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Die spirituelle Gegenwart
ОглавлениеOft wollen wir uns von einer zu eng gewordenen Tradition oder autoritären Zwängen befreien. Wir wollen freie Meinungen haben, uns einzigartig fühlen und uns ganz persönlich entwickeln und entfalten können. Die Mehrheit der Menschen sucht nach Möglichkeiten, selbstbestimmt zu leben und glücklich zu sein. Mit diesem Bedürfnis sind wir heutzutage schon weit gekommen, allerdings halten wir häufig wegen der neu entstandenen Unabhängigkeiten auch wieder Ausschau nach einer Quelle der Sicherheit und Geborgenheit in einer unzuverlässigen Welt, einer ungewissen Zukunft und im persönlichen Wachstum.
Unsere Bedürfnisse mogeln sich längst nicht mehr an der häuslichen Erziehung durch die Eltern oder die ortsansässige Kirche vorbei, sondern bringen eine tiefe Suche in Gang – nach Sinn, Zugehörigkeit, Freude und Berufung. Wir suchen heute mehr denn je nach der intensiven Erfahrung des Lebens – in ganzheitlicherer Bildung, psychologischer Selbst-Erfahrung, Persönlichkeitsentwicklung, Therapie, Coaching und nicht zuletzt in einer Spiritualität, die jenseits der Traditionen auf ihren Kern hin neu erobert werden muss. Wir erwarten dort vor allem eine neue Orientierung und hoffen auf kreative Impulse und praktische Ratschläge für unsere Lebenswege. Oft fühlt sich das Leben wackelig an, vielleicht sogar bedrohlich, und nicht selten bekommen wir zu spüren, dass es immer weniger gibt, worauf wir uns verlassen können – egal, ob es sich um soziale, ökologische, politische oder wirtschaftliche Angelegenheiten handelt.
Die ewige Wandelbarkeit der Formen unserer Beziehungen, Berufe oder Lebensmodelle schafft neben großen Spielräumen oft auch den herausfordernden Nachteil, dass buchstäblich nichts mehr bleibt, wie es einmal war. Es gibt für die meisten von uns weder Halt noch Ankommen, weder Ergebnis noch Erfüllung. Allein das Erforschen und Begreifen aller Möglichkeiten, sich auf schöpferische Art auszudrücken und das eigene Sein und Wirken zu gestalten, gleicht einem Spiegelkabinett, in dem wir uns schnell verlaufen, aber aus dem wir nicht so schnell wieder herauskommen können. Am Ende der vielen Suche stehen wir oftmals wieder da, wo wir angefangen haben, ohne dass wir uns so richtig erklären könnten, warum wir eigentlich ständig am Ziel vorbeischießen, wenn wir überhaupt eines haben.
Daher erscheint gegenwärtig in der persönlichen Betroffenheit vieler Suchenden – sei es nach Sinn, Heilung oder Liebe – ein Bewusstsein darüber, dass ihr Glück nicht nur in der formellen Freiheit von Fremdbestimmung, Religion und traditioneller Kultur zu finden ist, sondern vor allem durch die Einsicht in das eigene Innenleben – das eigene Herz – gefördert wird. Und dass genau dieser Prozess eine Reflexion und Betrachtung dessen ist, was wir im Grunde unseres Wesens sind und was wir nicht sind. Was unsere wahre Natur und was dagegen nur eine Illusion ist. Nachdem wir eine Zeit spiritueller und therapeutischer Zerstreuung durchlebt haben, trifft uns dann mit absoluter Verlässlichkeit die Erinnerung an etwas ganz Bestimmtes, das schwer zu benennen ist. Wir vermissen das, was wirklich ist, was tatsächlich fehlt und was überhaupt zählt im Leben. Und so beginnen wir nach langen Phasen der Selbst-Suche und Gott-Suche, uns auf konkrete Methoden, Wege und Ziele unserer Selbst-Meisterung zu besinnen und einzulassen.