Читать книгу Der Krieg - Ilja Steffelbauer - Страница 27
Intrigen
ОглавлениеSöldner sind nach dem Krieg oft ein größeres Problem als im Krieg. Dort wird ihnen gerne ein gewisses Maß an praktischer Vernunft nachgesagt, das sie daran hindert, sich allzu kühn in jedes Gefecht zu stürzen. Oft verlangen sie für jedes Extra, etwa wirklich zu kämpfen, eine Bonuszahlung. Auch Kyros muss seinen Griechen den Sold anheben, als klar wird, dass es tatsächlich gegen seinen königlichen Bruder geht. Selbst Söldner, für die man vorher bezahlt hat, werden zum Ärgernis, wenn der Krieg vorbei ist, noch mehr solche im Dienst des geschlagenen Gegners. Anders als reguläre Truppen, die in ihre Garnisonen abmarschieren oder ausgehobene Milizen oder feudale Aufgebote, die froh sind, so schnell wie möglich ihre Felder, Werkstätten oder Adelssitze wiederzusehen und ihr ziviles Leben wieder aufzunehmen, haben Söldner schlicht keine Heimat, in die sie zurückkehren können, keinen Zivilberuf, der auf sie wartet. Zu allen Zeiten der Geschichte sehen sich Auftraggeber von Söldnern mit dem Problem konfrontiert, eine oft sehr große Zahl von sehr gefährlichen Männern irgendwie aus ihrem Land hinauskomplimentieren zu müssen. Wenn man Glück hat, findet sich rasch und in Reichweite ein neuer Kriegsherr, an den man sie weitervermitteln kann. Oder man bietet ihnen ein finanzielles Incentive, dass sie zumindest das Land verlassen und die Wirtshäuser im Herrschaftsgebiet des Nachbarn zu Kleinholz verarbeiten und deren mehr oder weniger ehrenwerte Damenwelt belästigen. Söldner – wie alle Männerbünde – haben notorisch schlechte Manieren, die durch lange Phasen der Langeweile, kurze Momente der Todesgefahr und die Gewissheit, Fremder unter Fremden zu sein, nicht besser werden. Auch einmal viel Geld zu haben, meist aber keines, fördert das Leben im Augenblick. Die Folgen der eigenen Handlungen haben dann wenig Bedeutung. Nichtsdestotrotz sehnen sich viele dieser Männer nach einem geordneten Leben, genug meist, um die gesamte Truppe vor dem Abgleiten in die Gesetzlosigkeit zu bewahren. Griechische Söldner verzehren sich nach dem bäuerlichen Idyll, aus dem viele durch die Not hinausgedrängt wurden. Ihnen ein Stück Land anzubieten, treibt sie meist zu Höchstleistungen an. Alexander der Große wird dies mit Erfolg umsetzen und die Landkarte des Nahen Ostens mit Alexandrias ausgedienten Söldnern überziehen. Von späteren Söldnerarmeen, wie denen des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648), weiß man, dass viele Söldner in recht stabilen Paarbeziehungen lebten, Frau und Kinder im Tross mithatten und von diesen ebenso versorgt wurden. Auch die ungeschlagenen Griechen bei Kunaxa müssen nicht nur um ihr eigenes Leben fürchten, sondern um das ihrer Diener und oft auch Familien. Eine vormoderne Armee ist eine Stadt auf dem Marsch, mit allen Problemen der Versorgung, Organisation und Entsorgung, die sich daraus ergeben. Naheliegenderweise ist also eine der ersten Zusicherungen, die die Griechen nun von den persischen Unterhändlern fordern, die Möglichkeit, sich auf einem Markt zu fairen Preisen zu versorgen. Keine örtliche Handelskammer ist erfreut, wenn 10.000 Bewaffnete zum Shopping kommen, und die Auswirkung der plötzlichen Bedarfsspitze auf die Marktpreise kann man sich mit etwas Fantasie ausmalen. Wieder tritt Tissaphernes in Erscheinung, der im Auftrag des Großkönigs den geordneten Abmarsch der Söldner organisieren soll. Er bietet den Männern Waffenstillstand und die Rückkehr in die Heimat an. Die Söldnerführer sind nicht abgeneigt, rasch richten einige ihr Mäntelchen nach dem neuen Wind: „Wir sind weder zusammengekommen, um gegen den Großkönig Krieg zu führen, noch sind wir gegen ihn ins Feld gezogen,“ rechtfertigt sich ausgerechnet Klearchos. Kyros habe sie getäuscht, doch verbot es die Ehre, ihn in der Schlacht in Stich zu lassen. Nun, noch knapper als an „im Stich lassen“, wie durch Klearchos Wandertag, während sein Auftraggeber von der Leibgarde des Großkönigs zerstückelt wurde, kann man eigentlich nicht vorbeischrammen.
Söldner haben immer Konjunktur: Die französische Fremdenlegion erscheint da beinahe bieder, verglichen mit neuen „Sicherheitsunternehmen“ wie Blackwater.
Die beste Schlacht, das weiß jeder erfolgreiche Condottiere, ist die, bei der man tapfer zu kämpfen scheint, dabei aber nie wirklich in Gefahr ist.
Die Indizien verdichten sich, dass hier ein doppeltes Spiel aufgeführt wurde. Tissaphernes und die Söldnerführer einigen sich darauf, dass den Griechen freier Abzug gewährt wird und ihnen die Möglichkeit gegeben wird, sich zu versorgen. Im Gegenzug sollen sie nicht plündern und auch sonst keine Schäden verursachen. Doch nach seiner Abreise, um den Großkönig diese Einigung zu überbringen, lässt der Perser sie warten. Zwanzig Tage sitzen sie in der Ebene Mesopotamiens fest, in ihrer Bewegung durch Bewässerungskanäle eingeschränkt, die – unüblich für die Jahreszeit – voller Wasser sind. Doch dann kehrt Tissaphernes zurück und der Marsch beginnt, begleitet von den üblichen Reibereien eines Heerzuges. Es gibt Schlägereien beim Holzsammeln, Streit um den Zugang zu Wasser und, wie immer, die Marktpreise. Das nächste seltsame Ereignis: Als sie an einigen Dörfern vorbeikommen, die zu den Ländereien der Mutter des Kyros gehören, überlässt Tissaphernes sie den Griechen zu Plünderung. Sie zögern keinen Moment. Tissaphernes kann das leicht als einen bedauerlichen Zwischenfall mit ausländischen Raufbolden hinstellen, Parysatis, die noch den Tod ihres Lieblingssohnes betrauert, wird die Spitze schon verstanden haben. Klearchos versucht sich inzwischen bei Tissaphernes beliebt zu machen. Ein guter Söldnerführer ist immer auf der Suche nach dem nächsten, finanziell potenten Auftraggeber, und Tissaphernes ist der kommende Mann in Kleinasien. Immerhin hat ihm der Großkönig eine seiner Töchter zur Frau gegeben. Klearchos ist klar, dass er, wenn er die außergewöhnlich große Söldnerarmee zusammenhalten kann, ein Machtfaktor in der Region werden könnte, was vor allem bedeutet: unendlich reich. Klearchos, so schreibt Xenophon eindeutig, wünschte, dass das ganze Heer sich ihm zuwende. Doch dazu muss er sicherstellen, dass die Unterführer und ihre Männer Aussicht auf einen weiteren lukrativen Auftrag unter seiner Führung haben, sonst suchen sie vielleicht auf eigene Faust ihr Glück anderswo. Klearchos braucht Tissaphernes. Doch braucht dieser ihn? Er lässt es zumindest durchblicken und mit diesem dünnen Versprechen versucht Klearchos den Coup in der Armee. Er lockt die griechischen Anführer, die sich ihm noch widersetzen, zu einer Unterredung in das Lager der Perser und lässt sie dort ermorden. Doch auch Klearchos ist am Ende dieser Nacht der langen Messer tot. Eine Gehaltsverhandlung, die aus dem Ruder gelaufen ist? Tissaphernes hat sich als der erfolgreichere Intrigant erwiesen. Als persische Unterhändler im Lager der Griechen erscheinen, um ihre Kapitulation zu verlangen, macht dann ausgerechnet ein kulturelles Missverständnis die Pläne des Tissaphernes zunichte: In der orientalischen Tradition sieht er die Söldner als „Sklaven“, als Untertanen, Hörige, Gefolgsleute des Klearchos und ihrer Anführer. Durch seinen Enthauptungsschlag meint er, ihnen jede weitere Motivation genommen zu haben, hofft vielleicht, dass sie ihre Loyalität einfach auf ihn übertragen. Die Griechen indes sehen sich als Gleiche, ihre Anführer nur als die Besten, oder die Besten halt, die man gerade hatte, und wählen flugs neue Kommandanten. Einer von ihnen wird der Athener Xenophon sein, Chronist der Geschichte und nicht unwesentlich mitverantwortlich, dass die Zehntausend den Weg nach Hause finden werden. Er selbst schafft den Absprung, läuft zu den Spartanern über und widmet sich der Schriftstellerei. Sein abschließendes Urteil über Klearchos: Ein harter, aber fähiger Kommandant, nur zu sehr verliebt in seine Rolle als Krieger; einer, der nach dem langen Krieg nicht mehr in die zivile Welt zurückgefunden hat. Material, aus dem zu allen Zeiten Söldner gemacht werden. Die wenigsten kaufen irgendwann den Bauernhof, von dem sie zeitlebens vielleicht fantasiert haben.