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Ein erster Versuch, zu der immer noch Sechzehnjährigen zurückzufinden, die sich als Vollwaise fühlt, zur Schule geht, nachts, wenn sie in ihrem Bett liegt, über die Zukunft nachdenkt, ihr Leben zu planen versucht, scheitert. Anni entzieht sich, verschwindet immer wieder hinter einer Nebelwand, ein Schatten, kein Mädchen aus Fleisch und Blut, ihre Bewegungen, ihre Sprache sind nicht mehr rekonstruierbar, ihre Gedanken lassen sich nicht nachvollziehen. Obwohl sich denken läßt, daß sie Sorgen hatte, sind diese Sorgen nicht mehr wirklich vorstellbar, obwohl feststeht, daß sie Trauer empfunden hat, obwohl die Verwendung dieses Wortes TRAUER in bezug auf den Verlust der Eltern, besser, auf das durch diesen vermeintlichen Verlust hervorgerufene Gefühl, zweifellos richtig ist, bleibt es eben doch nur ein WORT, das man aufschreibt, ausspricht, in Verbindung mit dem Mädchen von damals aber nicht mehr nachempfinden kann. Zu vieles hat sich seither ereignet, zuviel ist geschehen, die Schatten von damals sind von anderen Schatten überdeckt, überlagert worden, die Freude von damals von späterer Freude.

Der Mensch von damals ist fremd geworden, eine Annäherung auf direktem Weg ist nicht möglich, man muß auf Umwegen versuchen, an ihn heranzukommen.

Über die Umgebung zum Beispiel, in der sich Anni aufgehalten hat, die Wohnung, in die man sie aufnahm (zweieinhalb kleine Zimmer, eine winzige Küche, Vorzimmer, Bad), die Inhaber dieser Wohnung, die sie, zu der sie keinerlei verwandtschaftliche Beziehung hatten, als zugehörig annahmen. Daß sie in der Lage gewesen ist, für das Bett, in dem sie schlafen durfte, für das Essen, das man ihr gab, zu bezahlen, ändert nichts daran, daß ich, Anna, dieser Leute heute noch mit Dankbarkeit gedenke.

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