum sollte er mit nach Rom. Aber in Rom gab es noch vieles anderes zu sehen! Zum Beispiel: Soldaten!

Der Sklave Phoenitius, ein großgewachsener Mann mit dunklen und freundlich blinzelnden Augen, hatte schon den zweirädrigen Karren mit Ölfässern der verschiedensten Größen und Inhalte beladen. Alle Sklaven im Hause schauten, trotz ihrer Gefangenschaft und mühseliger Arbeit, recht zufrieden aus, waren doch Herrin und Herr ihnen gegenüber immer gut und gerecht. Nun stand Phoenitius neben dem Pferd und tätschelte liebevoll dessen breiten Hals. Er deutete eine Verbeugung an, als der Hausherr mit Quintus zum Wagen kam und sich auf den Seitenklappen niederließ. Phoenitius erwartete vom Vater den Befehl, das Fuhrwerk in Gang zu setzen. „Noch bevor die Sonne untergegangen ist, werden wir wieder zurück sein“ rief Livius seiner Frau Livia zu, um dann dem Sklaven zuzunicken. Der griff an den Halfter des Pferdes, das sich ob der ungewohnten Last tänzelnd in Bewegung setzte. Phoenitius ruckte kurz am Halfter, redete dem Tier besänftigend zu, worauf dieses, wieder beruhigt, mit seiner schweren Last dem Ausgangstor zustrebte. Nachdem sie das Grundstück verlassen hatten, lenkte er das Gespann in Richtung der Anhöhe, die hinter den Olivenhainen verlief. Dort führte ein mit zerbrochenen und festgestampften Tonziegeln befestigter Weg durch den Wald von Olivenbäumen. In Reih und Glied standen diese fruchtbringenden, knorrigen Gewächse. Zwischen den Baumreihen sahen die Reisenden Arbeiter, die mit dem Aufhacken des Bodens beschäftigt waren. Manche winkten freundlich zu ihrem Herren und seinem Sohn. Andere, die noch nicht so lange im Dienst des Olivenbauern standen, beäugten scheu das vorbeifahrende Fuhrwerk. Aufseher, die eben noch gemütlich an einem Baum gelehnt hatten, sprangen auf, um Beschäftigung vorzutäuschen. Doch als der Wagen an der nächsten Wegbiegung aus ihrem Blickfeld verschwunden war, ließen sie sich schnell wieder bequem nieder. Nachdem das Gespann den noch im Schatten liegenden Hain verlassen hatte, wurde es auf der Höhe doch merklich wärmer. Vor ihnen tat sich in Richtung Osten eine mit Piniengruppen bewachsene, leicht hügelige Landschaft auf, durch die sich der Tiber in sanften Windungen schlängelte. Selten war Quintus bisher auf dieser Anhöhe gewesen; deshalb genoss er jetzt den Blick in Richtung Tiber, dem Fluss, an dem Rom erbaut wurde und der in der Nähe seines Heimatortes in das Meer mündete. Kaum etwas hatte Quintus bis jetzt auf diese Anhöhe locken können, war doch sein Platz unten am Hafen. Ihm war eigentlich nie so richtig klar geworden, dass auf diesem sich zur Mündung hin immer mehr verbreiternden Fluss auch Schiffe fuhren. Nicht ganz so große, wie er sie kannte, aber doch immerhin so groß, dass doch auf einigen von ihnen ganze Rinder- und Schafherden zum Transport Platz fanden oder aber auch Reisende, die sich den Luxus gönnten, mit dem Schiff von Rom zum Meer zu fahren oder wieder zurück. In der Mitte des Stromes sah Quintus ein paar kleinere Schifferboote dümpeln, auf denen einige Fischer die Netze einzogen.

Das Fuhrwerk mit dem Olivenhändler, seinem Sohn und dem Sklaven Phoenitius, dessen Gang neben dem Fuhrwerk sich auf der nun langsam abfallenden Straße in einen leichten Trab gewandelt hatte, näherte sich der Via Appia, der großen Straße, die, fast schnurgerade, aus dem Norden kommend über Rom in Richtung Süden verlief. Dies war nun schon eine mit großen Steinplatten und seitlichen Abflussgräben versehene, breite Straße, auf der das Reisen mehr Freude machte, als auf den unbefestigten Wegen, die zu den einzelnen Dörfern führten. In dem wassergefüllten Graben längs der Straße stelzten trotz der immer noch nicht übermäßig warmen Tageszeit ein paar Kinder herum. Frauen standen beisammen und unterhielten sich angeregt, neben sich ihre Körbe mit der noch feuchten Wäsche, die sie zuvor im fließenden Wasser gewaschen hatten. Es wurde auf der Straße nun doch lebhafter. Von überall kamen Wagengespanne her, die auf dem Weg zum großen Markt in Rom waren und sich von den Seitenwegen in den Verkehr auf der Hauptstraße einfädeln wollten. Vater erlaubte Phoenitius, sich mit auf den Wagen zu setzen, was dieser auch dankbar annahm. Mit herabbaumelnden Beinen saß er nun unmittelbar am Hinterteil des brav dahintrottenden Pferdes und genoss die Entspannung. Er hatte es doch gut getroffen mit seiner Herrschaft, dachte er sich, aber trotzdem würde er über kurz oder lang dieses Martyrium, das noch nicht einmal ein so schreckliches Los für ihn war wie für so viele andere Gefangene, verlassen. Er wollte zu seiner Familie zurück. Er wollte frei sein. Seine Kinder waren damals noch sehr klein, als er mit seinem Volk gegen die in Phoenizien eingefallenen Römer zog und solch eine herbe Niederlage hinnehmen musste. Die meisten Mitstreiter waren gestorben. Er hatte, wie einige andere mit ihm, da noch Glück, als man ihn gefangen nahm, um sie als Sklaven zu verkaufen. Viele Sklavenhändler feilschten um ihn. Er war groß, stark und wild. Die paar Kriegswunden schwächten ihn nicht so sehr, dass dadurch der Preis für ihn gefallen wäre. Wie leicht hätte man ihn aber auch abschieben oder töten können. Tracterian, seinem besten Freund, war es so geschehen. Vier Jahre war er mit ihm zusammen; sie kämpften gemeinsam gegen die Syrer und nun zuletzt gegen die Römer. Der Stärkste war Tracterian nie. Irgendwie hatte er es aber immer wieder geschafft, die Kriege fast unbehelligt zu überstehen. Als der Preis für ihn beim letzten Sklavenhändler zu tief gesunken war, überließ ihn der Sklavenjäger für ein paar Sesterzen der Gladiatorenschule. Schon beim ersten Kampf in der Arena wurde er getötet; sehr zur Belustigung der Zuschauer. Außer einem kurzen Dolch und einem viel zu kleinen Schild, der gerade einmal die Größe eines Tellers hatte, besaß er nichts. Gegen den ausgebildeten Gladiator mit Netz und Dreizack und voller Rüstung hatte er nichts entgegenzusetzen - nur sein Leben. „Ich habe bis hierin mein Leben bewahrt und werde es auch noch weiter tun“, dachte Ursulum, wie er mit richtigem Namen hieß. „Phoenitius“ hieß er nur in dieser Familie, stammte er doch aus Phoenizien und war über das große Meer hierher nach Italien gekommen, nein, gebracht worden. Doch, ihm ging es bei diesen Herrschaften gut. Und seine Familie würde er wiedersehen. Das versprach er sich immer wieder.

Interessiert schaute sich Quintus das Treiben um sich herum an. Wagen, beladen mit Erzeugnisse der Landwirtschaft, mit blökenden Schafen und meckernden Ziegen zogen in Richtung Stadt. Manchmal wurden sie von zweirädrigen Streitwagen, die von zwei Pferden - und einmal waren es sogar vier - gezogen wurden, in schneller Fahrt überholt. Dann schlug Quintus´ Herz schneller. Seine glänzenden Augen verfolgten die Gespanne, bis sie hinter einer Anhöhe verschwanden und nur noch Staubwolken zurückblieben. Sein Vater war von der Seitenwand des Wagens herunter gesunken und schlief nun tief und fest. Auf dem Wagen war wenig Platz, so dass er seine Beine anwinkeln musste, was ihn aber nicht daran hinderte, ruhig vor sich hin zu dösen. Ruhig nicht gerade. Ein leises Schnarchen war zu hören, trotz des Geräusches, das die Räder auf dem steinernen Boden verursachten. Rechts und links der Via Appia, die nun, ähnlich wie der Tiber zur Mündung hin, immer breiter wurde, standen in unregelmäßigen Abständen Baumgruppen. Immer mehr Ansiedlungen waren zu erkennen, die immer näher an die Hauptstraße heran reichten. „Daher auch auf einmal die vielen Menschen auf der Straße“, dachte Quintus bei sich. In der Stadt zu wohnen konnten sich die wenigsten leisten. Außerdem war auch schon fast alles mit großen Gebäuden zugebaut. Hier draußen war es doch fast noch so wie auf dem Lande und trotzdem war man nicht weit vom Ort vieler Geschehnisse entfernt. Wer gut zu Fuß war, konnte von hier aus schon an einem halben Tag Rom erreichen und wieder zurück nach Hause kommen. Je näher sie an Rom gelangten, umso eleganter wurde die Straße. Nun erhoben sich zu beiden Seiten Marmorsäulen. Zwischendurch kleinere Tempel, die irgendein reicher Geschäftsmann einmal aus Dankbarkeit Roms gegenüber erbauen ließ. Den Grund für diese Bauwerke konnte man meistens im Inneren erfahren. Doch um sich diese mitunter sehr protzigen Gebäude anzusehen, musste man anhalten. Dafür reichte die Zeit aber nicht. Das Geschäft wartete. Und außerdem: Was ging einen die Prunksucht irgendwelcher Kaufleute oder reichen Bürger an?

Am Geruch, der nun in der Luft lag, konnte man feststellen, dass die Stadt nicht mehr fern war. Zwischen einigen Hügeln vor sich konnte Quintus schon ab und zu größere Gebäude erkennen. Jetzt, nach der letzten Biegung, lag sie da! Die ewige Stadt. Die Stadt, von der aus die Welt beherrscht wurde. Die Stadt der Macht. Rom. Hier würde er eines Tages triumphierend einmarschieren. Quintus kannte die Triumphmärsche nur aus Erzählungen seines Vaters. Es musste schon etwas Erhabenes sein, wenn tausende Menschen den siegreichen Soldaten mit ihren Anführern zujubelten. Die Häuser zu beiden Seiten der Via Sacra, die geradewegs zum Capitol führte, wären dann geschmückt mit Lorbeer und Zweigen der Palmen und Pinien. Gesäumt würde der Zug der tapferen Soldaten von einer Ehrenlegion, die, wenn der Zug an ihnen vorübermarschierte, salutierten. Die Menschenmassen würden jubelten. Und am Ende der Prachtstraße führte die große Treppe hinauf zum Capitol, eingefasst von überlebensgroßen Götterfiguren aus Marmor. „Dies werde ich einmal erleben. Und wenn ich es erlebe, dann nicht als alter Mann! Rom werde ich dienen. Rom werde ich mein Leben weihen. Für Rom werde ich, wenn es denn die Götter so wollen, auch sterben. Aber jetzt noch nicht! Einmal werde ich vor dem dankbaren Kaiser stehen. Bestimmt!“ Das Stimmengewirr, das Gewieher, das Blöken und Gackern wurde, je näher sie zur Stadt kamen, immer lauter und aufgeregter und hektischer. Vater öffnete, noch leicht benommen, die Augen. Als er bemerkte, dass sie Rom erreicht hatten, richtete er sich auf und war hell wach. Leicht verlegen und doch emsig, reinigte er seinen Umhang vom Staub der Straße und hockte sich wieder auf den Rand des Wagens. Er schaute hinüber zu Quintus, der den Blick lächelnd entgegennahm. Phoenitius war schon ein ganzes Stück vor Erreichen der Stadtgrenze vom Gespann herabgesprungen und führte nun das Pferd wieder am Halfter durch die Straßen. Er kannte den Weg zum Händler. Der nahm meistens den größten Teil der Ware ab, um sie, umgefüllt in kleinere Gefäße, weiterzuverkaufen. Heute wollte Vater aber noch einen anderen Kunden treffen, der ebenfalls Interesse an seinem Öl hatte. Am Ende einer langen Straße, in der die Häuser dicht an dicht standen, lag das Haus des Marcus Caelius. Wie Quintus später erfuhr, war dies nur so eine Art Geschäftshaus, in dem seine Waren - neben Öl handelte er auch noch mit Stoffen, Schmuck und Perücken, besonders blonden, teuren Perücken - aufbewahrt wurde und seine Familie während der geschäftigen Zeit zu wohnen pflegte. Draußen, vor der Stadt, besaß Marcus Caelius noch ein Anwesen mit Blick auf den Tiber. Hierin zog er sich des Öfteren zurück, um sich von der Arbeit zu erholen oder aber um sich mit Kunden zu treffen. Heute aber wartete er schon auf Livius und seinem Sohn Quintus. Freudig winkte er schon von weitem dem Gespann zu. Ebenso freundlich winkte der Vater zurück. Auch Quintus hob zum Gruß die Hand. Vor dem Geschäftshaus angekommen, sprangen beide vom Wagen. Quintus mit einem leichten Satz über die Außenwand, Vater sprang vorne, eine Hand auf die Schulter des Phoenitius gestützt, herunter. Leicht stöhnend und mit einem simulierten, schmerzverzerrten Blick kam er unten an. Die Männer lachten sich zu und spotteten über die alten, spröden Knochen. Caelius war auch schon ein grauhaariger Mann mit einem für sein Alter doch noch dichtem Haar. Seine Haut war gebräunt und das Gesicht glatt rasiert. Der Umhang war einfarbig und hing ihm locker über die Schultern, wobei er das längere Ende elegant über seinen rechten Arm hängen ließ. Vater hatte nur ein Gewand an, das er mit einem Gürtel zusammenhielt. „Vater sieht irgendwie bescheidener aus“, dachte Quintus. Doch wehe, wenn es ums Verhandeln ging! Marcus Caelius legte die Hand auf Vaters Schulter und deutete ihm an, ins Haus gehen zu wollen. Dem Sklaven zeigte er zuvor noch die Stelle, an der er die Ölgefäße abladen solle. Quintus folgte der Einladung des Gastgebers und trottete in einem geringen Abstand hinter diesem und seinem Vater her ins kühle Haus. Draußen war es doch nun schon recht warm geworden. Nicht so warm wie im Sommer, aber die Sonne schien vom hellblauen Himmel auf die Stadt und erwärmte die Dächer der Häuser. Diese wiederum gaben sie an die Straßen und Gassen weiter, wo die Wärme sich dann ausbreitete und dumpf hängen blieb. Sie kamen in einen großen Raum, der mit Krügen und Kisten gefüllt war. Auf Tischen breiteten einige Frauen Stoffe aus und sortierten sie nach Farbe und Material. Männer wuchteten Kisten und Körbe auf einen zweirädrigen Wagen, der von einem Mann an zwei Stangen in Waage gehalten wurde. Zu Dritt schoben und zogen sie den Karren in einen benachbarten Raum, der, so konnte Quintus sehen, als er neugierig dem Gespann hinterher ging, länger und höher war als der vordere. Hier wurden die Waren gelagert, bis sie dann auf Märkten angeboten oder an Händler verkauft wurden. Phoenitius rief ihm hinterher, dass er zu seinem Vater kommen solle, der mit Marcus in das obere Stockwerk gegangen war. Quintus nahm gleich drei Stufen auf einmal, um dem Vater zu folgen. Wie schon unten im Lager vernahm Quintus auch in diesem Stockwerk einen angenehmen Duft. Eine Mischung aus edlen Gewürzen und der dort unten lagernden Textilien. Der Raum, in dem sich nun die drei befanden, war groß, hell, elegant und zweckmäßig eingerichtet. Caelius brachte hier immer seine besseren Kunden hin, um den Abschluss der Verhandlungen oder des Kaufes zu besiegeln. „Dieser Raum ist fast noch schöner eingerichtet wie der Wohnraum bei uns zu Hause“, dachte sich Quintus. Auf der von der Hauptstraße abgewandten Seite befand sich eine lange Fensterfront, die mehrfach von weißgrauen Marmorsäulen unterbrochen wurde. Von hier aus hatte man einen prächtigen Blick über die Dächer Roms. Wenn man sich hinausbeugte und an der Häuserfront in Richtung Westen, dort, wo die Via Sacra verlief, vorbeischaute, konnte man sogar einen Teil des Capitols sehen. Auf der Straße unter ihm war hektisches Treiben. In seiner Stadt herrschte zwar zur Geschäftszeit auch ein reges Kommen und Gehen. Aber in den Zeiten dazwischen war es doch merklich ruhiger. Hier, in Rom, schien aber das Leben von morgens bis abends zu pulsieren. Nun, Rom war ja auch viel, viel größer als Travestra. „Setz dich“, forderte der Vater Quintus auf. „Marcus, dies wird mein Nachfolger. Ich habe ihn heute mitgebracht, damit du ihn kennen lernst!“ Aber der Händler kannte Quintus schon von früheren Geschäften, als er noch zusammen mit seinem Bruder den Vater begleitete. Dass er mächtig gewachsen und ein richtiger Mann geworden sei, schmeichelte Caelius, während er ihm eine silberne Schale mit Weintrauben und Datteln hinhielt. Ein junges Mädchen kam mit gesenktem Kopf auf die drei Männer zu und brachte auf einem Tablett Gläser und einen Krug mit Wein. Sie goss die Gläser ein und stellte sie vor den Männern auf den Tisch. Quintus beäugte heimlich das junge Mädchen, das vielleicht gerade einmal sechzehn Jahre alt war. Es hatte eine sehr helle Haut und blonde, lange Haare, die auf der einen Seite des Kopfes zu einem Zopf geflochten waren. Marcus bemerkte Quintus´ interessierten Blick. Lachend gab er dem Mädchen einen fast zärtlichen Klaps auf ihr Hinterteil, als es sich gerade zum Gehen wenden wollte. Dies sei seine neue Errungenschaft. Aus einem kalten Land käme sie. Hoch oben im Norden. Noch weit hinter den Bergen. Gar nicht teuer wäre sie gewesen. Nur sprechen wolle sie noch nicht. Verstehen würde sie aber schon viele Anweisungen. Wenn Quintus wolle, könne er sich ja mit ihr ein bisschen intensiver beschäftigen und sie kennen lernen, meinte Marcus mit einem schnippischen Augenzwinkern. Dankend und leicht errötend winkte Quintus ab und nahm einen Schluck Wein. Die Männer lachten und das Mädchen lief mit leichten Tippelschritten aus dem Raum, um sich außerhalb, im Bereich der Türe, auf einen kleinen Teppich zu knien - immer ihren Herren und die Gäste im Blickfeld - um schnellstmöglich zu Diensten sein zu können. Marcus Caelius konnte, obwohl er einen so freundlichen Gesichtsausdruck hatte, doch recht zornig werden. Einmal hatte er sie sogar geschlagen.

Die beiden Geschäftsleute unterschrieben einen Vertrag, der dem Vater für ein weiteres Jahr die Abnahme von mehrere hundert Krügen Öl zusicherte. Vater gab Quintus das Schriftstück, der es in einen ledernen Beutel verstaute, der seitlich an seiner Schulter hing. Die Männer gaben sich die Hand und besiegelten damit das Geschäft. Ein Säckchen mit Geld wechselte seinen Besitzer. Dieses verstaute Quintus ebenfalls in seinem Beutel. Marcus lud die beiden ein, noch vor der Abreise mit in die Therme zu kommen. Der Vater nahm das Angebot dankend an und Quintus war ebenfalls über diese Einladung erfreut, hatte er doch schon vieles über die Thermen in Rom gehört. Sie sollten recht groß und prächtig ausgestattet sein und viele bekannte Personen würden sich dort treffen. Die Via Konstantinis hinunter bis zur ersten Querstraße und dann noch ein kleines Stück, und schon waren sie an Ort und Stelle. Quintus konnte nicht glauben, dass dies eine Therme sein sollte. Sah eher aus wie ein Tempel für Jupiter oder Mars oder irgendeinen der anderen großen Götter. Eine mächtige Freitreppe führte zu einem Säulengang hinauf. Quintus zählte an die fünfunddreißig Stufen. Links und rechts der Treppe standen Figuren, manche hatten Köpfe wie Löwen, andere wieder wie Pferde. Hinter den Säulen lag ein zum Vorplatz hin offener Gang. Von hieraus führten doppelflügelige Türen ins Innere. Gruppen von sich unterhaltenden Geschäftsleuten kamen heraus. Andere gingen hinein. Einzelne Besucher standen draußen im Gang und schienen noch auf jemanden zu warten. Die beiden Holztüren waren nach innen hinein geöffnet, und Quintus konnte von hier aus schon die ganze Pracht des Ausbaues einsehen. Doch bevor die drei die Therme betraten, meinte Marcus mit einem verschmitzten Grinsen, er wolle Quintus noch den Raum zeigen, in dem er die besten Geschäfte tätige. Sie gingen den Gang entlang, bis sie zu einer verschlossenen Türe gelangten. Caelius öffnete sie und sogleich schlug ihnen ein unangenehmer Geruch entgegen, vermischt mit dem Duft von Kräutern und Ölen, der in dünnen Rauchschwaden aus Hängeampeln aufstieg, um eben den unangenehmen Duft zu vertreiben. Manchmal gelang dies und manchmal, so wie heute, eben nicht. An der Wand entlang saßen mindestens 15 Männer auf Holzbänken, die, mit einem Loch versehen, über einem Kanal mit fließendem Wasser montiert waren. Manche saßen auf dem Brett und stierten sinnend vor sich hin. Andere unterhielten sich, wild in der Luft gestikulierend, über Politik oder übers Geschäft. Ob sie sich dazugesellen mochten, wollte Marcus wissen. Beide winkten ab und gingen rasch wieder vor die Türe. Vater kannte diesen Ort schon von früheren Besuchen. Auch er hat hier schon das eine oder andere Geschäft getätigt oder zumindest angebahnt. Quintus wusste, dass es in den Thermen von Rom und all den anderen großen Städten diese Anlagen gab. Ihm selber war aber der Platz für seine Notdurft zuhause in der Küche lieber. Sie warteten noch einen Augenblick, bis Marcus herauskam, hatte er doch noch einen Geschäftsmann erblickt, dem er noch eine Fuhre Stoff liefern musste. Mit gerümpfter Nase und einem Lachen begaben sie sich zur Therme. Durch die zweiflügelige Türe traten sie ein. Sofort schlug ihnen eine feuchtwarme Luft entgegen, die allerdings wesentlich besser roch, als die des anderen Raumes. Hinter der Türe befand sich ein Tisch, hinter dem ein in weiß gekleideter, kahlköpfiger Mann saß, der die Eintretenden von Kopf bis Fuß musterte. Er erkannte Caelius sofort wieder, sprang auf und verbeugte sich höflich. Er klatschte zweimal mit den Händen und ein Diener, der an einer Säule in der Nähe des Einganges stand, kam sofort herbeigelaufen. Der Verwalter befahl ihm, die drei zum Bad zu begleiten und ihnen Handtücher und Umhänge zu geben. Dankend schnippte Marcus dem Verwalter ein kleines Geldstück zu, das dieser geschickt auffing. Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch, nahm die Tontafel und machte in der Rubrik für angekommene Gästen zwei Striche.

Quintus musste an das blauäugige, strohblonde Mädchen im Haus des Ölhändlers denken.

Wie ein Stein im tiefen Wasser

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