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Perser

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Xenophons Arbeitgeber ist Kyros, Kūruš auf Persisch, Sohn von Dareios II. und der Parysatis. Er ist sehr zu seinem eigenen Verdruss und dem seiner Mutter, die ihn stets bevorzugte, aber der jüngere. Großkönig ist seit dem Tod des Vaters 404 v. Chr. sein älterer Bruder, Arsakes, unter dem Thronnamen Artaxerxes II. Den zeitgenössischen Quellen nach sollen die Brüder recht unterschiedlichen Charakters gewesen sein: Kyros ehrgeizig und aufbrausend, Arsakes sanftmütig und großzügig. Psychologen mögen sich Gedanken darüber machen, inwiefern die Bevorzugung und entsprechende Verhätschelung des Jüngeren durch die Mutter zu dessen Charakterbildung beigetragen haben mag. Xenophon, der den Prinzen anscheinend schätzen lernte, überliefert ein positiveres Bild seiner Persönlichkeit.

Das königliche Haus der Achämeniden, aus dem die beiden Prinzen stammen, herrscht über das größte Reich, das die Welt bis zu diesem Zeitpunkt je gesehen hatte. Sein Zentrum liegt im westlichen Iran, wo sich nicht nur die Urheimat der Dynastie in der Persis befindet, sondern auch das Herz des Vorgängerimperiums der Meder, dessen Thron der zweite Kyros, den die Geschichtsschreiber „den Großen“ nennen, um 560 v. Chr. in einem spektakulären Staatsstreich an sich gebracht hatte. Danach erweitert er in einem beispiellosen Siegeszug seine Herrschaft über Kleinasien, Mesopotamien und den Osten des Iran bis an die Grenzen Indiens und die Steppen Zentralasiens. Seine Nachfolger werden dem Reich noch Ägypten hinzufügen. Der gesamte Alte Orient – Keimzelle und Kernraum der westlichen Kultur – war damit unter einer herrschenden Dynastie vereinigt.

Der Nahe Osten blickt in jener Zeit auf eine weitaus längere Geschichte zurück als das benachbarte Griechenland. Hier waren die Menschen zum ersten Mal sesshaft geworden. Ackerbau und Viehzucht waren erfunden und in den Flusstälern Mesopotamiens und des Nils perfektioniert worden.

Hier waren die ersten Städte entstanden und die ersten Kriege ausgefochten worden. Staatlichkeit und ihre Begleitphänomene: Urbanisierung, Schrift und Monumentalbauten, all das, woraus sich „Geschichte“ konstruieren lässt, reichen hier Jahrtausende weiter zurück als im Westen. Das mit den griechischen Dunklen Jahrhunderten vergleichbare Heldenzeitalter des Zweistromlandes und Ägyptens lag in so weiter Vergangenheit, dass man Jahrtausende bemühen muss, um es zu erfassen. Im späten 4. Jahrtausend v. Chr. wurde Uruk gegründet, die Mutter aller Städte in Mesopotamien. Jericho, wenn man es denn eine Stadt nennen kann, und nicht eher eine Art Pueblo, also verdichtete, wehrhafte Dorfsiedlung, geht sogar auf das 8. Jahrtausend v. Chr. zurück. Auch wenn die frühen Königslisten der Sumerer und ähnliche Aufzeichnungen in Ägypten spätere „Geschichts(re)konstruktionen“ durch Herrscher sind, die sich eine möglichst lange Ahnenreihe geben wollten, sind auch die nachweislichen Staatsgebilde im Nahen Osten von einem ehrwürdigen Alter: Sargon von Akkad tritt uns an der Wende zum 23. Jahrhundert v. Chr. als Herrscher eines ersten Flächenstaates entgegen und in Ägypten vereinigten mythische Könige wie Menes schon um 2700 v. Chr. das Niltal unter ihrer Herrschaft. Der amerikanische Anthropologe Robert Carneiro hat eine überzeugende Theorie vorgelegt, nach der all diese frühen Staaten das Endprodukt einer Entwicklung waren, in der sich aus einander bekämpfenden lokalen, dann regionalen Häuptlingtümern schließlich einheitliche und dauerhafte Herrschaftsgebilde entwickelten, weil es für die Menschen in den von Wüsten und Steppen umgebenden Flusstälern schlicht keinen Ausweg gab.

Für die stetig wachsende Bevölkerung war es unmöglich, außerhalb des schmalen Streifens fruchtbaren Ackerlands zu überleben. Deswegen begann gerade in diesen Regionen am frühesten der Kreislauf gewaltsamer Auseinandersetzungen, der zum Wachstum immer mächtigerer Häuptlingtümer und schließlich zur Entstehung von Staaten führte. Sobald die äußeren Konkurrenten ausgeschaltet, Reichtumserwerb durch Eroberung damit unmöglich und gesellschaftlicher Zusammenhalt durch den gemeinsamen Feind nicht mehr herzustellen ist, schaffen es erfolgreiche Dynastien, die erprobten Gewaltmittel nach innen zu richten, die Eliten durch die Ausbeutung der Untertanen für sich zu gewinnen und ihre Legitimation durch Religion und Repräsentation zu sichern. Der Alte Orient ist infolgedessen voll monumentaler Bauten – die Pyramiden bilden da nur die Spitze. Die zahlreichen Priesterschaften erfinden gelegentlich auch nützliche Dinge wie Kalender oder die Astronomie. Ausufernde Bürokratien, die die gewaltigen Tribut- und Umverteilungssysteme der Gottkönige und Theokraten verwalten, entwickeln zu diesem Zweck die Schrift. Ihre strenge Hierarchie verbindet den niedrigsten Fellachen im Nilschlamm mit dem gottgleichen Herrscher auf seinem Thron.

Was den Griechen als essentieller Unterschied zwischen ihren eigenen gesellschaftlichen Strukturen und denen des Ostens erschien, war nur ein Skalenphänomen: Sie waren bloß noch nicht so weit wie die Völker unter dem Großkönig. Erst die hellenistischen Reiche nach Alexander und später Rom sollten den Mittelmeerraum in ähnlicher Weise staatlich zusammenschmieden, wie es im Alten Orient schon lange vorher geschehen war. Umgekehrt hatten auch in Sumer und im prädynastischen Ägypten einst Stadtstaaten um die Vorherrschaft gerungen, doch sorgten Naturraum und ein Vorsprung von Jahrtausenden dafür, dass der Kampf längst entschieden war, als die Seeräuber aus der Ägäis in dieser uralten Welt ankamen. Erst Jahrhunderte später erregten sie und ihr steiniges Heimatland die Aufmerksamkeit des Endsiegers im großen Spiel der Zivilisationen.

Unter Dareios I. und seinem glücklosen Sohn Xerxes scheitern die Perser – nach beeindruckenden Eroberungen auf dem Balkan – am Widerstand der Hellenen. Die Geschichte wurde so oft erzählt, dass wir uns die Details hier sparen. Nachdem Griechen unsere Gewährsleute für das meiste, was wir über diese Zeit wissen, sind und Europa ein bedenkliches Naheverhältnis zu diesen Leuten hat, lohnt es, die Ereignisse etwas kritisch zu betrachten. Aus der Nachschau entsteht leicht der Eindruck, dass bei Marathon beginnt was bei Gaugamela endet, und das Perserreich nach seinem vergeblichen Versuch, die freien Griechenstädte in die Knie zu zwingen, in eine Abwärtsspirale gerät, die mit seiner Überwindung durch den Makedonen Alexander enden wird. Das entspricht auch der Deutung der griechischen Zeitgenossen, die den sensationellen Siegeszug des Makedonen miterlebten und fügt sich im Nachhinein schön in die oben schon angedeutete Erzählung von West und Ost.

Doch ist es mitnichten so abgelaufen. Aus persischer Sicht wird nach mehreren erfolglosen Versuchen eine Strafaktion aufgegeben, auf die man sich ohnehin nie hätte einlassen dürfen. Die kritische Bewertung des Xerxes als Urheber der Katastrophe bei Herodot, viel mehr noch in den „Persern“ des Aischylos, dürfte durchaus auch der Einschätzung auf der anderen Seite entsprochen haben. Immerhin wurde der erfolglose Eroberer Opfer eine Hofintrige. Der Großkönig hatte sich verrannt oder war von eigennützigen Beratern verführt worden, wie Herodot es schildert. Zwar ein kostspieliger Fehler, aber keine Katastrophe. Andere Brandherde in dem durch die Niederlage sicherlich angeschlagenen, aber keinesfalls tödlich getroffenen Riesenreich sind weitaus bedeutsamer. Babylon etwa, wo seit dem Thronantritt des Xerxes und seiner unsensiblen Handhabung der örtlichen Traditionen Unruhen toben. Xerxes hätte nach der freiwilligen Unterwerfung eines Großteils der griechischen Städte, während die Akropolis von Athen noch in Flammen steht und damit die Rache perfekt ist, die Mission für erledigt erklären und den Rückzug antreten können. Seine fähigste Flottenkommandantin, Artemisia, Königin von Karien, rät ihm auch vom Angriff auf die griechische Flotte bei Salamis ab. Er schlägt ihren Rat aus. Danach verliert er die Nerven und lässt Mardonios, der ihm die ganze Aktion eingeredet hatte, in Griechenland zurück und macht sich mit dem Heer auf den Heimweg, um nicht von der siegreichen griechischen Flotte von der Heimat abgeschnitten zu werden. Mardonios unterliegt am Ende zwar bei Platäa, doch der Großteil des Heeres und der Großkönig sind in Sicherheit. Aus persischer Sicht ist das Gewünschte erreicht: Ionien ist zurückerobert und auf der anderen Seite des Hellespont hat man mit den Makedonen ein Klientelkönigreich, das in der Gegend für Ordnung sorgt. Die Einmischung der Athener wurde bestraft. Zwar driften die meisten Stadtstaaten und Inseln bald wieder aus dem persischen Orbit und geraten unter die Vormacht von Athen oder Sparta, doch geht von den renitenten „Ioniern“ bald nur mehr eine lokale Bedrohung aus, nachdem sich die beiden wichtigsten Stadtstaaten in einem Krieg untereinander zerfleischen. Am Ende gewinnt mit persischem Gold Sparta, das nun im Sinne der einzigen Weltmacht für Ruhe sorgen wird. Ohne auch nur einen persischen Stiefel – oder sollte man sagen: Sandale – auf griechischem Boden löst sich das Problem auf wunderbare Weise wie von selbst. Warum soll man die karge Halbinsel jenseits des Meeres auch aktiv unterwerfen? An Steuereinnahmen und Ländereien hat sie nichts zu bieten. Ihr wertvollster Export sind ihre Menschen, die ohnehin scharenweise ins Reich des Großkönigs strömen, denn Persien ist reich, sprichwörtlich reich aus Sicht der Griechen. So reich, dass die Hellenen Goldmünzen eigentlich nur in persischer Prägung kennen: Dareikos nennen sie diese, nach dem Großkönig, der sie eingeführt haben soll und exakt ein Dareikos pro Monat gilt lange als Basislohn für Söldner. Das war natürlich kein Zufall. Allerlei Griechen verkaufen ihre Fertigkeiten an den Großkönig und die zunehmend eigenmächtig agierenden Satrapen in den Provinzen: Architekten, Künstler, Handwerker, Seeleute, Ärzte. Einer von ihnen, Ktesias von Knidos, steht gerade im Dienst des Großkönigs, als sich dessen Bruder Kyros anschickt, das goldene Netz einzuholen, das er in den Jahren zuvor ausgeworfen hat.


Alexander, der Makedone, Überwinder der Perser, denen sich sein gleichnamiger Vorgänger noch unterwarf, als sie unter Xerxes den Hellespont überschritten.

Alexandermosaik (Ausschnitt), Pompej, ca. 150–100 v. Chr.; Archäologisches National Museum, Neapel

Der Krieg

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