Читать книгу Telefónica - Ilsa Barea-Kulcsar - Страница 8

III.

Оглавление

Im achten Stock schlug um acht Uhr abends eine Granate ein. Sie war nicht der Rede wert; eine 7,5-Zentimeter. Sie traf das Fenstersims in der Vorderfont und explodierte dort. Zement- und Holzsplitter flogen ins Zimmer, zugleich mit der zerbrochenen Fensterscheibe, zugleich mit den Sprengstücken, von denen sich einige in die gegenüberliegende Wand bohrten, andere in die dicken Eichenschränke drangen, viele ohne Durchschlagskraft auf den Boden fielen. Das Zimmer war einer der unzähligen, nun unbenützten Verwaltungsräume, die jetzt leer standen; also an sich eine uninteressante Granate.

Der Vertrauensmann des Stockwerkes besichtigte den Schaden. Er stellte zwei nicht unwichtige Details fest, die ihm erlaubten, eine Änderung des Schußwinkels der Batterie oder die Aufstellung einer neuen Batterie anzunehmen. »Das ist die linke Seite des Fensterrahmens«, sagte er zu seiner Ordonnanz, »sie haben die Richtung geändert. Aber was fällt ihnen ein, jetzt so spät eine einzelne Granate abzuschießen. Besser, ich melde es dem Comandante.«

Manuel García war erst seit wenigen Tagen Responsable, Verantwortlicher. Er gehört zu den Vorarbeitern der Reparaturkolonne. Aber sie hatten seit dem 6. November keinen Außendienst gemacht. Das wenige Material, das in Madrid vorhanden war, wurde von den militärischen Linien und den neuerrichteten Telephonzentralen der Kriegsbehörden aufgebraucht. Manuels Gruppe von Elektrikern und Mechanikern, die den Reparaturdienst am Telephonnetz der Hauptstadt selbst zu versehen hatte, wartete vergebens auf eine Materialzusendung. Derzeit war es immerhin noch möglich, diesen Dienst durch Kunststücke der Linienkombination und Umschaltung zu ersetzen. Aber lange ging das nicht mehr so weiter. Manuel fühlte sich überdies nicht sehr geeignet für den Dienst in der Telefónica, er war an freie Luft und die Arbeitsgemeinschaft der Gruppe gewöhnt. Aber die Freie Gewerkschaft – die UGT – hatte ihn zum Diensthabenden im achten Stock bestimmt, weil dort die Militärkanzlei und die Kommandantur lag und man da keinen Anarchisten haben wollte. Gute Kerle, meinte Manuel selbst, aber man weiß nie, was sie anstellen.

Eben hatte er die Arbeit vor sich, den ganzen Stock zu überprüfen, nach Menschen und nach Dingen. Dann würde er zu Sánchez gehen. Comandante Sánchez war etwas schwierig zu verstehen; verschlossen und abseitsstehend, dabei ein alter Gewerkschafter. Ein tüchtiger Mensch und nicht feig – er hätte, wie so viele, am 7. November nach Valencia abhauen können und war aus freien Stücken in Madrid geblieben –, aber ihm fehlte die normale Freundlichkeit. Er war immer so angespannt. Manuel nahm an, daß Sánchez unvermeidlich in schlimme Konflikte mit Pedro Solano aus dem Arbeiterrat geraten würde; Pedro hielt den Kommandanten für ein unverläßliches Element, weil er in seinem Zivilberuf vor dem Bürgerkrieg als Abteilungsleiter und Ingenieur einer Fabrik zum Dienerkreis der Kapitalisten gehört habe.

Manuel war anderer Meinung, aber er wollte erst dann ein endgültiges Urteil abgeben, wenn er den Mann besser kennengelernt hätte. Vielleicht würde er auch mit ihm über die internationale Lage sprechen können. Sánchez wußte davon mehr als die meisten anderen, und Manuel war gequält von dem Gedanken an das Versagen der internationalen Arbeitersolidarität und der Demokratien. »Das darf doch nicht sein«, sagte er wieder einmal laut vor sich hin und begann zwischen den Sprengstücken nach dem Zünder zu suchen, der die Herkunft des Geschosses am deutlichsten verraten würde. Der Zünder war irgendwo anders hingeflogen, vielleicht auf die Straße. Aber da war ein Sprengstück mit undeutlicher Fabrikmarke. Sicherlich deutsch, was denn – aber der Comandante würde das wissen, der war ein alter Artillerist.

Manuel ging in den kleinen Raum, der ihm den Luxus eines Privatschlafzimmers in der Telefónica vortäuschte, und fuhr sich mit dem Kamm durch die widerspenstigen, sehr schwarzen Haare. In der einen Schicht seines Denkens formulierte er seinen Rapport an den Kommandanten, darunter aber rechnete er nach, ob der neue Schußwinkel der Batterie sein eigenes Fenster in neue Gefahr brächte. Nein, ebensowenig wie die Kommandantur. Aber man wußte es ja nie. Er sah in den Spiegel, denn er hielt viel auf seine äußere Wirkung: sehr dicke schwarze Augenbrauen, erstaunlich hellbraune, fröhliche Augen, kräftige, gerade Nase, ein breiter, fester Mund, sehr braune Haut, ein zu gerundetes fleischiges Kinn. Sein dunkelblaues Hemd ließ ihn noch schwärzer erscheinen. Er gefiel sich und erinnerte sich unklar an die Komplimente der kleinen Blonden – Wasserstoff-Blondine! –, die so lustig war und sich im Haus zu einer Art Kollektiveinrichtung entwickelte. Er dachte wirklich das Wort »Kollektiveinrichtung« und vermied das Wort Puta, Hure, das sonst so rasch zur Hand war; denn jenes kleine, lustige Mädchen war einfach toll vor Angst, ihr junges Leben nicht mehr ausnützen zu können.

Ein nettes Mädchen, aber nichts für Manolo. Ob heute Nacht ein Bombardement kommt? Der späte Nachmittag war merkwürdig gewesen, nichts los und doch immer Unruhe und Schießen. Man spürt so etwas in den Knochen. Na, er würde zu Sánchez gehen und erst dann essen, aber nicht in das Kollektivrestaurant, dazu war es schon zu spät.

Als Manuel in die Kommandantur trat, hielt ihn die Ordonnanz auf. Diese Ordonnanz war ein alter Arbeiter, der sich niemals soldatisch benehmen wollte, aber dabei von einem großen Stolz auf die Funktion »seines« Büros, seines Obersten, seines Comandante und seiner eigenen Person erfüllt war.

Er nahm Manuel am Arm und erklärt ihm eifrig: »Der Genosse Agustín ist jetzt gerade im Souterrain, der Architekt will ein paar Holzwände für Waschräume einziehen lassen, für die Flüchtlinge unten. Wir wissen ja nicht, wann man sie evakuieren kann. Aber bleib nur hier und warte, er wird gleich wieder heraufkommen.«

Manuel kannte den alten Pepe und dessen Art. Er wusste alles und mußte immer alles erzählen, was er wußte. Nur wenn man ihm Verschwiegenheit auferlegte, hielt er sich mit einer unbedingten Verläßlichkeit daran. Müßig fragte Manuel den Alten, der Einladung eines pfiffigen Zwinkerns folgend: »Warum glaubst du, daß Sánchez gleich kommt? Die Inspektion unten wird lange dauern und ich könnte inzwischen essen gehen.«

»Ja, Manolo, das ist so: Der Agustín hat doch jetzt unten seine Frau, die Pepa, mit den beiden Kindern. Die ist ein Maschinengewehr; es ist kein Wunder, wenn er ihr davonrennt. Ich kenne sie gut. Eine Zeitlang ist sie jeden Tag hier heraufgekommen und hat ihm Szenen gemacht, weil er nicht genug Geld gibt für Sofapolster und so Zeug, und weil er mit der Paquita geht. Sie hat mich sogar ausgefragt, ob er hier in der Telefónica mit der Paquita schläft; aber bis jetzt hat er es nicht getan – eigentlich eine Dummheit von ihm –, und das hab’ ich der Pepa auch gesagt. Die Pepa war einmal ein hübsches, feines Mädel, aber jetzt hat sie ein Essiggesicht. Komisch, Verschwenderinnen haben meistens ein anderes Gesicht, man würde die Pepa für geizig halten, wenn man nicht wüßte, wie sie ist. Und sie ist strohdumm. Nein, du kannst dich darauf verlassen, der Agustín kommt gleich wieder herauf, er will nichts von Weibern wissen. Gerade vorhin hat er die Paquita hinausgeschmissen. Aber die wird schon wiederkommen, die ist zäh und weiß, daß so einer wie der Agustín nicht überall zu finden ist. Weißt du, daß Miaja ihn mit du anredet?«

»Der General redet fast alle Leute mit du an, wenn er sie nämlich gut leiden kann. Und du bist selbst ein Maschinengewehr, Pepe, das geht bei dir taka-taka-tak. Bei mir bliebest du nicht Ordonnanz, das sag’ ich dir, ich mag es nicht, wenn man mir meine Bettgeschichten nachrechnet.«

»Teufel, Manolo, du bist grob und du kannst mich auch. Junge, du weißt ja, daß ich über den Agustín nicht mit jedem rede, sondern nur mit denen, die zu ihm halten. Und wenn du nicht zu ihm hältst, schlag’ ich dir die Zähne ein. Und außerdem ist ein Mann ein Mann und das ist keine Schande. Und …«

»Und ich habe andere Sorgen als deinen Agustín. Laß mich ins Büro, ich will ein paar Worte aufschreiben. Wenn ich dir zuhöre – übrigens, das mit dem Zähne einschlagen geht nicht so einfach bei mir, schau sie dir nur an, die beißen! Also, wenn ich dir zuhöre, vergesse ich meinen Bericht.«

Es war im Grunde gegen die Dienstordnung, aber Manuel war der Responsable des Stockwerkes, also durfte er auch in Abwesenheit des Chefs dessen Zimmer betreten. Er setzte sich zwar nicht auf den geschnitzten Sessel, aber das geschah zum Teil, weil die Lederfauteuils viel bequemer waren. So haben sich die Amerikaner eingerichtet, die wissen, was Luxus ist, dachte Manuel. Aber wir werden es anders machen und es wird auch schön sein, dafür werden wir eine breitere Stiege machen und nicht bloß Waschbecken und Duschen, sondern auch ein Bad für unsere Angestellten – in jedem Stockwerk womöglich.

Das Telephon klingelte; Pepe steckte den Kopf herein und sagte: »Antworte du, Manolo, du kennst die Leute besser.« Manuel zog seine uniformartige Bluse straff und nahm den Hörer ab. Zuerst verstand er nicht recht, aber er wollte seine Ungeschicklichkeit nicht merken lassen. Dann verstand er aber klar genug: »Vier Junkers, sechs Jagdflugzeuge im Anflug. Alarm geben!«

Nun war es wieder da. Er rief die Hauszentrale an und gab die vereinbarten Stichworte, die er als Responsable genau beherrschen mußte. Damit setzte er den Alarmapparat des gewaltigen Hauses in Bewegung, ohne den Kommandanten zu fragen. Aber das war Notstand. Alle Lichter aus. Nur die Taschenlampen und an ein paar Stellen die kleinen, mattblauen Notlampen, und Achtung mit den Taschenlampen! Was hatte er im Stock selbst zu tun? Er ging rasch hinaus und verständigte Pepe. Dieser wischte sich die Stirn und schlug vor, den Comandante im Keller suchen zu gehen.

»Geh nur du, wenn du Angst hast«, sagte Manuel. »Ich bleibe im Stock, einer muß das Telephon bedienen. Warte nur noch, bis ich mir die anderen Räume angesehen habe.«

Er machte in Hast die Runde. Die wenigen Menschen, die im achten Stock arbeiteten, waren schon im Stiegenhaus. Alarmpfeifen, Lärm von vielen Menschen auf der Treppe. Manuel kehrte wieder in die Kommandantur zurück, wo Pepe wartete. Der Gang bis dorthin war dunkel, der fensterlose Vorsaal schwarz, die kleine Taschenlampe drang nicht durch. Er stieß gegen Ecken und Kanten und fühlte sich im Stich gelassen, bis er die Stimme des Alten hörte »Hola, Manuel!«

Ein mattes Taschenlampenlicht blinkte auf (Pepe hat eine schlechte Batterie, sie wird bald ganz versagen und Batterien sind knapp geworden, dachte er), dann rief Pepe heiser: »Agustín hat angerufen, er kommt herauf. Ich muß nicht dabei sein, sagt er, wenn jemand anderer Verläßlicher heroben ist. Ich gehe. Ich kann die Junkers nicht leiden, sie tun meinen Magennerven nicht gut.«

»Geh in Teufels Namen, altes Schwein«, erwiderte Manuel, ernstlich gereizt und aufgeregt. Er lauschte auf die stolpernden, sich entfernenden Fußtritte im langen Korridor und ging dann mit einer Willensanstrengung ins Kommandantenzimmer. Er versuchte, sich zurechtzufinden: Das ist der große Armsessel, das ist die Tischkante, das ist das eine Fenster. Wenn ich die Taschenlampe auslösche, kann ich dieses Fenster aufmachen und horchen. Es ist sicher eine Dummheit, daß ich nicht in den Keller gehe. Aber so will ich wenigstens hören können, wie weit die Flieger von uns sind. Und wo bleiben unsere Abwehrgeschütze?

Er blickte in die beklemmende Dunkelheit hinaus, in der nur der Himmel einen matten Schein hatte. Er sah keine Flieger, aber wie hätte er sie auch zwischen den Wolkenfetzen sehen sollen? Das Motorengeräusch kam näher, es war ein alles durchdringendes Surren, aber noch kein Dröhnen. Manuel spannte alle Nerven auf das Hören und Ertragen der ersten Bombenexplosion. Als plötzlich ganz dicht neben der Telefónica ein Fliegerabwehrgeschütz losratterte, war es wie eine Enttäuschung. Schlechte Geschütze, nichts als ein besseres MG, dachte Manuel und setzte sich nieder, denn er war in den Knien so müde. In diesem Augenblick trat jemand ein, der sofort die Taschenlampe abknipste – das offene vorhanglose Fenster! – und scharf sagte: »Wer da?«

»Hier Manuel García, mi comandante«, sagte der andere. »Entschuldigung, ich bin hier geblieben, weil du selbst dem Pepe erlaubtest, hinunterzugehen, und weil jemand beim Telephon bleiben mußte.«

»Mach das Fenster zu, Genosse Manuel«, sagte Sánchez ruhig. Als der schwarze Vorhang gespannt war (eine schwierige Arbeit ohne Licht), knipste er eine sehr große Taschenlampe an, die wie ein Automobilscheinwerfer wirkte. »Setz dich dorthin, Genosse Manuel. Ist dein Stock in Ordnung?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern sagte: »Es ist schwer mit den Mädchen seit dem letzten Bombardement gestern. Zu viele von ihnen haben nun Tote gesehen. Die meisten haben eine tolle Angst.«

»Genosse Sánchez«, sagte Manuel, die Anrede wechselnd. »Ich wollte dir vorhin melden, daß ich anhand der letzten Granate hier im Stock feststellen konnte, daß die Faschisten einen neuen Schußwinkel haben.«

»Ja. Der dreizehnte Stock hat es gemeldet. Danke, Manuel.«

Manuel horchte auf das Motorensummen, das nun undeutlicher war. Er fühlte sich etwas enttäuscht, mit seiner Meldung zu spät gekommen zu sein. Genauso wie Agustín hielt er sich unbewußt außerhalb des grellen Lichtkegels der Taschenlampe, die auf dem Tisch lag und ihren Schein gegen die Tür warf.

»Sie sind uns diesmal nicht nahe gekommen und haben keine Bombe abgeworfen«, sagte Agustín. Dann schwiegen beide. Sie warteten. Agustín hatte einen schlechten Geschmack im Mund – von der Begegnung mit seiner Frau. Sie hatte sich beim Alarm nicht aufgeregt: sie hielt den Keller für absolut sicher für sich selbst und die Kinder, und an andere dachte sie nicht. Aber sie hatte Agustín zurückhalten wollen, nicht weil sie Angst um ihn hatte, sondern … »Du kannst mich nicht allein lassen, ich bin doch deine Frau.«

Und dann auf der Treppe ein Moment, in dem der Lichtkegel der Taschenlampe in Paquitas Gesicht gefallen war. Sie war nicht feige, sie hatte einen bösen Ausdruck gehabt, keinen aufgelösten wie viele andere. Aber als sie dem Lichtstrahl mit den Augen folgte und Agustín erkannte, hatte sie gerufen: »Tinito, komm, hilf mir. Ich falle«, und hatte ihr Gesicht wie eine Schauspielerin in Hilflosigkeit umgeändert. Merkwürdig, das so genau in diesem übermäßig harten, vergröbernden Lichtstreifen sehen zu können. Besser, nicht daran denken, besser, an die anderen denken. An die zwei Mädchen, die im fünften Stock an den Schaltbrettern sitzen geblieben waren, damit der Dienst weiterginge. An diesen Manuel, der mit ihm hier saß und wartete.

»Willst du ein Glas Kognak, Manolo?« Der Funktionär war überrascht, vor allem über die freundschaftliche Koseform seines Namens. »Klar, Mensch!« Er wollte noch etwas hinzufügen, da ging das Telephon. Aus dem Ja, Nein des Kommandanten konnte er nichts schließen. Im Reflex des Lampenkegels, in diesem ganz blassen Licht, sah er die Züge Agustíns sich erhärten. Agustín drehte zweimal ganz wenig den Kopf hin und her, und die Flügel seiner schmalen Nase bewegten sich.

»Ja.« Er hängte ab und drehte sich zu Manuel. »Sie kommen zurück. Es ist noch nicht vorüber. Sie werden auf uns losgehen. Ich kann nichts tun.« Er begann heftig zu fluchen, schön gewaltsame, barbarische Flüche, aber es war eine künstliche Explosion, die ihn nicht erleichterte. Er holte aus dem Schreibtisch eine Kognakflasche heraus und schenkte sich selbst und Manuel zwei kleine Gläser ein. »Zum Teufel mit den Deutschen!«

Wieder ging das Telephon. Er fluchte wieder und hob den Hörer ab. Im Apparat ein »Hallo … Ausländer … Comandante Sánchez?« Eine Frau mit tiefer Stimme, sie sprach seinen Namen wie Sanches aus. »Sprechen Sie französisch?«

»Ja. Was wollen Sie? Es ist Fliegeralarm«, sagte Agustín unfreundlich. Sicher Auslandspresse. »Wegen dem Alarm rufe ich Sie an«, sagte die fremde Frau mit einer sehr kühlen und sanften Stimme. »Hier spricht die Diensthabende der Zensur der ausländischen Presse.«

»Dort gibt es keine Frau.«

»Seit heute doch, Comandante Sánchez«, sagte die Frau in ihrem langsamen und korrekten Französisch. »Ich möchte, daß Sie mir die Information geben, wie es mit dem Fliegerangriff steht, damit ich das eventuell an die Berichterstatter weitergeben kann. Daß eine Bombe abgeworfen wurde, höre ich eben.«

Während sie sprach, war jenes dumpfe Aufschlagen und das Zittern aller Fensterscheiben gekommen, das eine Bombe in mäßig großer Entfernung ankündigt.

»Hat das nicht später Zeit? Jetzt habe ich keine Lust, Informationen an die Presse zu geben.«

»Ich mache Dienst, Genosse Comandante, damit die Nachrichten über das Bombardement durchgegeben werden. Deshalb bin ich hier oben geblieben. Sie sollten mir die Zusammenarbeit nicht verweigern, das ist keine Privatsache.«

Die Frau sprach noch immer kühl, aber ihre Stimme war noch tiefer und etwas heiserer geworden. Sie war wohl wütend – eine interessante Stimme –, sicher eine Deutsche. Agustín war mißtrauisch, aber er fühlte sich in die Ecke gedrängt.

»Señorita (ich werde einer Unbekannten da unten nicht Genossin sagen). Ich werde hinunterkommen und mit Ihnen reden. Sie sind im fünften Stock, nicht? Sie werden sich mir gegenüber ausweisen.«

Agustín hängte den Hörer auf und wandte sich zu Manuel, der vergebens versucht hatte, einzelne Worte zu verstehen: »Genosse García, bleib hier beim Telephon, und wenn etwas los ist, rufe mich in der Pressezensur im fünften Stock an. Da ist ein neues ausländisches Frauenzimmer. Ich muß sie mir näher anschauen. Die Sache paßt mir nicht.«

Drei schmale Wendeltreppen, totenschwarz, die der Strahl der Taschenlampe durchsticht, ein langer Korridor, Türen, Tappen an den Wänden, bis man den Lichtkegel richtig dirigiert hat, ein leeres Zimmer, kleine Taschenlampe, schattenhafte Frau, Scheinwerferlicht in ihr Gesicht: »Sie haben eben mit mir telephoniert, Señorita?«

Diese Frau hatte sehr helle Augen – grau wahrscheinlich –, deren Pupillen sich rasch verengten. Sie hatte harte Augenbrauen und einen blassen Mund – wenigstens nicht angestrichen –, der sehr gerade verlief. Sie war gar nicht hübsch. Um so besser.

»Hier sollten Sie niemand mit Señorita anreden, Comandante«, sagte die kühle, ruhige Stimme. »Und wollen Sie nicht einen Moment lang Ihre Lampe so halten, daß ich zur Abwechslung Ihr Gesicht examinieren kann?« Ihr herber Mund vertiefte und veränderte sich zu einem fröhlichen und kameradschaftlichen Lächeln, das einem knabenhaften Grinsen sehr nahekam. Die Lippen waren voll; dieser Mund war nicht hart. Agustín blickte interessiert darauf, denn es schien ihm ein Phänomen von Licht- und Schattenwirkung zu sein.

Aber er hielt die Lampe in einem anderen Winkel, so daß sie beide einander in einem schwachen Licht sichtbar wurden, und sagte ohne Gereiztheit: »Also gut, wer sind Sie eigentlich? Wissen Sie, daß bei Alarm der Keller sicherer ist?«

Sie setzte sich. Er sah, daß sie das war, was er viereckig nannte, stark muskulös, wahrscheinlich Sportlerin. Mitte der Dreißig, keine üble Figur, aber zu männlich für ihn, vor allem in Gesichtsausdruck und Benehmen. Er nahm neben ihr am papierüberladenen Tisch Platz. Sie sah die Schatten unter seinen Backenknochen und an seinen Schläfen, die langen Glieder, die dünnen Nasenflügel, die Müdigkeit. Sehr spanisch, überzüchtete Rasse, sehr nervös, wahrscheinlich sehr anständig und sehr empfindlich, alles im Extrem, taxierte sie ihn. Sie nahm sich vor, seine Mitarbeit zu gewinnen.

In diesem Augenblick kam Morton herein, der Korrespondent des »New York Telegraph«. Agustín kannte und mißachtete ihn, denn er hatte ihn oft in widerlichem Whiskyrausch in den Bars der Gran Vía gesehen; er hielt ihn für einen Faschisten und für einen unappetitlichen Fleischkoloß. Dem englischen Gespräch konnte Agustín nicht folgen, aber er sah, wie die Zensorin das Manuskript in einer, wie ihm schien, gewissenlos kurzen Zeit durchlas und billigte. Das mißfiel ihm, er fror innerlich wieder ein. Das Telephon klingelte: »Offenbar für Sie, Genosse Kommandant«, sagte die Frau und hielt ihm den Apparat hin. Manuel gab die Meldung, daß sich die Flieger entfernt hätten, aber daß noch eine Viertelstunde Alarmzustand eingehalten werden sollte; und daß die Bombe von vorhin in Vallecas gefallen war.

»Sind Sie Deutsche?« fragte Agustín die Frau, als der Journalist das Zimmer verlassen hatte.

»Ja.« Sie spürte die erneute Feindseligkeit.

»Wie heißen Sie? Zeigen Sie mir Ihre Legitimationen!«

»Ich heiße Anita Adam, und hier haben Sie meine Ausweise vom Außenministerium«, sagte sie mit einiger Schärfe. »Ich bin gestern Nacht aus Valencia gekommen und habe von nun an Nachtdienst in der Zensur.«

Die Papiere waren in Ordnung, aber das sagte ihm nicht viel. Hier war man in Madrid, nicht in Valencia. Das Ministerium war in vielen Dingen eine Domäne der alten Intriganten geblieben. Die Pressezensur war ein Departement des Außenministeriums. Aber in Madrid war Kriegszustand, die Verantwortung hatten die militärischen Autoritäten und hier in der Telefónica derzeit er selbst. Der brave, alte Hilario Gomá, der Vorstand der Zensur, bot ihm keine genügende Garantie für die Überwachung der Arbeit dieser Deutschen. Man sah, daß sie intelligent und energisch war. Warum war sie in Spanien?

Er fragte das so, wie er es dachte: »Was suchen Sie hier in Madrid?«

Anita verstand sein Mißtrauen nicht. Sie war bisher nur der spontanen Herzlichkeit ihrer Chauffeure und der überschwenglichen Höflichkeit der Ministerialbeamten gegenüber der ausländischen Journalistin begegnet und glaubte überdies in ihrem fanatischen Arbeitswillen und ihrer langen politischen Tätigkeit einen Freibrief für das republikanische Spanien zu besitzen. »Was ich suche? Ich verstehe Sie nicht gut, Comandante. Ich sehe nur, daß Sie meine Funktion hier in Frage stellen. Ich bin natürlich hier wie wir alle, als Sozialistin und Antifaschistin oder wie Sie es nennen wollen. Jedenfalls als Genossin, die hier helfen will.«

»Haben Sie draußen nichts zu tun gehabt?«

»O ja, Genosse, verzeihen Sie: wenn ich mich einmal entschließe, Sie nie mehr als Genosse anzureden, so wird das eine Bedeutung haben, die ich diesem Gespräch einstweilen noch nicht verleihen will. Also nenne ich Sie weiter Genosse. Ja, ich habe draußen Arbeit. Aber nichts ist jetzt so wichtig wie Spanien. Und ich bilde mir ein, hier nützliche Arbeit leisten zu können und zu müssen. Warum haben Sie diese Frage gestellt?«

Auf die Rückfrage war er nicht gefaßt gewesen. Er sah sie an – jetzt waren ihre Lippen wieder schmal und ihre Brauen zuckten. Sie mußte sehr zornig sein. Macht nichts, sie sollte nur merken, daß man ihrer ausländischen Autorität erst recht auf die Finger sah.

Unwillkürlich schaute er ihr tatsächlich auf die Finger. Sie hatte sehr weiche, kleine, weibliche Hände.

Agustín war so furchtbar übermüdet, daß er nicht merkte, wie lange er mit der Antwort zögerte und wie deutlich sein Blick zu verfolgen war. Anita sagte mit ihrer kältesten Stimme (sie zog bewußt dieses Register): »Sie wollen hier wohl keine Ausländerin und keine Frau sitzen haben. Leider kann ich einige Sprachen und kenne die ausländischen Presseverhältnisse, Kenntnisse, die hier fast ganz zu fehlen scheinen.« (Schweinerei, aber wahr, dachte er. Umso gefährlicher ist sie. Aber sein Mißtrauen kam ihm auf einmal übertrieben vor.) »Ich arbeite hier, wie meine Freunde in der Internationalen Kolonne kämpfen.«

Sie hätte das nicht sagen sollen, sie spürte es sofort. Er war Spanier, seine Reaktion war doch ganz logisch: aber sie tat weh. Sein Schweigen nach dem indirekten Vorwurf war peinlich. Ein unguter Anfang der Arbeit.

Inzwischen gingen ihm die Gedanken widerspruchsvoll durcheinander. Die Internationale Kolonne – Fremdenlegion. Nein, das nicht, es sind außer Abenteurern auch Revolutionäre dabei – und unsere Milizianer sind davongelaufen. Aber die deutschen Flieger und Granaten – die da ist eine ehrgeizige Abenteurerin – aber wenn sie doch ehrlich ist, hab ich ihr weh getan – sie antwortet gut – das Schlimme ist, daß wir keine gebildeten Spanier für diese Arbeit haben – sie hat vernünftige Augen, vielleicht kann man mit ihr reden. Die Funktion hat sie nun – die Konferenz mit Valencia ist gleich fällig – abschließen und hinaufgehen.

»Warum sind Sie allein hier heroben?« fragte er unvermutet in verändertem Tonfall. Er setzte sich dabei auf die Tischkante, was gewöhnlich ein Zeichen innerer Abrüstung ist.

Anita tastete dem neuen Stimmklang nach und kam zu dem Schluss, daß er sie wohl für mutig hielt. »Ich habe die Ordonnanz in den Keller geschickt, ich mußte hierbleiben. Ich finde, daß Bombardementsnachrichten von unserem Propagandastandpunkt aus sehr wichtig sind und man da der Presse alle Unterstützung geben muß.« Auch sie veränderte ihre Stimme, deren Wirkung sie sehr genau kannte.

»Sie können den Korrespondenten sagen, daß die Bombe von vorhin in Vallecas gefallen ist, sieben Tote, sechzehn Verletzte, die Bombe war deutsches Fabrikat. Es ist eine zweite als Blindgänger gefallen.«

»Danke, Genosse. Aber man müßte die Fabrikmarke und womöglich die Herstellungsnummer genau angeben, photographieren lassen, wenn es geht. Sehen Sie, man muß die Zeitungsleute mit echten Nachrichten füttern.« Sie sprach eifrig, ihr ganzes Gesicht war in Bewegung.

Spürt sie nicht, daß es eine Schande für alle Deutschen ist, was da geschieht, oder findet sie, daß sie nicht zu ihnen gehört? fragte er sich. Ihm war sie so neu wie er ihr. Merkwürdiger Typ, dachten sie beide fast zu gleicher Zeit. Aber als eben Johnson eintrat, tat ihnen die Unterbrechung leid.

Dieser sandhaarige Engländer war ein Freund der Frau, stellte Agustín sofort fest. Sie erklärte ihm die Nachricht, die sie soeben empfangen hatte, und war offenbar erfreut, den Mann zu sehen. Der Engländer begann in sie hineinzusprechen, eindringlich, besorgt, wahrscheinlich wollte er sie in den Keller schicken. Agustín wurde ärgerlich, daß er nicht Englisch verstand. Er wies die naheliegende Annahme, die alle seine Landsleute geglaubt hätten, nämlich, daß dies hier ein Verhältnis sei, zurück. Aber Freundschaft – wenn es Freundschaft zwischen Mann und Frau gab, was er nicht glaubte. Er, Agustín, kannte Männer und Frauen, er hielt den Engländer für schüchtern in die Deutsche verliebt, sie aber nicht in ihn. Er beugte sich über sie, sie hielt sich mit einem freundlichen Lächeln zurück. Agustín beobachtete, wie sich ihr Mund dabei veränderte; in seinen Winkeln bildete sich ein kleines Fragezeichen. Ihm gefiel der Mund, er dachte, es müßte angenehm sein, ihn zu küssen. Nur das, nicht mehr.

Als Johnson gegangen war, zögernd und unzufrieden, Anita in dieser dunklen Unsicherheit der Telefónica in einem merkwürdigen Dienst zurückzulassen, erhob sich Agustín. Er war länger geblieben, als er beabsichtigt hatte, und immer noch hätte er gern weiter mit ihr gesprochen. Anita erklärte ihm, wer Johnson war – die wichtige gemäßigte englische Zeitung, die ihn hergeschickt hatte –, und sagte noch: »Er ist ein feiner Kerl, ich kenne ihn, seitdem er einmal mit meinem Mann in einem internationalen Nachrichtenbüro gearbeitet hat.«

Sie war also verheiratet. Aber wo war der Mann? Sie sah nicht verheiratet aus, aber auch nicht wie eine unbefriedigte Frau. Hoffentlich suchte sie keine Kriegsabenteuer, mit diesem Mund da. Das hätte ihm eben noch gefehlt. Er mußte jedenfalls einiges klarstellen:

»Hören Sie, ich habe jetzt keine Zeit mehr. Ich werde Ihnen später erklären, was die Militärbehörden vom Zensurdienst verlangen. Sie werden mit mir und mit dem Kriegskommissariat arbeiten müssen. In Angelegenheiten, die das Gebäude und den Telephondienst betreffen, bin ich die Stelle, an die Sie sich wenden müssen. Außerdem – es ist für einen Ausländer unmöglich, die spanische Psychologie zu verstehen, und da es unser Krieg ist, sollten Sie das nie vergessen. Sie können hier nicht nach Ihrem Standard entscheiden. Vermeiden Sie die üblichen Fehler der Ausländer, Sie sind klug genug dazu. Wo schlafen Sie?«

»Im Hotel Gran Vía«, sagte sie beinahe schüchtern und sah ihn unsicher an. Er hatte ihr die Leviten mit klarer Freundlichkeit gelesen, ohne die verletzende Schärfe der ersten Viertelstunde. Er hatte sie ihre Grenzen so deutlich erkennen lassen, daß sie sich plötzlich ihres Alleinseins und Fremdseins erschreckend klar wurde.

»Also, damit ich Ihnen die militärischen Zensurvorschriften erklären kann, kommen Sie zu mir in den achten Stock, bevor Sie ins Hotel hinübergehen. Ich werde Ihnen für den Rückweg meine Ordonnanz mitgeben und Ihnen die letzten Nachrichten mitteilen, damit Sie Ihren Freunden, den Journalisten, rasch noch einen Gefallen tun können, wenn etwas los ist, was man weitergeben will. Haben Sie Angst?« fragte Agustín, sich selbst unterbrechend.

»Ja«, antwortete sie, »gewiß, aber nicht zu sehr. Man ist nicht so wichtig, wie man früher dachte. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Ordonnanz, ich werde um zwei Uhr bei Ihnen sein. Ich, wissen Sie, kenne hier nichts und niemand.«

Sie streckte die Hand hin und Agustín verstand die Bewegung gut; es war etwas Persönlicheres als die konventionelle Geste. Dieser Händedruck schuf eine Insel des Kontakts.

»Gute Nacht, Genossin, ich glaube nicht, daß die Junkers heute nacht zurückkommen. Auf Wiedersehen.«

Er tastete sich eben durch den Gang, als die wenigen blau verhüllten Lampen aufflammten und die ersten Leute das Treppenhaus und die Fahrstühle verließen. Der Alarm war zu Ende.

Telefónica

Подняться наверх